Es war einmal: Ein Bahnhof, eine Aussichtsplattform, eine Kirche und ein Dorf


Publiziert von lainari , 7. Dezember 2016 um 17:54.

Region: Welt » Tschechien » České středohoří
Tour Datum: 3 Dezember 2016
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CZ 
Zeitbedarf: 6:15
Aufstieg: 570 m
Abstieg: 570 m
Strecke:19,5 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis Verneřice
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 11 České středohoří východ

Verneřice, Pohorský vrch, Bílý Kostelec a Starosti (Wernstadt, Hundorfer Beile, Weißkirchen und Sorge)
 
Ein schönes Wochenende wurde erwartet. Kurzfristig tauchte in der Prognose aber noch Hochnebel auf. Einige Wetterseiten hatten für den Sonntag mehr Wolken vorausgesagt als für den Sonnabend. So wählte ich diesen Tag für meine Lost-places-Tour aus. Nach einer Frostnacht begab ich mich am Morgen ins České středohoří (Böhmisches Mittelgebirge). In Verneřice (Wernstadt) fuhr ich auf einer Anliegerstraße vorbei an der Metallmöbelfirma Kovos zum einstigen Bahnhof und parkte dort.
Verneřice ist eine recht alte Siedlung, die bereits 1352 als Wernherivilla in päpstlichen Verzeichnissen auftauchte. 1890 erhielt die Stadt über die von Lovečkovice (Loschowitz) kommende Stichstecke der einstigen Lokalbahn Groß Priesen-Wernstadt-Auscha (L.G.W.A.) Anschluss ans böhmische Schienennetz. Nachdem der Verkehr weitgehend auf Lastwagen und Busse übertragen wurde, hat man die Bahnstrecke 1978 stillgelegt und abgebaut. Ab dem alten Bahnhofsgelände folgte ich einem Flurweg der leicht steigend über Wiesenflächen bergwärts verlief. Den Berg herabfließendes Wasser hatte die zwei Fahrspuren in terrassenförmige Eisflächen verwandelt, weshalb der Weg schwierig begehbar war. So lief ich entweder auf dem Mittelstreifen oder über die angrenzenden Wiesen bergwärts. Ich bewegte mich in etwa an der Grenze der unüblicherweise von Norden hereinziehenden Hochnebelwolken. Nach einer Weile erreichte ich den Gipfel des Pohorský vrch (Hundorfer Beule/Beile). Hier befanden sich ab 1891 ein hölzernes Triangulationsgerüst mit einer Aussichtsplattform sowie eine Schutzhütte. Heute fand ich hier einen mit alten Munitionskisten befestigten Platz in Gargagengröße vor. Daneben sah ich den TP und einen Fundamentrest, der vermutlich von der Schutzhütte stammt. Der Ausblick war durch die Hochnebelwolken beeinträchtigt. Daher wanderte ich zügig weiter nach Pohorsko (Hundorf). Offenbar wird die Siedlung vorrangig nur noch als Wochenenddomizil genutzt. Ein steiler Abstieg über das Zufahrtssträßchen führte mich hinunter nach Bílý Kostelec (Weißkirchen). Die einst namengebende Kostel sv. Havla (Kirche St. Gallus) von 1733 befindet sich als Ruine links der Straße etwas versteckt hinter den Häusern. Auf dem Zugangsweg kam mir ein giftig bellender, freilaufender, mittelgroßer Hund in die Quere, der aber zum Glück von einer Anwohnerin energisch zurückbeordert wurde. So erreichte ich ohne Blessuren das denkmalgeschützte Areal und machte einen Rundgang. Verschiedenen Quellen zu Folge wollte die Kirche das sie belastende Grundstück an den Tschechischen Staat abtreten, welcher aber mit Verweis auf die geschätzten 20 Mio. Kronen Wiederherstellungskosten dankend ablehnte. 70-jährige Nichtnutzung sei kein Grund für die Vernachlässigung des Denkmalzweckes gab man der Kirche zur Antwort. Als Rechtsnachfolger beispielsweise dieser Taten in Algersdorf und Reichen sollte der Staat jedoch mit Belehrungen vorsichtiger sein.
 
Zurück an der Straße lief ich weiter nach Konojedy (Konoged), welches von einem riesigen Schloss dominiert wird. Ich schaute mir das von den Ruinen des Hostinec „U města Vídně“ (Gasthaus „Zur Stadt Wien“) und eines Wirtschaftshofes gesäumte Areal an. Das Schlossgelände selbst ist ringsherum abgesperrt, auch die sanierte Kirche ist nicht zugänglich. Auf einer alten Abbildung konnte man sehen, dass das Schloss einst zumindest teilweise von Wasser umgeben war.
Bereits 1451 wurde Konojedy als Standort einer Burg urkundlich erwähnt. Im 16. Jh. hat man an ihrer Stelle ein Renaissanceschloss errichtet. Franz Anton von Sporck widmete es ab 1699 in ein Armen-Krankenhaus um. Franz Karl von Swéerts-Sporck nebst Gattin ließen dort zwischen 1746-1758 ein schlossähnliches spätbarockes Kloster für den Servitenorden erbauen. Im selben Zusammenhang wurde von 1748-1752 die unmittelbar angrenzende Kostel Nanebevzetí Panny Marie (Kirche Mariä Himmelfahrt) errichtet. Das Kloster wurde bereits 1786 aufgelöst und der Bau fortan als Schloss genutzt. Nach der Enteignung 1945 zog hier ein Armeearchiv der Tschechoslowakischen Armee ein. Nach der politischen Wende wurde das heruntergekommene Objekt an privat verkauft. Später wurde der heutige Besitzer Vladimír Přibyl darauf aufmerksam und beschloss es zu sanieren. Allein die Restaurierung der Kirche kostete 32 Mio. Kronen, welche zum Großteil von einem norwegischen Fonds bereitgestellt wurden. Das Schloss wird Stück für Stück in Stand gesetzt, aber es ist noch kein künftiger Nutzungszweck absehbar.
Eine Art verlandeter Teich schließt das Gelände zur Straße hin ab. Ich verließ den Ort am Straßenrand, während im gegenüberliegenden Waldstück offenbar eine Treibjagd stattfand. Auf Grund der hohen Schusszahlen konnte man von einer guten Strecke ausgehen. Auf der Anhöhe bog ich nach links ab und lief leicht steigend Richtung Waldkante. Da ich bisher schon drei der verlorenen Orte aufgefunden hatte, wollte ich die Tour nun mit einem Sahnehäubchen krönen, dem Besuch eines in der Wanderkarte als Mečový kámen (Schwertstein) bezeichneten Sühnemales von 1492. Ich bog dazu am Wald nach rechts auf einen Weg ein, der sich jedoch entgegen dem Karteneintrag recht schnell verlor. Ich kämpfte mich weglos über ein bewaldetes Blockfeld weiter und konnte die eingetragene Wegbeziehung wieder aufnehmen. Bergwärts endete der ausgebaute Forstweg an einem Polter- und Wendeplatz und setzte sich etwas verwachsener bis zu einer Lichtung mit Hochsitz fort. Auch hier konnte ich mit einem Schlenker nach rechts den alten Pfad wieder aufnehmen. Die hiesigen Blockfelder waren geeignet Such-Stress auszulösen, da das Sühnemal keine Kreuzform aufweist, sondern ein gewöhnlicher Stein sein soll. Am Wegrand waren hunderte, teils bemooste Horzel zu entdecken, doch der gesuchte war nicht dabei. Am Kulminationspunkt verlor sich der Pfad in einer Schonung. Durch ein Umgehen nach rechts konnte ich den Verlauf dahinter wiederfinden und erreichte den kreuzenden, befestigten Querweg. Somit war ein Fehschlag zu verzeichnen. Der lag aber nicht am Etwas-Übersehen-haben, sondern an einem abweichenden Standort des gesuchten Objektes (siehe fotografierte Karte einer Infotafel). Die wenigen im Netz verfügbaren Infos deuten darauf hin, dass er am Hauptweg mit einem hölzernen Schild als Smírčí kámen (Sühnestein) ausgeschildert ist. Also war mein von einem falschen Karteneintrag motivierter Umweg unnütz, was sich aber erst mit Nachgang herausstellte. Mangels weiterer Suchansätze brach ich die weitere Nachschau vor Ort erst einmal ab. Nach einer kleinen Pause hielt ich nach links auf den Waldrand zu und bog dort nach rechts über die Wiese ab. Wenig später kam ich zu den Ruinen des einstigen Ortes Starosti (Sorge). Die Sorge war wohl nicht unbegründet, denn der Ort ist schließlich untergegangen. Ursächlich dürfte die Vertreibung der Sudetendeutschen sowie eine karge Lebensgrundlage gewesen sein. Im Jahr 1820 lebten hier 55 Einwohner, nach der Vertreibung 1945 waren es noch drei Familien und 1952 wurde der Ort schließlich als eingegangen verzeichnet. Heute versucht man hier ein ökologisches, weitgehend autarkes Wohnprojekt zu etablieren, von welchem aber noch keine sichtbaren Aktivitäten auszumachen sind.
 
An der Waldkante hielt ich mich talwärts und bog im Verlauf rechts auf eine verwachsene Rampe ein. Diese mündete in einen hangquerenden Forstweg. An einem großen Polter- und Wendeplatz nahm ich den linken von den abgehenden Wegen und bewegte mich mit moderatem Gefälle talwärts. Nach einer Weile traf ich auf den grün markierten Wanderweg und ging auf ihm zum Talboden der Bobří soutěska (Bieberklamm) mit dem Bobří potok (Bieberbach) hinab. Auf dem einst Manzer Weg genannten Wanderpfad lief ich talaufwärts durch das tief in den Basaltuntergrund eingeschnittene Tal. Im Bereich einer Lichtung soll einst das Hostinec „U ráje“ (Gasthaus „Zum Paradies“) gestanden haben. Ich verzichtete aus Zeitmangel auf eine weitere Spurensuche. In diesem Zusammenhang wird auch gelegentlich eine Teufelsmühle erwähnt, von der ich bislang weder eine Vorstellung noch Belege über die Art des Objektes habe. Hier besteht weiterer Nachforschungsbedarf. Im Tal folgte nun der Wasserfall des einmündenden Sorgebaches mit einem davor befindlichen idyllischen Rastplatz, den ich dankend zur Mittagspause benutzte. Auf Querfeldein-Erkundungstouren sind Kontakte mit derartigen touristischen Einrichtungen eher rar und somit umso wertvoller. Gestärkt setzte ich den Weg fort und passierte den Wasserfall des Bobří potok. Am Talausgang vorzufindende Relikte könnten einem Kohlebergbauversuch mit einem Stollen von 1860/61 zuzuordnen sein, der abgebrochen wurde, da sich die gefundene Braunkohle als nicht verwertbar erwies. In der Umgebung gab es jedoch weitere, erfolgreich bebaute Fundstellen mit untertägigem Kohlebergbau. Auf einem Fahrsträßchen wanderte ich leicht aufwärts durch das einstige Siedlungsgebiet des untergegangenen Ortes Malá Javorská (Klein Jober). Ich verließ die Straße nach links und lief über Wiesenflächen und um verfilzte Waldstücke herum weglos nordwestwärts, die absolvierte Laufstrecke ist somit nicht näher darstellbar. In den Waldstücken gab es einst Schächte des Kohlebergbaues. Der gesamte „unerledigte“ Komplex untergegangener Ort/Gasthaus/Kohlebergbau lockt in der vegetationsarmen Zeit zu weiteren Erkundungen. Auf dem Gipfel des bewaldeten Krkavčí vrch (Rabensteiner Höhe) fand ich den laut Karteneintrag erwarteten TP trotz gewisser Weitläufigkeit recht zielsicher auf. Auf Wiesengelände konnte ich später einen Fahrweg ausmachen und lief auf ihm talwärts. Dieser hatte wie bereits am Morgen erlebt teilweise vereiste Fahrspuren, die aber hier am Südhang angetaut waren. Die verlieh dem Gelände eine unangenehme Konsistenz. In Ortsnähe kam eine Beweidung mit Allwetter-Kühen hinzu. Links des Weges eine Weide, rechts die damit quer über den Weg verbundene Futterstelle aus Heuballen und auf dem Weg ausgebrochene Tiere. Eines davon konnte ich in bester Cowboy-Manier in die Umzäunung zurücktreiben - hoppel in die Koppel. Mit bis zu den Knien verschlammten Hosen erreichtet ich in Verneřice festen Untergrund unter den Füßen und schlich leise pfeifend durch den Ort zum Auto zurück. So ganz unbemerkt gelang mir das nicht - das Kleinkind eines jungen Paares begrüßte mich mit einem neugierigen „Dobrý den“ obwohl es mich ausweislich seiner Mine aus frühkindlicher Perspektive längst als Penner einsortiert hatte, was allseits Erheiterung auslöste...
 
Die pausenbereinigte Gehzeit betrug 6 h 15 min.
Die Strecke ist bis auf die Bobří soutěska unmarkiert, teilweise weglos und weitgehend mit T1 zu bewerten.
T2-Passagen sind die Bobří soutěska, Blockfelder, Feuchtwiesen, Gräben und Waldstücke.
Gute Informationen zu verschwundenen Orten gibt es auf www.zanikleobce.cz, hier ein alter Kartenausschnitt. Höhenabweichungen zu historischen Karten resultieren aus dem Wechsel zwischen dem Triester Pegel 1875 (m ü.A.) und dem Kronstädter Pegel (m n.m.) sowie Neuvermessungen.

Tourengänger: lainari


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