Vrabinec (Sperlingstein)


Publiziert von lainari , 19. April 2016 um 21:41.

Region: Welt » Tschechien » České středohoří
Tour Datum:18 April 2016
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CZ 
Zeitbedarf: 5:45
Aufstieg: 800 m
Abstieg: 800 m
Strecke:17 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis Rytířov oder Zug der ČD bis Těchlovice
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 11 České středohoří východ

Du giengst voran durch Noth und Schmach…
 
Wegen seit Längerem fehlender Unterstützung hatte ich am Wochenende bei zudem noch suboptimalen Wetter viel zu tun, die bessere Prognose für den Wochenanfang ist daher Grund genug, zu Lasten des Stundenkontos in die Verlängerung zu gehen. Ich beschließe eine Wanderung mit nicht allzu weiter Anreise zu planen und fahre ins Elbtal zwischen Děčín und Ústí nad Labem. Heute bin ich einmal zur Berufsverkehrszeit unterwegs. Eine Streife der örtlichen Ortspolizei bewacht in ihrer Eigenschaft als bewaffnete Schülerlotsen einen Zebrastreifen. Die Staatspolizei füllt derweil anderenorts beflissen den Staatssäckel mit Gebühren-Spenden, die allzu eilige Autofahrer entrichten müssen.
 
Ich biege auf die schmale Nebenstraße ins Reichenbachtal ab und arbeite mich bergwärts hinauf nach Rytířov (Rittersdorf), zuletzt auf einer einspurigen Zufahrt. An einer Kreuzung soll mir ein kleiner Platz in Wagengröße als Parkfläche dienen. Ich laufe auf der Ortsstraße weiter und biege dann bergwärts auf einen Forstweg ab. Mit Erreichen des Waldes bekommt der Schotterbuckelweg eine asphaltierte Oberfläche. Nach einiger Zeit finde ich in einer scharfen Wegkurve den Felsen der Hrad Vraty (Burg Rattenstein/Radelstein). Der schroffe Basaltfelsen weist keine offensichtlichen Spuren einer früheren Bebauung auf, einzig eine künstliche Vertiefung zur vorgelagerten Anhöhe weist auf menschliche Eingriffe hin. Ein möglicher bergseitiger Halsgraben wurde beim Wegebau überformt. Ausgrabungen zufolge, soll hier von der 2. Hälfte des 13. Jh. bis zum 1. Drittel des 14. Jh. eine Burg gestanden haben. Die Kürze der Nutzungszeit und das Baualter legen eine Holzbauweise nahe. Vielleicht war mit dem Bauwerk allein schon vom Namen her kein Staat zu machen, wer wollte schon „Ratte vom Rattenstein“ heißen? Der auf den ersten Blick unzugängliche Felsen kann über einen Zugang mit der erforderlichen Vorsicht relativ sicher bestiegen werden. Kurz unterhalb des Gipfels ist ein kleines Plateau, wo ich mein Gepäck ablege und von dem aus ich den Restaufstieg mit Hilfe einiger vorhandener Eisenstifte absolviere. Die Landschaft erinnert bei der Rundumschau ein wenig ans Tessin mit seinen steilen, laubwaldbestandenen Taleinschnitten. Ich kehre zum Forstweg zurück und laufe weiter in Richtung Buková hora (Zinkenstein/Buchberg). Unvermittelt taucht der riesige Fernsehturm über dem Wald auf. Der Weg wendet sich jedoch noch einmal und entfernt sich bergwärts. An einer Kreuzung wechsele ich auf die blaue Wanderwegmarkierung und gehe abwärts zur Wüstung Vitín (Wittine). Die Ruinen präsentieren sich heute in einer ganz anderen Beleuchtung als bei meinem ersten Besuch, so dass ich hier eine ganze Weile zubringe. Nun steht der Weiterweg an, geplant ist laut Karte ein Steilabstieg in gerader Linie. Der vorhandene Weg ist aufgewühlt, steil und feucht, so dass ich mich zunächst nach einer in der Karte nicht verzeichneten grünen Wanderwegmarkierung orientiere. Dieser Weg verläuft entgegengesetzt, leicht fallend zum Ende des Seitentales hin, aber auch dessen schlammige Konsistenz ist zunehmend alles andere als erbaulich. Direkter talwärts verläuft eine steile, zerfurchte, aber trockenere Fahrspur. Nach einiger Zeit endet diese auf einer Waldlichtung, der Traktor hat umgelenkt und ist mit dem Holz wieder bergwärts gefahren. Ein fußbreiter Wildwechsel führt mich am steilen, laubbedeckten Hang relativ sicher weiter. Ab und zu muss ich mich von der Richtung und vom Gelände her neu orientieren und auf andere Pfade wechseln, da die Wildtiere einfach nicht organisiert und zielstrebig talwärts gegangen sind. Später muss ich ein von links einmündendes Seitentälchen queren, an dessen lehmiger Flanke selbst die Vierbeiner Traktionsprobleme hatten. Ich mühe mich mehr schlecht als recht hinauf und treffe auf den ursprünglichen zu begehenden Flurweg in bekannter Qualität. Kurz vor Erreichen des Talbodens trete ich auf einen verborgenen feuchten Ast und folge der Schwerkraft. Ich bin ja schon jedesmal froh, wenn es keine Komplettlandung mit der ganzen Körperfläche wird, sondern nur einzelne Stellen betrifft. Heute trage ich ein verschlammtes Knie davon. Der Talboden stimmt mich in der Folge auch nicht glücklicher, der vorhandene Bach und der Weg werden irgendwie eins - ein schlüpfriges Basaltbrocken-Lehm-Gemisch. Dennoch komme ich wohlbehalten ins Elbtal nach Přerov (Pschüra/Pschira).
 
Ich bleibe hinter der Bahnstrecke und laufe auf einem Flurweg leicht steigend nach Zadní Lhota (Ober Welhoten/Wellhotten) hinüber. Mit einem herrlichen Blick ins Elbtal laufe ich weiter. Eine Bank lädt zu einer Pause. Eine vorbeikommende junge Mutter mit Kind belustigt sich, ob meiner Verschmutzung. Wenn sich andere freuen, freue ich mich doch auch…
Schmunzelnd setze ich den Weg fort. Zwei Rentner wollen mich auch noch in ein lustiges Gespräch einbeziehen, nun ist aber langsam gut. Im Anschluss durchquere ich Těchlovice (Tichlowitz) und biege im angrenzenden Přední Lhota (Nieder Welhoten/Wellhotten) ins Tal des Reichener Baches ein. Entlang der am Morgen befahrenen Straße gehe ich gemäß einer roten Wanderwegmarkierung bergwärts und habe dabei das nächste Zwischenziel immer vor Augen. Später biegt der Weg nach links auf einen steilen Pfad ein. Praktischerweise hat man dabei unterwegs für untrainierte Wanderer mit Schnappatmung einige Bänke installiert. Als ich dann eine herumschwirrende Fliege ansauge, nutze auch ich dieses Angebot. Im oberen Teil ist der Pfad abermals lehmig feucht, so dass ich die Schritte mit Bedacht setzen muss. So gelange ich zu den Ruinen Vrabinec (Sperlingstein/Sperlingshäuser). Ein Stichweg führt hier hinauf zur Ruine Hrad Vrabinec (Burg Sperlingstein), die aus mehreren Einzelfelsen besteht. Der Mittelturm ist für den trittsicheren Wanderer über eine Stiege mit Kettensicherung zu erklimmen. Die Höhenangabe der Felsen schwankt je nach konsultierter Quelle (die Karte sagt gar nichts) von 350-420 m. Ich halte 395 m für den Mittelfelsen für realistisch. Die Burg wurde im 12. Jh. durch lokale Adlige (Těchlovec z Těchlovic?) errichtet. Nach Neubau/Erweiterung am Anfang des 15. Jh. kam sie in den Besitz eines Wartenbergers, der oft auf berüchtigte Raubtouren in die Oberlausitz aufbrach. Der Sechsstädtebund schickte 1444 einen Gegenbesuch, dem einige Burgen zum Opfer fielen. Nach anfänglicher Unterschätzung der herannahenden Streitmacht verließen die Wartenberger eilends ihren uneinnehmbaren Unterschlupf und gaben Fersengeld. Diese Einladung blieb nicht ungenutzt, so dass die Burg mühelos durch den Sechsstädtebund zerstört werden konnte. Danach wurde sie nicht mehr vollständig instand gesetzt. Der brachialübersetzte deutsche Teil einer Infotafel scheint hier etwas zusammenhangslos zu sein. Verschiedene (Sekundär-)Quellen berichten von einer 9000 Mann starken Streitmacht unter Führung von Thimo von Colditz, dem Sohn des Oberlausitzer Landvogtes (Lausitzisches Magazin vom 29ten Juny 1776 Seiten 178 ff. und Handbuch der Geschichte von Zittau, Zweiter Theil, Christian Adolph Pescheck 1837).
In der herrlichen Frühlingssonne lege ich auf dem Gipfel meine Mittagsrast ein.
 
Nach dem Abstieg folge ich weiter der roten Wanderwegmarkierung durch abwechslungsreiche Landschaft und feuchte Wege über einen leichten Sattel bis in den Ort Lesná (Hortau). Der Rest einer Betsäule meint hier auszugweise Folgendes:
Du giengst voran durch
Noth und Schmach

Und riefst ermunternd:
Folgt mir nach!
Woher wussten sie früher von Hikr?
Nun biege ich nach rechts auf die Dorfstraße ein. Ein Schild weist auf eine Sperrung wegen Brückenarbeiten von Januar bis Ende April hin. Da ja hier kein Flughafen geplant war und ich tschechische Arbeiter für termintreu halte, rechne ich kurz vor Ende der Frist mit einem begehbaren Bauwerk. Im Ort werde ich plötzlich von einem freilaufenden Hund begleitet, der dann aber in ein Grundstück einbiegt. Wie gedacht finde ich im Verlauf eine, nein zwei fast fertige Brücken vor. Ich grüße die Bauarbeiter freundlich und passiere leise pfeifend ihren Tätigkeitsbereich. Hinter dem Ort überwindet das verkehrslose Fahrsträßchen eine Anhöhe. Dabei ist nicht zu verschweigen, dass der begleitende gehölzbestandene Lesesteinwall vielfach unübersehbar als Entsorgungsort für Fahrzeugteile und Haushaltmüll missbraucht wird. Leicht fallend passiere ich eine Kreuzung. An der zweiten Abzweigung gehe ich über den morgendlichen Zufahrtsweg nach Rytířov hinauf, die zweite Zufahrt aus der Karte ist schlicht nicht existent. Ich erreiche mein Auto und es öffnet sich nicht mehr über die Fernbedienung. Ich glaube an ein Batterieproblem und nutze den Schlüssel, wobei der Alarm auslöst. Nach einigem Probieren von innen und außen klappt wieder alles normal, es liegt kein Batterieproblem vor. Möglichweise hatte der lokale Autoverwerter, branchenüblich mit eigenem Laptop, ja schon mal ein Auge auf den Wagen geworfen…
Nützt ihm aber nichts!
 
Die pausenbereinigte Gehzeit betrug 5 h 45 min. Die Schwierigkeit ist auf weiten Strecken als T1 zu bewerten, der beschriebene Abstieg als T2, Auf- und Abstiege an den Burgen als T3.

Tourengänger: lainari


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