Rotsandnollen 2700m - 3 magische Minuten


Publiziert von Bombo , 13. März 2017 um 00:30.

Region: Welt » Schweiz » Obwalden
Tour Datum:11 März 2017
Ski Schwierigkeit: ZS-
Wegpunkte:
Geo-Tags: Östliche Melchtaler Alpen   CH-NW   CH-OW   Westliche Melchtaler Alpen 
Aufstieg: 800 m
Abstieg: 1640 m
Strecke:siehe GPS-Datei
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit PW bis Stöckalp, anschl. mit Gondelbahn (CHF 9.50 mit Halbtax) hoch zur Melchsee Frutt
Kartennummer:LK 1:50'000, Bl 245 "Stans"

3 magische Minuten zwischen Himmel und Hölle


Ein perfekter Skitourentag stand bevor und wir wollten wieder einmal eine aufstiegsschonende Tour geniessen. Unsere Tourenplanung fiel auf den Rotsandnollen 2700m, eine Tour, welche schon länger auf der Wunschliste stand. 

Noch vor der offiziellen Öffnungszeit wurden wir um 07.45 Uhr von der Stöckalp 1073m gemütlich mit der Gondelbahn hinauf zur Melchsee-Frutt 1925m beförderet. Die Sonne scheint uns direkt ins Gesicht - was für eine Wohltat, wenn nur jede Bergtour so beginnen würde. Via Schnuer und Murmoltereneggen erreichten wir den südseitigen Anstieg hinauf zum Tannenrotisand 2523m. Die Schneedecke war von Beginn weg pickelhart gefroren, blöde, wenn man die falschen Harscheisen im Rucksack hat. Also gab's unverhofft ein Bootpack, welches sich dann aber schlussendlich beinahe angenehmer gestaltete, als der Skiaufstieg mit Harscheisen. Die Wächte konnten wir gut überwinden, obwohl die scharfe Skikante ein kleines Blutbad an meinem Finger hinterliess. Den Gipfel musste man sich heute tatsächlich verdienen. Kurz vor dem Gipfelsturm, wir machten aufgrund der harten Schneebedingungen ein Skidepot und stiegen zu Fuss weiter, wurden wir noch von 2 weiteren Skitourengänger eingeholt, welche wenige Meter vor dem Gipfel des Rotsandnollen 2700m den Lead übernahmen.

Der eine, scheinbar ein routinierter, älterer Einheimischer, war schon oft hier oben - hätte er mehr Zeit gehabt, so würde er heute sogar noch über die steile Variante hoch zum Barglen Schiben 2669m - für uns ein klares No-Go bei den aktuellen Lawinenverhältnissen. Doch ein solcher Entscheid muss jeder für sich selbst fällen - und allenfalls auch die Konsequenzen davon tragen. 

Mit 3 weiteren Gipfelbesuchern, alle Skitourer, geniessen wir die fantastische Aussicht, das phänomenale Frühlingswetter und überhaupt die gute Stimmung. Kurz vor 12.00 Uhr stiegen wir zum Skidepot hinunter und starteten praktisch auf den Glockenschlag genau zur Abfahrt richtung Stöckalp. Dank den beiden Spuren der früher Gestarteten war auch die ungefähre Linie gegeben - wir hätten (und haben dann auch) die Linienwahl im oberen Bereich gleich gewählt. 

Über sehr harten, jedoch schön zu fahrenden Schnee fuhren wir vom Tannenrotisand den steilen Nordwesthang hinunter. Es gab keinerlei Anzeichen von Gefahrenstellen, aufgrund der Steilheit fuhren wir jedoch alle einzeln mit viel Abstand zueinander hinunter. Bald schon verliessen wir, immer noch den einheimischen Spuren folgend, dieses Gebiet westwärts und genossen die Fortsetzung bis südlich der Alp Heufrutt 1896m. Zugegeben, die letzten 200m war das Gebiet durchsäht von mühsamen Regenrillen, doch Spass machte das irgendwie trotzdem.

Nun war es aber höchste Zeit für eine ausgedehnte Pause im Schnee, die Seele baumeln lassen, das Glück des Momentes geniessen. Kaum hatten wir richtig Platz genommen, flog ein Rega-Heli über unsere Köpfe. Wir machten uns für einen Moment Sorgen um die folgenden 2 oder 3 Skitourengänger, welche nur wenige Sekunden nach uns auf dem Gipfel gestartet sind und wir diese seit Beginn der Abfahrt vom Tannenrotisand nicht mehr gesehen haben. In den nächsten rund 60 Minuten beobachten wir alle paar Minuten weitere Rotationen, teils von der Rega, teils von der Swiss Helicopter, teils von der Bohag. Einmal startete die Rega zu einem vermutlichen Suchflug im Gebiet P. 1933 und wir fragten uns, wo das Unglück wohl passiert ist. Gab es einen Absturz vom Huetstock oder doch einen grossen Unfall beim Rotsandnollen? Wir hatten nie etwas gehört oder womöglich sogar gesehen - seit unserer Abfahrt war es rund um uns herum still und einsam. 

Für uns war es an der Zeit, die Abfahrt fortzusetzen - wir wussten, dass der Schnee bis zur Stöckalp hinunter nicht mehr reichte, weshalb wir uns auf einen finalen Fussmarsch einstellten. Bis zur Waldpassage bei ca. 1340m reichte der Schnee aber gerade noch, unten raus gab's sogar nochmals herrliche Sulzverhältnisse. Ab dann war jedoch bis hinunter zur Stöckalp 1073m Skitragen angesagt - das ging dank dem mehrheitlich aperen Wanderweg jedoch problemlos. 

Bei der Stöckalp angekommen - wir waren bereits ready für die Fahrt nach Hause - fiel mir ein Spezialist der alpinen Rettung auf, welcher scheinbar die Helikopter eingewiesen hatte. Ich informierte ihn, dass wir vom Rotsandnollen kämen und die vielen Helis gesehen hätten und fragte, was denn genau passiert sei. Er informierte mich, dass es einen grossen Lawinenabgang beim Rotsandnollen gegeben hätte und es evtl. noch Personen braucht, welche mithelfen mit Sondieren. Entsprechend packten wir sofort wieder unsere Sachen und standen bereit für einen evtl. Rettungseinsatz hinauf zum Ort des Geschehens.

Als wenig später die Polizei auf den Platz kam und wir eine Zeugenaussage machen müssten, standen wir plötzlich mitten im Geschehen und wussten noch gar nicht recht weshalb. Und dann wurde allen klar: der ganze Aufwand war wegen uns - zwischen 25 und 30 Hilfskräfte, ausgerüstet mit 4 Hundeführern und 4 Helikoptern suchten nach uns. Doch was genau ist eigentlich passiert?

Gemäss ersten Vermutungen (und diese sind nicht bestätigt!) hatte vermutlich eine Schneeschuhläufer-Gruppe, welche 3 Minuten nach unserer Abfahrt vom Tannenrotisand den Grat über die Wächte erreichten, eine 600m lange und rund 200m bis 300m breite Lawine fernausgelöst. Diese Lawine muss exakt in dem Moment runter gedonnert sein, wo wir westwärts das Gebiet verliessen und wir deshalb nichts mehr gehört und gesehen haben. Man konnte im oberen Teil noch deutlich unsere Spuren sehen, diese verliefen dann jedoch (wegen des harten Schnees) im Nichts, weshalb man davon ausgehen musste, dass es evtl. Verschüttungen gab. Und weil wir beim Pausieren nie und nimmer daran gedacht haben, dass etwas direkt hinter uns hätte passieren können, hatten wir auch nicht die Rega über unser Wohlbefinden informiert - ein Fehler im Nachhinein, denn dann hätte man den grossen Suchaufwand auf ein Minimum reduzieren können.

In diesem Sinne: "Glück gha", alles nochmals gut gegangen. Was man im Nachhinein alles hätte anders machen können, ob man bei den aktuellen Verhältnissen überhaupt auf diese Tour gehen soll, etc. - auf alle diese Fragen muss jeder für sich selber eine Antwort finden. Fakt ist, besser die Rega einmal zuviel als zuwenig informieren.

Im Wissen, dass es im Internet - und speziell hier auf Hikr - so oder so immer ein paar Besserwisser und Schlaumeier gibt, werde ich allfällige Fragen oder Anmerkungen von Dritten nicht beantworten. Dieser Bericht dient lediglich dazu aufzuzeigen, wie heikel das seit Tagen und Wochen im Lawinenbulletin erwähnte Altschneeproblem (kombiniert mit Triebschnee) ist. Das scharfe Minenfeld sieht harmlos aus, kann sich aber unter Umständen zu einer grossen Katastrophe entwickeln. Nicht jeder hat das Glück, welches wir hatten.

Herzlichen Dank allen Einsatzkräften für die unermüdliche Sucharbeit und die Koordination der schwierigen Situation!


SLF: "Erheblich" (Triebschnee, Altschnee, von West über Nord bis Süd oberhalb 2200m)

Auszug SLF-Bulletin für den 11.3.2017, Gebiet B, Gefahrenbeschrieb:

"Die frischen Triebschneeansammlungen sind störanfällig. Einzelne Wintersportler können Lawinen auslösen. Die schon etwas älteren Triebschneeansammlungen sind vor allem mit grosser Belastung in ihren Randbereichen auslösbar. Lawinen können vereinzelt bis in tiefe Schichten durchreissen und gross werden. Entlastungsabstände und Einzelabfahrten werden empfohlen. Die aktuelle Lawinensituation erfordert Erfahrung in der Beurteilung der Lawinengefahr."



Tourengänger: Schlumpf, Bombo, Schusli


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Kommentare (6)


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amphibol hat gesagt: ich hatte sogar einen Bericht im TV gesehen über die Suchaktion..
Gesendet am 13. März 2017 um 00:44
.. wie auch beispielsweise hier:

[www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/obwalden/G...]

Zum Glück ist euch nichts passiert!
LG Raphael

roger_h hat gesagt:
Gesendet am 13. März 2017 um 07:19
Sali Bombo, mein Schwager ist bei der Alpinen Rettung Sarneraatal und war am Samstag vor Ort beim Einsatz.

Gut, dass euch nichts passiert ist!

Gruss
Roger

Alpin_Rise hat gesagt: Was für ein Abgang...
Gesendet am 13. März 2017 um 16:13
... eindrücklich!
Exakt an dem Tag hat sich meine Gruppe auf der Entgstligenalp ebenfalls mit Lawinenkunde beschäftigt.
Wir sind mit vielen anderen auf den Ammertenspitz. Erstaunt waren wir, dass mit dem erheblich-Bulletin der Wildstrubel angespurt wurde.
Am Ammertenspitz war nach meiner Einschätzung eher ein "mässig" zu veranschlagen, prima Sulz südseits, nordseits ganz wenig Triebschnee auf harter Unterlage.
Aber wie du schreibst
> Das scharfe Minenfeld sieht harmlos aus

Allen, die sich intensiv mit Lawinenkunde auseinandersetzten möchten, empfehle ich skitourenguru.ch mit maschinell erstellten Risikoprognosen für dutzende Routen.

Bin froh, dass euch nichts passiert ist bei der Geschichte und danke fürs teilen!
G, Rise

jfk hat gesagt: Eindrücklich!
Gesendet am 13. März 2017 um 19:02
Sehr lehrreicher Bericht. Zum Glück ist nichts passiert!
Thanks for sharing.

G. Jonas

Sputnik Pro hat gesagt: Hej Zämme !
Gesendet am 13. März 2017 um 19:18
Glück gehabt, aber das braucht man im Leben sonst wären wir ja längst nicht mehr hier am HIKR lesen. Meiner Meinung nach habt ihr nichts falsch gemacht. Man kann die Natur nie 100% einschätzen (zum Glück!) und Unglücke werden sich immer ereignen.

Super Fotos übrigens. Ich hoffe, dass ich nach dem Hausumbau auch endlich eine Tour machen kann, hoffe es hat dann noch Frühlingsschnee. Etwas gemeinsames wäre auch mal eine tolle Sache.

Gruss von der Baustelle :-)

Andi

Linard03 hat gesagt:
Gesendet am 13. März 2017 um 19:37
merci für's Mitteilen; zum Glück alles gut gegangen!
Gruess, Linard


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