Brüder- und Geburtstagstour im Wägital


Publiziert von 1Gehirner , 6. Oktober 2016 um 23:05.

Region: Welt » Schweiz » Schwyz
Tour Datum:24 September 2016
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SZ 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 1340 m
Abstieg: 1340 m
Strecke:21.5 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis P.917
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Unterkunftmöglichkeiten:Zelt ;)

"Wir kommen wieder / denn wir sind Brüder"...

Man könnte fast schon sagen "alle Jahre wieder", wenn mein zehn Jahre jüngerer Zwillingsbruder in die Schweiz zu Besuch kommt, zieht es uns in die Berge. Die gibt es bei ihm in der Nähe von Stuttgart nicht. Eine Übernachtung im Freien gehört auch schon fast dazu. Lang haben wir die Tradition zwar noch nicht, aber das ist mit vielen Schweizer Traditionen ja auch nicht anders ;)

Um mein übliches Problem zu vermeiden (siehe z.B. *hier oder *hier), hatten wir diesmal ein Vaude-Leichtzelt dabei. Unsere erste Tour mit weniger als 15kg Gepäck pro Person! Da wir ein bombastisches Wochenende vor uns hatten mit zwei Sonnentagen, wollten wir etwas mehr machen als nur "hoch, schlafen, runter". Den Mutteristock hatte ich uns ausgesucht und vielleicht das Sihlseeli.

Mit Brüderchens Auto (lies: Schrottmöhre) kamen wir tatsächlich ohne Panne im Wägital an. Das "Wie" wollen wir nicht erörtern. Nicht das Auto war das Problem, sondern die - man glaubt es nicht - grün regierten Stadtzürcher und ihre Unfähigkeit, Umleitungen oder Baustellen sinnvoll zu beschildern. Für alles scheint Geld da zu sein, sogar ein Eishockeystadion soll gebaut werden (das bei schwindenden Gletschern und dem absehbaren Aussterben des Wintersports), aber für sowas ist kein Geld und offenbar auch kein Hirn vorhanden. Naja. Ich bin selber schuld, ich hätte auf dem öV bestehen können. Hinterher ist man klüger.

Im Wägital erlebten wir beide zum ersten Mal einen Alpabzug - plötzlich winkte uns ein warnwestengekleideter Herr an den Strassenrand und gebot uns, den heranbrandenden Wogen an Kühen und Ziegen eine menschliche Schutzmauer gegen Beulen im Auto entgegenzusetzen. Binnen weniger Minuten war der Spuk schon wieder vorbei und wir hatten, völlig ungeplant, die Gewissheit: Da oben ist jetzt nichts mehr los. Kein Kuhgebimmel in der Nacht, nur himmlische, naturnahe Ruhe.

Bei P.917 ganz hinten im Tal stellten wir das Auto ab und machten uns auf den "Wander"weg hinauf zum Schwialppass. T1 wäre er, wenn die Kühe nicht kurzen Prozess mit dem Weg gemacht hätten. Unschön und rein zweckmässig führt er mässig steil hinauf und wird auch nach Abern Oberalp nicht angenehmer. Man läuft wie auf einer unmotiviert plattgewalzten Schutthalde. An einigen Stellen gewinnt man den Eindruck, es hätte auch mal einen echten Wanderweg etwas links von der "Fahrstrasse" gegeben, die Karte sagt dazu aber nichts. Auch bemerkenswert: Den Wägitalersee sieht man erst, wenn man schon ziemlich weit oben ist, davor wandert man mehr oder weniger im Wald. Alles in allem eine etwas unerfreuliche, nicht zu empfehlende Erfahrung.

Endlich kommen wir, schon am Schwialppass, in den Genuss "echter" Wanderwege. Wir wollen zum Sihlseeli, einfach einen Blick drauf werfen und dann zurück zum geplanten Schlafplatz. Zwar sind auch hier die Wege nur Fahrstrassen, aber in Fuss-erträglicher Qualität. Leider nicht lange, denn bald führt die Route nur noch über Kuhweiden und ist zwar markiert, aber sehr mühsam zu gehen. Einen Weg suchen wir bald vergeblich, wir nehmen einfach den Kuhpfad durch die wenigsten Kuhfladen. Die von einem anderen Hikr so treffend als "verschissene Weiden" bezeichneten Örter durchqueren wir mit kontinuierlich abnehmender Motivation. Immer wieder suchen wir die - oft sehr unpraktisch angebrachten - Markierungen und machen unnötige und so kraftraubende Umwege, wie wir sie dem Gelände nicht zugetraut hätten.

Endlich kommen wir an der Markierung an, die nach rechts oben zum Saaspass weist. Hier wird der Weg schnell anspruchsvoller, sogar ein bisschen Kraxelei ist dabei (T3+). Mein Bruder merkt aber leider auch seine Beinprobleme. Angesichts der sinkenden Sonne kehren wir nach den ersten Runsenquerungen um, zurück zum Schwialppass. Auch beim Rückweg ist der Weg nicht sehr angenehm, wir werden aber durch schöne Licht-und-Schatten-Spiele der langsam untergehenden Sonne und die beeindruckende Kulisse von Silberen, Glärnisch und dem Klöntal abgelenkt.

Hinter dem Pass steigen wir noch ein Stück ab zu P.1489. (Von dem in der LK 1:25k verzeichneten Wanderweg von knapp unter 1400m zu P.1535 sehen wir leider nichts, weder im Auf- noch im Abstieg.) Hier folgen wir rechts dem gut ausgebauten Wanderweg zur Alp. Wie erwartet sind alle Kühe weg, nur zwei Pferde halten Wache, aber schön brav hinter elektrischem Zaun. Was wir nicht wissen. Hätte uns eine Menge erspart in der Nacht...

Wir suchen uns auf der "verschissenen Weide", zum Glück gut angetrocknet durch die schönen Septembertage, ein nettes Plätzchen fürs Zelt, sehen die Materialseilbahn ihr Winterquartier einnehmen (es ist niemand mehr oben auf der Alp), geniessen ein feines z'Nacht mit Blick auf Tal und See und freuen uns an der plötzlich nochmal zwischen Wänifirst und Ganthöchi auftauchenden Spätsonne, die wir schon untergegangen geglaubt hatten. Nachdem sie sich ein zweites Mal verabschiedet hat, bauen wir im Restlicht das Zelt auf und kriechen auch recht bald hinein, zu kalt ist das eigentlich schwache Lüftchen. Im Schlafsack werfen wir dann alle wärmenden Schichten wieder von uns - was ein bisschen Wind ausmachen kann! Wir geniessen durch die Zelttür den unglaublich klaren Nachthimmel (leider ohne Fernglas, weil mein Bruder die grosse Tasche nicht als solches identifiziert hatte und steif und fest beteuerte, er hätte kein Fernglas eingepackt. Ich wiederum dachte, ich hätte vergessen, es ihm zu geben.). Schön war's trotzdem, unglaublich schön sogar. Die Klarheit des Sternenhimmels in den Bergen ist einfach traumhaft.

Dann legen wir uns zum Schlafen hin. Plötzlich - ein Geräusch! Waren das die Pferde? Klang eher wie ein Riesenpferd mit monströsen Koliken. Oder eine Mischung aus grosser Sau und Kuh. Oder doch (k)ein Pferd? Könnte es ein Stier sein? Lassen Alphirten ihre bösartigen Stiere im Winter als Wachtiere zurück, um Wanderer abzuschrecken? Man liest ja auch immer wieder von Angriffen auf Wanderer... oder waren das Mutterkühe? - Da! Schon wieder das Geräusch! Und es kommt diesmal von näher und weiter rechts! Sind die Pferde eingezäunt? Haben Stiere schonmal ein Zelt umgerannt oder niedergetrampelt? Was, wenn wir den Abhang hinunterfallen? Und so weiter und so weiter...

Irgendwann beten wir kurz um Bewahrung, uns der absurden Situation voll bewusst, und finden Schlaf. Das Geräusch identifiziere ich viel später dank Google und YouTube als röhrenden Rothirsch, von denen es hier einer Studie zufolge einige gibt... harmlos und eigentlich spannend. Wenn man's weiss.

Am nächsten Morgen erwachen wir trotzdem recht ausgeschlafen und geniessen - den Schatten, denn die Sonne erreicht erst sehr spät unseren Zeltplatz. Dafür kommen wir in den Genuss der beleuchteten Fluebrig-Wänispitz-Kette. Wir packen alles zusammen (gemäss LNT) und zuckeln los. Heute wollen wir auf den Mutteristock, bevor es zurück nach Hause geht. Viel Zeit haben wir nicht, mein Bruder hat eine ordentliche Heimreise vor sich.

Bei der Alp/Bergstation der Seilbahn treffen wir auf ein unerwartetes Hindernis: Eben jene zwei Pferde von gestern stehen neugierig am Zaun und damit uns im Weg. Wie öffnet man einen elektrischen Zaun, ohne dass die Pferde abhauen? Sind sie eventuell gefährlich? Wir kennen uns wieder mal nicht aus. Mit Kühen kämen wir klar, aber Pferde? Sollten das nicht eigentlich Fluchttiere sein? Sie fliehen aber nicht...

Wir füllen am Trog unsere Wasservorräte auf (hurra! Der Katadyn-Filter kommt endlich mal zum Einsatz!) und können dann ungestört über die Weide. Die Gäule haben sich etwas abseits ins Mampfen vertieft und schauen uns nur gelangweilt nach.

Die folgende Stapferei durch Weiden voller Gaulampfer zählt wieder zu den unerquicklichen Passagen. Wir gewinnen den Eindruck, dass die Wägitaler Wegbauer weder rechts noch links kennen, vom Konzept der Richtungsweisung nie gehört haben, die Wege in erster Linie für den Alpabzug bauen (unter dem sie entsprechend gelitten haben), Markierungen gern seitlich oder hinten auf Felsen malen und sie selber nie für's Wandern nutzen. Erkennbare Wege sind unmarkiert, Markierungen führen nebendran weglos durch die (verschissene) Pampa, Wegmarken weisen ins Leere, zeigen nicht die Richtung zur nächsten Markierung etc. Das Wandern ist dementsprechend geprägt von - wieder - kraftraubenden Umwegen. Als der "Weg" dann steil und rutschig in ein schattiges Couloir führt und kurz darauf in eine steile Felswand, wo wir zwar die Markierungen, aber nicht den Weg oder allfällige Sicherungen erkennen können, beschliessen wir umzukehren. Der Weg hat trotz rot-weisser Markierungen definitive T4-Qualitäten angenommen und darauf sind wir mit Biwakgepäck nicht eingestellt. Erst daheim sehen wir, dass einige Hikr diese Bewertung ebenfalls vergeben haben... Es bleibt auszuprobieren, ob uns die "verschissenen Weiden" des Direktaufstiegs besser gefallen. Ein andermal.

Wir gehen den gleichen Weg zurück, machen eine nette Mittagspause am Wannenstöckli, bewundern die grossartige Doline (wenn es eine ist), mutmassen über die Möglichkeit, hier in ein paar tausend Jahren ein Felsentor ins Klöntal vorzufinden und stiefeln dann weiter zurück ins Wägital - nicht, ohne vorher zwei Geocaches zu heben, die wir am Vortag sehr leicht hätten suchen können, was wir aber verrafft haben.

Der Weg von P.1489 zurück ist wieder mühsam. Für Geröllsurfen hat es zuwenig, für entspanntes Gehen zuviel Schutt auf dem Weg (offensichtlich absichtlich hingekippt). Die Kühe haben ein Übriges geleistet, um das Ganze noch etwas rutschiger und instabiler zu machen. Wir sind froh, als wir endlich beim Auto ankommen und heimfahren können - nicht ohne in Rapperswil noch die Erfahrung zu machen, dass auch hier das Ausschildern (oder überhaupt das Definieren) von Umleitungen eine Kunst ist, von der noch niemand gehört hat, wohingegen das Sperren ganzer Hauptverkehrsadern sowas wie ein Volkssport zu sein scheint. Nach zwei Stunden Fahrt kommen wir endlich wieder ziemlich müde daheim an...

Tourengänger: 1Gehirner


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Kommentare (3)


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Bergamotte hat gesagt:
Gesendet am 7. Oktober 2016 um 17:57
>Lang haben wir die Tradition zwar noch nicht, aber das ist mit vielen Schweizer Traditionen ja auch nicht anders ;)

Worauf spielst Du an?

1Gehirner hat gesagt: RE:
Gesendet am 7. Oktober 2016 um 19:58
(Quellen: BAK, Wikipedia, NZZ, Beobachter und andere)

sehr lesenswert zu dem Thema:
http://www.beobachter.ch/gesellschaft/artikel/traditionen_der-kult-um-unsere-braeuche/

Jodeln:
wird von http://www.lebendige-traditionen.ch (Seite des Bundesamts für Kultur BAK) nicht mal als "lebendige Tradition" geführt. Zitat NZZ (http://www.nzz.ch/neues-leben-fuer-alte-braeuche-1.5671708): "Der Jodlerverband entstand vor hundert Jahren aus einem urhelvetischen Abwehrreflex: Der österreichischen Variante des Jodelns, der sogenannten Tirolerei, sollte Einhalt geboten werden. Gleichzeitig setzte in Zürich der Aufschwung der Ländlermusik ein, die bis 1950 als Tanzmusik hoch im Kurs stand."

Schwyzerörgeli:
Vorläufer ab 1836 im Emmental gefertigt, erst im späten 19. Jhd. als Schwyzerörgeli etabliert

Alphorn:
seit 1568 als bildliche Darstellung bekannt, schon 1527 schriftlich erwähnt, wenn überhaupt, dann nur als Kommunikationsmittel verwendet (schwierig bei Wind oder unbekannter Position des Adressaten); wegen Romantik und touristischem Potential "wiederbelebt" und für Städter erträglich gestimmt (ohne Alphorn-Fa), erst nach dem 2. Weltkrieg als "Schweizer Tradition" konstruiert (Grossteil der Kompositionen aus dieser Zeit), vgl. dazu auch beim SRF "http://www.srf.ch/sendungen/musikplus/das-alphorn-ist-gar-nicht-so-schweizer-tradition-wie-du-dachtest". Zitat der NZZ (http://www.nzz.ch/neues-leben-fuer-alte-braeuche-1.5671708): "Das «Fest der schweizerischen Alphirten» [das Unspunnenfest 1805] wurde zu «Ehren des Alphorns» abgehalten. Bis es sich im Brauchtum etablierte, waren aber mehrere Anläufe nötig." Zitat Deutschlandfunk: "Das Alphorn, wie wir es heute kennen aus der Ricola-Werbung, ist eine neue
Erfindung. Und eine romantische. Wie das eigentlich im 19. Jahrhundert in ganz Europa üblich war, dass man regionale Brauchtümer zu nationalen Traditionen verromantisiert hat. Dass das jetzt spezifisch schweizerisch wäre, ist frei erfunden.
Oder geschickt gemacht."

Hornussen:
echte Tradition, laut Wikipedia seit dem frühen 17. Jhd. schriftlich erwähnt

Fahnenschwingen:
keine eigentlich schweizerische Tradition, z.B. auch in den USA verbreitet

Schwingen:
ursprünglich echte Tradition (seit dem 13. Jhd.), aber im 19. Jhd. am ersten Unspunnenfest 1805 (neben anderen ländlichen "echten" Traditionen) aus politischem Kalkül mit der offiziellen Begründung der Hebung des Schweizerischen Nationalbewusstseins zur "offiziellen" Tradition erhoben, dann für ca. 100 Jahre wieder "nur" Sport; 1905 bei der Neuauflage des Unspunnenfests aus touristischer Motivation (mit Eidgenössischem Schützenverein, Eidgenössischem Turnverein, Eidgenössischem Sängerverein und Eidgenössischem Schwingerverein) im Sinn eines bürgerlichen Nationalismus neubelebt

Raclette:
echte Tradition, in mittelalterlichen Klöstern ("Bratkäse")

Jassen:
keine eigentliche Schweizer Tradition (Begriffe aus dem Holländischen, In Deutschland im Lauf der Zeit durch Skat verdrängt, in Vorarlberg ebenfalls Tradition), erst seit dem 19. Jahrhundert in Mode

Bergsteigen (für Hikr besonders wichtig):
in Europa eigentlich englische "Tradition", entwickelt Mitte 19. Jhd. (Gründung des Schweizer Alpenclubs fünf Jahre nach dem Londoner Alpine Club, der 1857 gegründet wurde), sehr viel früher durch christliche Mönche (siehe die vielen KJöster in abgelegenen Alpentälern, die im Mittelalter entstanden), Schweizer Tradition ist hier viel eher das Bergführertum als das eigentliche Bergsteigen

1Gehirner hat gesagt: RE:
Gesendet am 7. Oktober 2016 um 19:59
Ups, das ist jetzt ziemlich lang geworden... war so nicht geplant.


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