Monte Disgrazia (3678 m): Quer durch Graubünden zum Berg ohne Gnade!


Publiziert von morphine , 19. September 2016 um 21:45.

Region: Welt » Italien » Lombardei
Tour Datum:24 August 2016
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 13:00
Aufstieg: 1800 m
Abstieg: 1800 m
Strecke:18 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Valtellina bis Masino, Val Masino in Richtung San Martino. In Filorera zweigt die mautpflichtige Straße Richtung Preda Rossa (5,00 €/Tag) ab.
Unterkunftmöglichkeiten:Rifugio Ponti (CAI), 2559m
Kartennummer:1296 Sciora

"Der ungnädige Berg"...

...gehört schon lange zu meinen Sehnsuchtszielen. Er überragt die anderen Dreitausender des Bergells deutlich und seine etwas isolierte nach Süden vorgeschobene Lage verleiht ihm zusätzliche Dominanz. Von vielen Gipfeln der Schweiz habe ich ihn immer mal wieder weit draußen im Süden aufragen sehen und mir gewünscht, einmal auf den "Ungnädigen Berg" zu steigen.


Verwickelte Anreise

Nach der erfogreichen Schlossbergtour fühle ich mich fit für den höchsten Berg der Bergeller Alpen und so starte ich die lange Anreise in die Lombardei.

Zur richtigen Einstimmung bastel ich mir eine schöne Tour durch den Kanton Graubünden zurecht. So passiere ich die Teufelsbrücke in der Schöllenenschlucht, fahre über den Oberalppass das Vorderheintal hinunter, quere das Safiental und die Rheinschlucht hinüber zum Hinterrheintal um durch die Via Mala Schlucht hinauf nach Splügen zu gelangen. Von dort über den Splügenpass, dann hinunter über teilweise abenteuerliche Straßen nach Chiavenna um anschließend vorbei am Lago di Mezzola das breite Valtellina zu erreichen.

Müde von der langen Fahrt biege ich im Dorf Masino ins gleichnamige Tal nach Norden ab und fahre dann die rustikale Bergstraße hinauf nach Pioda. Erst als ich fast oben bin, bemerke ich meinen Verhauer. Ich bin zu früh unten im Tal abgebogen. Also alles wieder zurück (ich hab ja Zeit) und im Tal weiter bis Filorera. Dort zweigt nun die richtige Straße hinauf nach Preda Rossa ab.

Anmerkung: Die Maut für die Fahrt hinauf nach Preda Rossa konnte nicht am Automaten an der Straße bezahlt werden (defekt). Die Maut kann in den diversen umliegenden Hotels entrichtet werden. Ich zahlte z.B. im Hotel Ristorante Rustichella ein paar Meter die Straße bergauf.

Ziemlich geschafft erreiche ich endlich am Abend Preda Rossa. Ich genieße noch den Sonnenuntergang am Monte Disgrazia und seinen felsigen Ausläufern über dem Valle di Preda Rossa. Die Vorfreude auf die morgige Tour steigt.


Müde und schlapp Richtung Sella Pioda...

...quäle ich mich am nächsten Morgen den Wanderweg hinauf. Mein erstes Etappenziel ist das Rifugio Ponti. Der Weg ist ein wenig unbequem, aber leicht. Von meiner Kraft der letzten Tage scheint nichts mehr übrig zu sein. Der Schlossberg zwei Tage zuvor und die lange Anreise am gestrigen Tag haben dann wohl doch ihren Tribut gefordert. Mit leicht wackeligen Beinen passiere ich die Hütte. Der Weg führt nun weiter zu der auffälligen Randmoräne des Preda Rossa Gletschers.

Dort angekommen mache ich erst mal Pause und frage mich, wie ich nach den noch vor mir liegenden steilen Schutthalden und dem noch steileren Gletscher, später auch noch den NW-Grat des Monte Disgrazia raufklettern soll. Ich mache mir Mut, indem ich das perfekte Bergwetter mit in meinen Zeitplan einbeziehe. Heute werde ich eben längere Pausen einlegen müssen. Es droht kein Wetterumschwung, Gewittter oder ähnliches Ungemach. Also nur keine Panik. Zur Not muss halt der pure Wille herhalten, zumindest den Grat zu erreichen, und dann mal weitersehen.

So nehme ich den Moränenweg unter die Füße, der übrigens den bequemsten Abschnitt der ganzen Tour darstellt. Er endet irgendwann in ungemütlichen Schutthalden. Nun mühsam weiter -immer den Steinmännchen folgend- bis man das Gletschereis erreicht.

Nach Montage der Steigeisen steige ich in ca. der Mitte des Gletschers sehr steil bergauf. Ich bin froh, den unteren schon aperen Bereich des Gletschers bald hinter mir zu haben und weiter oben über die noch vorhandene dünne Firnauflage laufen zu können. Wegen der Steilheit schraube ich mich im Zick-Zack Kurs hinauf. Dann kommt irgendwann die Sella Pioda in Sicht. Vorsicht!! Zwischendurch sind auch ein paar schmale Querspalten zu überschreiten. Der Gletscher wird jetzt etwas flacher, bevor es die letzten Meter zum Grateinstieg -rechts der Sella Pioda- wieder steiler wird.


Der NW-Grat

Ich will den Grat nicht von seinem Fuß an der Sella Pioda, sondern in der Scharte nach dem ersten Grataufschwung erreichen. Diese Scharte ist durch einen auffällig vorspringenden großen Felsblock markiert. Von ihr zieht eine bröselig schuttige Rinne hinunter zum Gletscher. Ich steige aber lieber links von dieser Rinne ein und quere leicht ansteigend nach rechts hinüber. So erreiche ich die Rinne auf ungefähr halber Höhe. Nun über rutschigen Schutt und lose Felsen direkt hinauf zum vorspringenden Felsen in der Scharte.

Ab der Scharte ist die Felsqualität viel besser. Das kraxeln macht richtig spaß und die Müdigkeit ist wie verflogen. Ich halte mich überwiegend auf der Gratkante (II). Größeren Felszacken weiche ich -in unmittelbarer Gratnähe bleibend- aus.

Nach dem ersten Steilstück lehnt sich der Grat für ein paar Meter zurück. Hier muss ich ca. 20 Minuten warten bis zwei Zweierseilschaften den vor mir liegenden Engpass abgestiegen sind. Alle außer mir haben Steigeisen an den Schuhen, was die Kletterei ganz offensichtlich schwieriger macht. Anschließend kraxel ich die Steilstufe zügig und problemlos hinauf (am Anfang ca. II+ dann leichter).

Oberhalb der Steilstufe wechselt die Szenerie zwischen herrlich festen Felsen und Zacken und auch mal schuttigeren Abschnitten hin und her. An drei Stellen ist noch etwas härterer Restfirn auf dem Grat. Zwei Stellen kann ich direkt daneben im Fels umgehen, die andere Stelle ist noch so gerade ohne Steigeisen machbar.

Dann taucht der Gipfel vor mir auf. Nur noch die Schlüsselstelle (II-III), der bräunliche Fels des "Cavallo bronzo", trennt mich vom höchsten Punkt. Ich gehe die Sache an und bin erstaunt und ein wenig erleichtert, dass ich das "bronzene Pferd" mehr oder weniger dirket auf seinem Rücken überwinden kann. Guter fester Fels und überall hat´s Griffe und Tritte. Man muss aber auch beherzt zupacken.

Glücklich erreiche ich nach 6 Std. Aufstieg bei ganz wenig Wind und fast wolkenlosem Himmel den einsamen Gipfel des Monte Disgrazia. 


Am Gipfel

Das Panorama an diesem Tag ist der Wahnsinn. Vom Monte Viso bis zu den südlichen Ausläufern der Ötztaler Alpen reicht die Schau. Außerdem die nahe Bernina, die Silvretta, der größte Teil Graubündens, Glarner-, Urner-, Berner- und Walliser Alpen, davor das Tessin und in unmittelbarer Nachbarschaft die übrigen Bergeller Vasallen des Disgrazia. Im Osten die Ortleralpen, die fernen Dolomiten der Pala-Gruppe, Presanella- und Adamello-Gruppe. Nach Norden wälzt sich der stark zerissene Vedretta della Disgrazia ins Valle Sissone. Obendrauf gibt´s noch einen Blick zum 3400 m tiefer gelegenen Städtchen Morbegno im Valtellina. So sollte die Schau von hier oben sein.

Nach einer ausgiebigen Pause, vielen Fotos und anschließendem Nickerchen mache ich mich wieder an den Abstieg.


Es zieht sich lang nach Preda Rossa

Zügig steige ich den Grat wieder hinunter. Dabei wähle ich an einer Stelle eine sogar noch etwas direktere Linie in Gratnähe als beim Aufstieg. Dennoch kann ich alle Kletterstellen auch ungesichert gut bewältigen. Die Bedingungen waren aber auch perfekt. Der Fels war überall trocken und von der Sonne gut aufgewärmt. Auch die kurze Firnstelle kann ich erneut ohne Steigeisen meistern. Nur der Abstieg vom Grat durch die etwas haltlose Schuttrinne mit anschließender Querung nach rechts ist wieder ein wenig unangenehm.

Ich erreiche die Felsen am Gletscherrand bei meinem kleinen Depot, dass ich vormittags hier eingrichtet habe. Ich lösche hier meinen Durst und registriere, dass es noch ein langer heißer und vor allem trockener Abstieg werden würde.

Ich steige nun den Gletscher an seinem orografisch rechten Rand unterhalb der steilen Felswände schnell hinab. Dies ist zwar steinschlagtechnisch nicht optimal, aber hier liegt das Eis schon im Schatten und es ist nicht ganz so heiß und steil wie in der Gletschermitte.

Unten im Schutt ziehe ich die Steigeisen ab und bekomme schon wieder quälenden Durst. So befülle ich kurzerhand meine leere Trinkflasche mit Schmelzwasser vom Gletscher. Kurze sensorische Prüfung und dann hinunter damit. Mein Magen nimmts mir nicht übel und erfrischt stolpere ich durch wackeligen Schutt zum Moränenweg hinunter.

Auf der Moräne mache ich noch eine längere Pause bevor ich mich wieder aufraffe und an der Hütte vorbei wieder Richtung Piana di Preda Rossa hinuntersteige. Dort mäandriert der Gletscherbach schön im Abendlicht durch die Ebene Richtung Val Masino. Um ca.  19.30 Uhr erreiche ich wieder den Parkplatz.


Fazit:

Trotz nicht optimaler Form eine rundum gelungene Tour an einem Traumtag mit fantastischer Fernsicht und einem tollen Felsgrat. Allerdings habe ich mir viele Blasen gelaufen und auch vier Zehnägel sind blau angelaufen und ich bekomme dort ziemliche Schmerzen. Hab´ ich ungterwegs gar nichts von gemerkt :-) Er ist halt doch ein wenig ungnädig, dieser hohe Berg im Süden!



Tourengänger: morphine
Communities: Alleingänge/Solo


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Kommentare (4)


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Alpin_Rise hat gesagt: Fantastico
Gesendet am 20. September 2016 um 10:47
Wunderbare Fotos an einem Traumtag geschossen.

Ich durfte einen ebensolchen auf der Ruinette geniessen diesen Sommer, inspiriert von deinem Bericht.

G, Rise

morphine hat gesagt: RE:Fantastico
Gesendet am 20. September 2016 um 11:21
Danke für Dein Feedback,

ich wurde seinerzeit von Sputnik und xaendi zur Tour auf La Ruinette inspiriert. Hikr ist schon ne tolle Sache!

Gruß
morphine

lorenzo hat gesagt: Gnadenlos...
Gesendet am 20. September 2016 um 19:12
...schöne Tour und ein Foto schöner als das Andere!

Gratuliere!

lorenzo

morphine hat gesagt: RE:Gnadenlos...
Gesendet am 20. September 2016 um 22:12
Danke lorenzo,

mal wieder einen lang gehegten Traum verwirklicht. Auf so einem hohen einzel stehenden Berg braucht´s einfach eine super Aussicht. Sonst ist das Ganze wie ein Knochen ohne Fleisch. So klappts auch bei der Fotoausbeute!

Gruß
morphine


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