Eine ungewöhnliche Überschreitung


Publiziert von alpensucht , 23. Oktober 2015 um 15:17.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum:22 Oktober 2015
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Schneeshuhtouren Schwierigkeit: WT2 - Schneeschuhwanderung
Wegpunkte:
Geo-Tags: I   Sarntaler Alpen 
Zeitbedarf: 8:45
Aufstieg: 650 m
Abstieg: 1000 m
Strecke:Klausner Hütte-Lorenzispitze-Ostkamm-Lorenzischarte-Kälberalm-Parkplatz ca. 9km

Ein schöner Berg hat im Idealfall steile Flanken oder Wände, die durch scharfe Grate getrennt, in einem prominenten Gipfel kulminieren. Solch ein schöner Berg ist die Lorenzispitze. Sie ist nicht der Idealfall, doch schaut man beispielsweise von Osten hinüber, wirkt sie nahezu perfekt. Ihr Normalweg führt über die recht flache Südwestflanke auf die Schulter. Der Gipfel baut sich in alle Himmelsrichtungen steil auf. Seine Schwachstelle liegt auf der Westseite, durch die der Normalweg teils leicht ausgesetzt führt.

 

Am letzten Tag unserer viertägigen Schneeschuhtour in den südlichen Sarntaler Alpen müssen wir von der Klausner Hütte über die Lorenzischarte ins Schalderer Tal absteigen, wo unser Auto steht. Uns genügt die Ankunft am späten Nachmittag, damit wir noch einen Gipfel mitnehmen können. Dafür bleibt uns zum Glück noch die Lorenzispitze, mit der wir sogar bereits am ersten Tag liebäugelten. Vier Tage zuvor gab es Neuschnee bis 1700m (nun insgesamt 30cm). Seit dem lag stabiler Hochdruck im südlichen Alpenraum. Der Schnee hat sich gesetzt und bildet südseitig morgens teils guten Firn.

 

Normalweg von der Klausner Hütte T3, 2h

Kurz vor Acht verabschieden wir uns vom Hüttenwirt und verlassen die gemütliche Klausner Hütte auf breitem Fahrweg Richtung Latzfonser Kreuz. An den Rungger Hütten (2001m) ziehen wir uns um. Der Kreislauf ist in Schwung gekommen und die Aktivität wird hoch genug gehalten, dass zwei Schichten Kleidung genügen. Ein Wegweiser zeigt nach Norden. Ein netter T2-Wanderweg schlängelt sich durch Latschen hinauf zum P. 2200m.

Mit zunehmender Schneelage müssen wir uns Zeit lassen, auf der richtigen Route zu bleiben. Eine gelegte Fußspur macht auch hin und wieder Abstecher zu Punkten im Gelände, bei denen es einen besseren Überblick gibt. So finden wir immer wieder Markierungen, falls sich keine Wegtrasse unter dem Schnee abzeichnet.

Etwas über dem P. 2200m pausieren wir nach einer Stunde. Sonnencreme und -brille raus, trinken, snacken und weiter geht’s. Es existiert eine Spur in der Südwestflanke. Sie führt am Wegweiser vorbei. Bis hierher müssen wir absteigen, falls wir die geplante schwierige Überschreitung nach Osten weglassen und „unten rum“ zur Lorenzischarte gehen.

Die größte Schwierigkeit besteht in der optimalen Kombination aus dem Finden der besten Schneequalität, ohne zu weit von der Route abzuweichen und Geländeformen sinnvoll zu nutzen (z.B. abgeblasene Rippen).

Gegen 9:45 Uhr erreichen wir die Schulter, von der die Route nochmal kurz hinab zieht. Zum Schluss wird es nochmal ziemlich steil und anstrengend, weil sich gefühlt alle 3m die Schneequalität ändert. Kurz nach 10 Uhr erreichen wir fröhlich den Gipfel und freuen uns über warmen Tee. Die Blechbox ist ohne Gipfelbuch.

 

Am Gipfel 1h 15min

Auf meine Frage zur Überschreitung äußerte der Hüttenwirt der Klausner keine Bedenken, verstand mich jedoch offensichtlich nicht richtig. Denn als ich über das östliche Gipfeleck hinab blicke, muss ich erstmal Schlucken. Dass wir für diese Unternehmung sichern müssen, war schon Tage zuvor klar, denn vom Eisköfele blickt man frontal auf den Ostgrat. Mich überrascht eigentlich nur etwas die relative Höhe des ausgesetzten Geländes. Da ich nur minimales Sicherungszeug mitgenommen habe, ist eine Seillänge hinab nur max. 15m lang. Wir liegen gut in der Zeit, das Wetter ist noch stabil, ausreichende Absätze im Grat und mein Ehrgeiz bewegen mich dazu, meinen Tourenpartner von der Überschreitung zu überzeugen. Auch er fand den Blick über den Ostgrat hinab nicht eben angenehm.

 

Überschreitung nach Osten WS+, II, 3h 45min

Wir legen Steigeisen an und packen das Sicherungsmaterial aus. Nach wenigen Metern unterhalb des Gipfels liegt ein guter Block, von dem aus der oberste recht ausgesetzte Abschnitt gut zu sichern geht. Mein Tourenpartner Frank erledigt den Abschnitt (Fels I, Pulverschnee, teils windgepresst) mit sichern und ohne Rucksack. Die Rucksäcke bringe ich jeweils gesichert zum unteren Absatz, um zum Schluss mit dem Material abzusteigen. In der nächsten Länge gehen wir genauso vor (Fels II), außer dass wir aus Zeitgründen die Rucksäcke jeweils gleich mitnehmen.

 

Nun eröffnet sich der erwartete letzte Absatz von ca. 20m in weniger steiles und nicht mehr ausgesetztes Geröllgelände. Weil hier selbst am Grat einige größere Steinchen recht lose liegen und leider unser Sicherungszeug der Länge nach nicht ausreicht, müssen wir etwas nach links in der Nordflanke den Absatz umgehen (T5+ - Gelände). Die Sicherung dieses Abschnitts ist nur provisorisch möglich zu legen, da es kaum feste Blöcke gibt. Wenigstens der Schnee ist gesetzt und hat eine eisige Unterlage gebildet, die den Schutt etwas zusammen hält. Allmählich stellt sich eine Nordföhnlage ein, der Wind wird immer heftiger und schleudert uns Eiskristalle ins Gesicht.

 

Zum schnellen Abbau der Sicherung klettere ich schnell den direkten Absatz in gutem Fels (5m, III) zurück, während Frank absteigt. In den vorhandenen Stufen gelange ich zum Schluss recht einfach in das flachere Gelände unter dem großen Absatz.

Nun beginnt ein steiles Geröllfeld, welches äußerst unangenehm und durch den Schnee auch heikel zu begehen ist. Immer wieder rutsche ich beim Spuren in kleine Löcher, kann es zum Glück meist ganz gut mit Hilfe eines Stockes ausgleichen. So zieht sich der Rest des Abstiegs ziemlich in die Länge. Immer wieder pfeift uns der Wind um die Ohren und erzeugt eine merkwürdige Stimmung. Ringsum ist der Himmel tiefblau, nur bei uns im ausgesetzten Gelände ist quasi Schneesturm.

 

Zunächst bemerke ich nicht einmal, dass ich versehentlich meine Daunenweste unter der Softshelljacke seit dem Gipfel anbehalten habe, da wir uns ziemlich langsam bewegen. Dabei versuchen wir möglichst die Seite oder den Rücken gegen die Windrichtung zu drehen, während wir mühsam durch das Gelände wackeln. Das eine oder andere Mal sitzt auch mal einer im Schnee oder eine Böe klatscht einem wieder ins Gesicht. Wir halten auf eine Art Moräne zu, die recht sanft hinüber zu dem Kamm zieht, der sich in unzähligen Erhebungen hinüber zur Lorenzischarte schlängelt. Immer wenn ich auf meinen Tourenpartner warte, hocke ich mich einfach mit dem Rücken zum Wind hin und lasse den Sturm in innerer Ruhe über mich hinweg tosen, als brächen unzählige Wellen über mich hinweg.

 

Hauptsache keiner verletzt sich beim Einsinken in ein Loch!

 

Auf dem Kamm kämpfen wir uns noch rund 1km weiter und entscheiden schließlich die letzten zweidrei Erhebungen in seichtem Gelände südlich zu umgehen. 13:40 Uhr. Pause. Endlich essen, trinken und keine stechenden Eiskristalle mehr im Gesicht! Wir wechseln von Steigeisen auf Schneeschuhe.

 

Lorenzischarte und Abstieg über Kälberalm WT2, 2h 45min

Richtige Wege lernen wir erneut zu schätzen, als wir den oberen Wegweiser am Knotenpunkt zwischen Lorenzischarte, Königsanger, Klausner Hütte und Latzfonser Kreuz, bzw. Furtschellscharte erreichen. Nun wird’s mental nochmals herausfordernd durch den Gegenanstieg zur Lorenzischarte. Die erreichen wir gegen 15 Uhr und machen uns direkt an den Abstieg über die Kälberalm. Um diese zu erreichen folgen wir nunächst noch mit Schneeschuhen einer einzelnen Spur, die in Aufstiegsrichtung meist am markierten Weg bleibt. Bald verlieren wir Spur und Weg und halten uns einfach am Bach, der hier hier oben auf 2000m noch recht sanft dahin plätschert und nur teilweise vereist ist. Weiter unten schnallen wir die Schneeschuhe an den Rucksack und steigen im Bachbett hinab, bis wir wieder auf den Weg treffen. Nun verlieren wir ihn nicht wieder, obwohl die Wegführung nicht immer sinnvoll scheint und manchmal einfach mitten im Bachbett verläuft. Im Frühsommer bereitet diese Route sicherlich keine Freude, bzw. wird sie wegen Schmelzwassers unpassierbar. Die abendliche Herbststimmung steigert sich in Verbindung mit spannender Föhnbewölkung und dem Fallen der Lärchennadeln zur Perfektion, als wir den Fahrweg erreichen. Weiter unten halten wir ohne triftigen Grund im stillen Einvernehmen an und diskutieren, ob die Gewächse am Wegrand Blau- oder Preiselberrensträucher sind. Während Frank ein Foto schießt, schaue ich einfach so nochmal auf die Karte und bemerke beim Umschauen genau hier im Wald einen Wegweiser, der uns deutlich schneller und auf weit schönerem Wanderweg direkt zum Auto führt.

 

Franks Fazit zum heutigen Tag lautet schlicht: „Iss niemals weißen Schnee!“

 

Fazit

Die Lorenzispitze wäre auch so schon ein angemessenes Highlight unserer Viertagetour gewesen. Die Überschreitung hätte wirklich nicht unbedingt sein müssen, jedoch überwiegt bei mir die Freude, dass es so gut ging. Selbst im Sommer dürfte der Gipfelaufbau sehr brüchig und ziemlich unangenehm sein. Außer bei noch stärkerer und festerer Schneedecke (Firn!) im Geröll, mit mind. 50m Seil und wenigstens zwei Cams, würde ich die Überschreitung auch hinauf nicht weiter empfehlen.

 

Vier unfassbar schöne Tage mit Sonne satt und atemberaubenden Dolomitenblicken, gemütlichen Hüttenabenden, spannenden Gratüberschreitungen und sanften Südhängen, gehen zu Ende.


Tourengänger: alpensucht
Communities: Schneeschuhtouren


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