Auf Umwegen von Zürich nach Horgen (Uetliberg 869 m, Albishorn 909 m)


Publiziert von Fico , 17. Juli 2014 um 12:16.

Region: Welt » Schweiz » Zürich
Tour Datum:14 Juli 2014
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: Albiskette - Höhronen   CH-ZH 
Zeitbedarf: 7:30
Aufstieg: 1155 m
Abstieg: 1155 m
Strecke:Zürich HB - Cholbenhof - Denzlerweg - Uetliberg - Balderen - Felsenegg - Buechenegg - Langnauerberg - Albispass - Hochwacht - Schnabellücken - Bürglenstutz - Albishorn - Mattli - Schönenboden - Station Sihlbrugg - Horgenerberg - Horgen (ca. 30 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Zürich HB
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Horgen

„Der Uetliberg ist ein Wahrzeichen der Stadt Zürich, doch zugleich die ‚Volksausgabe’ eines Zürcher Hausberges“, schrieben die Autoren in der 5. Auflage von 1979 des erfolgreichen Buches „Zürcher Hausberge – Die schönsten Bergwanderungen zwischen Bodensee und Gotthard“. Es ist übrigens nicht so, dass man am Uetliberg nicht abstürzen könnte. Ausgerechnet an diesem Montag berichtet die Pendlerzeitung ‚20Minuten’ von einer „grossen Suchaktion am Uetliberg“, bei der eine seit November vermisste Wanderin tot aufgefunden wurde. Die Polizei gehe davon aus, „dass die Rentnerin abgestürzt war“.
 
Es mag absurd erscheinen, als Ausgangspunkt einer Wanderung den Hauptbahnhof Zürich zu wählen. Der Reiz liegt darin, eine Route zu finden, die dem Grossstadtverkehr so weitgehend wie nur möglich ausweicht. Es wäre zwar einfacher, mit dem Zug bis ins Triemli oder mit dem Tram ins Albisgüetli zu fahren. Doch das Naturerlebnis würde dadurch unweigerlich geschmälert. Denn die Stadt Zürich hat mehr ruhige, beschauliche Orte zu bieten, als man im ersten Moment denkt. 
 
Montagmorgen um sechs Uhr in der S-Bahn nach Zürich. Der Zeitpunkt ist wie geschaffen, um die Gesichter der Mitreisenden zu studieren. Manche wirken ausdruckslos, apathisch. Andere wiederum scheinen wütend zu sein oder schauen so traurig drein, als würden sie am liebsten gleich losheulen. Wenn der Zug anhält, bewegen sie sich wie menschliche Roboter zum Ausgang. Diese Menschen leben nicht – sie funktionieren. Es ist offensichtlich, dass sie nicht freiwillig hier sind. Es ist der wirtschaftliche Zwang, der sie zur Arbeit treibt. Noch selten ist mir das derart krass aufgefallen wie heute Morgen. Vielleicht liegt es daran, dass ich an diesem Montag als Einziger mit Rucksack und Wanderstock unterwegs bin. Vielleicht auch daran, dass ich sonst zum Wandern irgendwo hinaus fahre, aber nicht in die Stadt Zürich hinein.
 
Es ist Viertel vor sieben, als ich die unterirdische Metropolis im Zürcher Hauptbahnhof verlasse. Mit Kartenausschnitten bewaffnet starte ich in der Gessneralle zu meinem heutigen Abenteuer: von hier, vom Stadtzentrum aus, möglichst ohne Berührung mit dem Strassenverkehr, auf dem direktesten Weg auf den Uetliberg zu steigen, anschliessend der gesamten Albiskette entlang zu wandern und am Schluss, unten am Zürichsee angekommen, mit der Bahn zurück nach Hause zu fahren.
 
Es sind keine 200 Meter, die ich neben den fahrenden Autos gehen muss. Dann führt eine Treppe zum Schanzengraben hinab und schon befindet man sich in einer andern Welt. Auf dem idyllischen Holzsteg dem Wasser entlang schlendern und die Fische beobachten. Einzig ein Baukran erinnert daran, dass man in Zürich unterwegs ist. Beim Männerbad ‚rimini’ endet der Holzsteg und bei der Börse landet man wieder auf Zürichs Strassen. Erneut sind es nur gut 200 Meter Strassenverkehr, diesmal auf der Sihlhölzlistrasse, dann erreicht man die Sihlpromenade. Dort kommen mir einige wenige Jogger entgegen. Die Gesichter gleichen jenen in der S-Bahn. Auch sie scheinen Gehetzte, Getriebene zu sein. Man würde nicht glauben, dass sie dies freiwillig machen und noch weniger, dass sie es aus Freude tun.
 
Da ich die Flussseite nicht wechsle, habe ich einige Mühe, um zur Bahnstation Giesshübel zu gelangen: Zuerst geht es unter der Bahn hindurch, dann hinauf zum Bahntrasse und diesem entlang zum Bahnsteig. Dort durch die Unterführung und auf der andern Seite wieder hinauf. Nun bin ich in der Eichstrasse, die direkt zur Uetlibergstrasse führt – und mir die Bestätigung liefert, dass ich dort angekommen bin, wo ich hinwollte. Für mich als Ortsunkundiger der anspruchsvollste Teil der Wegfindung. Denn jetzt wird es wesentlich einfacher: Nach 100 m auf der stark befahrenen Uetlibergstrasse zweige ich sogleich in die Bachtobelstrasse ab. Eine Quartierstrasse, die – wie der Name sagt – dem Bach entlang führt, der von den Tobeln des Uetliberg herkommt. Nun befinde ich mich bereits am Rande Zürichs, der Stadtverkehr liegt hinter mir. Vom Hauptbahnhof her alles in allem rund 500 Meter verkehrsreiche Strassen, denen ich entlang gehen musste.
 
Beim Kolbenhof endet die Bachtobelstrasse. Hier beginnt der bekannte Denzlerweg auf den Uetliberg. Ob Augustinergasse, ob Hauptbahnhof, es könnte gut sein, dass seinerzeit der wackere Bäckersmann jeweils die gleiche Strecke unter die Füsse nahm. Damals natürlich nicht dem motorisierten Verkehr ausweichend, sondern schlicht den kürzesten Weg wählend. Oder etwas poetischer ausgedrückt: dem Lauf des Wassers folgend, von der Mündung in die Sihl zurück zu den Quellen an den Hängen des Uetliberg. Zur Zeit ist der Denzlerweg in einem schlechten Zustand und sollte nur mit gutem Schuhwerk begangen werden. Vor allem im sehr steilen oberen Teil sind viele Treppenstufen abgerutscht. Der grosse Regen der letzten Tage hat den Boden stark aufgeweicht. Die Luft ist so feucht, dass sich die Brillengläser sogleich beschlagen, wenn ich kurz stehen bleibe um zu fotografieren. Es duftet intensiv nach Bärlauch, obwohl die Blätter längst vergilbt sind. Einmal lasse ich mich von einer Abzweigung verleiten, die nach wenigen Metern so steil wird, dass es sich offensichtlich nicht um den offiziellen Weg handeln kann. Dieser geht unterhalb weiter und quert ein rutschiges Tobel, bevor er wieder hinaufführt.
 
Seit dem Beginn der Tour am Zürcher Hauptbahnhof sind zwei Stunden vergangen, als ich auf dem Uetliberggipfel ankomme. Über dem Uto Kulm liegt eine surreale Stimmung. Wie durch einen Filter hindurch geht der Blick auf die Stadt und den See. Wo die Sonne durch den wolkenverhangenen Himmel dringt, zaubert sie ein mystisches Lichtspiel auf die Wasseroberfläche. Nach dem Treppenabstieg vom Uto Kulm folge ich dem Planetenweg: Eine Art „Durchmesserlinie“ durch das Sonnensystem im Massstab 1:1 Milliarde, die beim Bahnhof Uetliberg beginnt. Auf dem Uto Kulm befindet sich der Mars. Bei der Felsenegg bin ich bereits beim Pluto. Kurz davor, auf dem lauschigen Hügel, wo einst die Burg Baldern stand, lasse ich mich für eine erste Zwischenverpflegung nieder. Bei der Felsenegg könnte man, wie das wahrscheinlich viele tun, die Tour beenden und mit der Seilbahn nach Adliswil hinunterfahren. Allzu früh – es ist noch nicht einmal Mittag und weniger als die Hälfte des Weges habe ich hinter mir.
 
Anschliessend geht es weiter auf und ab, über die Buechenegg und den Langnauerberg (895 m) zum Albispass (791 m). Nun folgt der zweite Teil der Tour: die Gratwanderung zum Albishorn hinauf. Hätte ich vorher die Karte genauer studiert, wäre mir aufgefallen, dass es sich nicht um einen stetigen Aufstieg handelt. Vielmehr geht es zuerst recht sanft zur Hochwacht (878 m) hinauf, danach wieder hinunter zu den Schnabellücken und gleich darauf deutlich steiler zum Bürglenstutz hinauf. Mit 915 m der höchste Punkt der Albiskette, der jedoch mitten im Wald liegt und keine Aussicht gewährt. Diese hat man erst weiter vorn auf dem Albishorn, das man nach einem weiteren Auf und Ab erreicht. Es hat eine Panoramatafel, auf der alle erdenklichen Berggipfel verzeichnet sind, die sich allerdings heute allesamt hinter den Wolken verstecken, so dass die Sicht nur bis zum Obersee und Richtung Zürich ins Unterland reicht. Nach den letzten Tagen und Wochen bin ich schon zufrieden, wenn es nicht regnet.
 
Im Südosten haben sich inzwischen bedrohliche Wolken aufgetürmt. Kaum habe ich auf dem Albishorn (909 m) mein Picknick verzehrt, mache ich wieder auf den Weg. Allzu weit ist es nicht mehr bis zum Ende des Grates beim Mattli (856 m). Doch bevor ich dort ankomme, geht über dem Zugerland das Gewitter los. Es wäre nur eine Frage der Zeit, denke ich, bis es mich einholt. Im Wald spüre ich die Regentropfen nicht, aber ich höre sie, wie sie auf das Blätterwerk prasseln. Weiter vorn muss ich vorübergehend den Wald verlassen. Darum ziehe ich die Regenjacke an. Die Mühe hätte ich mir sparen können. Bald ist das Gewitter vorbei und die Feuchtigkeit, die von innen nach aussen dringt, ist weit stärker als der spärliche Regen. Als ich in Sihlbrugg ankomme, scheint bereits wieder die Sonne.
 
Sihlbrugg ist hässlich. Es hat nichts ausser Verkehr: ein fast ununterbrochener Autolärm auf einer Strasse, an der entlang zu gehen man gezwungen ist. Es heisst zwar Sihlbrugg Station und der Bahnhof steht noch. Aber die Züge brausen alle vorbei und halten erst in Horgen. Also mache ich mich auf den Weg nach Horgen, und zwar – wie geplant – nicht auf dem gelben Wanderweg, sondern auf dem kürzeren und steileren Weg, der gleich neben dem Tunneleingang auf den Horgenerberg hinaufführt. Der letzte Aufstieg für heute, nochmals etwa 150 Höhenmeter. Es ist windstill, die Sonne brennt vom Himmel und sticht bei der hohen Luftfeuchtigkeit unangenehm ins Genick. Eine kleinere Herausforderung am Ende der langen Tour. Doch es sind genau diese finalen Anstrengungen, die helfen sollten, die Kondition zu verbessern – so hoffe ich wenigstens.
 
Mindestens so steil wie auf den Horgenerberg hinauf geht es nachher wieder hinunter nach Horgen. Es ist kurz nach halb vier, als ich beim Bahnhof am See unten ankomme. Wenige Minuten zu spät für die S8, die mich auf direktem Weg, ohne Umsteigen, zurück in den Thurgau gebracht hätte. Das vermag meine Freude über die gelungene Tour nicht zu schmälern. Fast neun Stunden war ich unterwegs und habe dabei rund 30 km zurückgelegt. Das war angesichts der geplanten Strecke ungefähr zu erwarten. Erstaunlicher finde ich, dass im Laufe des Tages in einer Gegend unter 1000 m Höhe weit mehr als 1000 Höhenmeter zusammengekommen sind.

Tourengänger: Fico


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Kommentare (2)


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wam55 hat gesagt: Schöner Bericht
Gesendet am 17. Juli 2014 um 23:18
von vielen auch mir bekannten Orten. Ganz besonders gefallen hat mir die Betrachtung der Pendler. Hab ich doch 42 Jahre lang auch zu den 'nur funktionierenden' Menschen gezählt ;-)
Gruess vom Werner


Felix hat gesagt:
Gesendet am 30. Juli 2014 um 13:03
schön, wieder einmal einen Bericht aus meiner Heimat lesen zu können - wie kenne ich doch diese Gegend gut :-)

lg Felix


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