Aletschhorn "King Loop": Westgrat rauf, Nordwand runter


Publiziert von danski , 2. Juni 2014 um 20:05.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Jungfraugebiet
Tour Datum: 1 Juni 2014
Hochtouren Schwierigkeit: ZS+
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Ski Schwierigkeit: SS+
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 12:00
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 2800 m
Strecke:Hollandiahütte - Sattelhorn P.3699 - Kl. Aletschhorn - Nordwand - Aletschhorn; Abfahrt via Vorgipfel P.4087 - Eiszunge Nordwand - Lötschenlücke - Fafleralp
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Jungfraubahn bis Jungfraujoch
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Taxi ab Fafleralp, Ab 07.06. Postautoverbindung
Unterkunftmöglichkeiten:Hollandiahütte Winterraum

Die ersten Juni-Wochenenden der vergangenen Jahre waren von Höhepunkten geprägt. Wir rechneten natürlich damit, dass diese Serie auch im 2014 eine Fortsetzung finden wird. Dementsprechend fiel unsere Wahl auf ein ambitioniertes Ziel, welches wir im Juli 2013 schon einmal ins Auge fassten: Aletschhorn via Haslerrippe inkl. Abfahrt via Nordwand. Die Voraussetzungen schienen nun endlich perfekt zu sein und es sollte sogar noch besser kommen!

Samstag 31.06.2014, Jungfraujoch - Hollandiahütte via Louwitor

Nach dreiwöchiger Schnee-Abstinenz und einem Besuch in einer anderen flacheren Weltgegend war meine Motivation für das geplante Haslerrippe - Aletschhorn Unterfangen auf den absoluten Nullpunkt gesunken. Ich war mental bereits soweit fortgeschritten, eine Ausrede zu finden, um nicht am Samstagmorgen um 05:30 aus dem Bett schlüpfen zu müssen. Was war bloss mit mir los? Konnte eine so ambitionierte Tour unter solchen Voraussetzungen überhaupt zu einem guten Ende kommen? Ich zermartete mir meinen Kopf über derlei Fragen, die mir den Schlaf raubten. Jedenfalls fand ich keine Antworten und irgendwie war ich froh, als ich dann doch endlich schwerbepackt in den Zug stieg. In der Gegenwart von langjährigen Bergkollegen fanden meine Zweifel keine Nahrung mehr und es machte sich endlich ein Anflug der sonst so gewohnten Vorfreude breit. Spätestens als wir mit der Jungfraubahn kurz unterhalb der kleinen Scheidegg die Hochnebelgrenze durchstiessen, waren wir in den richtigen Modus gekommen. Wow, die Berge in strahlendem Weiss vor tiefblauem Himmel. Sofort wurde der Nollen genauestens inspiziert. Er wäre eines der Alternativziel gewesen, doch wir hielten an unserem Aletschhorn-Plan fest. Kaum hatten wir die Tunnelwelt des Jungfraujochs hinter uns gelassen, war ich mental wieder ganz der Alte. Über einen dünnen Pulverschneeteppich liessen wir das alpine Disneyland hinter uns. Erstaunlich wenige Skifahrer waren in den weissen Weiten auszumachen. Der Aufstieg zum Louwitor gestaltete sich einfach und kurzweilig, erst recht als wir das Aletschhorn in seiner ganzen Pracht zu sehen bekamen. Eine weisse Wand vom Dreieckshorn bis hin zum Sattelhorn präsentierte sich uns. Genau das wollten wir sehen!

Bevor wir die Geschichte aus der Nähe betrachten konnten, war genussvolles Skifahren bei perfekten Frühlingsbedingungen auf dem Kranzbergfirn angesagt. Wie von fern so von nah, bot sich uns das gleiche perfekte Bild. Die Haslerrippe brauchte uns keine schlaflosen Nächte zu bereiten. Ebenso wenig die Abfahrtsroute über die markante Eiszunge in der Nordwand des Aletschhorns. Perfekte Verhältnisse! Während ich und Nic uns für den kommenden Tag schonen wollten, fühlte sich Simon dermassen von der Nordwand des Sattelhorns angezogen, dass er sie gleich im Alleingang durchstieg, während wir und drei weitere Gäste ihn von der unbewarteten Hollandiahütte beobachteten. Die Abfahrt sah zwar etwas durchzogen aus, aber insgesamt doch gut fahrbar. Simon bestätigte unsere Beobachtung und warf gleich eine Alternative hinterher: Warum nicht gleich via Sattelhorn - Kleines Aletschhorn auf seinen grossen Bruder steigen? Die Vorteilen lagen auf der Hand. Es existierte dank Simon nun bereits eine Aufstiegsspur und der Westgrat zum Aletschhorn böte eine weitaus spektakulärere Linie als die Haslerrippe. Na, wenn das kein Argument ist! Wir willigten nach kurzer Diskussion ein. Mit guten Gefühlen legten wir uns bald schlafen.

Sonntag 01.06.2014, Aletschhorn "King Loop"

Nach einer ruhigen, erholsamen Nacht traten wir um kurz nach 04:30 in die kalte Nacht hinaus. Eine halbe Stunde vor uns hatte dies bereits ein Einzelgänger fortgeschrittenen Alters getan. Als wir in die Nordwand des Sattelhorns einstiegen, war er bereits ausser Sichtweite. Wir gingen davon aus, dass er sehr wohl wusste, was er tat. Später folgten wir seiner sehr guten Spur. Wir waren uns einig, Chapeau diesem Herrn!!! Auf halbem Weg in der Wand mussten wir leicht absteigend exponiert traversieren. Spätestens jetzt waren wir hellwach. Nach weniger als zwei Stunden hatten wir die fast 600m hohe Nordwand bezwungen. Schleierwolken vernebelten den Himmel, was die Morgenstimmung etwas beeinträchtigte, doch vor uns lag nun der wunderbare Verbindungsgrat zum Kleinen Aletschhorn. Ihm schenkten wir in der folgenden halben Stunde unsere volle Aufmerksamkeit. In meist gutem Trittschnee wandelten wir an diesem frühen Sonntagmorgen hart am Abgrund. Ein kurzer steiler Aufschwung forderte noch einmal Steigeisen- und Pickeltechnik bevor wir uns bei Sonnenschein auf dem geräumigen Gipfelplateau des Kleinen Aletschhorn eine Pause gönnten. Weit vor uns bewegte sich ein kleiner Punkt über schwindelerregende Abgründe dem Gipfel entgegen. Es war natürlich der Solo-Bergsteiger, dessen ausgezeichneter Spur wir auch nach dem Kleinen Aletschhorn gerne folgten. Nach einem gemütlichen Intermezzo querte die Spur auf einen ausgeprägten Eisbalkon in der Nordwand und wendete sich dann einigen Felsen zu, die auf das vereiste Gipfelplateau führen. Was aus der Ferne ziemlich schwindelerregend aussah, präsentierte sich aus der Nähe als einziger gangbarer Weg in die Nähe des Gipfels. Ein letzter Energieschub und einige gegenseitige ermutigende Worte und wir nahmen uns voll konzentriert dem steilen, sehr exponierten Couloir an. Nach einigen Metern in weichem Eis erwartete uns zwischen den Felsen guter Trittschnee. Die Felsen enden ca. auf 4060m und geben den Weg frei auf die vereiste Kappe des Gipfelplateaus. Zeit um anzuseilen und ein paar Schrauben zu setzen. Zwischenzeitlich begegnete uns der Einzelgänger im Abstieg. Ungesichert da hoch geht ja noch, aber ungesichert alles abzuklettern, ganz grosser Respekt! Nach drei SL erreichten wir sicher und problemlos die annähernde Horizontale des Gipfelplateaus. Wow, schon jetzt stellten sich bei mir gewisse Emotionen ein. Die Hauptschwierigkeiten waren "gegessen" und wir alle freuten uns auf einen weiteren fantastischen Grat, jenem zum Gipfel des grossen Aletschhorns. Ausgesetzt, aber fast schon traumwandlerisch bewegten wir uns zum Punkt, wo es an allen Seiten nur noch in die Tiefe geht. Gipfel nach 6.5 Stunden! Kein Mensch, kein Lüftchen, Aussicht bis ans Ende der Welt. Grande! Wir fühlten uns alle gut und konnten die Zeit auf dem Gipfel voll und ganz geniessen.

Kurz darauf bereiteten wir uns für die Abfahrt vor. Reine Routine. Wie immer überkam uns ein sehr vertrautes Gefühl, alsbald wir wieder auf zwei Brettern standen. Ich gönnte mir die Freude einiger turns im guten Pulver hinüber zum Vorgipfel, P. 4087m. Von diesem fällt der Blick 1100m ziemlich direkt auf die immense Gletscherfläche des Grossen Aletschfirns. Der Schwerkraft mittels Kontrolle des eigenen Körpers zu trotzen, das ist vielleicht einer der ganz grossen Reize im Reich des Alpinismus. So ist es jedenfalls, wenn man sich mit Skis in diese steilen Flanken wagt. Und siehe da, Presspulver machen es uns gar nicht mal schwierig, der Schwerkraft zu trotzen. Allerdings ist die Schneeauflage in solchen Eisflanken oft alles andere als homogen. Für Sekundenbruchteile touchiere ich Blankeis und drohe, die Kontrolle zu verlieren. Mir bleibt nur die Flucht nach vorn und ich schaffe es gerade noch, blitzschnell aus der Gefahrenzone zu fahren. Ein beherzter Sprung über den Bergschrund und wir landeten weich in weniger steilen Pulverhängen. Doch nun galt es wieder nordwärts zu halten, um die Einfahrt in unsere Abfahrtslinie zu erwischen. Bis zu einem weiteren Bergschrund liess uns hochalpiner Powder unbekümmert geniessen. Das Ambiente ist schon ziemlich beeindruckend. Auch den folgenden Bergschrund konnten wir problemlos überspringen. Ein weites Feld leitet zu nächsten Engstelle. Oben noch pulvrig, gesellte sich bald ein brüchiger Deckel dazu. Obwohl die Abfahrt durch die Nordwand mehrhetlich zwischen 40 und 45° steil ist, bleibt die Exposition allgegenwärtig, denn die Eiszunge bricht auf ca. 3300m in hochhaushohen Séracs ab. Bei den herrschenden Verhältnissen mit sehr hart gefrorenem Schnee im unteren Teil  würde man einfach darüber hinwegschiessen... Auf rund 3400m gewährt eine westseitige Traverse das Verlassen des Eiswulstes. An dieser exponierten Stelle wendeten wir noch einmal volle Konzentration auf, um den Druck präzise auf die Kanten zu bringen. Hatten wir die Eiszunge einmal verlassen, konnten wir noch keinesfalls durchatmen. Steil und weiterhin sehr hart forderten die letzten 250HM noch einmal Psyche und unsere beste Skitechnik. Abgesehen davon hält man sich hier im Sturzbereich recht abenteuerlich aussehender Séracs auf. Doch bald hatten wir auch dieses letzte Hindernis bewältigt und der Sog der Schwerkraft war nicht mehr lebensbedrohlich. Geschafft!!! Unfassbar, das war vielleicht mein erster Gedanke. Nur ganze 40min brauchten wir vom Skidepot bis auf den sicheren Boden des Grossen Aletschfirns. Das erste Mal an diesem Tag ziehen wir die Felle auf und wandern hinüber zu unserem Materialdepot, wo wir unverzüglich Schnee schmelzen und uns eine Minestrone gönnen. Was für eine Wohltat! Einige wenige Meter hoch zur Lötschenlücke und wir verabschieden uns vom Aletschhorn, einer der schönsten Gipfel der Alpen. Seidenfeiner Sulz führte uns vorbei am gewaltigen Bergsturz unterhalb des Distlighorns. Leider ziehen sich die letzten Schneereste nur noch bis ca. 2200 hin und so bleibt einem auch beim Rückweg zur Fafleralp nichts erspart. Und dann mussten wir einfach nicht mehr weiter, nach 12 intensiven und unglaublich eindrücklichen Stunden! Wie hätte ich mich wohl gefühlt, hätte ich eine Ausrede gefunden und wäre am Samstagmorgen einfach im Bett liegen geblieben???

Epilog

Gewiss ist diese Kombination die schönste und weitaus interessanteste Weise, dem Aletschhorn mit Skis die Ehre zu erweisen. Allerdings ist sie extrem verhältnisabhänging. Ich bin sehr glücklich, dass wir die Chance hatten und sie genutzt haben. In Anlehnung an die "King Line" im Bedretto ist der Name "King Loop" mehr als verdient. Übrigens herrschen hochalpin weiterhin fantastische Bedingungen und man begegnet auch an den Wochenenden kaum mehr einer Menschenseele. Ich habe mit dieser Tour das mehr als adäquate Ende einer abermals ausgezeichneten Saison gefunden. Mein grösster Dank gilt meinen besten Bergkollegen, ohne die ich nie so weit, hoch und steil gekommen wäre. Na dann, eine erlebnisreiche Sommertourensaison allen hikrs!


Tourengänger: nprace, danski
Communities: 4000er auf Abwegen


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Kommentare (7)


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jfk hat gesagt: Fantastisch!!!
Gesendet am 2. Juni 2014 um 20:15
Mit Abstand eine der geilsten Touren hier auf Hikr! Gratulation!

Laura. hat gesagt: RE:Fantastisch!!!
Gesendet am 2. Juni 2014 um 22:32
Yes...fantastisch!!!
Congratulazioni

IridePow hat gesagt:
Gesendet am 2. Juni 2014 um 23:39
Gratulation Dani und Nic !

Dino hat gesagt:
Gesendet am 3. Juni 2014 um 10:09
Unglaublich! Hammer!

Vauacht hat gesagt: Gratulation!
Gesendet am 3. Juni 2014 um 21:50
Beim Lesen dieses Berichts habe ich fast Gaensehaut bekommen. Fantastisch!

Habt Ihr herausgefunden wer der Solist war?

danski hat gesagt: RE:Gratulation!
Gesendet am 18. Juni 2014 um 20:13
Danke, war grandiose Tour! :) Der Solist war Innerschweizer. Gemäss Hüttenbuch aus Kerns, wenn ich mich richtig erinnere.

TeamMoomin hat gesagt: Unglaublich
Gesendet am 3. Juni 2014 um 21:54
ist das einzige Wort das mir da sofort in den Sinn kommt! Jung Ihr seit echt der Hammer!

Lg Oli und Moomin


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