Auf verschlungenen Pfaden zum alten Bahnhof Olgia


Publiziert von ABoehlen , 18. September 2013 um 12:35.

Region: Welt » Italien » Piemont
Tour Datum: 1 August 2013
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: I   Vigezzo 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 630 m
Abstieg: 630 m
Strecke:Re - Folsogno - Dissimo - ex fermata Olgia - Meis - Folsogno - Re
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Re
Unterkunftmöglichkeiten:Hotel Stella Alpina in Druogno.
Kartennummer:LK1311 Comologno oder LK275(T) Valle Antigorio und LK285(T) Domodossola

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Heute ist der erste August - Nationalfeiertag in der Schweiz, aber da wir ja in Italien weilen, ist das ein Tag wie jeder andere. Wir haben uns vorgenommen, es nach dem gestrigen Gipfelsturm heute etwas ruhiger anzugehen. Ein Ziel gibt es auch bereits: Den Bahnhof, den die Karte und der aktuelle Fahrplan der SSIF "Isella-Olgia" nennen. Allerdings zeigt der Fahrplan nirgends eine Zeit an, weshalb er vermutlich ausser Betrieb ist, und darum auch aus den Geodaten und Karten von swisstopo gelöscht werden sollte. Um allerdings sicher zu sein, möchte ich mir das lieber mal vor Ort anschauen, und dafür ist die Gelegenheit jetzt optimal. Vom Wallfahrtort Re aus liesse sich auf verschlungenen Wegen (die zumeist aber nur die Wanderkarte des CAI zeigt) sicherlich ein interessanter Tag verbringen.

Bevor wir auf den Zug gehen, legen wir einen Zwischenhalt beim "Tabbaccaio" ein und kaufen die neue Ausgabe der Regionalzeitung "eco risveglio". Die Titelgeschichte widmet sich den Unwettern vom Montag, die vor allem das Valle Vigezzo heimgesucht haben, wie im Bericht vom Montag bereits beschrieben ist. Am Bahnhof fragt uns der freundliche Stationsvorstand, wo wir hinmöchten, und ich nutze die Gelegenheit, ihn nach dem Bahnhof "Isella-Olgia" zu fragen. Dieser werde nicht mehr benutzt, versichert er mir. An unserem Plan, dort hinzugehen und selbst nachzuschauen, ändert das aber natürlich nichts.

Um 10:05 fährt der gut besetzte Zug ein, wo wir aber noch freie Plätze finden und die 17-minütige Reise geniessen können. Einige Zwischenhalte später erreichen wir den Bahnhof von Re (658 m), der abseits des Dorfes liegt. Im Gegensatz zur Gegend um Druogno ist das Tal hier schon ziemlich schmal und das Dorf liegt etwas oberhalb des Talgrundes am sonnseitigen Abhang.

In Re dominiert die berühmte Wallfahrtskirche Madonna del Sangue das Ortsbild. Diese Kirche geht auf ein Ereignis von 1494 zurück, als ein betrunkener Bürger einen Stein auf ein Madonnenbildnis geworfen hat, welches im Anschluss daran während 20 Tagen blutige Tränen geweint haben soll. Die danach an diesem Platz errichtete Wallfahrtskapelle war irgendwann aber zu klein, um die vielen Pilger aufzunehmen, die hierhin strömten. Deshalb wurde ab 1922 mit dem Bau der monumentalen Rundkirche begonnen, die schliesslich 1958 eingeweiht wurde.

Kurz nach dem Dorf verlassen wir die Hauptstrasse und steigen auf einem schönen Kopfsteinpflasterweg zum Dörfchen Folsogno hinauf. Wir sind nun auf dem Höhenweg M0, den die swisstopo-Wanderkarte 275T allerdings nicht zeigt. Daher habe ich stets auch die "Carta Escursionistica Transfrontaliera Parco Nazionale Val Grande 1:50'000" des CAI im Rucksack, die bereits mehrfach gute Dienste geleistet hat, auch wenn sich eingetragene "Wanderwege" bisweilen als Phantasieprodukte entpuppen. Der M0 ist aber vorderhand gut begehbar und führt uns durch herrlichen Laubwald ins Tal des Rio degli Orti. Weniger herrlich sind die zahllosen Bremsen, die uns umschwirren und nach unserem Blut lechzen, aber das kriegen sie nicht kampflos!

Bei einem Haus oberhalb Pt. 717 ist laut LK25 der Weg zu Ende, aber durchs Gras kommen wir gut zum Strässchen hinunter. Diesem folgen wir etwas talwärts und queren auf einer schönen Steinbrücke den Bergbach, der allerdings nur wenig Wasser führt. Sehr steil geht es nun bergauf nach Dissimo (823 m), wo laut CAI-Karte ein Weg direkt zum Bahnhof Isella-Olgia hinunterführen sollte. Da die LK25 in diesem Bereich keinerlei Wege zeigt, sind wir natürlich gespannt, was uns erwartet.

Unterhalb der Kirche sollte es zum Bach hinunter gehen. Fehlanzeige: Dort stehen Häuser und der Abhang zum Bach gleich dahinter ist steil und überwuchert. Also folgen wir mal ein Stück dem Strässchen, welches den Bach weiter hinten in diesem Tal quert. Und siehe da, wenig später taucht rechterhand eine Spur in den Abhang ab. Also los! Mehrheitlich problemlos können wir ihr folgen, einen Schweinestall passierend und anschliessend hangparallel weiter. Schliesslich geht es doch noch bergab, aber bei einem Haus auf ca. 740 m ist Schluss. Ohne lange zu überlegen gehen wir weglos weiter, was durch das Gras recht gut geht. Dann aber erreichen wir den Waldrand und das Gelände wird schlagartig sehr steil. Den Talgrund können wir sehen, aber bis dorthin sind es noch gut 70 Höhenmeter. Aber noch etwas anderes sehen wir: Etwas, das wie ein Geländer aussieht. Und wo ein Geländer ist, muss auch ein Weg sein. Daher krabbeln wir ganz vorsichtig auf allen vieren den Abhang hinunter und stossen tatsächlich auf einen recht breiten Weg. Grosses Erstaunen!

Natürlich könnten wir jetzt ganz einfach diesem folgend talwärts gehen und wären dann ziemlich sicher bald unten. Aber wir sind beide Kartografen und möchten zu gerne wissen, wo dieser Weg seinen Anfang nimmt. Also folgen wir ihm bergauf. Dort, wo der Wald etwas zurückweicht, ist er von Farn überwuchert, aber ansonsten sehr gut begehbar. Nicht überraschend kommen wir nach einiger Zeit zum Bach, hinter dem Dissimo liegt. Sehr steil erklimmen wir den bewaldeten Abhang, aber dort wo das offene Land beginnt, ist kein Weg mehr sichtbar. Da wir nicht gerne den Bauern durch ihr Land trampeln, gehen wir zum Bach zurück, wo auch auf der anderen Seite noch eine Spur weiterführt. Wieder geht es bergauf und wieder ist am Waldrand der Weg zu Ende, aber gleich dahinter sehen wir ein Haus, das wir gut kennen: Den Schweinestall, den wir vor rund einer halben Stunde schon mal passiert haben. Über den ungewohnten Fussgängerverkehr an diesem einsamen Platz wohl erstaunt, erscheinen zwei Schweine, die bald ausgiebig hinter den Ohren gekrault werden.

Nun kennen wir den Weg, das heisst, zumindest fast. Noch bleibt die Frage, wo wir herauskommen. Zwei namenlose Bäche müssen noch gequert werden, dann ist auch diese Frage beantwortet: Wir sind direkt oberhalb von "Isella-Olgia", dort wo noch ein anderer Weg abbiegt, der dem Bahntrasse folgt. Dieser ist aber mit einem hohen Gittertor abgesperrt.

Der Zugang zum Bahnhof biegt etwa 100 m weiter rechterhand von der Hauptstrasse ab. Es ist ein schmaler Pfad, mehrheitlich von Robinien und anderem dornigem Zeugs überwuchert. Hier geht definitiv niemand mehr durch. Auch das Bahnhofsgebäude, das in Wirklichkeit nur "Olgia" heisst, wird schon ziemlich von der Vegetation bedrängt. Für uns ist es aber ein guter Platz, um die Mittagspause einzulegen, die ich vorwiegend dazu nutze, die laufend skizzierten Beobachtungen zum Wegverlauf abzuschliessen. Zu Hause werden diese Beobachtungen dann in eine Kartengrafik umgesetzt und die Geometrie des Weges an der swisstopo dem ausführenden Kartografen gemeldet, zwecks Nachführung des Blattes 1311.

Da wir ja nun hier nicht auf den Zug können, drängt sich die Frage auf, wie wir jetzt am besten wieder nach Re zurückkommen: Wir entscheiden uns, bis zum nächsten Dorf, Meis, der Hauptstrasse zu folgen, eine Strecke, die wir trotz brütender Mittagshitze in sehr zügigem Tempo zurücklegen. Meis hat ebenfalls einen Bahnhof, den wir noch besuchen. Er ist nach den Dörfern benannt, die wir heute schon besucht haben: Folsogno-Dissimo und wird von einigen wenigen Zügen tagsüber bedient.

Zurück auf der Hauptstrasse stossen wir drei Kurven weiter auf einen abbiegenden grasigen Pfad. Es müsste jener sein, den auch das Kartenblatt 285 zeigt und der hoch nach Folsogno führen sollte. So ist es auch und durch die verschlungenen Gässchen des Ortes sind wir irgendwann wieder auf dem Hauptweg M0. Von der Gegenseite her ist dieser Weg aber kaum zu finden, da es keinerlei Anhaltspunkte gibt, in welches Gässchen man abbiegen muss.

Der Rückweg ist nun gegeben und um ca. 15:15 Uhr erreichen wir müde wieder den Bahnhof Re. Zwar haben wir heute keinen Gipfel erobert, aber anspruchsvoll war diese Spurensuche im Subtropen-Dschungel allemal.

Den Zug um 15:40 Uhr lassen wir ziehen; es ist der "Treno Panoramico", eine selten hässliche Kiste, die nur Fahrgäste aufnimmt, wenn es noch freie Sitzplätze hat, da stehende Passagiere nicht erlaubt sind. Natürlich ist er voll, wie uns der Stationsvorstand mitteilt, aber damit haben wir gerechnet und uns ohnehin schon auf den Bänken unter den Bäumen zu einem Nickerchen hingelegt. Genau eine Stunde später erscheint dann der reguläre Zug, ein ABe4/6, wo es noch reichlich Platz gibt, und geniessen eine herrliche Rückfahrt am offenen Fenster.

Zum Nachtessen begeben wir uns heute wieder ins "Albergo Ristorante Bar Stazione". Es gibt Cappellacci ripieni di Bettelmatt al burro e salvia als ersten und Entrecòte di manzo ai ferri con patatine fritte als zweiten Gang, begleitet von Insalata mista und 2 birre. Ein Fruchtsalat rundet dieses köstliche 1. August-Festessen ab.

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Tourengänger: ABoehlen


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Kommentare (2)


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bidi35 hat gesagt: interessant deine Berichte...
Gesendet am 18. September 2013 um 16:07
...vom Val Vigezzo...verfolge sie natürlich mit Interesse.

Das Vigezzo war mein erster Hikr-Bericht (Versuchskaninchen als Kurzbericht). Wir sind dann einen Monat später mit der Pro Senectute und 50 (!!) TL den gleichen Weg nochmals gegangen und haben im Tre Pini billig und reichlich getafelt.

Ein Jahr drauf wollten wir mit unserem SAC die Wanderung machen, aber leider war das Tre Pini längere Zeit geschlossen (Todesfall). Habe jetzt mit Freuden festgestellt, dass das Ristorante unter neuer Führung wieder offen ist. Die Wanderung mit so einem kulinarischen Zwischenhalt würde sich alleweil lohnen.

Liebi Grüess
Heinz

ABoehlen hat gesagt: RE: interessant deine Berichte...
Gesendet am 19. September 2013 um 13:04
Herzlichen Dank, lieber Heinz für diese netten Zeilen und den Link zu Deinem Bericht, der mir bisher wohl entgangen ist. Besonders gefällt mir der Zug mit den Verstärkungswagen, die ich bislang nur aus dem Depot von Domodossola kenne. Gerade im Sommer wäre es wünschenswert, wenn die Züge öfters so verstärkt würden.

In Coimo waren wir während dieser Ferienwoche leider nie, aber das Tre Pini macht einen gemütlichen Eindruck, weshalb ich mir das für künftige Ausflüge sicher merken werde.

Beste Grüsse und weiterhin gute und baldige Genesung wünscht Dir
Adrian


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