Grand Cornier Überschreitung und die Folgen einer (Selbst-)Überschätzung
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Ich habe lange mit mir gerungen, bevor ich mich dazu entschloss, zu dieser Tour in die Tasten zu greifen. Einerseits will ich diese eher wenig bekannte, dafür umso eindrücklichere und spannendere Tour manchem hikr nicht vorenthalten. Andererseits verbinde ich sie auch mit einer unangenehmen Erfahrung, die zu Kritik an meinem Urteilsvermögen berechtigt. Aber nun erst einmal der Reihe nach...
Im Schatten der gewaltigen Dent Blanche fristet der Grand Cornier trotz seiner 3962m ein wenig beachtetes Dasein. Schöne, anspruchsvolle und äusserst exponierte Grate führen von NW und SW auf seinen Gipfel. Hängt man diese Grate zusammnen, entsteht eine Überschreitung, die es locker mit manchem höheren Genossen aufnehmen kann. So rückte dieser Berg auch dank einer ausführlichen Beschreibung in der Führerliteratur in meinen Fokus.
Als Ausgangspunkt bietet sich Salay im Ferpècle an. Mit dem ersten Postautokurs fuhren wir von Les Haudères hoch. Hat man das bequeme Postauto verlassen, warten 1800HM auf einen. Auf dem Bergweg Richtung Bricola gewinnt man schnell Höhe und kann dabei das Panorama bewundern. Ab Bricola wird die Dent Blanche zum ständigen Begleiter. Was für ein Berg! Von der NW-Seite wirkt sie wie eine 8000m hohe unbezwingbare Bastion aus gelblichem Fels, Eis und Neuschnee. Auf rund 2500m trennen sich die Wege einerseits zum Biv. Col de la Dent Blanche andererseits zur Cab. de la Dent Blanche. Wir folgen den deutlich weniger ausgeprägten Wegspuren zum Biwak. Die Annäherung zur Dent Blanche lässt den Berg immer gewaltiger erscheinen. Bald dominieren Geröllfelder, wo einst der Glacier de la Dent Blanche sich ausdehnte. Der Übergang auf diesen auf einer Höhe von ca. 3150m gestaltet sich nahtlos mit Ausnahme, dass man nun angeseilt die letzten verbleibenden 400HM zurücklegt. Von aperen Stellen ist auch jetzt Mitte August noch nichts zu sehen. Einfach gehts über den frisch verschneiten Gletscher zum Col de la Dent Blanche und dem gleichnamigen Biwak. Mit seiner 6-eckigen Grundform, den massiven Steinwänden, kleinen Fensteröffnungen und dem leicht geneigten Kupferdach fügt es sich in angemessener Weise in die beeindruckende Landschaft. Das nenne ich erfolgreiche Alpin-Architektur. Innen entpuppt es sich als wahres, gemütliches Raumwunder. Sogar ein luftiges Toilettenhäuschen mit Aussicht ist vorhanden. Neben uns genossen ein Bergführer mit Gast und ein weiteres 2er Team aus dem Allgäu die Annehmlichkeiten des Biwaks. Wir verbrachten erst einmal viel Zeit mit schneeschmelzen. Der feuchte Neuschnee kam uns dabei gelegen. Fliessend Wasser sucht man übrigens vergebens... Anschliessend ans Essen bestaunten wir die hereinbrechende Dämmerung. Licht und Wolken zauberten fantastische Stimmungen an die umgebenden Berge. Bald versuchten wir Schlaf zu finden, was angesichts der Höhe nicht ganz einfach war.
Um 3:00 machte sich das deutsche Team Richtung Arête des quatre Ânes auf. Für uns läutete der Wecker eine Stunde später. Kurz nach 5:00 traten wir in die sternenklare, aber noch stockdunkle Nacht. Ein mässiger Wind blies. Dieser sollte uns noch den ganzen Tag begleiten. Über Geröll und Blöcke erreicht man schnell den eigentlichen Beginn des Grates. Nun würde es also richtig los gehen! Noch waren die kurzen Kletterstellen nicht allzu schwierig. Kurz vor P. 3733m umgingen wir einen ersten steileren Aufschwung westseitig. Bald merkten wir, dass es wohl kein Kinderspiel sein würde, den restlichen Grat zu klettern. Auf dem P. 3733m mussten die Steigeisen an die Schuhe, wo sie auch für den Rest des Tages blieben. Es lag ab hier NW-seitig doch schon recht viel Neuschnee. Bis zum P. 3805m kamen wir wieder zügiger voran und so entschlossen wir uns definitiv dazu, dem Grat weiter zu folgen. Ein steiles, felsdurchsetztes Schneefeld wäre an dieser Stelle der einzige und letzte einigermassen vernünftige Ausstieg auf den Glacier de la Bricola gewesen. Nun steilt der Grat merklich auf und einige kniffligere Kletterstellen folgen. Schnee und teilweise wenig Eis machten die Sache nicht einfacher. An Luftigkeit habe ich noch selten vergleichbares geklettert. Dazu muss alles selbst abgesichert werden. Zwischenzeitlich beobachteten wir zwei winzige Punkte auf dem Glacier du Grand Cornier. Es mussten die zwei Deutschen sein, die anscheinend am Arête des quatre Ânes wegen zu viel Neuschnees umgekehrt sind. In Gipfelnähe stellt sich einem ein blockartiger Turm in den Weg. Dieser kann direkt oder über eine ziemlich glatte Verschneidung erklettert werden. Die Schwierigkeit ist hier im IV Grad angesiedelt. Falls man eine dieser Varianten in Betracht zieht, dann sollte man sich der Sache schon sehr sicher sein. Wir entschieden uns für die SE-seitige Umgehung, die in die ziemlich brüchige, steile und exponierte SE-Flanke führt. An dieser Stelle bin ich prompt zu weit in die Flanke traversiert. Glücklicherweise bemerkte ich das malheur bald, denn die Schwierigkeiten wären plötzlich viel grösser als eine II-III geworden. Das Abklettern war äusserst unangenehm, denn verlässliche Sicherungen kann man in diesem "Bruchhaufen" kaum legen. Dann konnten wir die logische und einfachere Linie zurück auf den Grat ausmachen. Luftig, gut griffig und durchaus schön gelangten wir auf den blockartigen Turm. Uff, geschafft dachten wir uns. Weit gefehlt... Der luftigste Teil folgte erst mit einem weiteren Turm, von dem man abseilen könnte. Wo wir einen Stand hätten einrichten können, bleibt uns aber rätselhaft. Stattdessen umgingen wir das Hindernis und kletterten ab. Nun folgen noch weitere wirklich fantastische Klettermeter, die wir geniessen konnten. Den Gipfel fast in Wurfweite, kam bereits Vorfreude auf, doch leider ist der schmale, exponierte Grat mit einigen fiesen Absätzen gespickt. Wir wussten partout nicht, wie wir diese senkrechten, griff- und trittarmen 2-3m hohen Absätze sicher abklettern konnten und seilten deshalb zwei Mal ab. Den alten Schlingen trauten wir nicht und legten jeweils neue. Der Zeitaufwand für die letzten 100m Grat war beachtlich. Endlich standen wir auf dem Gipfel und schauten ungläubig auf den luftigen, soeben gekletterten Gratabschnitt zurück. Bis auf den Gipfel haben wir die doppelte Zeit, wie im Führer angegeben, gebraucht... Natürlich gab uns das zu denken, doch wir liessen uns dadurch nicht stressen, denn noch stand die Sonne hoch am Himmel und das Wetter zeigte sich stabil. Nach einer ausgiebigeren Pause mit herrlicher Aussicht auf dieses grossartige alpine Amphitheater geformt von Weisshorn - Zinalrothorn - Obergabelhorn und Dent Blanche fühlten wir uns wieder recht fit und bereit den Abstieg via NW-Grat unter die Steigeisen zu nehmen. Auch hier stellen sich einem wieder senkrechte Türme in den Weg. Deutlich mehr begangen als der SW- Grat, findet man hier mindestens Reepschnüre neueren Datums mit Metallringen zum abseilen.
Wir kamen recht gut und sicher voran, bis ich an einem der letzten Türme 15m in die NE-Flanke abseilte und mich auf einer exponierten Platte wieder fand. Ich konnte mich kaum selber sichern, während sich vor mir diese steile Platte mit Riss zurück zum Grat hoch zog. Plötzlich kam ich es mit der nackten Angst zu tun. Unter mir ein mehrerer hundert Meter tiefer Abgrund bis zum wild zerklüfteten Glacier des Bouquetins und vor mir diese Platte, die ich so gut wie ungesichtert hätte klettern müssen. Es waren auch keine Spuren mehr auszumachen. Je länger desto mehr beschlich mich das Gefühl, dass ich mich weit von der Normalroute befinden musste, obwohl ich laut Topo eigentlich richtig stand. Meine Partnerin versuchte weiter oben auf dem Grat Spuren auszumachen, doch auch sie blieb ratlos. In diesem Moment führte wohl die Kombination aus Angst, Unsicherheit, Stress, Müdigkeit und Hunger zur Einsicht, hier nicht mehr wegzukommen. Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt immer gedacht, dass ich es nie so weit kommen lassen würde, aber jetzt war ich total gefangen in dieser Angst. Nach langer Beratung mit meiner Kollegin entschieden wir uns, die Rega zu alarmieren. Die Verbindung mit dem Rega-App klappte erst beim zweiten Mal. Gleich wurde ich an die Walliser Stelle verwiesen. Diese kann auch direkt via Nr. 144 alarmiert werden. Die Wartezeit auf den Helikoper der Air Glacier war quälend. Nicht etwa weil die Angst noch heftiger zuschlug, sondern eher wegen dem Gefühl des Versagens und dem Eingeständnis, sich übernommen zu haben. Als der Heli nach längerer Zeit endlich über uns verharrte, schämte ich mich zutiefst und kam mir vor wie am Pranger. Bald flog er ein zweites Mal an und setzte einen Bergführer auf dem Turm ab. Dieser begann einen Borhaken zu setzen, um sich und den kurz darauf eintreffenden zweiten Bergführer zu sichern. Die Routine, wie die Evakuation nun ablief, war beeindruckend. Ich musste von oben gesichert wieder hoch klettern und fand mich mit meiner Partnerin und einem der Bergführer auf dem Grat. Nun musste alles schnell gehen. Sitzgurtcheck, einhängen in die Transportseile für die Winde, schon schwebte der Heli unglaublich präzis trotz Wind wieder heran. Der Transporthaken kam näher und schon klinkte uns der Bergführer ein. Sekunden später hingen wir wie eine Menschentraube in der Luft. Unglaublich, dieses Gefühl! Ein kurzer Blick zurück zum Grat und ich erkannte, dass uns keine 10m gefehlt hätten... Doch nun schwebten wir schon über dem Glacier de Moiry während uns der Bergführer animierte, den Flug doch mindestens zu geniessen, was ihm auch mühelos gelang. Bei der Moiry Hütte wurden wir sanft vor den Augen der essenden Hüttenbesucher abgesetzt. Wir fühlten uns wie begossene Pudel... Anschliessend luden wir die gesamte crew bestehend aus Pilot, Flughelfer und zwei Bergführern zum Kaffee ein, was sie gerne annahmen. Glücklicherweise war die Stimmung sehr entspannt und statt Vorwürfe, kam von der crew Trost, aufmunternde Worte und der eine oder andere Spruch. An dieser Stelle ein ganz grosses Merci beaucoup!!! Als Kostprobe seines Könnens drehte der Pilot mit seiner Lama beim Abflug eine halbe Pirouette vor dem gut gefüllten Esssaal der neuen Moiry Hütte und entschwand dann steil Richtung Tal. An Coolness war dieses Manöver kaum zu übertreffen. Wir traten noch am selben Abend den Rückweg Richtung Grimentz an...
Positiv bleibt mir vieles an diesem Berg in Erinnerung. Nur schon der Besuch des Biwak in unmittelbarer Nähe eines der gewaltigsten Viertausenders der Alpen hinterlässt starke Eindrücke. Der SW-Grat war über weite Strecke eine für mich sehr fordernde, exponierte aber häufig auch genussvolle Kletterei in meist solidem Fels und einer grandiosen Umgebung. Im Nachhinein muss ich mir eingestehen, dass ich die Route unterschätzt, bzw. meine momentane Verfassung überschätzt habe. Es hinterlässt einen mehr als bitteren Nachgeschmack, dass wir uns evakuieren lassen mussten. Zweifel, Scham und Schuldgefühle sind nicht so schnell aus der Welt zu schaffen. Andererseits war diese Entscheidung auch im Nachhinein unter den gegebenen Umständen richtig. Ich hoffe für alle hikrs, dass sie diese Erfahrung nie machen müssen. Zugleich sollte man sich nicht zu schade sein, in einer solchen Situation zu alarmieren. Sicher und gesund zurück vom Berg muss immer das oberste Ziel sein. In diesem Sinne wünsche ich allen hikrs ein sicheres und erlebnisreiches Ende der Sommersaison!
Im Schatten der gewaltigen Dent Blanche fristet der Grand Cornier trotz seiner 3962m ein wenig beachtetes Dasein. Schöne, anspruchsvolle und äusserst exponierte Grate führen von NW und SW auf seinen Gipfel. Hängt man diese Grate zusammnen, entsteht eine Überschreitung, die es locker mit manchem höheren Genossen aufnehmen kann. So rückte dieser Berg auch dank einer ausführlichen Beschreibung in der Führerliteratur in meinen Fokus.
Als Ausgangspunkt bietet sich Salay im Ferpècle an. Mit dem ersten Postautokurs fuhren wir von Les Haudères hoch. Hat man das bequeme Postauto verlassen, warten 1800HM auf einen. Auf dem Bergweg Richtung Bricola gewinnt man schnell Höhe und kann dabei das Panorama bewundern. Ab Bricola wird die Dent Blanche zum ständigen Begleiter. Was für ein Berg! Von der NW-Seite wirkt sie wie eine 8000m hohe unbezwingbare Bastion aus gelblichem Fels, Eis und Neuschnee. Auf rund 2500m trennen sich die Wege einerseits zum Biv. Col de la Dent Blanche andererseits zur Cab. de la Dent Blanche. Wir folgen den deutlich weniger ausgeprägten Wegspuren zum Biwak. Die Annäherung zur Dent Blanche lässt den Berg immer gewaltiger erscheinen. Bald dominieren Geröllfelder, wo einst der Glacier de la Dent Blanche sich ausdehnte. Der Übergang auf diesen auf einer Höhe von ca. 3150m gestaltet sich nahtlos mit Ausnahme, dass man nun angeseilt die letzten verbleibenden 400HM zurücklegt. Von aperen Stellen ist auch jetzt Mitte August noch nichts zu sehen. Einfach gehts über den frisch verschneiten Gletscher zum Col de la Dent Blanche und dem gleichnamigen Biwak. Mit seiner 6-eckigen Grundform, den massiven Steinwänden, kleinen Fensteröffnungen und dem leicht geneigten Kupferdach fügt es sich in angemessener Weise in die beeindruckende Landschaft. Das nenne ich erfolgreiche Alpin-Architektur. Innen entpuppt es sich als wahres, gemütliches Raumwunder. Sogar ein luftiges Toilettenhäuschen mit Aussicht ist vorhanden. Neben uns genossen ein Bergführer mit Gast und ein weiteres 2er Team aus dem Allgäu die Annehmlichkeiten des Biwaks. Wir verbrachten erst einmal viel Zeit mit schneeschmelzen. Der feuchte Neuschnee kam uns dabei gelegen. Fliessend Wasser sucht man übrigens vergebens... Anschliessend ans Essen bestaunten wir die hereinbrechende Dämmerung. Licht und Wolken zauberten fantastische Stimmungen an die umgebenden Berge. Bald versuchten wir Schlaf zu finden, was angesichts der Höhe nicht ganz einfach war.
Um 3:00 machte sich das deutsche Team Richtung Arête des quatre Ânes auf. Für uns läutete der Wecker eine Stunde später. Kurz nach 5:00 traten wir in die sternenklare, aber noch stockdunkle Nacht. Ein mässiger Wind blies. Dieser sollte uns noch den ganzen Tag begleiten. Über Geröll und Blöcke erreicht man schnell den eigentlichen Beginn des Grates. Nun würde es also richtig los gehen! Noch waren die kurzen Kletterstellen nicht allzu schwierig. Kurz vor P. 3733m umgingen wir einen ersten steileren Aufschwung westseitig. Bald merkten wir, dass es wohl kein Kinderspiel sein würde, den restlichen Grat zu klettern. Auf dem P. 3733m mussten die Steigeisen an die Schuhe, wo sie auch für den Rest des Tages blieben. Es lag ab hier NW-seitig doch schon recht viel Neuschnee. Bis zum P. 3805m kamen wir wieder zügiger voran und so entschlossen wir uns definitiv dazu, dem Grat weiter zu folgen. Ein steiles, felsdurchsetztes Schneefeld wäre an dieser Stelle der einzige und letzte einigermassen vernünftige Ausstieg auf den Glacier de la Bricola gewesen. Nun steilt der Grat merklich auf und einige kniffligere Kletterstellen folgen. Schnee und teilweise wenig Eis machten die Sache nicht einfacher. An Luftigkeit habe ich noch selten vergleichbares geklettert. Dazu muss alles selbst abgesichert werden. Zwischenzeitlich beobachteten wir zwei winzige Punkte auf dem Glacier du Grand Cornier. Es mussten die zwei Deutschen sein, die anscheinend am Arête des quatre Ânes wegen zu viel Neuschnees umgekehrt sind. In Gipfelnähe stellt sich einem ein blockartiger Turm in den Weg. Dieser kann direkt oder über eine ziemlich glatte Verschneidung erklettert werden. Die Schwierigkeit ist hier im IV Grad angesiedelt. Falls man eine dieser Varianten in Betracht zieht, dann sollte man sich der Sache schon sehr sicher sein. Wir entschieden uns für die SE-seitige Umgehung, die in die ziemlich brüchige, steile und exponierte SE-Flanke führt. An dieser Stelle bin ich prompt zu weit in die Flanke traversiert. Glücklicherweise bemerkte ich das malheur bald, denn die Schwierigkeiten wären plötzlich viel grösser als eine II-III geworden. Das Abklettern war äusserst unangenehm, denn verlässliche Sicherungen kann man in diesem "Bruchhaufen" kaum legen. Dann konnten wir die logische und einfachere Linie zurück auf den Grat ausmachen. Luftig, gut griffig und durchaus schön gelangten wir auf den blockartigen Turm. Uff, geschafft dachten wir uns. Weit gefehlt... Der luftigste Teil folgte erst mit einem weiteren Turm, von dem man abseilen könnte. Wo wir einen Stand hätten einrichten können, bleibt uns aber rätselhaft. Stattdessen umgingen wir das Hindernis und kletterten ab. Nun folgen noch weitere wirklich fantastische Klettermeter, die wir geniessen konnten. Den Gipfel fast in Wurfweite, kam bereits Vorfreude auf, doch leider ist der schmale, exponierte Grat mit einigen fiesen Absätzen gespickt. Wir wussten partout nicht, wie wir diese senkrechten, griff- und trittarmen 2-3m hohen Absätze sicher abklettern konnten und seilten deshalb zwei Mal ab. Den alten Schlingen trauten wir nicht und legten jeweils neue. Der Zeitaufwand für die letzten 100m Grat war beachtlich. Endlich standen wir auf dem Gipfel und schauten ungläubig auf den luftigen, soeben gekletterten Gratabschnitt zurück. Bis auf den Gipfel haben wir die doppelte Zeit, wie im Führer angegeben, gebraucht... Natürlich gab uns das zu denken, doch wir liessen uns dadurch nicht stressen, denn noch stand die Sonne hoch am Himmel und das Wetter zeigte sich stabil. Nach einer ausgiebigeren Pause mit herrlicher Aussicht auf dieses grossartige alpine Amphitheater geformt von Weisshorn - Zinalrothorn - Obergabelhorn und Dent Blanche fühlten wir uns wieder recht fit und bereit den Abstieg via NW-Grat unter die Steigeisen zu nehmen. Auch hier stellen sich einem wieder senkrechte Türme in den Weg. Deutlich mehr begangen als der SW- Grat, findet man hier mindestens Reepschnüre neueren Datums mit Metallringen zum abseilen.
Wir kamen recht gut und sicher voran, bis ich an einem der letzten Türme 15m in die NE-Flanke abseilte und mich auf einer exponierten Platte wieder fand. Ich konnte mich kaum selber sichern, während sich vor mir diese steile Platte mit Riss zurück zum Grat hoch zog. Plötzlich kam ich es mit der nackten Angst zu tun. Unter mir ein mehrerer hundert Meter tiefer Abgrund bis zum wild zerklüfteten Glacier des Bouquetins und vor mir diese Platte, die ich so gut wie ungesichtert hätte klettern müssen. Es waren auch keine Spuren mehr auszumachen. Je länger desto mehr beschlich mich das Gefühl, dass ich mich weit von der Normalroute befinden musste, obwohl ich laut Topo eigentlich richtig stand. Meine Partnerin versuchte weiter oben auf dem Grat Spuren auszumachen, doch auch sie blieb ratlos. In diesem Moment führte wohl die Kombination aus Angst, Unsicherheit, Stress, Müdigkeit und Hunger zur Einsicht, hier nicht mehr wegzukommen. Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt immer gedacht, dass ich es nie so weit kommen lassen würde, aber jetzt war ich total gefangen in dieser Angst. Nach langer Beratung mit meiner Kollegin entschieden wir uns, die Rega zu alarmieren. Die Verbindung mit dem Rega-App klappte erst beim zweiten Mal. Gleich wurde ich an die Walliser Stelle verwiesen. Diese kann auch direkt via Nr. 144 alarmiert werden. Die Wartezeit auf den Helikoper der Air Glacier war quälend. Nicht etwa weil die Angst noch heftiger zuschlug, sondern eher wegen dem Gefühl des Versagens und dem Eingeständnis, sich übernommen zu haben. Als der Heli nach längerer Zeit endlich über uns verharrte, schämte ich mich zutiefst und kam mir vor wie am Pranger. Bald flog er ein zweites Mal an und setzte einen Bergführer auf dem Turm ab. Dieser begann einen Borhaken zu setzen, um sich und den kurz darauf eintreffenden zweiten Bergführer zu sichern. Die Routine, wie die Evakuation nun ablief, war beeindruckend. Ich musste von oben gesichert wieder hoch klettern und fand mich mit meiner Partnerin und einem der Bergführer auf dem Grat. Nun musste alles schnell gehen. Sitzgurtcheck, einhängen in die Transportseile für die Winde, schon schwebte der Heli unglaublich präzis trotz Wind wieder heran. Der Transporthaken kam näher und schon klinkte uns der Bergführer ein. Sekunden später hingen wir wie eine Menschentraube in der Luft. Unglaublich, dieses Gefühl! Ein kurzer Blick zurück zum Grat und ich erkannte, dass uns keine 10m gefehlt hätten... Doch nun schwebten wir schon über dem Glacier de Moiry während uns der Bergführer animierte, den Flug doch mindestens zu geniessen, was ihm auch mühelos gelang. Bei der Moiry Hütte wurden wir sanft vor den Augen der essenden Hüttenbesucher abgesetzt. Wir fühlten uns wie begossene Pudel... Anschliessend luden wir die gesamte crew bestehend aus Pilot, Flughelfer und zwei Bergführern zum Kaffee ein, was sie gerne annahmen. Glücklicherweise war die Stimmung sehr entspannt und statt Vorwürfe, kam von der crew Trost, aufmunternde Worte und der eine oder andere Spruch. An dieser Stelle ein ganz grosses Merci beaucoup!!! Als Kostprobe seines Könnens drehte der Pilot mit seiner Lama beim Abflug eine halbe Pirouette vor dem gut gefüllten Esssaal der neuen Moiry Hütte und entschwand dann steil Richtung Tal. An Coolness war dieses Manöver kaum zu übertreffen. Wir traten noch am selben Abend den Rückweg Richtung Grimentz an...
Positiv bleibt mir vieles an diesem Berg in Erinnerung. Nur schon der Besuch des Biwak in unmittelbarer Nähe eines der gewaltigsten Viertausenders der Alpen hinterlässt starke Eindrücke. Der SW-Grat war über weite Strecke eine für mich sehr fordernde, exponierte aber häufig auch genussvolle Kletterei in meist solidem Fels und einer grandiosen Umgebung. Im Nachhinein muss ich mir eingestehen, dass ich die Route unterschätzt, bzw. meine momentane Verfassung überschätzt habe. Es hinterlässt einen mehr als bitteren Nachgeschmack, dass wir uns evakuieren lassen mussten. Zweifel, Scham und Schuldgefühle sind nicht so schnell aus der Welt zu schaffen. Andererseits war diese Entscheidung auch im Nachhinein unter den gegebenen Umständen richtig. Ich hoffe für alle hikrs, dass sie diese Erfahrung nie machen müssen. Zugleich sollte man sich nicht zu schade sein, in einer solchen Situation zu alarmieren. Sicher und gesund zurück vom Berg muss immer das oberste Ziel sein. In diesem Sinne wünsche ich allen hikrs ein sicheres und erlebnisreiches Ende der Sommersaison!
Tourengänger:
danski

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