Wildes Maggiatal – über den Steinbrüchen von Riveo


Publiziert von Seeger , 30. März 2013 um 12:45.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Locarnese
Tour Datum:29 März 2013
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Pizzo delle Pecore 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 708 m
Abstieg: 708 m
Strecke:5.21 km: Visletto 413m – Grèd 820m – Alvöra 706m – Tetto Genasci 515m – Riveo Pt. 391 – Visletto 413m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:FART von Locarno. Station Visletto
Zufahrt zum Ankunftspunkt:FART nach Locarno, Station Riveo Cava
Unterkunftmöglichkeiten:Einkehr: Restaurants beim Steinbruch und in Riveo
Kartennummer:1292 Maggia, alte Karte 1:50'000

Die Südwest-Flanken des Maggiatals sind sehr besonnt und früh schneefrei. So können die unteren Hänge bis 1000m auch im Winter bei guten Verhältnissen besucht werden. Manchmal mithilfe von Steigeisen. Doch am Karfreitag 2013 – in der Nordschweiz von Schnee heimgesucht – helfen die wenigen Stunden Sonnenschein den Boden aufzutauen. Dieses Schönwetter-Fenster nutzte ich, um den schon lange geplanten Besuch der ehemaligen Alpen oberhalb Visletto anzugehen.
Start in Visletto 413m bei Sonnenschein im späten Vormittag. Unvoreingenommen. Weiss nur aufgrund des Kartenstudiums, dass es „cheibä steil“ und verzwackt sein muss. Aber das was ich antreffe ist ein ABSOLUTES HIGHLIGHT und nicht allzu schwierig. Hunderte von Tritte bilden Treppen, welche sensationell dem Gelände angepasst sind.
Ich liebe sie, die uralten Treppenanlagen. Teils bemoost. Teile davon sicher älter wie 200 Jahre und dennoch in ausgezeichnetem Zustand. Mal nach links, mal nach rechts die Felswände und  -bänder ausweichend der manchmal horizontale Weg dazwischen.  Eine kleine Passage beim und im Flussbett ist bei Nässe etwas heikel. So erreiche ich in 1 ½ Stunden  Grèd 820m (T4). Ein Haus ist in gutem Zustande und wurde 1986 restauriert. Hübscher Ort hoch über dem Maggiatal mit Blick ins Val Bosco. Da lockt mich der Weg hinauf Richtung NW und siehe da: Nach etwa 50m ein ganzes Maiensäss mit etwa 5 Häusern - jetzt in pittoresken Ruinen – verschiedene Splüi unter die riesigen Gesteinsbrocken gegraben, ein Käsekeller. Diese Ruinen sind in der LK nicht wiedergegeben. In gleicher Richtung geht ein ausgeprägter Weg weiter. Ob er wohl die komplizierte Geographie der nächsten Geländekammern überlistet? Schon wieder eine neue Aufgabe!
Zurück zum schönen Haus und Mittagessen Menü 1 mit Kokosnuss-Bounties im herrlichsten Frühlingswetter auf der „Veranda“ mit Ausblick auf Cevio und ins Val Bosco. Darüber der Madone di Camedo, Pizzo Alzasca und Pizzo Sascola. Keine Unbekannten.
Was folgt, ist einem Nichtkenner der Tessiner-Wege abzuraten. Ein auf der LK 1:50‘000 von 1950 eingetragener Weg führt oberhalb des Steinbruchs von Alp zu Alp nach Riveo. Besser gesagt führte: Denn der Weg ist bis auf wenige Relikte total verschwunden und die Alpgebäude sind (bis auf eines mit Pultdach in Alvöra) zerfallen. Höhenmesser und ausgedruckte alte Karte machen es möglich, den Weg einigermassen nach zu vollziehen.
Der Weg von Grèd nach  Alvöra 706m: Von Gred führen Wegspuren vorerst horizontal zum Fluss, dann 20m vor dem struben Graben 10 hm steil nach unten, wo sich die Schlüsselstelle (T5)  befindet. Von oben nicht einsehbar öffnet sich zu Linken eine ein Meter breite Scharte. Durch diese erreiche ich eine riesengrosse, etwas exponierte Gneisplatte mit (leider) Talneigung. Mit Adhäsion kann ich einen Felssporn umrunden und angenehm ins Flussbett bei etwa 790m einsteigen. Auf der andern Seite öffnet sich ein Tälchen mit viel losem Geröll. Links eine senkrechte Felswand. Rechts eine überwachsene Rippe, auf welcher Wegspuren steil hinauf führen. Diese Rippe verfolgend erreiche ich den Wald und quere etwa 50m unterhalb des Felssporns auf ca. 900m in die Flanke hinein. Geröll- und Blockhalden wollen geschickt leicht absteigend überwunden werden bis zum Fixpunkt:  Zwei riesige Felsbrocken (sind auf der LK eingezeichnet). Unterhalb dieser liegt eine ehemalige Alp mit einer lieblichen Ebene. Nun komplett von der Natur zurückerobert.
Oberhalb der Felsbrocken weiter mit dem Ziel, den nächsten Graben bei etwa 800m zu überschreiten. Das heisst ziemlich weit oben und quasi unter der Felswand. Konstant absteigend (viel Totholz) zum nächsten Graben, welcher ich auf Höhe 740m erreiche. Nun 20m auf der NW-Seite absteigen, den Fluss überschreiten und anstrengend hinunter nach Alvöra.
Was 1950 noch als bestehende Häuser eingetragen ist, liegt alles in Ruinen. Stolze Ruinen. Eindrücklich. Meine Tagträumerei lässt die Häuser wieder auferstehen. Ich sehe die Älpler die Kühe melken, Hirtenjungen den Geissen nachjagen, la polenta grassa auf den Feuerstellen. Blühende Wiesen……D E T O N A T I O N ! Eine Sprengung im Steinbruch – gleich unter mir. Blick nach oben – doch nichts fliegt durch die Luft.
Sirene. Arbeitsschluss und verdientes  Ostern Wochenende für die Arbeiter. Ruhe.
Für mich beginnt nun der krasseste Teil meiner Tour. Immer mehr tote Bäume versperren mir den Weg, welcher ich zeitweise dank Steintreppen u.ä. , Höhenmesser und alter Landeskarte nachvollziehen kann. Ich erreiche auf Höhe 570m den nächsten Fluss, welcher  lieblich plätschernd von Wändchen zu Wasserfällen hüpft.
Hier hätte ich horizontal queren müssen!
Nach diesem Fixpunkt suche ich lange nach dem „offiziellen“ Weg der alten Landeskarte. Nun endlich gefunden führt er mich zu den Ruinen von Tetto Genasci 515m hinunter. Direkt über der Abbruchkante des Steinbruchs. In der Tiefe liegen schön aufgeschichtet die gebrochenen Steinplatten, die Gebäude, Maschinen. Toll, dass dieses  Gewerbe so gefragt ist. Ist dies der Grund der Aufgabe der mühsamen Alpbewirtschaftung hier oben?
Nach einer Eskapade steige ich wieder zum Fluss Höhe 570m hinauf, da mir die Abbruchkante etwas zu nah kommt. Querung des Flusses und leicht fallend in einen Laubwald mit noch mehr Totholz hinein. Den Einen das Athletik-Center – mir mein Tessiner-Trecking! Wie ein Pensionierter plötzlich turnen kann…
Da sehe ich die Möglichkeit, direkt zur Kantonsstrasse hinunter zu steigen. Riveo Pt. 391. Da ich mein Auto in Visletto habe, verzichte ich auf den Bus (Busstation gleich in der Nähe) und marschiere zum Restaurant, wo ich unter den vielen Bauarbeitern nicht besonders auffalle. Sehr nette Wirtsleute!
Der Strasse entlang – und natürlich wieder durch den Tunnel der alten Maggiabahn hindurch (das Kind im Manne)  – zurück nach  Visletto 413m.
Fazit: Der Besuch von Grèd ist sehr zu empfehlen und nicht sehr schwierig (T3). Der „Höhenweg“ ist nur sicheren Berggängern, ausgerüstet mit Höhenmesser (Risiko des darunter liegenden  Steinbruches) und alter Karte vorbehalten.
Ich werde Dich wieder besuchen – promesso. Wobei mich dieser Weiterweg von Grèd fasziniert.
Danke für Alles. Für die Gesundheit, die fantastischen Treppenanlagen und das Ticino Selvaggio! 

Tourengänger: Seeger
Communities: Ticino Selvaggio


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Kommentare (7)


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Regula52 hat gesagt:
Gesendet am 30. März 2013 um 14:51
Super!. Also ist sie machbar. Mit dieser Tour habe ich mich intensiv beschäftigt und sie steht auf meinem Programm. Diesmal nehme ich Deinen Tourenbericht am besten mit. Bei der Vorbereitung hat mir am meisten Sorgen der Graben von Visletto bereitet.
Was meinst Du, wie lange wird es gehen, bis alle Tessiner Wege auf hikr. beschrieben sind? Nicht mehr allzu lange, denke ich.
Vielen Dank und
Carissimi saluti

Seeger hat gesagt: RE:
Gesendet am 30. März 2013 um 15:48
Hallo Regula
Etwa 1000 Jahre und es wird immer wieder Neuentdeckungen geben ;-))
Auf jeder Rippe stand eine Alp. Und es sind doch einige....
Gruss
Andres

Regula52 hat gesagt: RE:
Gesendet am 31. März 2013 um 23:35
Ciao Andreas,
da hast Du noch viel vor, aber als Pensionierter geht das sicher alles viel schneller.
Saluti
Regula

Speleoalp hat gesagt: Danke
Gesendet am 1. April 2013 um 20:06
Hallo,
Ich habe oft danken den Swiss Deutschen, die noch reisen unsere schöne Wanderwege. Leider sind die meisten der Tessiner all die Schönheit unserer Berge verloren. Dies ist ein Beispiel, in den Wäldern oberhalb Visletto und Riveo wild und schön sind. Vielen Dank für den Bericht.
entschuldigen für die meine Deutsch
Hallo
Grüße Luca

Seeger hat gesagt: RE:Danke
Gesendet am 1. April 2013 um 20:55
Ciao Luca
Adesso ho copreso: Trovo tanti Ticinesi alla montagna :-)) E davvero: Dove vado fuori sentieri, non vedo NESSUNO. Qualche volta per due, tre giorni.
Non può comfirmare, che i Ticinesi non hanno l'amore per la montagna. C'è una generazione come te che sono molto interessato, anche in costruzione o ristrutturazione delle vecchie case delle alpi e sentieri.
Questo nuovo interesse ha iniziato al 1990.
Anche i cacciatori fanno un contribuito immense.
Voglio ringraziare qui offizialmente, che TUTTI sentieri non marcati e selvaggi sono mantenuti da loro.
Cari saluti
Andreas
P.S.: anche il mio Italiano.....

Foioi hat gesagt: Bachquerung
Gesendet am 2. April 2013 um 23:53
Andreas,
bist du sicher, dass du die einfachste Querung gefunden hast? Ich habe die Tour am 5.Mai 2012 in die gleiche Richtung unternommen und kann mich nicht an so grosse Schwierigkeiten erinnern. Viel länger konnte ich mich an den mehr als 50 Kastanienstacheln erfreuen, welche ich während der nachfolgenden Woche aus der linken Handinnenfläche herausoperieren musste. Ich war im ersten Graben ausgerutscht und stützte mich leider mit der linken Hand direkt in einer Kastanienschale ab.

Gruss

Walter

Seeger hat gesagt: RE:Bachquerung
Gesendet am 3. April 2013 um 09:50
Ciao Walter
Es rutscht offensichtlich, wenn ich an das Malheur mit den Kastanien-Dornen denke. Diese kleinen Dornen-Biestchen haben Widerhaken :-((
Ich habe mich so genau wie möglich an die in der alten LK vorgegebenen Route gehalten. Dabei ist mir aufgefallen
1.) dass im 1. Graben Wegspuren weiter oben durchführten (Wildwechsel?). Diese würden den Sporn mit der Platte obendurch umgehen. Als ich jedoch die Steinmännchen und den Korridor gesehen habe, wählte ich den Weg unten durch.
2.) dass im letzten Abschnitt der alte Weg über die Steinbruch-Kante geführt hätte... Den Rückweg erkletterte ich entlang des Bachgrabens auf der linken Seite (in Laufrichtung).
Zum T5 : Ich taxierte bewusst so, dass ein T4-Gänger weiss, worauf er sich einlässt. Wenn ich die Wertung von Giuseppe Brenna im Val Bavona anschaue (Via del Naso T6 habe ich mit T4 gewertet), war ich eher auf der riskanten Seite und strebe eine vorsichtigere Einschätzung an.
Cari saluti
Andreas
P.S.: Freue mich sehr, von Dir zu hören



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