Anfängerfehler mit Folgen am Clariden


Publiziert von alpensucht , 20. März 2013 um 15:40.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:20 August 2012
Wandern Schwierigkeit: T4- - Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GL   CH-UR   Claridengruppe   Ortstockgruppe 
Zeitbedarf: 11:00
Aufstieg: 1400 m
Abstieg: 1400 m
Strecke:Klausenpass - Tierälpligrat - Iswändli - Claridenwestgipfel - Hauptgipfel - Westgipfel - Gletschersee am Chammlijoch - Klausenpass-- ca. 10km

Familienurlaub im urigen Uri. Keiner aus meiner Familie geht Hochtouren, also verabrede ich mich mit einem Freund, der zufällig zur selben Zeit in der Nähe Urlaub macht zu einer schönen Tour auf… naja eigentlich wollten wir gern auf den gewaltigsten aller Gipfel der Zentralschweiz steigen, doch leider haben wir nur diesen einen Tag Zeit und ich finde den Tödi für unsere Zusammensetzung auch etwas zu anspruchsvoll. Also muss es etwas Kürzeres sein: die klassische Normalroute auf den Clariden vom Klausenpass aus.
 
Nach einer äußerst kurzen Nacht vor unserer Familienurlaubshütte (schönes Wetter!), fährt uns mein absolut cooler und diskussionsbereiter Vater freundlicherweise morgens um 4:30 Uhr auf den Klausenpass. Als wir ankommen, erkennen wir schon den ersten schwachen Morgenschimmer. Die Silhouette im Osten mit dem Kärpf zeichnet sich langsam deutlicher ab. Ein neuer Tag unter dem herrlichen Schweizer Himmel bricht an. 5:50 Uhr.
 
Zunächst deponieren wir einige Gepäckstücke meines Tourenpartners in einer der Felsstufen oberhalb des Passes. Irgendwie hat er so viel dabei, als wolle er eine Viertagetour durch ziehen. Im Halbdunkel fühle ich mich zunächst etwas unsicher, was die richtige Routenwahl im Zustieg zum Iswändli betrifft, weil es mehrere Wegspuren gibt. Die Wege sind zum Teil stark erodiert, ausgespült, doch erkenne ich im helleren Tageslicht das Gelände besser und besser. Die Felsstufen wirken von weitem recht schwierig zugänglich.
 
Wir kommen irgendwie noch nicht so richtig in Schwung. Ich bin mit unserem Tempo sehr unzufrieden und spüre die Müdigkeit in meinen Gliedern. Außerdem habe ich starke Blähungen, die mein Wohlbefinden stark einschränken. Genauso geht es meinem Tourenpartner. An manchen Stellen sind Wegspuren kaum noch auszumachen, doch mit Hilfe der Karte, des Höhenmessers und unseres Orientierungssinns (+Geländebeurteilung!) stoßen wir immer wieder auf Markierungen und stärker ausgetretene Wegabschnitte. Die Blähungen führen wir auf erhöhte Einnahme von (billigen) Magnesium-Brausetabletten am Abend zuvor zurück. Doch auf etwa 2800m gehen wir etwa zur selben Zeit „etwas abladen“ -- die Schmerzen sind mit einem Mal verschwunden! Nun geht es deutlich besser voran, wenn auch das Gelände nun deutlich mehr Konzentration erfordert (T4).
 
Ich kann es kaum erwarten auf den Gletscher zu gelangen. Gerade die Gletscherabschnitte sind für mich immer etwas ganz besonderes. Mein Tourenpartner ist noch Anfänger im Hochtourenbereich. Vom Abschmelzen des Iswändlis habe ich gehört, aber dennoch bin ich überaus beeindruckt über diesen ersten Abschnitt im Eis. Vor Betreten schlagen wir einen Bogen nach rechts ein, steigen auf den Felsriegel, queren die Schmelzwasserabflüsse und betreten das Eis am westlichen Rand. Die direkte Route habe ich ausgeschlossen, weil da der erste Abschnitt deutlich steiler ist (ca. 40°) und das Eis blank liegt. Zunächst gehen wir unangeseilt bis ich die ersten Spalten vor uns ausmache. Das Anlegen der Steigeisen bereitet meinem Tourenpartner etwas Probleme, weil er sich sämtliche Eisausrüstung von einem Freund geliehen und diese nicht zuvor anprobiert hat.
 
Da aber die Gletscherpassage verhältnismäßig kurz ist, bleibe ich noch sehr entspannt. Die Spalten sind leicht zu sehen, doch liegt eine trügerische Firnschicht über den Schmaleren. Wir halten direkt auf die herausragende Graterhebung (P.3…m) des Clariden-Westgrats zu. Deutlich wohler geht es mir beim Verlassen des Eises, da wir nur zu zweit sind und ein Spaltensturz fatale Folgen gehabt hätte. Der Fangstoß für eine Person wird doch recht groß, trotz der Bremsknoten und des Dynamischen Seils.
 
Der echte Hochgenuss tritt spätestens in den etwas ausgesetzten Gratpassagen ein (T4+, I), besonders in der Scharte zwischen P…. m und Gipfel. Der Gipfelaufschwung besteht dann immerhin aus deutlich soliderem Fels, der auch noch mit Ketten in den steilsten Passagen gesichert ist. Ohne Ketten wären einige schöne IIer. Wir nehmen das nicht übel, da der Clariden so auch für weniger geübte Bergfreunde zu ersteigen ist (Anfänger, bitte dennoch nicht unterschätzen! J).
 
12:30 Uhr. Am Gipfel halten wir uns etwa 30min auf. Es ist sehr warm geworden. Bei einem kurzen netten Plausch mit einem Bergführer aus dem Muothatal muss ich äußerst aufmerksam zu hören, wenn ich etwas verstehen möchte. Wir beurteilen die Witterung. Sieht noch stabil aus. Ein Gewitter kommt gegen Abend mit Sicherheit auf…
 
Beim Abstieg fällt es mir irgendwie etwas schwer die gesicherten Passagen hinab zu steigen. Ich spüre deutlich die schwindende Konzentration, was ich auf meinen Schlafmangel zurück führe. In der großen Hitze entscheiden wir uns spontan für ein Bad im Gletschersee westlich der Route. Wir gelangen dort hin ohne Eis zu berühren. Das Bad besteht aus zweimaligem, kurzem Eintauchen des ganzen Körpers (außer Kopf). Wie stark sich das anfühlt, ist schwer zu beschreiben.
 
Nun beginnt eine kleine aber erhebliche Fehlerkette.
1. Ich lasse mit mir diskutieren, wie wir weiter gehen.
2. Das Ergebnis dessen war, dass wir unangeseilt und ohne Steigeisen über den kurzen, aber  nicht ungefährlichen Gletscherabschnitt gehen. Vorsichtig sondiere ich an den überfirnten Passagen, so dass dort noch nichts passiert.
3. Am Iswändli lasse ich wieder mit mir diskutieren und bestehe nicht energisch genug auf das Anlegen der Steigeisen, bzw. auf das Umgehen der steileren, direkteren Route.
4. Mein Tourenpartner geht viel zu schnell und unkonzentriert.
5. Er setzt den Eispickel nicht gerade abstiegstauglich (bei 40°!!) sondern als „Spazierstock“    ein.
 
14:50 Uhr.
Durch unsere erhebliche Tempodifferenz befindet sich mein Tourenpartner schon ca. 50m vor mir. Ich ärgere mich noch die ganze Zeit über seinen Sturkopf und seine etwas draufgängerische Verhaltensweise, als ich plötzlich wahrnehme, dass er ins Rutschen gekommen ist. Für Sekundenbruchteile versucht er das Gleichgewicht auf beiden Füßen zu halten. Er verliert es selbstverständlich und rauscht immer schneller in die Tiefe. Er ruft, ich schreie mit aller Kraft „Pickelbremse, nimm den Eispickel!“, worauf er reagiert, dieser ihm  aber sofort aus der Hand gerissen wird. Am Ende des Eises etwa 50-80Hm unter mir gleitet seine Rutschpartie langsam aus.
 
Seine Beine sehen sicher ähnlich zerfurscht aus wie die Oberfläche des Eises, auf dem er gerade einen zunächst äußerst zeiteffektiven Abstieg vollzogen hat.
 
Er ruft, es sei alles in Ordnung, was ich ihm nicht recht glauben möchte und was mich zunächst nicht gerade beruhigt. In äußerster Aufregung und Sorge um den Freund steige ich zwar viel schneller, aber viel konzentrierter in Serpentinen ab, wobei ich die vielen Wasserfurschen als Tritte verwende und einen ordentlichen Teil meines Körpergewichts auf den vertrauten Eispickel verlagere.
Wenn ich, unten angekommen, alle meine Gedanken bezüglich des Verhaltens des Verletzten geäußert hätte, wäre er vermutlich einfach sitzen geblieben und hätte sich tief geschämt. Doch daran war zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken.
 
Ich denke an einen erschwerten Abstieg, an mein Erste-Hilfe-Set und an Desinfektion. Er meint, es sei nicht so schlimm, wie es aussehe und wolle gleich einfach weiter absteigen, weil das Verbinden der Wunden zu viel Zeit koste. Er hat nur blutende Schürfungen an den Händen und an den Schienbeinen. Den erlittenen leichten Schock überwindet er schnell. Wir säubern die Wunden etwas mit Wasser aus unseren Flaschen, Pflaster will er sich nicht drauf machen lassen, weil die Wunden so besser trocknen würden.
 
Nach ca. 20min können wir den restlichen Abstieg angehen, der sich irgendwie noch sehr in die Länge zieht. Nach über 30min seit der Fortsetzung des Abstiegs hat die Wunde am Knie/Schienbein immer noch nicht aufgehört zu bluten (nur leicht). Zum Glück werden wir unten am Pass irgendwo her Desinfektionsmittel bekommen! Von oben ist es gar nicht so leicht unser Gepäckdepot wieder zu finden.
 
16:30 Uhr. Zurück am Pass ruhen wir uns erst einmal ordentlich aus, essen ein Eis und leihen uns dann etwas Iod von einem Reisenden mit Campingmobil zur Desinfektion. Mein Tourenpartner ist gerade noch keine Stunde weg, da beginnt es zu gewittern. Das spricht allzu deutlich gegen meine Pläne, den Rückweg bis nach Spiringen über den Schächentaler Höhenweg anzugehen. Zum Glück fährt eine Angestellte in der Gastronomie am Klausenpass hinab nach Altdorf und nimmt mich mit…
 
Die Tour auf den Clariden hat sich sehr gelohnt. Das Schärhorn hätten wir auch gern bestiegen, doch war uns da die Bewertung des Normalwegs zu wenig anspruchsvoll. Nach ausgiebiger Reflexion der Fehlerkette, haben wir heute wirklich viel dazu gelernt und mussten unsere Fehler nicht zu teuer bezahlen! Alles weitere erübrigt sich wegen der Vielzahl an Berichten zum Clariden.

Tourengänger: alpensucht


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Kommentare (2)


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stefan87 hat gesagt: Vielen Dank für diesen Bericht!
Gesendet am 21. März 2013 um 09:52
Hallo Alpensucht,

deine Fehleranalyse ist sehr aufschlussreich und ermahnt mich hartneckig zu bleiben, wenn ich bei Verhaltensweisen anderer, ein schlechtes Gefühl habe, auch wenn dadurch der "Gruppenfrieden" gestört wird. (Genauso andersherum, wenn mir jemand sagt, das ich einen Fehler mache, dieses nicht einfach stur zu ignorieren.)

Wünsche Dir weiterhin erfolgreiche Touren ... aber mit Leuten, die den Sinn, in einer Gruppe unterwegs zu sein, verstanden haben.


Gruß Stefan

alpensucht hat gesagt: RE:Vielen Dank für diesen Bericht!
Gesendet am 21. März 2013 um 21:28
Danke dir. Genau was du schreibst, habe ich mir auch fest vorgenommen. Da gibts überhaupt keine Diskussionen mehr! So viel Zeit (mind. zum Steigeisen anlegen) muss sein.

Übrigens hätte ich ohne den Unfall unser Verhalten am Gletscher im Bericht wegen Gewissensbissen sicherlich nicht so genau beschrieben...


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