Ein neues Gipfelbuch für den Gamschopf (1961 m)!


Publiziert von marmotta , 3. Oktober 2011 um 22:35.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum: 3 Oktober 2011
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG   Alpstein   CH-AR 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 1250 m
Abstieg: 900 m
Strecke:Unterwasser - Laui - Mutteli - Schrenit - Gamschopf - Lauchwis - Blackentolen - Schottenloch - Säntisalp - Schwägalp, Passhöhe
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Unterwasser, Post
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Schwägalp, Passhöhe

Blickt man von Nordwesten auf den westlichen Teil der nördlichen Alpsteinkette, hebt sich ein Gipfelpaar besonders markant und unverwechselbar aus der Silhouette ab: Der Gamschopf mit seinem steilen Gipfelturm und die einzigartigen Scherenspitzen mit dem Scherenturm - zwei der wildesten Alpsteingipfel, die zunehmend in Vergessenheit geraten. Fast genau ein Jahr ist es nun her, dass ich zusammen mit dani_ den Gamschopf über den Westgrat erklettert hatte und so zum ersten Mal auch das über 30 Jahre alte Gipfelbuch in den Händen hielt, aus dem ersichtlich wird, dass dieser "Klassiker" noch in den 70er und 80er Jahren gerne und oft "gemacht" wurde, in der Neuzeit sich die Kletterer und Bergsteiger jedoch nicht mehr für diesen wilden und wunderschönen Gipfel zu interessieren scheinen. Das Gipfelbuch gibt ein Bild des Jammers ab: Komplett durchnässt und verschimmelt schmort dieses wertvolle Dokument der Alpstein-Alpingeschichte in den letzten Jahren in einer völlig verrosteten Metallschatulle und lässt aufgrund seines Zustands keine weiteren Einträge mehr zu. Hatten wir damals schon überlegt, das Gipfelbuch zum Trocknen mit hinunter und nach Hause mitzunehmen, hat der Aufruf von Delta nach seiner letzten Begehung endgültig den Ausschlag gegeben, dass ich vor dem Einwintern noch einmal auf den Gipfel steige und das Gipfelbuch austausche.
 
Während der Westgrat eine kurze und einfache, aber interessante Kletterei (II-III) bietet, sind der äusserst ausgesetzte Ostgrat mit seinen Schichtköpfen und die Ostflanke eher was für den Typ "Grasbeisser". Die Ostflanke vermittelt den leichtesten Zugang zum Gipfelkopf - bei optimaler Routenfindung kommt man mit einem oberen T5 durch. Die Schwierigkeit am Gamschopf besteht jedoch in der Unübersichtlichkeit der Ostflanke, in der mehrere Schichtstufen senkrechte und nur schwierig zu überwindende Felsriegel zwischen den steilen, aber im wesentlichen ohne grössere Schwierigkeiten begehbaren Schrofenrinnen bilden. Sowohl im Auf- als auch im Abstieg kann man leicht die Orientierung verlieren. Nicht überall kommt man einfach weiter!
 
Diesmal wollte ich auf Experimente in Gelände, wo bei jedem Schritt Gedanken an mögliche Hinterbliebene aufkommen (Zitat ossi) eigentlich verzichten, hatte ich doch eine "Mission" zu erfüllen und das vorbereitete neue Gipfelbuch unversehrt auf den Gipfel zu bringen. Doch leider kam es anders als geplant und ich musste mich sowohl in Auf- als auch Abstieg aufgrund diverser Verhauer mit einigen ziemlich heiklen Passagen auseinandersetzen…
 
Zustieg von Unterwasser auf guten Alpwegen über die Alpen Mutteli und Schrenit, bis ich den von dort zum Lauchwissattel führenden Wanderweg auf einer Höhe von ca. 1700 m verliess (ca. 1 h 45 min ab Unterwasser). Nun stieg ich über Felsblöcke und -platten entlang der leicht überhängenden Wand einer grossen Schichtstufe der Gamschopf-Ostflanke empor und deponierte an einem guten Standplatz auch bald meinen grossen Rucksack. Aus diesem zauberte ich meinen kleinen Bike-Rucksack, der auch im steilsten Gelände und beim Klettern nicht stört und packte nebst dem neuen Gipfelbuch die wichtigsten Utensilien hinein.
 
Die von mir gewählte, mehrheitlich aus bombenfesten Kalksteinplatten und Gras bestehende Rinne zieht in ordentlicher Steilheit Richtung Ostgrat hinauf. Da ich die Schwierigkeiten des Ostgrats, speziell die heiklen Querungen in der fast senkrechten Nordflanke zur Umgehung der Schichtköpfe kenne, versuchte ich frühzeitig nach Westen auf eine der Sekundärrinnen zu queren. Offenbar querte ich aber nicht weit genug (das Gelände ist dort im oberen Bereich auch nicht ganz trivial), denn ich landete schlussendlich in einer Scharte vor den zwei letzten felsigen Schichtköpfen des Ostgrats. Den ersten querte ich noch recht elegant auf guten, aber ob der herbstlichen Nässe auf der Nordseite heiklen Steinwildspuren. Beim Anblick der schaurig ausgesetzten Querung des zweiten Felszackens zitterten dann aber schon ein wenig die Knie. Aber es half ja nichts: Zurück konnte bzw. wollte ich auch nicht mehr und den Felskopf überklettern traute ich mich nicht. Also stieg ich mit höchster Konzentration auf den kaum ausgeprägten Rasentritten in der feuchten, fast senkrecht abfallenden Nordflanke zur Scharte vor dem Gipfelkopf auf. Wenn man am rechten Fuss vorbei in die Tiefe schaut, kann einem schon anders werden - für mich ein deutliches T6!
 
Der finale Aufstieg am grasigen Gipfelkopf sieht dann schlimmer aus, als er ist: Weiches Moos und Gras geben dem Bergschuh optimalen Halt, so dass der Gipfelsteinmann auf dem wenig Platz bietenden Gipfel schnell erreicht ist.
 
Ein erhabenes Gefühl, auf dieser Kanzel oben zu stehen und auf die unvergleichlichen Felstürme der Scherenspitzen und den Scherentürmen hinabzublicken! Der Gamschopf scheint übrigens -entgegen dem allgemeinen Trend- gewachsen zu sein: Hatte die LK für diesen Gipfel bislang immer eine Höhe von 1959 m verzeichnet, weist die aktuelle Online-Landeskarte nun seit neuestem eine Höhe von 1961 m aus!
 
Feierlich eröffnete ich das neue Gipfelbuch, verpackte es anschliessend wasserdicht in einem verschliessbaren Plastikbeutel und steckte es in die trostlose Metallbüchse. Vielleicht kann ja der nächste Besucher eine neue Gamelle mit raufnehmen, die diesem Gipfel und dem neuen Gipfelbuch würdig ist!?
 
Der alte verschimmelte Schinken wanderte in meinen Rucksack - mal sehen, ob der Patient noch zu retten ist…
 
Vorsichtig trat ich den Abstieg an. Nach den ersten einfacheren Metern am Gipfelkopf und im ersten Drittel der Gras-Schrofenrinnen ist noch einmal volle Konzentration gefordert. Leider gerate ich etwas zu weit westlich, die von mir gewählte Rinne hat unten keinen einfachen Ausstieg nach Osten über den Felsriegel. Nach zwei ausgesetzten Klettereinlagen (T6, II) erreiche ich dennoch sicher und glücklich einfacheres Schrofen- bzw. Plattengelände am Ausläufer der Gamschopf-Ostflanke.
 
Nach kurzem Aufstieg zum Lauchwissattel (1830 m) gönne ich mir dort nochmals eine ausgiebige Pause bei wolkenlosem Himmel und sommerlichen Temperaturen, bevor ich über den markierten Wanderweg Richtung Lutertannen absteige (T3). Dieser Weg ist vor allem im oberen Teil sehr steil und die Steine jetzt im Herbst (durch den auf der Nordseite nicht mehr trocknenden Tau) sehr rutschig! Ein Ausrutscher oder Stolperer könnte an einigen Stellen fatale Folgen haben - also vorsichtig laufen!
 
Kurz nach Blackentolen kam ich auf Höhe der von den Stöllen herabziehenden Geröllrunse auf die glorreiche Idee, über diese in Richtung Säntisalp abzukürzen, da ich zur Schwägalp wollte. Diese Abstiegsvariante kann ich überhaupt nicht  empfehlen: Das geröllgefüllte Colouir ist äusserst mühsam zu begehen - prompt liege ich nach einigen Metern auf dem Hosenboden. Ausserdem liegt überall Munitionsschrott, wäre schön, wenn das Militär die abgeschossenen Granaten irgendwann auch wieder einsammelt! Neben der Geröllrunse ist es im steilen Gras ebenfalls unangenehm, da man nicht sieht, wohin man tritt und die feuchte Erde sehr rutschig ist. Irgendwann kreuze ich einen Schafpfad, diesem folge ich, bis er sich auf einem Grashang verliert. Ab hier weglos, aber weniger mühsam als zuvor in dem Couloir, bis hinunter zu den Alphütten der Säntisalp. Bis zur Passhöhe der Schwägalp zieht sich das Asphaltsträsschen doch noch ziemlich, vielleicht hätte ich doch mehr als 1 h 15 min ab dem Lauchwissattel einkalkulieren sollen…
 
In den nächsten Tagen dürfte übrigens das gesamte Gebiet des Westlichen Alpsteins schwer bis gar nicht zugänglich sein: Das Militär hält dort immer wieder Schiessübungen ab - daher unbedingt vorgängig die Schiessanzeigen beachten!
 
Das alte Gipfelbuch (eröffnet am 07.Oktober 1979) befindet sich derzeit bei mir zuhause an einem trockenen Platz. Am liebsten würde ich den ekligen Schimmelbollen bald wieder loswerden - die Seiten werden wohl kaum je alle wieder lesbar sein. Gerne würde ich diesen dennoch wertvollen "Schatz" der SAC-Sektion St. Gallen überstellen, vielleicht will ja nächstes Jahr jemand das (hoffentlich wieder trockene) Buch wieder auf den Gipfel bringen? Kontakt gerne über PN.


Nachtrag:
 
Nachdem sich das in kritischem Zustand geborgene Gipfelbuch nach Tagen in der warmen Stube wieder etwas erholt hatte und soweit abgetrocknet war, dass die einzelnen Seiten wieder aufgeblättert werden konnten, ohne komplett zu zerreissen, erfolgte eine Bestandesaufnahme:
 
"Auswertung" Gipfelbuch:
 
             Einträge     Personen
 
1979:    3                4
1980:    2                2
1981:    6                13
1982:    5                7
1983:    10              22
1984:    8                13
1985:    1                6
1986:    4                8
1987:    8                14
1988:    6                10
1989:    3                4
1990:    1                1
1991:    2                3
1992:    0                0
1993:    1                1
1994:    3                6
1995:    0                0
1996:    1                1
1997:    0                0
1998:    2                3
1999:    2                2
2000:    1                1
2001:    2                2
2002:    2                2
2003:    1                1
2004:    0                0
2005:    0                0
2006:    1                2
2007:    0                0
2008:    4                7
2009:    1                2
2010:    2                4
2011:    3                3
 
 
Damit wird deutlich, dass sich der Gamschopf im letzten Jahrzehnt zu einem der einsamsten Alpstein-Gipfel entwickelt hat (ganze 14 Einträge in den letzten zehn Jahren!). Aber auch in den Jahren davor war nicht gerade viel los… 


  


Tourengänger: marmotta
Communities: T6, ÖV Touren


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