Aiguille de Bionnassay 4052m


Publiziert von WoPo1961 , 27. September 2010 um 13:00.

Region: Welt » Frankreich » Massif du Mont Blanc
Tour Datum:18 August 1998
Wandern Schwierigkeit: T4+ - Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Wegpunkte:
Geo-Tags: F   I 
Zeitbedarf: 2 Tage 20:00


Nach unserem  Grandes Jorrasses Abenteuer ging es nun, wie wir hofften, etwas entspannter weiter. Die Aig de Bionnassay stand auf unserm Bergsteigerspeiseplan, als Vorspeise sollte die Gonellahütte und nach dem Hauptgericht  als Dessert noch der Montblanc gereicht werden. Träume sind Schäume und dieser Traum war wie eine Riesenschaumparty. Mit dem kleinen und feinen Unterschied, das uns unterhalb der Vallot Schachtel im Schneesturm nicht nach Schaumparty zumute war. Aber jetzt nehme ich schon wieder Dinge vorweg, die überhaupt noch gar nicht an der Reihe sind. Fangen wir mit A an.
A wie Aufstieg und holen noch ein B ins Boot,
b wie be...sch...eiden langer Aufstieg....
Die Tour ließ sich sehr gemütlich an, wir zuckelten mit Hilfe einiger Pferdestärken das Val Veny hinein bis zur Cantina della Visaille (1659m). Dort war aber Endstation mit der Zuckelei und ab sofort mußten die schweren Säcke (hier sind gerade die Teilchen gemeint, die man auf dem Rücken trägt, NICHT Münsterländer Flachlandexperten!!) mit eigener Kraft geschultert werden.
Zunächst gehts weiter die Straße bzw unmittelbar direkt daneben entlang in Richtung Lago de Miage und Lago di Combal. Dieses Stück war 1998 für den normalen Autoverkehr gesperrt (wie es heute dort aussieht, weiß ich leider nicht, bin seitdem nicht wieder in dieser Gegend gewesen)
Lago di Combal, und schon haben wir auch schon das fehlende C in der Tasche,gefolgt vom D, wie Darf es noch ein wenig mehr Hüttenaufstieg sein :-))
Wir folgen den Moränenweg und begehen den schmalen Moränenkamm bis wir am Ende auf den Glacier du Miage leicht absteigen
Von dort gehts weiter den Miage Gletscher hinauf bzw was von ihm noch übrig geblieben ist. Weitgehenst ist er mit Geröll und Steinen bedeckt. Schlappe 600m sind zu bewältigen und es zieht sich doch gewaltig hin bis wir in ca 2600m in Gehrichtung linksseitig den Dome Gletscher erblicken. War es bis hier hin nicht steil, aber lang, ist es nun steil UND lang :-)
Am Fuße der Aiguille Grises führt ein Weg schräg aufwärts durch die Felsen. Trittsicherheit ist angesagt, obwohl die steilsten Stellen mit Ketten und ähnlichem Zeugs versichert sind.
Praktisch ist  auch ein Helm auf dem Bergsteigerkopp, fallen doch grad hier immer mal wieder gerne ein paar Steinchen hinab.
(immer wieder lese ich die Zeitangabe von 4 - 4,5 Stunden.... kann man gehen, muss man aber nicht. Denke, mit Hochtourenrucksack auf dem Buckel sollte eine zusätzliche Stunde eingeplant werden... wir sind ja nicht auf der Flucht!!)

Die Gonellahütte ist eine typische italienische Hütte. Nicht schön, aber praktisch und auf Grund des langen Hüttenaufstiegs auch nicht gerade überlaufen. Gemütlichkeit wird sowieso überbewertet, dafür ist ausreichend Platz zum Schlafen. Einmal nicht wie Ölsardine fühlen ist fast schon ein absoluter Luxus, wie schnell man sich über simple Dinge doch freuen kann. An das Abendessen kann ich mich nicht mehr erinnern (gab es dort vielleicht Spagetti oder andere Teigwaren?? :-))), dafür ist mir das "üppige" Frühstück noch in Erinnerung geblieben. Brauche zwar morgens gegen 02.30 Uhr kein großes Schlemmerbufett mit Lachshäppchen und Spiegeleiern von freilaufenden Hühnern. Aber in Plastikfolie eingepackter Zwieback in der Wahnsinnsmenge von 2 Stück ist dann selbst für den Frühstücksmuffel WoPo, ähm etwas unterbesetzt. Gut, das ich noch ein wenig Waffelgebäck dazu legen konnte, so war zumindest kurzfristig der knurrende Magen besänftigt. (Habe in diesem Urlaub ca 5 Kg verloren.... was nicht zu meinem Nachteil war.... sagten zumindest ganz charmant meine Berg"freunde" Reinhard und Frank).
Genug lamentiert, der Vorteil solch eines Schlemmerfrühstücks ist, wir brauchten uns nicht lange damit aufhalten und kamen dementsprechend auch zeitig los. (knurrrr)
Warum wir nun nicht den Weg durch die Felsen nahmen, ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Vielleicht, weil die meisten Seilschaften Richtung Gletscher zogen und augenscheinlich keine Seilschaft den Felsgrat bevorzugte. Kleiner Fehler, große Wirkung, wie wir in den darauffolgenden Stunden sehr anschaubar feststellen durften.
Wir zogen demzufolge von der Hütte los und nach kurzer Zeit auf den Dome Gletscher. Von dort sollte es in 3 - 4 Stunden ins Col de Aiguille Grises hinaufgehen.  Liest sich eigentlich locker und einfach, war es aber nicht. Es war sogar mit Abstand mein schwierigster Gletscheraufenthalt. Und zudem mein Längster!! Es lag auch nicht an der bekannten Münsterländerflachlandslangsamkeit!!! Nein, alle Seilschaften schneckten über wackelige Brücken, legten Sicherungen an Gletscherspalten, die mit Riesenschritten überquert oder überklettert werden mußten. Unser Gletscherpapst Reinhard testete auch gleich mal, ob die Sicherung auch wirklich hält und rutschte nicht unelegant ca 1 Meter hinein. Danach befand sich sein runtergerutschtes Herz ungefähr in der Magengegend, dafür hielt aber die Sicherung. 
Eine Stelle ist mir im oberern Teil besonders in Erinnerung geblieben. Eine ca 8-10m breite Spalte versperrte den Weiterweg. Günstigerweise hatten wohl Bergführer eine Holzleiter über diese breite Öffnung gelegt. Ungünstigerweise war diese Angelegenheit jedoch so wackelig, das günstigerweise Seilschaft für Seilschaft auf Knien zur anderen Seite krabbelte. Ungünstigerweise kostet das viel Zeit, ist dafür aber günstigerweise erfolgreich gewesen. Schlechte Haltungsnoten, nichtsdestotrotz dennoch sicher und unbeschadet drüben angekommen.  
Fast das Doppelte an Zeit benötigten wir, um ins Col de Aiguille Grises zu gelangen. Wären wir über den  Felsgrat der Aiguille Grises gegangen, so hätten wir 2-3 Stunden Zeitersparnis gehabt. Mindestens!! Schön, das man hinterher schlauer ist
Im Col de Aig Grises angekommen eröffnete uns Reinhard, das er den Gipfel der Aig du Bionnassay auslassen werde, da die Zeit schon fortgeschritten war und er nicht seinen besten Tag habe. Der Rest der Combo wollte so nah am Ziel nicht aufgeben und so stiegen Frank und ich hinüber zum Col de Bionnassay und von dort über den schmalen und verwächteten Grat zum Gipfel. Nach 12 Jahren sind Zeitangaben Schall und Rauch, so kann ich nur eine ungefähre Zeitangabe machen. Tippe, gegen ca 14.00 Uhr erreichten wir den Gipfel und hatten zwiespältigstes Gefühlsgut in uns. Schön, den Gipfel geschafft zu haben. Schade, das wir es nicht zu dritt genießen können. Toll, das wir als einzigste Seilschaft den Gipfel für uns hatten, überwältiged die Aussicht... und ziemlich blöd, das gerade diese tolle Aussicht uns zu verstehen gab: Leute, da hinten kommt eine Gewitterwolke... auf euch zu.... und zwar nicht langsam. In unseren Gehirnwindungen begann alles etwas schneller zu arbeiten und das Ergebnis lautete eindeutig: SCHEI...!!
So schnell wie Mensch sich auf einen ziemlich ausgesetzten Grat bewegen kann, ging es nun wieder hinab zum Col de Bionnassay. Die letzten 10 Minuten bekamen wir knisternde Gefühle im Nackenbereich und der Pickelschaft fühlte sich sehr merkwürdig an. Wir wollten nur noch so schnell es ging ins sichere Joch. Die ersten Blitze schlugen irgendwo in unserer Nähe ein, Donner krachte, wie er nur im Gebirge krachen kann und die letzten Minuten "rannten" wir förmlich den Grat hinunter. Im Joch angekommen schnell alles Eisenzeug in eine "Ecke" geschmissen, den Biwacksack rausgeholt, über uns gezogen und eng beeinander den Naturgewalten gegenüber ausgeharrt.
Das Gewitter zog, so schnell wie es gekommen war, auch wieder von dannen, und nach weiteren 15 Minuten konnten wir den Biwacksack  schon wieder einpacken. Das liest sich jetzt alles so locker, aber sooo locker war es nicht. Diese Gewitterminuten waren für uns schon ziemliche intensive Minuten!
Hatte sich das Gewitterproblem gerade erledigt, tauchte nun das Näxte auf: wo war Reinhard? Zu sehen war er weit und breit nicht. Neue Sorgenfalten zogen in unsere Gesichter, hoffentlich war ihm nichts passiert!! Da tauchte etwas oberhalb von uns ein kleines Männlein mit blauer Mütze auf dem Kopf auf. Nein, es war nicht Rumpelstilzchen; Reinhard hatte es sich in einem ehemaligen Freiluftbiwak bequem gemacht und einigermaßen geschützt ebenfalls das Gewitter abgewartet.
Wieder zu dritt vereint, konnte diese sehr außergewöhnliche Tour weitergehen.... und sie ging weiter!!!

Unser ursprünglicher Plan über`n Montblanc in Rtg Midi abzusteigen, war schon im Verlauf des Vormittags in den "Rundordner" geschmissen worden. Mittlerweile wollten wir nur noch zum Dome du Gouter aufsteigen und zur Gouterhütte hinunter, denn taufrisch fühlte sich keiner mehr von uns.

Kaum waren wir am Dome du Gouter angekommen, fing es auch schon an zu schneien. Viel schlimmer aber, daß innerhalb von wenigen Minuten die Sicht auf wenige Meter eingegrenzt wurde. Unglaublich, wir sahen nichts mehr! Nur ein paar Stangen waren als Orientieruengshilfen auf dem weitläufigen Plateau (heißt nicht umsonst Grand Plateau!!) in den Schnee gesteckt worden.
Keine Ahnung wie oft wir die Stangen hinunter und wieder hinauf verfolgten. Irgendwo etwas unterhalb gab es nach einer Stange kein Weiterkommen, weil keine weitere Stange mehr zu sehen war. Und nach oben hin das gleiche Malheur.
Spuren (außer unsere Eigenen) waren auch nicht mehr zu erkennen, hatte der starke Wind doch ganze Arbeit geleistet und sorgfältigst alle andren Spuren verweht.
Danke Wind, haste echt ganz toll gemacht!!
Das konnte doch wohl nicht wirklich wahr sein, dachte ich. Aber es gab in diesem Augenblick nix daran zu deuteln, das wir "mal wieder" unsere Biwaksäcke aus dem Rucksack kramen,  und es uns auf knapp 4300m schön "heimelig" machen durften.
Harte Bergsteigerstunden standen uns nun bevor. Aber nicht die Kälte , der Hunger oder der Durst waren die große Pein, sondern die Ungewißheit, WIE lange dieses Wetter jetzt anhalten würde. Ohne Übertreibung, es kamen Momente auf, wo ich mir nicht mal mehr sicher war, ob wir überhaupt heile aus diesem Dilemma kämen. So saßen wir denn einige Stunden in Rettungsdecken eingehüllt im Biwacksack, schweigend, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Mal einnicken und durchs Kältezittern wieder wach werden, mal einnicken, weil das Kältezittern grad kurz aufgehört hatte.
Irgendwann in der Nacht hörte der Sturm auf, und der Blick aus dem Biwacksack fing einen unfassbaren Sternenhimmel ein. Unfassbar aber vor allen Dingen deshalb, weil die Kräfte mittlerweile immer mehr schwanden und wir diese Sternenpracht garnicht  wirklich genießen konnten.
Irgendwann nach gefühlten 100 Stunden dämmerte es langsam, matt, müde und ausgelaugt packten wir unser Zeugs zusammen. Unseren ursprünglichen Plan noch "mal eben" hinauf auf den Gipfel des Montblanc zu latschen, gaben wir nach stolzen 20m!! auf. Viel zu kraftlos waren wir, als daß eine Spur durch den Neuschnee  hätte gezogen werden können.
Plötzlich sahen wir eine Gestalt in weiter Ferne, aus Richtung Grand Mulet kommend den Gletscher hinaufsteigen, genau auf uns zu. Besser gesagt, wir glaubten jemanden zu sehen. Unser Plan, zu warten bis er an uns vorbeikäme, damit wir seine Spur hinab hätten benutzen können, ging nicht auf. Denn niemand kam näher, niemand zog an uns vorbei. Ich weiß nicht mehr, was genau wir damals gesehen hatten, aber es war weder eine Person, noch eine Seilschaft.... und Yeti`s gab es zu dieser Zeit meines Wissens auch noch nicht am Montblanc.
Um es mal auf den Punkt zu bringen, wir waren so ziemlich im Ar... und mußten jetzt schleunigst hinunter, in tiefere und wärmere Gefilde. "Essen, Trinken und Schlafen" stand auf unserer To-Do-Liste. Langsam setzten wir uns in Bewegung, hinab in Richtung Grands Mulet Hütte. Bloß jetzt keine Fehler mehr machen, so gut es eben ging konzentriert bleiben, das sagte ich mir immer wieder.
Reinhard führte uns sicher hinunter, trotz heikler Stellen. Bei einer Querung mußten sogar Eisschrauben gesetzt werden. Normalerweise nix Besonderes, aber nach solch einer Nacht wird Eisschraubensetzen zur Qual, denn du willst ja nur noch eines, ENDLICH und nochmals endlich diese Hütte erreichen.
Nie war ich vorher bzw danach müder nach einer Tour als an jenem Vormittag, als wir dann doch noch die Grand Mulet erreichten.
Der Rest des Tages ist schnell erzählt:  Trinken, Essen und Schlafen. Genau in dieser Reihenfolge und das genau mal 2, dann war der Tag vorbei.

Nachsatz:
Nie wieder mußten wir seitdem unfreiwillig biwakieren. Und ehrlich gesagt: ich bin auch sehr froh darüber! Trotz allem, dieses Abenteuer mit diesen beiden tollen Menschen zusammen überstanden zu haben, stimmt mich auch heute noch sehr glücklich!

Tourengänger: WoPo1961


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Kommentare (2)


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Baldy und Conny hat gesagt: Günstigerweise
Gesendet am 27. September 2010 um 13:38
hast Du diese Tour gut überstanden und konntest uns das eindrücklich wiedergeben.
Gruss Angelo

WoPo1961 hat gesagt: RE:Günstigerweise
Gesendet am 27. September 2010 um 18:18
Hi Angelo, danke für deinen Kommentar. Du hattest dich ja schon darauf gefreut, aber leider brauchte ich mal wieder ein wenig länger (Flachlandexperten haben nen Hang zur Laaaangsaaaamkeeeeiiiiitt), bis der Beitrag endlich fertig war. Schön, wenn er gefällt.
LG WoPo


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