Hagenbuocha - Cilewardesdorsul - Fronerut: Entlang einer Grenze aus dem Jahr 805 (Tag 1)


Publiziert von Nik Brückner , 10. Mai 2019 um 15:57.

Region: Welt » Deutschland » Südwestliche Mittelgebirge » Odenwald
Tour Datum: 5 Mai 2019
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 850 m
Abstieg: 580 m
Strecke:24,3km

Im Jahre 805 verfügte Karl der Große den Grenzverlauf des Heppenheimer Kirchspiels. Dies ist heute noch zu sehen: In Form einer Steintafel im Nordturm von St. Peter, die etwa im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts entstanden ist. Auf ihr sind in althochdeutscher Sprache 26 Grenzpunkte festgehalten, anhand derer ich diese Grenze im Frühjahr 2019 entlangwandern wollte.

Diese Grenzpunkte entsprechen alten Orts- und Flurnamen, von denen ein Teil verschwunden ist, ein anderer sich aber bis heute erhalten hat. Allerdings zumeist nicht mehr in der Form, in der sie auf der Steinplatte stehen. Diese 1200 Jahre alten Namen mit heutigen Punkten in der Landschaft zu identifizieren, und sie dann im Gelände wiederzufinden, ist der Reiz dieses kleinen Abenteuers.


Solche Grenzgänge sind spannend, und nicht minder lehrreich. Sie brauchen aber einiges an Aufwand und Zeit - für die Vorbereitung, wie für die Wanderung selbst. Am Odenwaldlimes war ich vor einigen Jahren vier Tage lang unterwegs, neulich im Pfälzerwald entlang der Grenze des Pirminslandes von 828 zwei Tage. Die Grenze des Heppenheimer Kirchspiels von 805 ist in etwa 40 Kilometer lang, das sind etwas über 50 Wanderkilometer, daher musste ich auch sie auf zwei Tage aufteilen: Am ersten Tag vom Jochimsee am nördlichen Ortsrand von Heppenheim zur Juhöhe (das ist die Nord- und Ostgrenze des Gebiets), am zweiten Tag von der Juhöhe zurück zum Jochimsee (das ist die Ost-, Süd- und Westgrenze). Die Tour macht man am Besten mit zwei Autos, von denen man eines an das jeweilige Ziel stellt.


Der historische Hintergrund

Ein Kirchspiel also. Damit ist kein Spiel gemeint: Das Wort "Kirchspiel" bezeichnet ursprünglich einen Pfarrbezirk (Parochie), in dem die Ortschaften einer bestimmten Pfarrkirche und deren Pfarrer zugeordnet sind. Etymologisch gesprochen ist ein Kirchspiel ein Bezirk, in dem ein Pfarrer predigen und die kirchlichen Amtspflichten ausüben darf: Im Wort "Kirchspiel" steckt nicht "Spiel", sondern althochdeutsch "spël", mit der Bedeutung 'Rede, Erzählung' bzw. (im theologischen Kontext) 'Predigt'. Das Grundwort "spël" ist auch im Wort "Beispiel" enthalten, ebenso wie im englischen "gospel" < "god-spel", 'das Wort Gottes, Evangelium'.

Es ging also um ganz konkrete Rechts-, Besitz- und damit um Machtbefugnisse: Die Größe des Pfarrbezirks, damit seine Einwohnerzahl, sowie die Einkünfte, die sich daraus ergeben. Um diese zu sichern, dürfte die Abgrenzung des Kirchspiels vorgenommen worden sein, ursprünglich vermutlich irgendwann zwischen 766 und 805. Festgehalten wurde sie dann 805 in der kaiserlich-karolingischen Kanzlei in Form einer schriftlichen Urkunde - die leider nicht erhalten ist. Über die konkreten Gründe für die Niederschrift kann man nur Vermutungen anstellen: Vielleicht deuteten sich um diese Zeit Entwicklungen an, die das Gebiet der Heppenheimer Kirche bedrohten. Heppenheim hatte schon 773 durch die Schenkung seiner gesamten Mark an das Kloster Lorsch und seine Unterstellung unter das Kloster an Bedeutung eingebüßt. Um nicht den Einfluss auf Teilbereiche des Kirchspiels zu verlieren, und damit die Reduzierung der Glaubensgemeinde und der Zehnteinnahmen zu riskieren, könnte man die Kirchspielgrenzen in der Urkunde festgesetzt haben.

Leichter lässt sich eine solche Begründung für die Erstellung der Steinurkunde im dritten Viertel des 12. Jahrhundert geltend machen: Zu dieser Zeit etablierten sich im Süden die Pfalzgrafen, im Osten vergrößerten die Schenken von Erbach ihr Herrschaftsgebiet. Um keine territorialen Einbußen zu riskieren, ließ man die Steinurkunde erstellen, und berief sich dabei auf Karl den Großen als eine der höchsten Autoritäten des Mittelalters.

Dass das Heppenheimer Kirchspiel über diese gut 350 Jahre stabil geblieben ist, liegt wohl daran, dass man die Grenze mit exakter Kenntnis der Gegend an natürlichen Begrenzungen wie Bergrücken, Tälern und Bachläufen orientierte. Später aber zerfiel das Gebiet: Schon vor 1500 waren Seidenbach, Lauten-Weschnitz, Mitlechtern und Albersbach, die in der Steinurkunde genannt werden, nicht mehr Teil des Heppenheimer Kirchspiels. Weitere Orte schieden später aus.

Die Steinurkunde wurde dann trotzdem im 16. Jahrhundert noch einmal wichtig: in dem über dreißig Jahre dauernden so genannten Hemsbacher Kirchenveränderungsprozess (1573 - 1608) zwischen dem Fürstbistum Worms und der Kurpfalz. Im Zuge dieses Prozesses wurde die Grenze auch noch einmal abgeritten. Und auch heute noch folgen Gemeinde- und Gemarkungsgrenzen diesen natürlichen Linien.


Es ist im Übrigen gut möglich, dass die Heppenheimer Grenzbeschreibung gar nicht echt ist. Die ursprüngliche Urkunde von 805 ist, wie gesagt, nicht erhalten. Und so ist es denkbar, dass das Kloster Lorsch, zu dem das Heppenheimer Kirchspiel gehörte, die Steintafel im 12. Jahrhundert in Auftrag gab, um seinen bedrohten Rechts- und Besitzstand abzusichern, indem man ihn auf niemand geringeren als Karl den Großen zurückführte...


Die Inschrift

Die Grenzbeschreibung des Heppenheimer Kirchspiels befindet sich also in eine Steintafel gehauen im Nordturm von Sankt Peter in Heppenheim. Sie ist zwei Meter breit und achtzig Zentimeter hoch. Sie nennt in einem lateinischen Text 26 Grenzpunkte in althochdeutscher Form (von mir gefettet), die eine ungefähr 40 Kilometer lange Grenze markieren. Der Abstand zwischen den einzelnen Grenzpunkten liegt meist zwischen 1,2 und 1,5 km. Die Inschrift lautet (ergänzte Buchstaben in Klammern):

"HEC E(ST) T(ER)MINATIO · ISTIVS · ECCL(ESI)E · GADERO ·  RVODHARDESLOCH  · ANZEN · HA/SAL · HAGENBVOCHA · SVP(ER) MONTEM · EM[M]INESBERC · VSQ(VE) AD CI/LEW ARDESDORSVL · KECELBERC · RORE[N]SOLVN · AHVRNENECGA / VSQ(VE) · AD · ISHENBACH · A · ISHENBACH · SVP(ER) RA[Z]EN · HAGAN · A · RAZEN · HA/GAN · VSQ(VE) AD PARVV(M) · LVDEN[WISS]COZ [A] LV[D]ENWISSCOZ · VSQ(VE) · AD / MITDELECDRVN · RICHMANNESTEN · VSQ(VE) ALBENESBACH · VNA · AL/BENESBACH · HVC · ALTERA · ILLVC · F[R]ONERVT · STENNENROS ·VSQ(VE) / SCELMENEDAL · MEGEZENRVT · S[V]LZBAC · VSQ(VE) AD MEDIVM FRETV(M) / WAGENDENROR · BLVENESBVOH[E]L · HADELLENBAC · HERDENGES/RVNNO · SNELLENGIEZO · VSQ(VE) IN MEDIV(M) · WISGOZ · ET IN ME/DIETATE · WISGOZ · VSQ(VE) · AD GADEREN · HEC · T(ER)MINATIO · FACTA · E(ST) · / ANNO · DOMINICE · I(N) · CARNATIONIS · D · CCC · V · A · MAGNO · KAROLO · ROMANOR(VM) · I(M)P(ER)ATORE ·"

Man sieht: Einige Namen sind heute noch zu erkennen, Sulzbac zum Beispiel heißt heute Sulzbach, der Kecelberc Kesselberg. Ein bisschen schwieriger ist es, in dem Wort "Mitdelecdrun" das heutige Mitlechtern zu erkennen. Andere Namen sind dagegen ziemlich rätselhaft, und wollen erst einmal entschlüsselt werden: "Cilewardesdorsul" zum Beispiel, "Scelmenedal" oder "Megezenrut".  Es sind solche urtümliche Formen, die den Text der Inschrift als weitaus älter ausweisen als die Inschrift selbst, die aus dem dritten Viertel des 12. Jahrhunderts stammt.

Der Text ist allerdings nicht mehr ganz original: Da die Quelle von 805 nur in Form der Inschrift aus dem 12. Jahrhundert erhalten ist, enthält sie nicht die reinen althochdeutschen Formen von 805, es liegen einige Einflüsse aus dem 12. Jahrhundert vor.
In deutscher Übertragung, unter Beibehaltung der alten Formen der Ortsnamen (in verdeutlichender Schreibung) lautet die Grenzbeschreibung:

"Dies ist die Grenzbestimmung dieser Kirche. Gadero, Ruodhardesloch, Anzen, Hasal, Hagenbuocha über den Berg Eminesberg bis zu Cilewardesdorsul, Kecelberc, Rorensolun, Ahurnenecga bis zu Ishenbach. Von Ishenbach über Razen Hagan. Von Razen Hagan bis zum kleinen Ludenwisscoz. Von Ludenwisscoz bis zu Mitdelecdrun, Richmannesten und bis Albenesbach, von dem einen Albenesbach hierhin, vom anderen dorthin, Fronerut, Stennenros bis Scelmenedal, Megezenrut, Sulzbac bis zur Mitte des Wassers von Wagendenror, Bluenesbuohel, Hadellenbac, Herdengesrunno, Snellengiezo bis zur Mitte der Wisgoz und in der Mitte der Wisgoz bis nach Gaderen. Diese Grenzbestimmung ist im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 805 von Karl dem Großen, Kaiser der Römer, verfügt worden."

(Text und Übersetzung nach Deutsche Inschriften online.)


Literatur

Meine Wanderidee war es, wie gesagt, die Kirchspielgrenze von 805 im Gelände nachzuvollziehen. Dazu musste ich die Namen erst einmal entschlüsseln, und dann auf einer Karte wiederfinden, um sie dann im Gelände anlaufen zu können. Dabei halfen mir neben dem Eintrag in der Datenbank Deutsche Inschriften online vor allem die folgenden Texte:

  • Frhr. Schenk zu Schweinsberg, Die Grenze des Kirchspiels von Heppenheim a. d. Bergstraße, in: AHG AF 14 (1879) S. 740ff.
  • Heinrich Büttner: Heppenheim, Bergstraße und Odenwald - Von der Franken- zur Stauferzeit, in: 1200 Jahre Heppenheim, Heppenheim 1955, Bes. S. 36ff.
  • Wilhelm Metzendorf: Die Steinurkunde von St. Peter in Heppenheim (805)
     (1983). In: Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße Bd. 16 (1983) S. 27-64, bes. S. 29f. u. 35, und S. 37-51.

Weitere Literatur ist bei Metzendorf genannt. Außerdem interessant ist der Text "Das ,,Steinerne Roß" bei Hemsbach (Rhein-Neckar-Kreis), eine karolingische Grenzmarke" von Dietrich Lutz. Und der wanderfreudige  Heppenheimer Geschichtsverein war auch schon an der Kirchspielgrenze unterwegs, wie in seinem Pressespiegel nachzulesen ist.

Am detailliertesten ist der Text von Wilhelm Metzendorf, der bis dato am meisten Licht in die alten Namenformen gebracht, und damit den alten Grenzverlauf nachvollziehbar gemacht hat: Das Heppenheimer Kirchspiel grenzte demnach westlich an Lorsch, nördlich an Bensheim und östlich an Fürth und verlief dann südwestlich von Mörlenbach, Birkenau und Weinheim parallel zur Weschnitz zu seinem Ausgangspunkt zurück. Eingeschlossen waren somit die Orte Laudenbach, Hemsbach und Sulzbach und der heute zu Heppenheim gehörige Stadtteil Ober-Laudenbach. Metzendorf hat seinem Text eine Karte beigefügt, in die er die in der Steinurkunde genannten Grenzpunkte eingetragen hat. Damit ließen sich die Grenzpunkte auf einer aktuellen Wanderkarte bzw. im Gelände ganz gut wiederfinden. Ein wenig suchen musste ich hin und wieder aber doch...


Die Tour

Ich teilte meine Runde also in zwei Etappen ein: Am ersten Tag startete ich am Jochimsee am nördlichen Ortsrand von Heppenheim, und wanderte in die Gegend der Hagenbuocha, über den Emminesberc zur Cilewardesdorsul, dann weiter zum Kecelberc und über diesen zu den Rorensolun. Von dort hinunter zur Ahurnenecga und weiter bis zum Ihsenbach, von dort an der Razenhagan vorbei bis Ludenwisscoz und hinüber nach Mitdelecdrun. Von hier aus ging es hinauf zum Richmannesten, hinunter zum Albenesbach, und schließlich weiter zur Fronerut.

Alles klar?!?

Dann los! MP3-Player an,  "Wired For Madness" , das neue Album von Jordan Rudess angewählt, und auf zur  Hagenbuocha...

Aber da geht's schon los. Das Wort "hagenbuocha" gehört, zumindest auf den zweiten Blick, zu den leichter zu entschlüsselnden Wörtern auf der Heppenheimer Steintafel. Es lässt sich in die beiden Bestandteile "hagen-" und "buocha" zerlegen, wobei sich hinter "buocha" schlicht die Buche verbirgt. Althochdeutsch "Hag" bedeutet 'eingefriedetes (Land-)Stück, Einzäunung, Hecke', und in "Hecke" klingt "hag" auch noch nach. Das rührt daher, dass der Baum, der heute "Hainbuche" heißt, seit der Römerzeit dazu diente, Wehrhecken anzupflanzen: Die Hainbuchen wurden mit Äxten angehauen und umgeknickt, um sie zu undurchdringlichen Hecken zusammenwachsen zu lassen - teils zusammen mit Brombeer- oder anderen Dornensträuchern. Solche Wehrhecken wurden, je nach Gegend, "Landheeg", "Landwehr", "Wehrholz", "Knickicht" oder "Gebück" genannt - Wörter, die man heute immer wieder auf Karten lesen kann, und die an solche natürlichen Wehranlagen erinnern.

Hainbuchen heißen Buchen, weil sie - auf den ersten Blick - der Rotbuche ähneln, in anderen Merkmalen sind Hainbuchen und Buchen aber vollkommen verschieden. Ach, und noch etwas: Von dem Wort "hagenbuocha" stammt unser Adjektiv "hanebüchen". Es bedeutet 'derb, grob'  - weil das Holz der Hainbuche auffällig knorrig ist.


Mein Problem? Eine Hainbuche, oder überhaupt jedes Gewächs, das 805 mal nördlich von Heppenheim im Rheintal stand, ist längst verschwunden! Ich hatte keine Chance die in der Steinurkunde genannte Stelle wiederzufinden. Ich machte also gar nicht erst den Versuch, und wanderte die Gunderslachstraße Richtung Osten, auf den Odenwald zu, unterquerte die Bahnlinie, und wandte mich gleich bei der ersten Möglichkeit nach links, nordwärts. Ich überquerte zwei Gräben, dann wanderte ich an der Bensheimer Kleingartenanlage nach Osten, zur B3 hinüber. Mein nächstes Ziel: Der Emminesberc.

Im Gegensatz zur Hagenbuocha ist der Emminesberc leicht zu finden. Berge verschwinden nicht so leicht. Auch dieser Name lässt sich in zwei Bestandteile zerlegen: "berc" ist "Berg", klar, und hinter der Genitivform "Emmines" verbirgt sich ein Männername: "Heimwin". Der Berg hat seinen Namen bis heute erhalten, auch wenn der Männername nicht mehr deutlich erkennbar ist: Er heißt heute Hemsberg. Dieser markante Gipfel ist schon und gerade im Rheintal von weither zu sehen, und deshalb als Grenzpunkt ideal.

Auf der Steinurkunde steht: "HAGENBVOCHA · SVP(ER) MONTEM · EM[M]INESBERC", also "(von der) Hagenbuocha über den Emminesberg". Wilhelm Metzendorf argumentiert, die Grenze werde wohl kaum über den Gipfel geführt haben, sondern dem aus Richtung Lorsch kommenden heutigen Ahlenweg folgend seinen Südhang gequert haben, der 805 der Berg des Heimwin genannt worden sei. Das ist möglich, aber dann steht da immer noch "super", und ich neige dazu, das lateinische "super", 'über', wörtlich zu nehmen: "über den Emminesberg". Deshalb stieg ich auf den Gipfel des Hemsbergs hinauf. Zum Glück, denn dort oben ist's schön.


Ich überquerte die B3 und wanderte drüben einen ziemlich zugewucherten, nicht ausgeschilderten Weg hinauf, der mich in die Weinberge brachte. Links von mir verlief der Ahlenweg, zu dem ich mich weiter oben durchschlug. Vorsicht, der Ahlenweg ist in diesem Bereich ein ziemlich tief eingeschnittener Hohlweg, am Besten quert man bald nach dem letztzen haus nach links hinüber, oder weiter oben, auf einem breiten Weinbergweg.

Meine Karte log, und so konnte ich nicht, wie geplant, von Süden aufsteigen. Ich wanderte auf halber Höhe um den Hemsberg herum auf seine Westseite, wo ein ausgeschilderter Weg in weit ausschweifenden Serpentinen zum Gipfel des Hemsbergs (262m) führt.

Hier oben befindet sich der Hemsbergturm, ein 1902 erbauter Bismarckturm, der als Aussichtsturm genutzt wird. Der Turm wurde nach Plänen eines gewissen Heinrich Metzendorf errichtet - womöglich verwandt mit unserem Wilhelm Metzendorf? Der 19 Meter hohe Turm befindet sich heute im Besitz des Odenwaldklubs, der ihn an Sonn- und Feiertagen bei schönem Wetter bewirtschaftet.

Ich wurde von den Mitgliedern des Odenwaldklubs herzlich willkommen geheißen, die gerade ihr Tagwerk begannen, bestieg den Turm und besah mir die Aussicht. Besonders nach meinen beiden nächsten Zielen hielt ich Ausschau: Cilewardesdorsul und Kecelberc...

Ich stieg wieder hinunter und auf einen wunderbaren schmalen Weg auf der Südostseite des Hemsbergs ab. Ich trat in die Weinberge hinaus, hilet mich kurz links, und dann wieder rechts, um zurück auf den Ahlenweg zu gelangen. Dieser führte mich in der Folge auf dem Bergrücken Richtung Nordosten. Hier bekommt man schon ein gutes Gefühl dafür, wie die Grenze von 805 die natürlichen Gegebenheiten des Odenwalds ausnutzte: Sie dürfte genau dem Bergrücken gefolgt sein.

"SVP(ER) MONTEM ·EM[M]INESBERC · VSQ(VE) AD CILEWARDESDORSVL" heißt es auf der Heppenheimer Steintafel, also "über den Emminesberg bis zu Cilewardesdorsul". Alles klar! Nur: Was in aller Welt ist eine Cilewardesdorsul?!? Wieder hilft es weiter, das Wort erst einmal zu zerlegen. Auch dieses Mal sind es zwei Bestandteile: "Cilewardes" und "dorsul". Beginnen wir mit "dorsul": Auch das besteht aus zwei Bestandteilen, "dor" und "sul". Und schon ist das Wort gar nicht mehr so undurchsichtig: Eine "dorsul" ist nämlich eine Torsäule. Und der Typ, dem Säule, Tor, und der dahinter befindliche Grundbesitz gehörte, hieß Cileward. Ich hatte also nur Cilewards Torsäule zu suchen.

Cileward mag aus heutiger Sicht ein komischer Name sein, um 800 war er das jedoch nicht. Zwischen 766 und 831 wird der Name im Lorscher Codex, einem zwischen 1170 und 1195 in der Reichsabtei Lorsch angelegten Manuskript, das unter anderem eine Klostergeschichte und einige Rechtstexte enthält, sechs mal erwähnt. Ihm gehörte offenbar ein Grundstück hier oben, zwischen dem heutigen Zell (im Norden) und dem heutigen Hambach (im Süden). Das Tor kann man in dem Bereich vermuten, in dem ein Querweg die beiden Orte verbindet. Von der Säule ist keine Spur mehr zu finden, aber vielleicht ist sie identisch mit dem 1558 erwähnten "Langen Stein", einem Menhir, der sich ursprünglich an dieser Stelle befunden haben könnte. Ihn könnte Cileward als Torpfosten zweitgenutzt haben.


Der nächste Grenzpunkt trägt den Namen "Kecelberc".

"KECELBERC" steht in der Steinurkunde, ein Name, der unschwer mit dem heutigen Kesselberg zu identifizieren ist.

Während der Abstand der einzelnen Grenzpunkte zueinander im Schnitt zwischen 1,2 udm 1,5 Kilometern beträgt, ist der Kesselberg etwa 3,7 Kilometer von Cilewards Torsäule entfernt (je nachdem, wo sie genau gestanden hat). In diesem Gelände ist das aber kein Problem: Ich hatte gelernt, dass die Grenze von 805 soweit möglich natürlichen Gegebenheiten folgte. In diesem Bereich heißt das: dem Verlauf des Bergrückens. Das wollte auch ich tun. Ich folgte noch kurz dem Waldrand, dann wandte ich mich im Waldeck nach rechts, und wanderte auf einem Pfad in den Wald hinein. Hier orientierte ich mich immer am Verlauf des Bergrückens. Hier stehen einige der wenigen Grenzsteine, die ich (ganz im Gegensatz zu der Tour entlang der Grenze des Pirminslandes von 828) an diesem beiden Tagen vorfand. Der Weg führte mich ziemlich genau nach Osten, zunächst auf eine Schulter in etwa 370 Metern Höhe hinauf, wo sich mehrere Wege kreuzen. Geradeaus geht es hinauf auf den Eselsberg (441m), wo sich der Weg kurz verliert. Hinter dem Eselsberg stieß ich auf einen breiten Holzabfuhrweg, der in spitzem Winkel von rechts, aus Richtung Ober-Hambach, heraufkommt. Diesem folgte ich bis zu einem Bergsattel in etwa 400 Metern Höhe, wo ich wieder auf Wanderwege stieß. Die grüne Raute weist Richtung Schannenbacher Eck, das war genau meine Richtung. Ich folgte dem Weg bis zum Heiligenberg (496m), einem felsigen Gipfel etwas abseits des Weges, den ich erstieg, was aber ohne Erkenntnis blieb.

Schenk zu Schweinsberg hat in seinem Text "Die Grenze des Kirchspiels von Heppenheim a. d. Bergstraße" von 1879 "KECELBERC"  auf den heutigen Heiligenberg bezogen. Warum, das geht aus seinem Text nicht hervor, und auch im Gelände ist das nicht nachvollziehbar. Ich musste also auf den Kesselberg hinauf.

Ein Stück südöstlich unterhalb des Heiligenbergs steht ein Schutzhüttl, kurz danach führt ein weitgehend zugewachsener Weg rechts hinauf Richtung Kesselberg. Dieser verliert sich bald, und so stieg ich weglos hinauf zum nächsten Grenzpunkt: den felsübersäten Gipfel des Kesselbergs (531m).

Ganz klar: Das ist ein Grenzberg. Der höchste weit und breit. Nicht, wie der Heiligenberg, bloß eine bessere Schulter eines prominenteren Gipfels. "KECELBERC" steht in der Steinurkunde, und man kann ihr das ruhig glauben.

Ich stieg ostwärts durch den Wald ab, immer dem Bergrücken folgend, und stieß bald auf die geteerte Forststraße, die von Ober-Hambach nach Schannenbach hinaufführt. Dieser folgte ich nun bis zum nächsten Grenzpunkt.

Naja, eigentlich stiefelte ich, sobald sich links der Straße freies Gelände auftut, ziemlich viel nördlich des Bergrückens herum, um sicherzugehen, dass ich den alten Grenzverlauf nicht verpasste. Der nächste Grenzpunkt heißt nämlich "RORESOLVN", mit ergänztem "N" heißt das "Rorensolun", und das ist gar kein Punkt: "solun" ist die Mehrzahlform des althochdeutschen Pendants zum heutigen Wort "Suhle", und "roren" ist ein Adjektiv zu "ror", das 'Schilfrohr' bedeutet. "Rorensolun" sind also schilfene, das heißt, mit Schilf bestandene Suhlen.

Noch heute befinden sich bei Schannenbach Sumpfgebiete, die unter dem Namen "Schannenbacher Moor" unter Naturschutz stehen. Diese befinden sich allerdings nördlich des Bergrückens, weshalb ich in diesem Bereich auch die Forststraße verließ, um mich dort umzusehen. Allerdings befanden sich früher auch auf dem Bergrücken selbst sumpfige Stellen: Wilhelm Metzendorf berichtet noch 1983: "Etwa 100m westlich des ersten Hauses von Schannenbach, nahe dem 'Abgeschlagenen Stein', hebt sich eine Stelle mit über 2 m hohem Schilf noch heute deutlich von ihrer Umgebung ab."

Von dieser Stelle ist heute nichts mehr zu sehen, ganz abgesehen davon, dass ich nicht wusste, welches Haus 1983 das erste in Schannenbach gewesen sein mag. Aber den Abgeschlagenen Stein entdeckte ich: An der Einfahrt zum Wanderparkplatz am Schannenbacher Eck (540m) befindet er sich, gut erkennbar an einem Wieseneck, auf ihm die Aufschrift "Aom aobg'schlaogene Stao" (540m). Wilder Dialekt hier...

Am Besten folgt man also nach dem Kesselberg einfach der Forststraße, bis man zum Abgeschlagenen Stein gelangt. Die Grenze von 805 dürfte genau hier verlaufen sein.


Ich folgte nun dem höchstmöglichen Waldweg am Krehberg (Markierung 1, 4), der vom Wanderparkplatz aus ziemlich genau nach Osten führt, um auch im weiteren Verlauf möglichst nahe am Bergrücken zu bleiben. In der Nähe von Pt. 560m stieg ich dann nach Süden hinunter zum Waldrand.

"AHVRNENECGA" heißt der nächste Grenzpunkt, also "Ahurnenecga". Wieder ein zweiteiliges Wort: "ecga" ist die Ecke, so weit, so gut. Und "ahurnen" ist eine Adjektivbildung zu "ahurn", das ist natürlich der Ahorn. Ich musste also nach einer mit Ahornbäumen bestandenen Ecke Ausschau halten. Und tatsächlich gibt es zwischen den beiden Orten Seidenbuch und Seidenbach (hoffentlich verwechseln die Einwohner das nie) eine Stelle, die noch heute den Namen "Auf dem Eck" (448m) trägt. Jetzt ist der Bereich freigerodet, wer aber die Augen offenhält, kann oberhalb am Waldrand immer noch jene Ahornbäume entdecken, von denen die mittelalterliche Steintafel in Heppenheim berichtet.

Die Grenze kehrt hier scharf nach Westen - vielleicht der Grund für den Namen "Ecke"?


"AHVRNENECGA VSQ(VE) · AD · ISHENBACH" steht auf der Steintafel, also "(von der) Ahurnenecga bis zum Ishenbach". Da die Anfangsbuchstaben des Namens ineinandergeschrieben sind, lässt sich statt "Ishenbach" auch "Sihenbach" lesen. Darin verbirgt sich das Wort "sîhen", das 'tropfen, tröpfelnd fließen, sickern' bedeutet. Das heutige Wort "Seihe(r)" geht darauf zurück. Gemeint ist also ein Bach, der nur schwach sickerte oder floß.

Zweifelsfrei lässt es sich nicht bestimmen, aber der weitere Grenzverlauf und das Wort "Ecke" legen nahe, dass es sich bei dem Sihenbach um den heutigen Seidenbach handeln könnte. Allerdings ist dieser Name in den alten Quellen immer mit einem -d- belegt, nie mit einem -h-, und selbst der wilde Dialekt hier oben (s. o.) kann aus einem h kein d machen.


Ich wanderte dennoch auf der schmalen Teerstraße hinunter in den winzigen Ort Seidenbach (360m). Hier nahm ich die erstbeste Möglichkeit aus dem Ort hinaus und folgte einer alten Route etwas oberhalb der K53. Dieser Weg führt aber bald zur Straße hinunter, in einem Bereich, in dem der Bergrücken auffällig schmal ist. Ich folgte der K53 ein kurzes Stück bis zu einer Haarnadelkurve. Etwas unterhalb verlaufen im Wald einige alte Hohlwege. Einer davon führte mich direkt hinunter zum Waldrand, wo ich wieder auf meinem, hier wieder deutlicher erkennbaren, Bergrücken landete. Ein Schlild wies in meine Richtung: Weg Nummer 2, bzw. umgedrehtes T. Grobe Richtung: Fürth.

Nächster Grenzpunkt: "RAZEN · HAGAN", "Razen Hagan". Das hatten wir schon: Althochdeutsch "Hag" bedeutet 'eingefriedetes (Land-)Stück, Einzäunung, Hecke', und bezeichnete Hecken, oder gar Wehrhecken. Diese hier dürfte ein Gelände begrenzt haben, das einem Razo gehörte. Und wieder stand ich vor dem gleichen Problem: Eine Hecke von 805 ist mittlerweile natürlich spurlos verschwunden. Wilhelm Metzendorf nimmt an, dass sich Razos Hecke in der Nähe des heutigen Katzenbergs (263m) befunden haben könnte, und unmöglich ist das nicht. Aber der Hügel ist selbst heute, im freien Ackergelände, kaum auszumachen, und beim Wandern fragt man sich, ob nicht auch die Punkte 258m und 252m, südlich des Katzenbergs, als Grenzpunkte in Frage kommen. Immerhin stehen die Namen "Razen Hagan" und "Katzenberg" nicht wirklich in irgendeinem Zusammenhang miteinander.

Der Weg führt ein Stück westlich des Katzenbergs nach Süden in eine Dell hinunter, wo ein mit einer gelben 2 bezeichneter Weg quert. Diesem folgte ich nun nach rechts, hinauf zu einem großen Hof, dort nach links, und in einem Rechtsbogen hinunter nach Lauten-Weschnitz (193m), einem kleinen Ort am Zusammenfluss von Seidenbach und Lörzenbach.

Auf der Heppenheimer Steintafel heißt der Ort "Ludenwisscoz": "A · RAZEN · HAGAN · VSQ(VE) AD PARVV(M) · LVDEN[WISS]COZ", also "Von Razen Hagan bis zum kleinen Ludenwisscoz", oder auch "Von Razen Hagan bis nach Klein-Ludenwisscoz" oder "Von Razen Hagan bis zur kleinen Ludenwisscoz". Es könnte sich also um das kleine Ludenwisscoz handeln, Klein-Ludenwisscoz (im eventuellen Gegensatz zu Groß-Ludenwisscoz, das es aber nicht gibt), oder um die kleine Ludenwisscoz, also den kleinen Bach Ludenwisscoz.

Meine Herrn.

Also: Mit der Ludenwisscoz ist die laute Weschnitz gemeint, ein lauter, rauschender Bach namens Weschnitz. Das Bestimmungswort "lud-" dient offenbar dazu, die laute Weschnitz von der anderen Weschnitz zu unterscheiden. Welcher der beiden Bäche damit gemeint gewesen sein könnte, ist aber schwer zu sagen: Der Lörzenbach hat im Bereich des heutigen Orts Lauten-Weschnitz nur ein geringes Gefälle, und der Seidenbach, der von Seidenbach herunterkommt, heißt nun einmal Seidenbach und damit im Mittelalter (vermutlich, s. o.) "Sihenbach". Dass dieser Bach zwei verschiedene Namen trug, ist denkbar, das kommt schon mal vor. Eher aber ist zu vermuten, dass der Ort am Zusammenfluss von Seidenbach und Lörzenbach damals schon existiert hat, und womöglich den älteren Namen "Ludenwisscoz" des damals schon "Sihenbach" genannten Gewässers bewahrte. Warum das lateinische "parvum", also "klein", hinzugesetzt wurde, ist ebenfalls unklar.

Wie dem auch sei: Ich war am richtigen Ort, immerhin lässt sich der Name "Ludenwisscoz"
zweifelsfrei mit dem heutigen Lauten-Weschnitz identifizieren - auch wenn nicht klar wird, woher der Name kommt.


In Lauten-Weschnitz stieß ich auf ein Schild, das stolz verkündete: "805 - 2005. 1200 Jahre". Die Menschen hier wissen also um die Erwähnung ihres Heimatorts auf der Heppenheimer Steinurkunde. Ich war also tatsächlich richtig.

Die Urkunde fährt fort: "[A] LV[D]ENWISSCOZ · VSQ(VE) · AD MITDELECDRVN", also "Von Ludenwisscoz bis Mitdelecdrun", und so seltsam der Name "Mitdelecdrun" auch erscheinen mag, man wird mit der Nase drauf gestoßen: Der unmittelbar an Lauten-Weschnitz angrenzende Ort heißt nämlich "Mitlechtern", was unschwierig mit "Mitdelecdrun" zu identifizieren ist. Zu deuten ist der Name allerdings nicht. Vielleicht liegt ein keltisches "lekto" zugrunde, das 'feucht' bedeutet. Man denke an das Wort "Lache" oder an das französische "lac".

Metzendorf schreibt nun: "Die Grenze verläuft von Lauten-Weschnitz nach Mitlechtern nicht am Scheuerbach, sondern etwa 400 m südlich auf der das Tal begrenzenden Kammhöhe auf den Grenzpunkt Richmannesten zu." Seine Begründung für diese Annahme lautet: "Entsprechend der Tendenz früherer Grenzziehungen, natürliche Merkmale zu benutzen, dürfte sie schon von jeher so bestanden haben". Von diesen Sätzen verführt, versuchte ich, auf den Bergrücken südöstlich von Mitlechtern zu gelangen, was gar nicht so einfach ist, da einem im Osten ein Handwerksbetrieb den Zugang versperrt. Ich musste also über die Wiese, mit ordentlich Anlauf über den Bach springen, und mir drüben umständlich einen Zugang zum Bergrücken suchen. Nur, um festzustellen, dass ich Metzendorf s Meinung hier nicht folgen würde: Seine Begründung dafür, die Grenze auf dem Bergrücken zu vermuten, ist recht dünn, zum einen weil als natürliches Merkmal nicht nur der Bergrücken südöstlich von Mitlechtern in Frage kommt, sondern eben jedes natürliche Merkmal - insbesondere der Bach. Zudem heißt es auf der Steintafel recht unzweideutig "[A] LV[D]ENWISSCOZ · VSQ(VE) · AD / MITDELECDRVN", also "Von Ludenwisscoz bis Mitdelecdrun". Und der Bergrücken befindet sich 400 - 50  0 Meter von Mitlechtern entfernt. Der Bach dagegen verläuft direkt von Lauten-Weschnitz nach Mitlechtern (also, eigentlich fließt er in die Gegenrichtung). Außerdem hätte die Grenze, um den Bergrücken "mitnehmen" zu können, bei Lauten-Weschnitz nach Sü  dosten, und zum nächsten Punkt, dem Richmannesten, wieder nach Nordwesten springen müssen. Der Bach dagegen verläuft direkt zwischen Mitlechtern und Lauten-Weschnitz, und berührt dabei in Mitlechtern einen anderen Bergrücken, der zwischen diesem Ort und Wald-Erlenbach ziemlich genau nach Süden verläuft. Ich meine also, dass man der Grenze von 805 am nächsten kommt, wenn man zwischen Lauten-Weschnitz und Mitlechtern der Straße folgt, Mitlechtern durchquert, und dann auf der Alzenauer Straße ebendiesen Bergrücken hinaufwandert.

Ich habe das, wie gesagt, anders gemacht, bin dann aber südlich von Mitlechtern auf den Bergrücken zwischen diesem Ort und Wald-Erlenbach hinübergewechselt. Mein nächstes Ziel: Der Richmannesten.
  
Das Wort bedeutet "Stein des Richmann". Und der ist schwer zu identifizieren, weil hier im Wald unzählige Steine herumliegen. Am höchsten Punkt des Bergrückens aber, dort, wo heute unweit des Hofes Alzenau eine Rasthütte steht, in der an Wochenenden Würstchen gebraten werden, findet sich zwischen für die Gäste aufgestellten Tischen und Bänken, eine kleine, aber markante Felsgruppe (325m). Solche Felsgruppen gibt es hier zwar einige, aber diese befindet sich eben am höchsten Punkt. Damit dürfte sie sich als Grenzpunkt geradezu angeboten haben. Und wer weiß, vielleicht gehörte die heutige Alzenau vor 1200 Jahren dem Richmann...

Die Steintafel nennt als nächsten Grenzpunkt "Albenesbach" und spezifiziert: "VSQ(VE) ALBENESBACH · VNA · ALBENESBACH · HVC · ALTERA · ILLVC", das heißt: "von dem einen Albenesbach hierhin, vom anderen dorthin". Albenesbach ist leicht mit dem heutigen Albersbach zu identifizieren, allerdings wieder mit der Frage, ob damit der Bach oder die Siedlung an diesem Bach gemeint war. Für den Bach spricht die Verwendung des Femininums. Außerdem fließen hier tatsächlich zwei Bäche zusammen, der eine, und der andere Albersbach.
  
  
Ich wanderte von Alzenau nach Süden. Das schmale Sträßchen führte mich durch einige Kurven, und dann einen Höhenrücken nordöstlich des Ortes entlang. Bei der ersten Möglichkeit stieg ich zu den Häusern hinunter. Hier fließt ein Bach, der sich am Südende des Ortes mit dem heutigen Albersbach vereint: Ich wanderte also von dem einen Albenesbach hierhin (nach Süden), und vom anderen dorthin (nach Westen). Der Kreiswaldstraße (K8) folgend, gelangte ich etwa einen halben Kilometer westlich der letzten Häuser Albersbachs an den Kreiswaldstausee (298m). Auf dessen Südseite umwanderte ich den See, dahinter folgte ich weiter dem Lauf des Albersbachs. Dieser entspringt auf einer Wiese westlich vom Hof Kreiswald, wo sich der Weg verliert. Wandert man links die Wiese hinauf, stößt man aber bald wieder auf einen Wanderweg, der hinauf zum Hof Frauenhecke (338m) führt.   

Der nächste Grenzpunkt heißt "F[R]ONERVT", also "Fronerut". "Rut" bedeutet 'Rodung', althochdeutsch "frono" bedeutet 'Herr'. Dieses Wort ist im heutigen "Fronleichnam" noch erhalten: 'Leichnam des Herrn'. Die Fronerut ist also eine Rodung, die einem Herrn gehörte, vielleicht dem damaligen Grafen der Mark Heppenheim. Dieser Grenzpunkt wird gemeinhin mit dem heutigen Hof Frauenhecke identifiziert. Vermutlich war die Rodung aber relativ groß, vielleicht hat sie auch den Bereich der heutigen Juhöhe mit eingeschlossen. Das wäre denkbar, weil dort die Grenze deutlich nach Süden abknickt. Die Frauenhecke, die Hecke des Herrn, könnte in diesem Fall die Grenze des gerodeten Gebiets gewesen sein.

Wie dem auch sei: Wer vom Hof Frauenhecke zur Juhöhe wandert, ist auf jeden Fall wieder auf der Kirchspielgrenze unterwegs: Der Weg führt genau über den Höhenrücken.


Und so endete meine erste Etappe entlang der Heppenheimer Kirchspielgrenze von 805 hier, am Wanderparkplatz Frauenhecke (361m), auf der Juhöhe.


Lang war's, insbesondere wegen der Suchereien im Gelände. Ich habe Euch die auf meiner Karte erspart, dort ist nur die Route eingetragen, die sich aus meinen Erkundungen als die heraustellte, die dem vermutlichen Grenzverlauf am nächsten kommt, und dabei gleichzeitig bequem zu bewandern ist. Würde mich freuen, wenn ihr die Wanderung mal nachvollzieht, und mir davon berichtet - und mir bei dieser Gelegenheit sagt, ob Ihr meine Interpretation nachvollziehbar findet, oder hier und da anderer Meinung seid.

Und Teil zwei der Tour? Folgte natürlich gleich am nächsten Tag! Vom Stennenros über Herdengesrunno zur Anzen Hasal...

Tourengänger: Nik Brückner


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Kommentare (4)


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PStraub hat gesagt: Danke ..
Gesendet am 11. Mai 2019 um 11:06
.. für diesen Text!
Ich wünschte, mehr Leute hätten ein Gespür für Geschichte ..

Die Hainbuche (Carpinus betulus) heisst in der Schweiz bis heute Hagebuche. Ihr Holz gilt als hart und zäh, was sich im Lied widerspiegelt:
"Wenn eine tannigi Hose hät und hagebuechig Strümpf,
so chan er tanze wien er will, es git em keine Rümpf .."

Nik Brückner hat gesagt: RE:Danke ..
Gesendet am 12. Mai 2019 um 09:33
Servus P!

Freut mich, dass Dir der Bericht gefällt! Das Lied mit dem Rümpf kenne ich sogar - Mensch, da hab ich schon ewig nicht mehr dran gedacht. Danke dafür. Stimmt! Das ist das gleiche Wort!

Gruß,

Nik

hannes80 hat gesagt:
Gesendet am 11. Mai 2019 um 19:54
Und wieder ein neuer Höhepunkt in Sachen "Originelle Berichte" von dir... Diesmal mit echter historischer Tiefe und in unglaublichen 4629 Wörtern! Respekt.

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 12. Mai 2019 um 09:39
Grüß Dich, Hannes!

Wow, danke, das freut mich sehr. Tja, die anzahl der Wörter erschreckt mich etwas - aber ich kann nun mal meinen Mund nicht halten... ;o}

Gruß,

Nik


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