Berner Altstadtwanderung


Publiziert von ABoehlen , 17. April 2009 um 11:34.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Bern Mittelland
Tour Datum:13 April 2009
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 5:00
Strecke:Kreuz und quer durch Bern's Altstadt sowie entlang der Aare über Worblaufen nach Unterzollikofen, 12 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Bern
Zufahrt zum Ankunftspunkt:S9 nach cff logo Unterzollikofen
Unterkunftmöglichkeiten:In Bern jede Menge. Vis à vis der Station Unterzollikofen ist das Hotel des "Bären" nach wie vor offen, nachdem das Restaurant kürzlich schliessen musste.
Kartennummer:LK1166 Bern

Seit 1983 ist die Berner Altstadt Teil des UNESCO-Welterbes und dies zu Recht. Die prächtigen Sandsteinhäuser mit ihren Lauben und verwinkelten Dachlandschaften begeistern immer wieder von neuem. Höchste Zeit also, die Stadt auch auf hikr.org im Rahmen einer Stadtwanderung vorzustellen.

Das typischste an der Berner Altstadt, die Lauben, nimmt der Wanderer wohl als erstes wahr, wenn er aus dem Untergrund des Bahnhofes in die Neuengasse oder Spitalgasse einbiegt. Ihre Charakteristik bringt der bekannte Berner Schriftsteller Klaus Schädelin (Mein Name ist Eugen) so auf den Punkt:

"Ich komme an und bin am Schärme und bleibe am Schärme, bis ich daheim bin."

Und wie sich das Leben in früheren Zeiten unter den Lauben abspielte, erfahren wir in diesen Zeilen von Wilhelm König, alias Dr. Bäri, verfasst im 19. Jahrhundert:

"D's Läbe het sich überhaupt meh vorusse abspielt. D'Lüt sy no nid e so "verbybäägelet" gsi. D'Spängler hei sogar ihre Amboos vorusse gha und hei under de Loubeböge ihres Handwärk usgüebt. Der Seiler o. I ha sälber, dänket Ech, der Schaagi Schäär no uf em Weisehuusplatz gseh seile. D'Buechbinder hei ihri Stei wo sie d'Büecher druffe chlopfe o under de Loubeböge z'stah gha. Ja i ha sogar ufem Grabe bir Rytschuel no gseh rasiere. D'Becke thüe übrigens ja hüt no, am Morge früech theilwys, i der Loube usse arbeite."

Auch wenn heute kaum noch jemand in den Lauben arbeitet, so herrscht doch meist immer noch reger Betrieb mit Touristen und Einheimischen, die ihren Einkäufen nachgehen. An diesem Ostermontags-Vormittag jedoch, sind viele Lauben noch wie ausgestorben, während wir stadtabwärts schlendern.

Unsere Wanderung beginnt am Bahnhof und somit im "Roten Farbquartier". Die Einteilung der Stadt in 5 Farbquartiere, welche die seit 1294 bestehenden Vennerviertel ablöste, wurde durch die Franzosen eingeführt, die zwischen 1798 und 1803 in Bern die Oberherrschaft führten. Weitere Details sind in den entsprechenden Bildlegenden vermerkt.

Durch stille Seitengassen wie die Brunngasse und die Postgasse gelangen wir in den steilen Nydeggstalden, der an die Aare hinunterführt. An der Ecke rechts gibt es dort eine wenig bekannte Kuriosität zu bestaunen: Das Haus mit dem Einschuss einer Kanonenkugel. Dazu erzählt Klaus Schädelin in seinem letzten Interview 1987, kurz vor seinem Tod:

"Wir hatten einmal einen eintägigen Krieg, den Stäcklikrieg, und da fiel ein Kanonenschuss. Er hat aus einem Haus in der untersten Stadt eine Ecke herausgeschlagen. Es entstand ein Loch. Als das Haus abgebrochen wurde, packte man das Loch in eine Kiste, und später hat man es wieder ins neue Haus eingebaut."

Schädelin hat die Vorkommnisse prinzipiell richtig wiedergegeben, auch wenn teilweise in der Literatur von einer Nachbildung gesprochen wird, so z.B. im bemerkenswerten Bildband "Bern einst und heute" von Mario Marti, wo zu lesen ist: "Den Schaden aus dem Stecklikrieg hat man am Neubau sorgfältig nachgebildet." Vorsichtiger in der Beurteilung ist da der Architekturhistoriker Dieter Schnell, der im "Bund" vom 23. August 2010 gesteht, nicht mit Sicherheit zu wissen, ob die Steine und das Loch echt seien, aber: "Ich vermute [...], dass es sich um die Originalsteine handelt". Reaktionen auf den hochinteressanten Bericht liessen nicht lange auf sich warten, denn bereits 2 Tage später folgte ein kleiner Ergänzungsbericht, in dem der Berner Architekt Paul Kaltenrieder bestätigt, dass das Loch tatsächlich echt ist. Sein Bürovorgänger, der Architekt Hans Weiss, habe nämlich die Pläne des betreffenden Neubaus angefertigt. Und quasi als Bestätigung wird auch der heute über 90-jährige damalige Projektleiter Ernst Fahrer erwähnt, der sich noch gut an die damaligen Vorkommnisse erinnern kann. So wurde das "Näggi" (berndeutsch für "Delle") sorgfältig eingemessen und die betroffenen Steine als Ganzes entfernt und in einem Werkhof zwischengelagert (natürlich nicht in einer Kiste, wie sich Schädelin äusserte). Und beim Bau des neuen Gebäudes wurden die Steine wieder genau auf derselben Höhe eingesetzt, damit nicht nur die Lage stimmt (die Gebäudeecke des neuen Hauses ist lagegleich mit jener des ursprünglichen Gebäudes), sondern auch die Höhe!

Und wenn wir schon bei den Kuriositäten sind, so lohnt es sich, gleich gegenüber am Eingang der Mattenenge einen Blick in den Schaukasten des "Matteänglisch-Clubs" zu werfen. Der vor 50 Jahren gegründete, 350 Mitglieder zählende Verein hat den Zweck , die "besonderen mundartlichen Belange" im Mattequartier zu würdigen, wie unlängst in einem ganzseitigen Bericht im "Bund" zu lesen war. "Iiterche ine Itteme-Inglische idere?" (Chöit dr no Matteänglisch rede?) wurde dort gefragt.

So amüsant geht es in der Matte leider nicht immer zu und her. Die verheerenden Hochwasser von 1999 und 2005, die riesige Schäden anrichteten, sind noch in bester Erinnerung und niemand weiss, wann die Aare erneut zuschlägt...

Durch den Bubenbergrain geht es zurück in den erhöhten Teil der Altstadt und vorbei am Kunstmuseum verlassen wir sie über die Lorrainebrücke, eine der zahlreichen Hochbrücken Berns. Bei der Gewerbeschule steigen wir auf einem Treppenweg an die Aare hinunter und folgen dem Uferweg flussabwärts. Dabei kommen wir unter dem 1941 erbauten, 4-spurigen Lorrainehaldenviadukt der SBB hindurch, welcher die parallel zur Lorrainebrücke verlaufende "Rote Brücke" ersetzte, die danach abgebrochen wurde.

Wenig später passieren wir das Stauwehr Engehalde, welches einen Teil des Aarewassers durch einen 470 Meter langen Stollen dem Kraftwerk Felsenau zuleitet. Dies ist nur deshalb möglich, weil die Aare auf den nächsten 9 km ihres Weges in zahlreichen Windungen durch einen tief eingefressenen Graben fliesst und schlussendlich in nur rund 500 Metern Distanz vorbeifliesst, mittlerweile allerdings gut 10 Höhenmeter tiefer.

Diese 9 km Flusslandschaft, oft im Wald verlaufend und mit zahlreichen Kiesbänken, gehören zu den schönsten Aarestrecken und trotz unmittelbarer Nähe von Stadt, Autobahndreieck, S-Bahn- und Intercitylinie ist es erstaunlich ruhig hier. Entsprechend ist es ein von vielen geschätztes Naherholungsgebiet und an einem sonnigen Tag wie diesem wird am Flussufer gegrillt und "g'sünnelet". Ein paar ganze Verwegene lassen sich sogar zu einem "Aareschwumm" hinreissen und dies bei gerade mal 9 Grad Wassertemperatur!

In Worblaufen, einem seit alters her bedeutenden Gewerbeort, fliesst die Worble in die Aare und bildet dabei einen kleinen Wasserfall (einen "Laufen", wie man das früher nannte). Hier unterqueren wir den Viadukt des RBS und der Hauptstrasse und folgen weiter der Aare in Richtung Zollikofen. Zahlreiche kleine Bäche sprudeln auf dieser Strecke die Steilhänge hinunter und Informationstafeln klären einem über die Pflanzen auf, die hier gedeihen.

Am nördlichsten Punkt der Aareschleife liegt Reichenbach, ein Ortsteil von Zollikofen. Wir verlassen hier die Aare und folgen ein Stück dem Chräbsbach, der in diesem untersten Teil wie ein Bergbach aussieht, und steigen schliesslich auf der Reichenbachstrasse sehr steil hinauf nach Zollikofen, wo diese sehr interessante Wanderung ihr Ende findet.

Wer mehr über die Altstadt von Bern erfahren will und sich interessiert, wie es dort früher aussah, dem sind folgende Bücher empfohlen, die ich für diesen Bericht als Quelle beigezogen habe. Insbesondere der Gruss aus Bern besticht durch seine seltenen Bilder der Altstadtgassen, wie sie sich vor 100 bis 150 Jahren präsentiert haben. Hier sieht man auf einen Blick, dass grosse Teile der so genannten Altstadt gar nicht so alt sind, da genau wie am Nydeggstalden ganze baufällig gewordene Häuserzeilen abgebrochen und durch Neubauten ersetzt wurden, wobei für diese selbstverständlich auch Sandstein als Baumaterial verwendet wurde.

Berner Album
Büchler-Verlag, Wabern 1970

Gruss aus Bern
Benteli Verlag, Bern 1970

Bern,
aus der Schriftreihe "Die 23 Kantone der Schweiz"
Rentenanstalt, Zürich 1988

Bern einst und heute
Weltbild Verlag, Olten 2005

Verfasst am 17.04.2009 mit einzelnen Nachträgen vom 20.10.2010

Tourengänger: ABoehlen, Stini
Communities: Citytrip


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