Sechs mal ex im Erzgebirge


Publiziert von lainari , 1. Mai 2017 um 21:37.

Region: Welt » Tschechien » Krušné hory
Tour Datum:26 März 2017
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Zeitbedarf: 5:30
Aufstieg: 290 m
Abstieg: 290 m
Strecke:20,5 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis Wegdreieck an der Straße Nové Město - Dlouhá Louka/Český Jiřetín
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 6 Krušné hory - Teplicko

Verschwunden: Matzdorf, Battlecke, Grünwald, Chaluppengut, Ullersdorf-Grünwalder Haide und Ullersdorf
 
Heutzutage führt die Reise über den tschechischen Erzgebirgskamm durch einsame Gegenden. Dies war nicht immer so. Trotz karger Lebensgrundlage und rauem Klima boten zu früheren Zeiten Bergbau, Forst- und Landwirtschaft und Handwerke wie die Glasherstellung ein bescheidenes Auskommen. Alte Kartenwerke zeigen ein dichtes Netz von Ortschaften, Einzelgehöften und Forsthäusern, auf deren Spuren ich mich heute im Bereich Moldava v Krušných horách (Moldau) begeben werde. Dazu fahre ich mit dem Auto bis an ein Wegdreieck unterhalb des Steinhübels an der Straße Nové Město - Dlouhá Louka/Český Jiřetín (Rozcestí u Nad Křížkem) und parke dort. An der Straße laufe ich einige Meter abwärts und entdecke zwischen alten Laubbäumen die Gebäudegrundflächen einiger Häuser des einstigen Ortsteiles Willersdorf-část. Den weiter abwärts gelegenen Hauptteil des Ortes besuche ich im Anschluss an die Tour mit dem Auto, so dass ich diesen Ort nicht in meine Zählung einbeziehe. Willersdorf wurde nach dem Krieg amtlich Nová Ves, von der Bevölkerung jedoch hartnäckig Vilejšov genannt. Alle heute besuchten Siedlungen wurden durch die Vertreibung der Sudetendeutschen weitgehend entvölkert. Die vereinzelte Nutzung als Wochenenddomizil endete mit dem Bau der Trinkwassertalsperre Fláje (Fleyh) von 1951-1964, was schließlich zur totalen Aufhebung der Siedlungen im Wassereinzugsgebiet führte.
 
1.    Ab der nächsten Straßenkreuzung weisen wiederum alte Laubbäume auf die Grundstücke des einstigen Ortes Mackov (Matzdorf) hin. Der langgezogene Ort bestand aus dem Teil Matzdorf am heutigen Straßenverlauf und dem Motzdorf genannten Teil weiter oben in Richtung Grenze. Matzdorf war zum Schluss der gemeinsam genutzte Ortsname, der vor dem Krieg 59 Häuser großen Siedlung, die erst im 18. Jh. gegründet wurde. Im unteren Bereich links neben der Straße finde ich Seilbahnfundamente der einstigen Transportseilbahn vom Bahnhof Moldava nach Fláje aus der Zeit des Talsperrenbaus. Hinter der Kammlinie komme ich im Verlauf auf leicht fallendem Weg zur deutschen Grenze.
 
2.    Der Platz an der Grenze nennt sich Žebrácký roh (Battlecke/Bettelecke). Hier errichtete die Stadt Freiberg 1583 das obere Floßlohnhaus, das zur Entlohnung der böhmischen Holzfäller und Flößer diente. Zum Schutz vor äußeren Einflüssen hatte es dabei zunächst die Form eines befestigten Vorwerks. Ab 1629 war es auch das Floßhaus für die nahe Neugrabenflöße. Es entwickelte sich ein wichtiger Kreuzungspunkt von vier Reiserouten, so dass hier ein böhmisches Zollamt, später ein Sitz der k.k. Finanzwache eingerichtet wurde. Zum Schluss wurde die Kleinsiedlung mit nun 3 Häusern durch das Gast- und Kurhaus „Zur Battlecke“ (1924-1953) ergänzt. Mit Einrichtung der tschechoslowakischen Grenzzone wurden die Gebäude geschliffen.
 
3.    Wieder Richtung Kamm laufend, führt mich nun ein Flurweg über eine kahle Hochfläche zum Siedlungsgebiet von Pastivny (Grünwald). Die ebenfalls langgezogene Streusiedlung hatte vor dem Krieg 58 Häuser. Der Ort wurde in der 1. Hälfte des 13. Jh. im Zuge der Ostkolonisation von fränkischen Siedlern gegründet und 1408 als Grinwalt erstmals urkundlich erwähnt. In einer Taleinkerbung Richtung Grenze befinden sich zwei einstige Mühlteiche mit den Standorten der dazugehörigen Mühlen. Direkt unterhalb an der Grenze finde ich einen trockenliegenden Teich vor, der schon ab etwa 1830 in den Kartenwerken nicht mehr verzeichnet ist. Möglichweise hat dieser bis zur weitgehenden Entwaldung der Flößerei nach Teichhaus zur Freiberger Mulde gedient.
 
4.    In der nächsten parallel liegenden Taleinkerbung komme ich zu den Resten der Einschicht Chaluppengut, die einst 2 Häuser aufwies. Im Gelände sind zwei alte Teichdämme auszumachen, die schon ab etwa 1830 in den Kartenwerken fehlen. Diese dürften ursprünglich ebenso der Flößerei gedient haben. Oberhalb des Siedlungsplatzes entdecke ich drei teilweise überwachsene Kleinhalden mitten auf der Wiese, die keine typischen Lesesteinwälle sein sollten. Die Korngröße des fallweise quarzhaltigen Materials ist relativ gering und es gibt angedeutete Einsenkungen und Gräben in der Umgebung. Wahrschlich wurde hier ein ausstreichender Quarzgang zur Gewinnung von Rohmaterial für die Glasherstellung abgebaut. Nach einer kleinen Pause laufe ich nach Pastivny zurück und folge dem ursprünglich begangenen Wegverlauf weiter bis zum Standort des Autos.
 
5.    Ich laufe erneut einige Meter abwärts, biege jedoch nach links in den Jungwald auf eine Schneise ein. Nach einiger Zeit komme ich zum Waldrand hinter der Ruine des Gasthauses Rudolf. Ich halte mich rechts und treffe auf die von knorrigen alten Laubbäumen bestandenen einstigen Siedlungsplätze von Oldříšsko-Grünwaldská Lada (Ullersdorf-Grünwalder Haide). Die Kleinsiedlung hatte einst 6 Häuser. Die Verwendung des tschechisch-deutschen Mischnamens bereits auf alten Kartenwerken ist rätselhaft. Ich begebe mich zurück zum Waldrand und folge der Trasse der Erzgebirgischen Skimagistrale. Unterwegs entdecke ich einen alten Torfstich. Nach einiger Zeit ist ein Turm zu sehen.
 
6.    Mit dem einstigen Trafohaus erreiche ich den Beginn des Siedlungsgebietes von Oldříš (Ullersdorf). Der auf der Hochfläche liegende Ort stammte aus dem 14. Jh. und hatte vor dem Krieg 58 Häuser. Sein Spuren sind heute weitgehend getilgt.
 
Ich laufe an der Fahrstraße weiter und biege nach Erreichen des Waldes links auf den ersten größeren Waldweg ein. Meine Karte weist hier einen lokalen Wanderweg aus, von dem ich zunächst nichts entdecke. Kurz vor Moldava kehre ich um - und sehe an einer Baumrückseite ein verblichene diagonale rot-weiße Markierung und ein laminiertes Papierschildchen „Sklářská stezka“. Von der in der Karte verzeichneten Glashütte sehe ich jedoch nichts und habe nicht andeutungsweise eine Standortidee. So lege ich erst einmal eine Mittagsrast ein. Der Weiterweg führt über ansehnliche Schneereste. Nach Querung der Straße laufe ich zur zweiten „Glashütte“ und überlege angestrengt, was sich bei einer mittelalterlichen Waldglashütte aus dem 15. Jh. erhalten haben könnte und tippe dabei auf Bodenfunde. Dem Platz der zweiten Glashütte hat man dann tatsächlich eine Schautafel spendiert, die erklärt, dass man 1989 bei Pflanzarbeiten Häfen, Glasbrocken und Glasschlacken gefunden habe - Bingo! Über die Skimagistrale laufe ich schließlich zurück zur Ruine des Gasthauses Rudolf an der einstigen Gemeindegrenze zwischen Ullersdorf und Grünwald und komme wenig später zum Auto zurück.
Motorisiert begebe ich mich zur Abrundung des Komplexes nach Nová Ves/Vilejšov (Willersdorf) und begehe auf einer Nachschau-Runde das Siedlungsgebiet des Hauptteiles der aus dem 16. Jh. stammenden Siedlung, die im Oberdorf + Hauptort zusammengenommen vor dem Krieg 46 Häuser hatte.
 
Die pausenbereinigte Gehzeit betrug 5 h 30 min.
Die absolvierte Wegstrecke ist auf einem großen Teil nicht als Wanderweg markiert und mit T1 zu bewerten.
Informationsquellen:
Beschreibungen/Bilder/Kartenausschnitte: www.zanikleobce.cz
Historische Karten: archivnimapy.cuzk.cz
Militärische Nachkriegsluftbilder der VGHMÚř: kontaminace.cenia.cz

Tourengänger: lainari


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Kommentare (2)


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mong hat gesagt:
Gesendet am 1. Mai 2017 um 21:53
Endlich wieder mal lainari !!!

lainari hat gesagt: RE:
Gesendet am 1. Mai 2017 um 22:13
Ich bin zur Zeit oft ganz weit draußen im Nichts auf der Suche nach fast vergessenen Dingen mit einer Flut an Informationen, Eindrücken und Bildern, so dass ich sie kaum noch sortiert und nutzbar gemacht bekomme ;-)


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