Königsangerspitze (2436 m), Lorenzispitze (2483 m) - Orkan über südtiroler Bergen


Publiziert von gero , 30. Dezember 2016 um 13:58.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum:28 Dezember 2016
Wegpunkte:
Geo-Tags: I   Sarntaler Alpen 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 1690 m
Abstieg: 1690 m
Strecke:Kühhof - Brugger Schupfe - Radlseehütte - Königsangerspitze - Lorenzischarte - Lorenzispitze - Klausener Hütte - Kühhof (18,1 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Wahlweise 1) knapp nördlich von Klausen auf breiter Straße über Feldthurns hinauf nach Latzfons - oder 2) direkt innerhalb von Klausen auf teils äußerst schmalem Sträßlein hinauf nach Latzfons. Von dort auf schmaler Straße steil hinauf zum Parkplatz Kühhof (1550 m; gebührenfrei).
Kartennummer:Freytag & Berndt WK S4 (Sterzing - Jaufenpaß - Brixen); WK S1 (Bozen-Meran und Umgebung)

Die östlichen Sarntaler Berge oberhalb von Klausen eignen sich auf Grund ihrer südseitigen Ausaperung hervorragend zum Bergsteigen, wenn nordseitig der Schnee alpine Aktivitäten unterbindet. Heute hat allerdings der zum Orkan angeschwollene Nordföhn zu einem Abenteuerfaktor der besonderen Art geführt.

Als ich kurz vor 8 Uhr am P Kühhof (1550 m) starte, ist es zwar für die Jahreszeit mit +5°C angenehm warm, der jetzt bereits heftige Wind läßt indes kein Wärmegefühl aufkommen: mehrere Schichten Hosen, Hemden, Pullover und darüber die Windjacke erzeugen mehr das Gefühl einer anstehenden Expedition in die Antarktis! Es geht zunächst auf der Forststraße in Richtung Klausener Hütte, aber nach wenigen Minuten zweigt nordwärts der Steig Nr. 14 hinauf zum Radlsee ab (alle Wege, Abzweigungen usw. sind hervorragend markiert und beschildert, ich verzichte deswegen im folgenden auf diesbzgl. Hinweise). Zunächst durch lichten Wald, später dann über freie Wiesen geht es in moderater Steigung zur Brugger Schupfe (2000 m, 1 Std). Es ist zwar völlig wolkenlos, die Sicht ist prächtig - aber über die freien Flächen orgelt der heftige Sturm, so daß ich zum Stehenbleiben und Schauen keine rechte Ruhe habe.

Hinter der Schupfe geht es weiterhin bergan, nächstes Nahziel ist ein weithin sichtbarer großer Steinmann, hoch droben am Weg Richtung Radlsee. Hier mündet einer der vielen, vom Garner Wetterkreuz herauf führender Wege ein. Man könnte von hier aus weglos zum bereits sichtbaren Gipfelkreuz der Könisgangerspitze ansteigen - darauf verzichte ich aber, weil ich der Radlseehütte (2284 m) noch einen Besuch abstatten möchte. Ziemlich genau um 10 Uhr, also nach 2 Std. Gehzeit, komme ich dort an: zu ihren Füßen liegt der glasklar zugefrorene Radlsee. Ich suche mir ein windgeschütztes Plätzchen für eine kurze Pause - nicht so einfach heute im Heulen und Toben des Sturmes. Die Hütte ächzt und bebt unter den wütenden Böen, daß mir angst und bang wird.

Weiter geht es: hoch über dem Radlsee geht es in einem Bogen um den See herum und dann aus nördlicher Richtung auf die Königsangerspitze (2436 m, 3 Std. ab Kühhof) hinauf. Hier liegt eine dünne, aber geschlossene Schneedecke - der Sturm ist zum Orkan angewachsen, hat erwartungsgemäß nochmal an Kraft zugelegt. Die heftigen Böen drohen mich umzuwerfen - am Gipfelkreuz muß ich in die Hocke gehen, um nicht davongeblasen zu werden. Einen derartigen Sturm habe ich tatsächlich noch nie erlebt - aber später wird er drüben im Gipfelbereich der Lorenzispitze nochmals zulegen!

Ich halte mich in diesem Inferno nicht auf und steige jenseits des Kreuzes gleich wieder westwärts vom Gipfel hinunter. Der Wiesenhang ist hier breitbeinig und völlig harmlos zu begehen, so daß es nichts ausmacht, daß ich ab und an durch eine Bö zur Seite geblasen werde. Es geht hinunter, am Kühberg vorbei (er wäre bei normalen Verhältnissen mit geringem Aufwand mitzunehmen, aber bei diesem Sturm habe ich wenig Lust, dort droben in der Flanke herumzuturnen) und hinab zur Lorenzischarte (2199 m, 40 Min ab Königsangerspitze). Kaum bin ich ein bißchen von der Kammhöhe entfernt, läßt der Orkan nach - aber sein Heulen hoch droben am Kamm ist nicht zu überhören!

Nun steigt der Weg wieder an, ich folge der Markierung Richtung Fortschelle auf Steig Nr. 5. Er quert die Südostflanke der Lorenzispitze und erreicht ihren Südkamm an einem weiteren Wegweiser (40 Min. ab Lorenzischarte): hier geht es nun zu meinem zweiten Tagesziel hinauf (Steig Nr. 12). Ein Bergsteigerpaar befindet sich gerade im Abstieg, sie meinen "Der Sturm ist zu stark, droben ist es geradezu gefährlich". Sie sollen recht behalten - denn was mich weiter droben an Westwind umtobt, ist mit Worten kaum noch zu beschreiben: mehrfach muß ich mich auf dem Boden niederkauern, um die Angriffsfläche zu minimieren und nicht ins Geröll geblasen zu werden. Irgendwelche Schwierigkeiten sind nicht vorhanden - aber wenn eine dieser gigantischen Böen mich packt und in das Blockwerk schleudert, kann dies zu ernsten Verletzungen führen.

Trotzdem kämpfe ich mich auf die Lorenzispitze (2483 m; 2,5 Std ab Königsangerspitze) hinauf - und staune: unmittelbar südlich unter dem Kreuz finde ich sogar ein leidlich windgeschütztes Plätzchen für eine kurze Rast! Der ganze Gipfelblock bietet mir Windschutz, und erstmals am heutigen Tage kann ich über das sonnige Südtriol blicken. Drunten im Tal meldet der Wetterbericht heute bis an die 18°C - der Nordföhn machts möglich!

"Suche beim Gehen und Stehen festen Halt" - an diesen Spruch erinnere ich mich, als es dann wieder hinunter geht. Volle Konzentration, immer der nächsten Windbö einen Tick voraus sein und sich irgendwo festklammern - so erreiche ich wieder den Fuß der Lorenzispitze. Der Weiterweg führt mich dann hinab zur Klausener Hütte (1923 m), und als ich ihr wohlgeheiztes Innere betrete, lasse ich das Geheul des Orkans draußen und merke, wie anstrengend sowohl physisch als auch psychisch die letzten Stunden waren.

Nach einer heißen Suppe geht es zuletzt zurück zum P am Kühhof - und als ich dort gegen 16 Uhr ankomme, verschwindet die Wintersonne hinter den Sarntaler Bergen.

Tourengänger: gero


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Geodaten
 33481.gpx Königsanger- und Lorenzispitze

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Kommentare (2)


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Felix hat gesagt:
Gesendet am 2. Januar 2017 um 21:29
da waren wir am selben Tag doch friedvoller und gemütlicher unterwegs ;-)

auf jeden Fall können wir deine sturmumtoste, beeindruckende, Tour gut nachvollziehen ...

auf ein glückliches und gesundes Tourenjahr 2017 - hoffentlich bald wieder mal gemeinsam unterwegs!!

hg Felix

gero hat gesagt: RE:
Gesendet am 2. Januar 2017 um 21:44
Hoi Felix,

danke für die Grüße - und ebenfalls alles Gute für das Tourenjahr 2017!

VG, Georg


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