Monte Cristallo (3221m) - die Eroberung einer kühnen Burg


Publiziert von Daniel87 , 1. September 2016 um 22:15.

Region: Welt » Italien » Venetien
Tour Datum:27 August 2016
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 10:00
Aufstieg: 1450 m
Abstieg: 1450 m
Strecke:P Passo Tre Croci-Cristalloscharte-Südostwand-Südgrat-Monte Cristallo-Abstieg wie Aufstieg
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Von Misurina oder Cortina bis zum Passo Tre Croci (1808m); dort kostenloser P.

Als sich Paul Grohmann 1865 auf den Weg zum Monte Cristallo machte, rechnete er sicherlich nicht damit, dass es ihm der Berg so leicht machen würde, vom Tal wirkt er schließlich wie eine gewaltige, recht abweisende Festungsmauer. Wagt man sich aber an ein solches Abenteuer, so offenbaren sich hin und wieder einige Schwachstellen. Heute hat man es am Monte Cristallo aber vermutlich ohnehin leichter als Grohmann seinerzeit, schwache Trittspuren im Geröll und unzählige kleine Steinhaufen, die es richtig zu deuten gilt, weisen den Weg zum Hauptgipfel der gleichnamigen Gruppe, fast so wie bei einem Navigationsgerät. Ganz ungefährlich ist die Tour allerdings ausdrücklich nicht, die Normalroute ist an einigen Stellen in hohem Maße ausgesetzt und verzeiht nur selten Fehler. Am Gipfel eines solch genialen Berges ist dann die Anspannung aber rasch verflogen und dem Rausch des Gipfelglücks steht nichts mehr im Wege.

Lange schon wollte ich die hier beschriebene Tour unternehmen, heute sollte es soweit sein. Die Wetterbedingungen sind bestens, ein Gewitter wäre sehr ungünstig. Die Schwierigkeiten sollen sich laut zahlreicher Beschreibungen im zweiten bis dritten Grad bewegen, doch gefühlt, oder streng bewertet, werden sie heute nie den oberen zweiten Grad übersteigen, ohne dabei anderen Begehern zu widersprechen. Es ist durchaus möglich, dass eine andere Route durch Südostwand größere Schwierigkeiten bereithält.

Vom Parkplatz am Passo Tre Croci (1808m) geht's für wenige Minuten, in nordwestlicher Richtung, auf der Forststraße 203 empor, bis rechterhand ein kleiner Steig mit der Nummer 221 abgeht (beschildert; "Col da Varda"). In einigen Serpentinen bis zu einer freien, aussichtreichen Wiese auf ca. 2200m, unterhalb eines steilen Kars, das bis zur Cristalloscharte hinauf reicht. Das Kar wird durch die gigantischen Wände des Monte Cristallo und des Piz Popena begrenzt, die sich nun beidseitig bedrohlich aufbauen. Die weitere Route zieht durch das Kar bis hinauf zur Scharte, wobei deutliche Spuren den Aufwand in Grenzen halten. Einzig weiter unten, sowie kurz vor der Scharte, macht Erosion den Karanstieg etwas anspruchsvoller bzw. rutschig (Sand und Kies; T4-/I). Ich habe Glück, die Sonne hat noch nicht das Kar erreicht.

Bei der Cristalloscharte hält man sich scharf links (im Sinne des Aufstiegs), um zum Einstieg an der Südostwand zu gelangen. Dort wird dann auf teils luftigen, schutt- und kiesbeladenen Felsbändern ("Langes Band"), etwa 20 Minuten, ansteigend die Wand gequert; bei Unterbrechungsstellen auch mit kurzen Kletterstellen im zweiten Grad. Was dann folgt, ist ein Wechsel aus kurzen Bandquerungen und Anstiegen im Steilgelände (teils Kamine; bis II+). Die unzähligen Steinmännchen dienen zur Orientierung. Man stößt später, bei einem kleinen Wändchen (brüchig; II+), recht unvermittelt auf den hier noch schwach ausgeprägten Südgrat. Dort geht es dann sehr steil hinauf (Stellen II+) bis zu einer Schulter, wo es kurz abflacht. Danach gibt der obere Südgrat klar die Route vor: Zunächst wird ein Aufschwung rechterhand erklettert, dem folgenden wird wiederum links auf einem Band ausgewichen. Anschließend die Schlüsselstelle, die sogenannte "Böse Platte", wo kleingriffig und ausgesetzt, im oberen zweiten Grad, ein steiles Gratstück überwunden wird. Daraufhin werden am schmalen Grat noch eine weitere kleingriffige Platte (II+) und zahlreiche leichtere, aber eben auch ausgesetzte Blöcke überklettert, bis schließlich der Gipfel erreicht wird.

Am eindrucksvollen Gipfel, mit netten, schlichten Kreuz und Buch (2003), schränkt kaum ein anderer Berg den Ausblick auf die umliegenden Dolomiten-Gipfel ein. Eine Gruppe aus fünf Bergsteigern macht sich bald an den Abstieg, so kann ich noch meditativ und völlig alleine die tolle Stimmung hier oben genießen.

Runter geht es auf dem gleichen Weg, was noch einmal vollste Konzentration erfordert (bei der Schlüsselstelle an der "Bösen Platte" seile ich mich dann am Bohrhaken ab, mir war es im Abstieg doch zu luftig).

Schwierigkeiten:

Anstieg zum Kar: T2 (1 1/4 Stunde).
Anstieg zur Cristalloscharte (im Kar): T4-/I (1 1/4 Stunde).
Normalweg zum Gipfel via Südostwand und Südgrat: T6/II+ (ausgesetzt, steil und brüchig; Helm sinnvoll; 2 1/2 Stunden).

Fazit:

Eine spannende und coole Felstour, mit Szenerien, die es so wohl nur selten im gesamten Alpenraum gibt. Eine absolute Top-Tour, auf einen der höchsten Dolo-Gipfel, der obendrein nicht allzu oft besucht wird (heute, am Wochenende, waren es nur 3 Gruppen, die mir bei bestem Wetter begegnet sind). Insgesamt aber ein doch recht ernster Normalweg, nicht ungewöhnlich für diese Gegend, auch wenn es leichter war, als gedacht.


Tourengänger: Daniel87


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Kommentare (13)


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alpstein hat gesagt:
Gesendet am 2. September 2016 um 06:34
Sieht nach einer spannenden Tour aus, gratuliere!

Beste Grüße
Hanspeter

Daniel87 hat gesagt: RE:
Gesendet am 2. September 2016 um 21:00
Danke! Dein Bericht und die schönen Bilder haben mich ermuntert jetzt doch mal wieder in diese geniale Ecke der Alpen zu fahren und den Cristallo zu wagen, er stand stand ja noch auf der - tatsächlich vorhandenen - "Liste" - ich wurde nicht enttäuscht :-) .

Beste Grüße,
Daniel


Andy84 hat gesagt:
Gesendet am 2. September 2016 um 09:53
Des schaut wirklich nach einer sehr interessanten Tour aus, genau mein Geschmack.
Falls ich mal in die Ecke kommen sollte würde der Cristallo weit oben auf der Liste stehen ;-)
VG Andy

Daniel87 hat gesagt: RE:
Gesendet am 2. September 2016 um 21:04
Ja, ich glaube das wär was für dich, wenn ich mir deine bisherigen Touren so ansehe ... ist aber auch echt lohnend gewesen, für mich das "Highlight" in 2016 bis jetzt ;-)

Gruß, Daniel

ADI hat gesagt:
Gesendet am 2. September 2016 um 12:34
echt klasse.......bist ja ein Dolo-Spezialist geworden....starke Tour!

;-))

VLG!

ADI

Daniel87 hat gesagt: RE:
Gesendet am 2. September 2016 um 21:12
ja, genau, eine Tour pro Jahr muss in der Ecke schon drin sein ... wundert mich eh, dass du da noch nicht droben warst, dürfte auch deine "Kragenweite" sein ... hättest an dem Tag ja mitkommen können ... eine lässige Tour bei AKW ...

Beste Grüße,
Daniel

Cubemaster hat gesagt: Gratulation!
Gesendet am 15. September 2016 um 14:06
Gratulation zu der Tour und deinem schönen Bericht!

Da wollte ich mich gerade an den Computer setzen, um meine eigene Cristallo-Besteigung diesen Sommer zu dokumentieren und was sehe ich da? Das ist gar nicht mehr nötig, denn es gibt einen weiteren Bericht! Und diesmal sehr ausführlich mit vielen Fotos bei super Wetter! (Bei mir war eh etwas neblig...)

Ein paar ergänzende Kommentare:

-Meine Tour war am 5.8. Zu der Zeit lag noch Schnee im (sehr steilen) obersten Teil der Rinne zur Cristallo-Scharte. Es ist aber möglich vorher links aus der Rinne auszusteigen und über einige einfache Kletterpassagen (II) auf das lange Band zu gelangen. (Steigeisen hatte ich nicht dabei, das Schneefeld wäre zu steil gewesen...)

-An der Stelle, wo das Fixseil angebracht war, lag auch noch ordentlich Schnee, dieser ließ sich aber zu der Zeit schon umgehen. Ich denke, dass das Fixseil wegen dem Scheefeld dort angebracht wurde.

-Ich habe mich in der Südostwand nach der steilen Rinne immer nach links auf dem untersten, sinnvollen Band gehalten und habe vom Ende der Rinne bis zum Beginn der Rippe am Südgrat ausschließlich Gehgelände und ganz einfache Kraxelei (höchstens I) vorgefunden. Wer also mit möglichst wenig Anstrengung hinauf will, sollte sich dort möglichst links unten halten. (Insgesamt steigt man natürlich nach links oben an.)

-Als jemand, der viel in Österreich unterwegs ist, hätte ich die Tour mit ZS-, III bewertet. Und zwar genau wegen der beiden in der Literatur genannten Schlüsselstellen, die für meine Begriffe mit III zu bewerten sind: Erstens der oberste Teil der steilen Rinne nach dem langen Band und zweitens die Böse Platte.
Es ist mir klar, dass es nach der gängigen Dolomiten-Konvention noch als II+ durchgeht, aber ich wollte hier nochmal klar machen, dass es nicht mit einer II+ wie etwa in den Ötztalern vergleichbar ist. Bei derart langanhaltenden Schwierigkeiten und zwei IIIer-Stellen wäre ich dann naturgemäß auch bei ZS- angelangt.
(Das soll nicht deine Bewertung infrage stellen, ist einfach nur als zusätzliche Meinung gedacht.)

Daniel87 hat gesagt: RE:Gratulation!
Gesendet am 18. September 2016 um 16:31
Danke für deinen Kommentar!

Ja, die Schlüsselstelle bei der Bösen Platte könnte man wahrscheinlich auch mit III- bewerten, ist wohl genau im Grenzbereich von II und III. Denke die Schwierigkeit ergibt sich dort maßgeblich aufgrund der Ausgesetztheit, denn rauf kommt man fast problemlos und hab es daher mit II+ bewertet.

Die untere Schlüsselstelle bei der Rippe muss man allerdings suchen, wie ich fand (dort konnte ich wirklich keine III- finden).

Insgesamt tut man sich bei der Tour aber bestimmt leichter, wenn man sicher einen IIIer beherrscht ;-) .

Cubemaster hat gesagt: RE:Gratulation!
Gesendet am 21. September 2016 um 13:39
Insgesamt sind solche Grenzen immer sehr schwierig zu setzen, es ist immer ein bisschen subjektiv. (Ich fand z.B. die böse Platte rauf genauso schwierig wie runter und beides nicht wirklich als problemlos zu bezeichnen weil ich mit nur zwei seitlichen Griffen auf einem recht kleinen Tritt aufstehen bzw. wieder in die Knie gehen musste.)
Dank deines schönen Berichtes findet man jetzt jedenfalls genug Informationen und Meinungen. Letztendlich muss jeder Cristallo-Aspirant vor Ort selbst einschätzen, ob er es sich zutraut!

georgb hat gesagt: Gratuliere
Gesendet am 18. September 2016 um 22:41
Perfekter Bericht über eine der großen Touren in den Dolomiten! Und eine der großen Fragen der Menschheit: Wo hört II+ auf und wo beginnt III- ;-)))

Daniel87 hat gesagt: RE:Gratuliere
Gesendet am 21. September 2016 um 21:58
Danke, ist aber auch eine absolut lohnende Tour, kaum zu glauben, dass die so selten gemacht wird ...

megastress hat gesagt: Perfekte Tourenbeschreibung
Gesendet am 6. September 2023 um 09:30
Zusammen mit meiner Tochter bin ich die Tour am Sonntag gegangen. Dank der tollen Beschreibung, die ich mir vorher gut eingeprägt hatte, klappte alles wie am Schnürchen, und die Orientierung war nie ein Problem. Etwas Bauchweh hatte ich in dem recht steinschlaggefährdeten Zustieg bis zur Scharte, zumal zwei andere Bergsteiger unmittelbar über uns "herumturnten", ist aber alles gut gegangen. Die Kletterstellen sind allesamt entweder ausgesetzt und dafür leicht, oder aber etwas schwieriger und dafür nicht ausgesetzt. Insgesamt eine 5-Sterne-Traumtour, für versierte Bergsteiger sehr zu empfehlen.

Daniel87 hat gesagt: RE:Perfekte Tourenbeschreibung
Gesendet am 6. September 2023 um 23:10
Danke, schön, dass es geklappt hat, den Berg sollte man wirklich mal gemacht haben, wenn ich jetzt so daran zurückdenke!

Die Orientierung war in der Tat das leichteste an dieser Tour, daher habe ich es hier bei einer Kurzfassung belassen.

Selten der Fall, aber da es dort so steil zugeht, dachte ich mir Steine hört man von oben eher nicht kommen, nehme ich besser doch mal einen Helm mit.

Aus meiner Erinnerung heraus, empfand ich sogar die schweren Kletterpassagen etwas ausgesetzt. Kommt aber vielleicht daher, da ich technisch nicht so fit war/bin und dort zu oft nach unten geschaut habe :-)


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