Pizz Gallagiun, 3107 m


Publiziert von roko , 25. Oktober 2008 um 20:17.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Avers
Tour Datum:25 Oktober 2008
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   I 
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 1300 m
Strecke:9 -10 Stunden retour
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Chur - Andeer - Avers - Stettli
Kartennummer:Campodolcino 1275 &1255

Wenig besuchter Gipfel mit prächtigem Tiefblick auf das 2800 m tiefer liegende Städtchen Chiavenna und den Lago dell`Acqua Fraggia.  Schöne Sicht auf die Bergeller Berge, die Cima da Lägh, den Pizzo Rosso, den Piz Bles und viele andere.
Der lange Anmarsch verhindert einen häufigen Besuch des Pizz Gallagiun. Von Stettli (ab Stettli Fahrverbot) läuft man auf der Alpstrasse (am besten nimmt man das Velo) in gut zwei Stunden nach der Alp Sovräna (1995 m). Von Sovräna in weiteren zwei Stunden auf den Pass da la Prasgnola. Hier zweigt man gegen Westen ab und über scharfe, zerrissene Felsen oder wie zu dieser Jahreszeit über Schneefelder in einer weiteren Stunde auf den Gipfel.
Erinnerungen: Als ich auf dem Gipfel stand, dachte ich an eine lange zurückliegede Überschreitung mit meinem Freund Kris aus Belgien zurück. Wir stiegen vom Gallagiun nach Westen auf die Bochetta da Lägh o Madrisberg ab und weiter über den Ostgrat auf die Cima la Lägh. Dann querten wir auf dem westlich gelegenen Gletscher zum Pizzo Rosso und über die Ostflanke bei einsetzendem Regen (grasdurchsetzt, steil, heikel bei Nässe, mit einem kleinen Gletscher im oberen Teil und schwer zum orientieren bei schlechter Sicht) ins Val da Lägh, zurück zur Alpe Sovräna und mit dem Velo nach Stettli. Wir starteten bei Dunkelheit und kehrten bei Dunkelheit wieder zum Auto zurück...lange her, anstrengend und schön, nie vergessen...Erinnerungen die das Leben lebenswert machen...

Von zähen Bauern und schlauen Schmugglern: Geschichtliches aus dem Val Madris

Die Anfänge der Besiedlung und Bewirtschaftung gehen auf das 13/14 Jahrhundert zurück. Die Impulse dafür kamen von der Alpensüdseite. Im Raum des Comersees fanden sich zu dieser Zeit, als die Flusstäler häufig überschwemmt wurden und die Bevölkerung stark anwuchs, zu wenig Weideböden für die Viehwirtschaft vor. So suchten und fanden die Gemeinden der Südseite, Chiavenna und Plurs, ihre zusätzlich benötigten Weideareale in den nördlich der Wasserscheide gelegenen Seitentälern des Avers: In der Val da Niemet, in der Valle di Lei und in der Val Madris. Zuerst galt ihr Interesse in diesen Hochtälern der sömmerlichen Nutzung durch ihr Vieh. Dazu erstellten sie kunstvolle Viehwege und Saumpfade, so von Madesimo über den Niemetpass in die Val de Niemet, dann von Plurs über die Savogno, einerseits über den Passo di Lei in die Valle di Lei und andererseits über den Passo die Lago (Madrisberg) in die Val Madris.
Mit der Ansiedlung der Walser im oberen Averstal (von Cresta bis Juf) um ca. 1282/92 und deren raschen Vermehrung entstand ein Wettlauf um die noch verbliebenen Siedlungs- und Bewirtschaftungsgründe in diesen Hochtälern mit den im Avers wohnhaften Romanen und Italiener. Um 1329 versuchte Chiavenna  mit einer militärischen Expedition ins Averstal, seine Besitzungen und Rechte zu verteidigen - mit wenig Erfolg. Die Walser drängten immer mehr das Tal aufwärts und so veräusserten Chiavenna und Plurs ihre Besitzungen mehr und mehr Bergeller Bauern. Urkunden aus dem Jahre 1372 und 1412 belegen diese Handänderungen zugunsten von Soglio (eine Ausnahme bildete das Valle di Lei).
Durch die Val Madris und über den Madrispass fand über Jahrhunderte hinweg ein reger Lokalverkehr und Warenaustausch mit dem Süden statt. Säumer und Schmuggler trugen auf ihrem Rücken die begehrten Produkte des Südens über die Pässe - meistens mit einer Rast in Savogno. Der Passo di Lago oder Madrisberg war während Generationen ein häufig benutzter Übergang zwischen dem Madris und Chiavenna. Der Averser Grenzwächter Joh. Rud. Stoffel wusste darüber zu berichten: "Der Weg über den Pass war zu schlecht zum Säumen, daher mussten die Waren den ganzen Weg getragen werden. Eine Reise nach Chiavenna dauerte in der Regel drei Tage. Am ersten Tag überschritten die Madriser den Pass und übernachteten in Savogno. Am zweiten Tag gingen sie nach Prosto, kauften Weizen, Roggen und Maismehl. Nachher folgten die Einkäufe in Chiavenna: Reis, Kastanien, Teigwaren, Gewürze, Flachs und Hanf, Werkzeuge und auch den begehrten Grappa. Am dritten Tag ging es wieder heimwärts, meist mit Hilfe von Männern aus Savogno, die sich als Träger betätigten. Eine normale Last betrug 43 kg."
Der Warenverkehr konnte ungehindert jahrhundertelang betrieben werden. Mit dem Übergang der Zollhoheit von den Kantonen zum Bund (1848) wurde der Handel plötzlich zu "Schmuggel" , denn im Madris befand sich kein Zollamt. Die Einkäufe in Chiavenna waren somit illegal. Erst Jahre später wurde auf Drängen der Madriser eine Nebenzollstätte im Avers eröffnet und der Handel wieder legal.

Die abenteuerlichen Bedingungen der Alpladungen von Soglio aus ins Val Madris (bis ins 20. Jahrhundert hinein) beschrieb Stoffel wie folgt: "Die beiden Alpen Preda und Sovrana konnten noch nicht bestossen werden. Zwei Bauern aus Soglio hatten den Pass überschritten und trafen in den Sennhütten und Schermen Vorkehrungen für die bevorstehende Alpbestossung. Sie meinten, dass auf dem Pass noch grosse Schneemassen lägen, der Schnee aber fest sei und trage. Die Überwindung des 2700 m hohen Passes sei immer schwer und ginge selten ohne Unfall ab. Die steile Treppe mit 177 Stufen werde ausgeschaufelt und von der Treppe abwärts werde mitunter ein anderes Verfahren angewendet: Drei Männer packten ein Rind oder eine Kuh, der eine an den Hörnern, der andere am Schwanz und der dritte auf der Seite. Mit einem Ruck warfen sie das Tier seitwärts zu Boden in den weichen Schnee. Der am Schwanz fing an zu ziehen und glitt mit dem am Boden liegenden Tier den Abhang hinunter bis in die Talmulde."

Heute und wohl für immer gehören solche Alpladungen über die Pässe der Vergangenheit an. Doch wenn man die Steintreppe hochsteigt, die Erinnerung an die "Männer aus dem Val Madris und Soglio, die zähen Bauern und schlauen Schmuggler", sie bestehen weiter.

Tourengänger: roko


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Kommentare (2)


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Minor hat gesagt: Historische Pfade
Gesendet am 21. Juli 2009 um 15:52
Vielen Dank für die sehr interessanten geschichtlichen Hintergründe, die mir bisher nicht bekannt waren.
Über den Pass da ls Prasgnola werde ich sicher einmal wandern, wenn es sich ergibt.

Der Piz Gallagiun ist tasächlich in T3 Schwierigkeit zu erreichen?

roko hat gesagt: RE:Historische Pfade
Gesendet am 21. Juli 2009 um 16:49
Eigentlich ist er ein ganz einfacher Berg...doch der lange Anmarsch macht ihn zu einer echten Herausforderung...am besten mit dem Bike zur Alpe...dadurch erspart man sich sicher 3 Stunden...


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