Pizzo Ragno - "I, for once in my life, got sensible and gave up"


Publiziert von ABoehlen , 29. September 2013 um 17:42.

Region: Welt » Italien » Piemont
Tour Datum: 2 August 2013
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Vigezzo   I 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 1150 m
Abstieg: 1150 m
Strecke:Druogno - Orcesco - Alpe Campra - Colle del Ragno und zurück
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Druogno
Unterkunftmöglichkeiten:Hotel Stella Alpina in Druogno.
Kartennummer:LK285(T) Domodossola

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Schon ist diese Wanderwoche wieder fast vorüber. Noch bleibt uns aber ein Tag für eine Wandertour und wie immer, soll es da noch eine grössere Aktion geben: Der Pizzo Ragno ist das Ziel, der markanteste Blickfang von Druogno aus. Steil und abweisend ragt er südlich des Dorfes über dem Tal auf und doch soll es laut Karte einen Weg über den Nordgrat dort hinauf geben. Vom Dorf aus betrachtet, erscheint dieser zwar unpassierbar, aber einen Versuch ist es wert, zumal wir so auch noch das darunter liegende Gebiet der Alpe Campra kennenlernen können.

Bei wiederum herrlichem Sonnenschein folgen wir der Bahnlinie auf einem Strässchen westwärts und passieren dabei überraschend einen Skilift, der auf unseren Karten nicht eingetragen ist. So gibt es also auch in Druogno ein kleines Skigebiet, eines von mehreren der Region Ossola. Deutlich grösser ist dasjenige nördlich des Nachbarortes Santa Maria Maggiore und ebenso jenes von Domodossola, welches unter dem Namen "Domobianca" bekannt ist. Weshalb ich das erwähne? Dieser Tage präsentierte die BLS ihr Konzept, wie sie die Simplonstecke von den SBB übernehmen und mit ihren Zügen betreiben wollen und welche Zwecke sie damit verfolgen: So sollen nicht nur mehr Schweizer in die Ossola befördert werden, sondern auch die Bewohner dieses Gebietes ins Wallis zum Skifahren kommen. Ob wohl die "Ossolani" gefragt wurden, ob sie das überhaupt wollen? Wie man sieht, können diejenigen, die Skisport betreiben (und das sind in Italien generell viel weniger als hierzulande), dies auch in ihren Bergen tun und wohl weitaus preiswerter als nördlich des Simplon... Wie auch immer: Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Pläne fürs erste bachab geschickt und entschieden, dass die Konzession der Simplonstecke bis 2017 bei den SBB bleibt (Berner Zeitung BZ, 12.09.2013).

Vor dem Bahnübergang in Orcesco tauchen wir in den Wald ein, umgehen besagten Ort südwärts und steigen dann zum Riale Lupo hinauf, wo der Weg ein Stück weit einer Art "Suone" folgt. Nach der Bachquerung steigt der Weg dann ernsthaft an und bei den bereits hohen Temperaturen fliesst der Schweiss einmal mehr in Strömen. Auch die Bremsen scheinen nur auf uns gewartet zu haben, und sind fortwährend unsere Begleiter. Dafür ist aber der Weg in einem tadellosen Zustand und dort, wo man einer neu erstellten Waldstrasse folgen muss, sind Markierungen platziert, sodass man weiss, wo man wieder auf den Wanderweg abzubiegen hat.

Nach rund 500 Meter Aufstieg erreichen wir die zerfallenen Hütten der Alpe La Motta, wo wir eine Pause einlegen und Heidelbeeren naschen. Später entdecken wir auf dem ausgedehnten und überraschend flachen Gelände der Alpe Campra andere Ausflügler, die sich derselben Tätigkeit hingeben. Uns interessiert hier aber vor allem die Fortsetzung des Weges, welche zu finden dank der guten Markierung keinerlei Probleme aufwirft. Als letztes Zwischenziel vor dem Pizzo Ragno wird die Örtlichkeit Colle del Ragno genannt, welche vermutlich Pt. 1648 der swisstopo-Karte entspricht. Der Weg dorthin ist sehr schön und trotz viel Wald aussichtsreich. Vor allem begeistern die eindrücklichen Tiefblicke ins Dorf Coimo hinunter, welches genau gegenüber im Abhang klebt.

Unsere Vermutung bestätigt sich: Dort wo der Weg spitzwinklig nach Süden abzweigt und laut Karte zum Alpinwanderweg wird, liegt Colle del Ragno. Bis zum Gipfel sollen es laut Wegweiser noch 1 Std. 45 Min. sein, bei einer Höhendifferenz von rund 640 m. Eigentlich wäre hier auch ein schöner Rastplatz, aber wir sind so gespannt auf das was uns jetzt erwartet, dass wir gleich weitergehen. Die Mittagszeit ist schon vorüber und am bis jetzt makellos blauen Himmel sind Wolken aufgezogen. Hoffentlich bleiben sie so klein...

Wie in der Karte ersichtlich, folgt der Weg genau der Gratschneide. Und wie nicht anders zu erwarten, wird er bald sehr steil und immer häufiger von Felsstufen unterbrochen, die überklettert werden müssen. Gemäss Oskar, der früher Mitglied des SAC war, entspricht das etwa der Schwierigkeitsstufe II. Auf ca. 1950 m haben wir die halbe Höhendifferenz zwischen dem "Colle" und dem "Pizzo" überwunden, aber bereits ⅔ der Wegstrecke zurückgelegt. Dass heisst, der verbleibende Teil muss noch steiler sein, was auch aus der Karte hervorgeht. Der grimmige Eindruck, den der Berg von unten macht, täuschte nicht.

Mir kommt an dieser Stelle Tony Wheeler in den Sinn, den Gründer von "Lonely Planet" (seine Geschichte wurde in der Ausgabe 24/2012 von "Das Magazin" erzählt), der in seinem Buch "Rarotonga and the Cook Islands" von 1986 beschreibt, wie er beim Aufstieg auf den Te Ko'u, den dritthöchsten Gipfel der Insel, gescheitert ist:

Actually I don't think I got to the top. At the point, where the official leaflet says there is a 'steep climb through bracken to the summit' I, for once in my life, got sensible and gave up. To my mind, 'vertical' was a better description than 'steep'. The top disappeared into the clouds and I decided I'd rather have a cold beer!

Ich denke auch, dass es vernünftiger ist, hier abzubrechen, denn ob meine Kräfte bis oben reichen werden, ist eher zweifelhaft. Zumal ja der Abstieg dann auch noch gemeistert werden muss. Und auch hier verschwindet der Gipfel teilweise in den Wolken, sodass wir das riesige Gipfelkreuz nur noch ab und zu erspähen können. Und ja, gegen ein kühles Bier hätte ich jetzt natürlich auch nichts, aber das muss noch warten, bis wir wieder unten sind! Und dieser Weg ist noch lang: Insbesondere dieser oberste Abschnitt verlangt volle Konzentration. Zurück auf dem "Colle" legen wir dann doch noch eine Rast ein und liegen rund eine Stunde im Gras, bzw. auf dem grossen Stein. Anschliessend geht es zügigen Schrittes talwärts - oder, um noch einmal Tony Wheeler zu zitieren:

Coming back down is pleasantly fast, you just slither down the steep slope, grabbing roots and branches as you go.

So kehren wir um 16:45 Uhr unter wieder makellos blauem Himmel ins Hotel zurück, um noch einmal zu duschen und zu waschen. Anschliessend begeben wir uns zum letzten Mal in die Pizzeria "La Ruota", wo ich mir eine Pizza Ortolano auftischen lasse. Mit reichlich Bier können wir zwar nicht auf einen Gipfelerfolg anstossen, aber doch auf eine wiederum wunderschöne und vor allen Dingen unfallfreie Wanderferienwoche!

Tags darauf geniessen wir unser letztes Frühstück und nach dem Bezahlen der Hotelrechnung verlassen wir das "Stella Alpina", wo wir uns sehr wohl gefühlt haben. Der Zug fährt um 09:58 Uhr ein und ist wie üblich gut besetzt, aber wir finden noch zwei Sitzplätze. Die Fahrt durch die immensen Wälder, über unzählige Brücken und durch zahllose Kurven ist wie immer traumhaft. Mit etwas Verspätung erreichen wir Domodossola, wo wir gleich auf den IR nach Brig umsteigen. Trotz Bauarbeiten ist die Simplonstrecke am Samstag für Züge offen, und so ist diese Fahrt einiges einfacher und schneller, als die Hinfahrt am letzten Sonntag. Auch in Brig haben wir sogleich Anschluss; der IC ist sogar noch fast leer. Das ändert sich aber schlagartig in Visp, wo ganze Heerscharen mit grossen und übergrossen Gepäckstücken einsteigen und damit teilweise ganze Viererabteile füllen wollen, was aber den Protest jener nach sich zieht, die dort sitzen möchten, was ja auch ihr gutes Recht ist!

Der Trubel hält noch einige Zeit an, aber irgendwann im Lötschberg-Basistunnel kehrt wieder Ruhe ein. In Spiez und Thun hält sich das Gerangel in Grenzen und so kommen wir nur wenig verspätet in Bern an, wo ich mich von Oskar verabschiede und noch das letzte Stück heim nach Worb zurücklege. So treffe ich nur 3 Stunden 10 Minuten nach der Abfahrt in Druogno wieder zuhause ein und bin einmal mehr begeistert, wie schnell man heutzutage solch grosse Distanzen bewältigen kann!

Tourengänger: ABoehlen


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Kommentare (2)


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bidi35 hat gesagt:
Gesendet am 29. September 2013 um 19:01
auch die beiden letzten Tage eures Vigezzo-Aufenthalts interessant geschildert...gratuliere.

LG Heinz

ABoehlen hat gesagt: RE:
Gesendet am 1. Oktober 2013 um 19:06
Herzlichen Dank! Wir haben auch viel erlebt und somit war genügend "Material" für ausführliche Berichte vorhanden!

Beste Grüsse
Adrian


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