Über und unter Tage unterwegs in Zinnwald


Publiziert von lainari , 11. August 2013 um 11:01.

Region: Welt » Deutschland » Östliche Mittelgebirge » Erzgebirge
Tour Datum:10 August 2013
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 2:15
Aufstieg: 175 m
Abstieg: 175 m
Strecke:8 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis Zinnwald oder Bus Linie 360 Dresden-Zinnwald
Kartennummer:1:33.000, SK Nr. 03 Osterzgebirge

Schmuggelweg im Berg und eine frierende Braut
 
Mein avisierter Besuch aus der Schweiz hat sein Kommen abgesagt. Die Jagd nach Rockzipfeln ist ihm also wichtiger als die Pflege einer alten Freundschaft. Derweil werde ich die vorbereiteten Touren nach und nach allein absolvieren. Heute beginne ich ganz gemütlich und erscheine gegen zehn Uhr in Zinnwald. Vom Parkplatz an der Straße nach Geising laufe ich zum Besucherbergwerk „Vereinigt Zwitterfeld zu Zinnwald“. Die erste Führung des Tages fällt mangels weiterer Besucher aus. Ich verspreche später am Tag einen neuen Versuch zu unternehmen und laufe in den Ort hinauf.
 
Nach einiger Zeit an der Hauptstraße biege ich nach links auf den Hochmoorweg ab. Dort passiere ich im Verlauf die Wetterstation des Deutschen Wetterdienstes (DWD). An einer kleinen Hütte entrichte ich einen symbolischen Eintritt und betrete das Georgenfelder Hochmoor. Auf einem 1,2 km langen Holzsteg durchquere ich die wertvolle Naturlandschaft, die vom einstigen Torfabbau bedroht, seit 1926 unter Naturschutz steht. Ich als botanischer Laie erfreue mich am Moorkiefernbestand und identifiziere Heidel - und Preiselbeeren. Die Unterscheidung vorgenannter zu ebenfalls hier wachsenden Trunkels- und Moosbeeren überlasse ich lieber Fachleuten. Tafeln bringen mir Schlenken, Bulten, Lagg und andere wissenswerte Dinge näher. Ausgangs des Moores biege ich nach rechts und laufe den befestigten Weg entlang, dann biege ich Richtung des großen Sendemastes ab. In einer Kurve geht ein schmaler Pfad zum Großen Lugstein hinüber. Dieser ist eine schöne Felsformation aus Quarzporphyr. Zum Aufstieg auf die kleine Gipfelkuppe muss man schon einmal kurz die Hände aus der Hosentasche nehmen. Oben mache ich eine kleine Rast. Wieder zurück auf dem Hauptweg folgt nach kurzer Distanz erneut ein unscheinbarer Pfad nach links, der bequem zum Kleinen Lugstein führt. Auf bekanntem Weg gehe ich in den Ort Zinnwald zurück und erreiche über eine Abkürzung erneut das Besucherbergwerk.
 
Den Bergwerksführer treffe ich vorm Gebäude und er teilt mit, dass die zwischenzeitliche Führung mit 10 Teilnehmern gestartet sei. Für die jetzige Führung wäre ich bislang wieder allein. Doch Rettung naht in letzter Minute, eine Familie mit Kind will ebenfalls das Bergwerk besuchen. Das Bergamt schreibt aus Sicherheitsgründen eine Größe von mindestens drei Personen für eine Befahrung vor. Mit Helm, Jacke und Geleucht ausstaffiert, betreten wir den Tiefen Bünau Stolln. Ab 1686 wurde dieser als Transport- und Entwässerungsweg zu bestehenden Schachtabbauen aufgefahren. Bis 1707 hatte man dabei mit Schlegel und Eisen, teilweise unter Zuhilfenahme des Feuersetzens eine Strecke von nur 300 Metern zurückgelegt. Später wurde auch mit der Hand gebohrt - Vierteldrehung + Schlag und so weiter - nach 50 cm Bohrtiefe wurde mit Schwarzpulver oder Schießbaumwolle gesprengt. Noch später kam maschinelles Bohren mit Druckluft dazu. Das war staubig und laut. Den Staub reduzierte man relativ zeitig durch Zugabe von Wasser. Praktikabler Gehörschutz stand aber erst ab den 1950er Jahren zur Verfügung. Bis dahin wurden Bergarbeiter etwa nach drei Jahren Einsatz schwerhörig. Die Scheidungsrate von entsprechenden Ehepaaren sank auf ein statistisches Tief. Sie hörten einfach die nörgelnden Frauen nicht mehr. Dies veranlasste den Mann des mitlaufenden Paares ein: „Die hatten es gut!“ zu murmeln. Nach einem strafenden Blick seiner Partnerin schob er mit betont gelassener Mine ein: „Nichts, ich hatte nur was im Hals.“ nach. Im Zinnwalder Bergbau wurde zunächst Cassiterit (Zinnstein) abgebaut, später noch Quarz für die böhmische Glasindustrie und ab Ende des 19. Jh. auch Wolframit. Als Letztes nutzte man aus Zinnwaldit extrahiertes Lithium als Zusatzstoff für das Aluminium der Luftfahrtindustrie. Zum Schluss wurde dies durch Aufarbeitung der alten Halden bewerkstelligt. Die Förderung endete 1945. Der Hauptanteil des Vorkommens lag aber zu 2/3 in Tschechien, wo der Bergbau bis 1991 andauerte. Da man in Altenberg ein ergiebigeres Zinnvorkommen hatte, beließ es die DDR bei einer ausführlichen Erkundung des Zinnwalder Bergrevieres. Die Abbaumöglichkeit von Lithium führt nun zu neuen Perspektiven. Nach einem Probeabbau und Tiefenbohrungen, die die DDR-Erkundungen vollumfänglich bestätigten, rückt eine Neuaufnahme des Bergbaus in Zinnwald in greifbare Nähe. Wir erreichen im Stollen ein altes Pausenlokal der Bergleute, das heute für Gruppenveranstaltungen genutzt wird, so auch für Hochzeiten. Der Bergwerksführer erzählt von einer Braut im schulterfreien Kleid und in offenen Schuhen, die die Frage, ob sie die Bekleidung für ausreichend hielte, zunächst bejahte. Später sei das Jawort im Klappern der Zähne beinahe untergegangen. Standesbeamter und Bräutigam mussten anschließend gemeinsam ihre zitternde Hand festhalten, um den Ring anzustecken. Weitergelaufen, kommen wir nun zur tschechischen Grenze, ja so etwas gibt es auch unter Tage. Da der stillgelegte deutsche Bergwerksteil bis 1991 als Fluchtweg für das tschechische Bergwerk diente, soll sich Insidern zu Folge ein florierender - wenn auch mühseliger - unterirdischer Warenverkehr zugetragen haben. Das eigentlich verschlossene Grenztor sei oft in Benutzung gewesen. An dieser Stelle wendet auch unsere Führung. Zügig geht es zurück ans Tageslicht. Ich bedanke mich für die interessante Führung und mache noch einen kurzen Abstecher zu den verbliebenen oberirdischen Anlagen, die mit dem Bergbau in Verbindung stehen. Dann trete ich die Heimfahrt an.
 
Die Gehzeit über Tage betrug wartezeit- und pausenbereinigt 2 h 15 min. Die Bergwerksführung (+ 2,8 km unter Tage) dauerte 1 h 30 min. Die Strecke ist mit T2 zu bewerten. 

Tourengänger: lainari


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