Sonnenuntergang auf der Dahmannspitze (3401m) - Genial!


Publiziert von Kris , 27. August 2012 um 16:41.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Ötztaler Alpen
Tour Datum: 7 August 2012
Hochtouren Schwierigkeit: L
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 12:00
Aufstieg: 1200 m
Abstieg: 350 m
Strecke:Hochjoch-Hospiz - Delorette-Weg - Kesselwandferner - Brandenburger Haus - Dahmannspitze & Retour zur Hütte (ca. 10km)
Unterkunftmöglichkeiten:Brandenburger Haus
Kartennummer:DAV 30/2 Weißkugel

Am dritten Tage wartete nun also die eigentliche Aufgabe - vom Hochjoch-Hospiz auf das Brandenburger Haus aufzusteigen, um dort von dort die Pickelbremsübungen zu vollziehen und abends den (legendären) Sonnenuntergang auf der Dahmannspitze zu zelebrieren.

Nach dem Frühstücks-Buffet wartet noch die undankbare Aufgaben, die Sachen zusammenzupacken und das doch nicht benötigte auszusortieren und in die sektionseigene Kiste einzuschließen. Wie immer gilt: bloß nichts vergessen! 

Um etwa 8.15 Uhr ist Abmarsch an der Hütte. Ich bin gespannt und etwas nervös bezüglich der Frage inwiefern mein Rucksack mir wieder Probleme bereitet. Der Start glückt, aber ich merke, dass der Rucksack auf die Schultern drückt. Mein Kletter-Spezi Florian schaut sich die Sache jetzt genauer an und überträgt die Last mehr auf die Hüften! Passt, wackelt und hat Luft - es klappt! Wunderbar.

Wir folgen dem Weg bis zur Abzweigung zur Mittleren Guslarspitze (siehe Bericht) - wenn auch jeder sein eigenes Tempo laufen darf. Als Treffpunkt ist ein markanter, weißer Steinmann auf einem Felsplateau in Höhe der Zugspitze (2964m) angesetzt. Nach etwa 90 Minuten sind alle dort eingetroffen und wir legen eine längere Pause ein - allerdings nicht zum Faulenzen! .. Wir haben einen studierten Geologen im Team der uns mit einer Lektion der Gletscherkunde vertraut macht. Er deckt einige allgemein anerkannte Missverständnisse auf und warnt vor der Romantisierung der Gletscher.

Schließlich sind diese nicht der Urzustand der Natur - sicherlich hat das derzeitige Verhalten der Menschen negativen Einfluss auf diese, kann aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ohne die Eiszeit eisfreie Berge dominieren würden. Romantisiert hätten auch die mittelalterlichen Bergvölker die Gletscher sicherlich nicht - teilweise waren sie eher Bedrohung. In der kleinen Eiszeit im Mittelalter wuchsen diese teilweise in nicht unerheblicher Geschwindigkeit auf vereinzelte Behausungen der Bewohner zu - kein sorgenloser Zustand. Warum erzähle ich dies? Ich verstehe, dass es schützenswerte Räume sind, unvergleichliche Schönheiten unserer Natur. Aber es gibt auch einen natürlichen Verlauf der Ereignisse, und in diesem Zyklus bewegen wir uns von der gletscherformenden Eiszeit weg. Habe ich nun gewisse fachliche Dinge durcheinander gebracht, lasse ich mich mangels fundiertem geologischen Fachwissen gern korrigieren.


Nach diesem Exkurs geht es dann Richtung Gletscher-Einstieg. Der vormals durchgängig trassierte Weg (bis zum Steinmann T3+, stellenweise steil) wird zunehmend blockiger, die Hände kommen durchaus mal für das Gleichgewicht zum Einsatz - ebenfalls oberes T3. Etwas auf und ab geht es da, der Anstieg liegt aber dann doch deutlich über der 3000er Marke. Dieser ist auch nicht zu verfehlen, der Weg ist gut markiert.

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Nun heißt es also ein erstes Mal ernsthaftes Anseilen. Wir wollen aufgrund unserer schweren Rucksäcke Hüft- und Brustgurt zum Kombigurt zusammenfassen um im Falle des Spaltensturzes ein Kopfüberhängen zu vermeiden. Vor der Tour kam die Ansage, diese beiden und die restlichen benötigten Utensilien griffbereit am oberen Rand des Rucksackes zu halten - sinnvoll. Aber verdammt, wo ist dieser Brustgurt? Ich habe ihn doch gerade noch in einer der kurzen Trinkpausen gesehen .. war das vor oder nach dem weißen Steinmann? .. Ich räume den ganzen Rucksack um, räume ihn aus - der Brustgurt bleibt verschollen.


Ich teile den Umstand meinem Leiter mit, kurze Überlegungen führen dazu, dass ich - ohne Rucksack - noch einmal zurück bis zum weißen Steinmann gehe und dort nachschauen soll. Meine Theorie zum Verlust: Rucksack aufgemacht, Trinken herausgeholt, Brustgurt fällt dabei unbeachteterweise heraus, und bleibt dann liegen. Ich beeile mich auf dem Weg zurück, bleibe aber wachsam, schließlich sind Stolperer hier nicht unbedingt förderlich. Ich brauche etwa 15min, doch da ist kein Brustgurt, er muss schon vorher hinausgefallen sein. 

Entnervt über mich selbst schreite ich nun die mittlerweile quälenden Meter wieder nach oben.. immer mit dem Bewusstsein, dass die ganze Gruppe auf mich wartet. Ich komme wieder am Einstiegspunkt an und muss eingestehen, nichts gefunden zu haben. Ich baue mir also mit einer Bandschlinge ein Provisorium und ab geht es auf den Kesselwandferner. 

Ich bin in der Seilschaft mit Dieter und dieser gibt durchgängig wertvolle Tipps an den Seilschaftsersten. Immer wieder überqueren wir schwarze Löcher auf der Spur, in denen Füße früherer Seilschaften eingebrochen sind. Größere, offnene Spalten kommen seltener vor. Springen ist nicht notwendig. Wir weichen von der Standardspur ab und gehen "Direttisima" auf den Felsriegel unterhalb des Brandenburger Hauses zu. Dies soll die selbstständige Wegfindung der Seilschaft steigern. Der Normalweg ist gekennzeichnet mit bojenbestückten Stangen - Vorsicht! Es gibt auch andere Stangen, die Messstangen der Glaziologen sind. Hier darf man sich nicht an die falsche Fährte klemmen, da diese durchaus in den ernsthafteren Spaltenzonen stehen. 


Wir kommen am Felsriegel an, nehmen den nun gewarteten Normalweg (T4-) ziehen die Steigeisen aus und verstauen die Pickel. Nun warten die letzten etwa 50 Hm, die berühmten in denen das Ziel zwar zum Greifen nah ist, es aber irgendwie doch so weit entfernt bleibt. Diejenigen Höhenmeter in denen die Kondition schon in den Feierabendmodus geht.. Doch dann ist man oben. Achtung beim Felsriegel, der frühere Normalweg (rechterhand) wird nicht mehr gewartet. Der Einstieg dort ist ein IIer mit einem Fixseil, dieses hat aber seine besten Tage schon hinter sicht.. hier also mit Obacht zu genießen.

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An der Hütte angekommen, kümmern wir uns zuerst um die Formalitäten - Zimmerzuweisung und die Entgegennahme der persönlichen Verzehrkarte. Kurze Brotzeit und dann soll es weiter auf das markante Schneefeld an der Dahmannspitze gehen - dieses zeichnet sich auch verantwortlich für die Wasserversorgung der Hütte. Dementsprechend gibt es auf der Hütte auch kein ungekochtes Trinkwasser - Oberflächenwasser kann laut Verordnung in Österreich sowie Deutschland nie Trinkwasser sein. Zahlreiche mikrobiologische Tests haben aber nie Keime nachweisen können. Ich habe dieses (etwa 5 Grad kalte) Wasser auch als Wasser in meinen Trinkflaschen benutzt - 0 Probleme. Unser Sektionschef Bernd tut dies seit Jahren und hatte ebenfalls nie Probleme. An den Wasserhähnen ist dennoch gekennzeichnet, dass dies nicht zum Verzehr bestimmt ist. Gesetz bleibt Gesetz.


Besagte Bremsübungen beinhalteten sowohl solche mit, als auch ohne Pickel. Und zwar in allen Varianten - kopfüber, kopf gen Hang, auf dem Bauch und auf dem Rücken liegend. Sich das steile Schneefeld hinunterzustürzen, bringt sichtlich Gaudi. Man sollte allerdings das Bremsen nicht vergessen, am Ende des Feldes warten spitze Felsen. Das Ganze klappt allerdings erstaunlich gut.

Des Weiteren steht, wenn wir schonmal da sind, das Queren und Auf- / Absteigen auf Firnfeldern auf dem Programm. Oftmals steht man ja - ohne Steigeisen dabei zu haben - plötzlich vor einem Altschneefeld und die Gefahrenquelle lauert. Mit der richtigen Technik (gen Hang geneigte Trittstufen) schaffen da relativ sichere Abhilfe. Nur feste genug Treten und nicht zimperlich sein ist da die Devise.

 Wir steigen zum Abendessen ab und genießen das Mahl. Wobei bei mir selbst nicht viel von Genuss die Rede sein kann. Seit dem gestrigen Tag auf der Hütte fange ich ständig an zu husten, meine Nase ist komplett dicht. Diese Symptome kenne ich von mir vor allem in einem Zusammenhang: Bronchitis - das wird sich später auch bestätigen. Das macht natürlich den Aufenthalt, die Kälte und die Entbehrungen auf der Hütte nicht einfacher.. zusätzlich messen wir - nachdem wir ja bereits intensiv über die Höhenanpassung gesprochen haben - jeden Morgen und Abend mit einem Pulsoximeter den Sauerstoffgehalt in unserem Blut als eindeutigen Indikator für die eigene Höhenanpassungsfähigkeit. Das Ganze wird dann in Tabellenform festgehalten und kann somit besonders gut nachvollzogen werden - eine gute Idee!

 Ich kann dabei zwei verschiedene Facts über mich persönlich mitnehmen: gute Sauerstoffwerte trotz Krankheit, aber extrem hoher Ruhepuls. Dieser ist zwar durch die Bronchitis nach oben geschraubt, dass ich teilweise doppelt so hohen Puls wie andere Teilnehmer habe, beunruhigt mich nichtsdestotrotz. Auf Tour merke ich dementsprechend wie mein Puls in den ungesunden Bereich geht. Was ich daraus nun ziehe? Pulskontrolle ohne Krankheit forcieren und fitter werden. Wir bekommen dann am Tisch noch eine interessante Erklärung des Pulsoximeters .. (Kurzform zwei verschiedene Arten Licht - Rot und Infrarot scheinen durch den Finger und messen dann anhand des durchscheinenden Lichts den Sauerstoffgehalt - bei näherem Interesse bitte Googlen)

 Dann war es aber soweit: der heiß ersehnte Sonnenuntergang wartet auf uns.. erst sah das Wetter wenig vielversprechend aus, es zog vor unserem Fenster zu, doch genauso schnell reißt die Decke wieder auf. Los, Beeilung, der Sonnenuntergang wartet nicht auf uns! Wir hetzen die 130 Höhenmeter auf die Dahmannspitze herauf (I), Schneefeldkontakt kann vermieden werden. Der Weg ist recht eindeutig, an den vorhandenen Trittspuren kann man sich im oberen Bereich noch recht gut orientieren.

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Die Lichtverhältnisse bauen immer weiter eine unglaubliche Stimmung auf.. und dann stehen wir oben und sehen wie die Sonne langsam gen Horizont krabbelt.. langsam aber stetig und mit ständig intensivierten Eindrücken genießen wir die Ruhe - anfangs gestört durch rauchende, telefonierende Italiener (WARUM!?) .. doch dann allein.. und mit kompletter Stille. Ich habe noch nie in meinem Leben solch eine Stille wahrgenommen.. man hört nicht einmal den Wind. Kein Geräusch, kein Rauschen - nichts. Wolken ziehen auf, aber unter uns. Wir stehen nun über den Wolken und die Sonne steht knapp darüber. Wechselt ihr Erscheinungsbild von strahlend gelb zu orange in orangerot. Taucht alles um uns in Pastellfarben, lässt den Himmel brennen. Es ist fast surreal, und man kann kaum fassen solch schöne Momente erleben zu dürfen. Es ist kein Moment der einfach so und schnell vorbei geht, er kann in vollen Zügen und in Anbetracht des kleinen Abstiegs der noch kommt ohne Sorgen und Nöte genossen werden .. 


Als die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, gehen die ersten meiner Gruppe, bald stehen wir nur noch zu dritt oben. Keiner sagt ein Sterbenswort, ich höre nur meinen Atem. Es ist einfach nur zum Heulen schön hier oben. Auch wenn die Sonne verschwunden ist, scheint der Himmel zu glühen. Orange, Lila, Gelb, Rot, Blau. Ich komme aus dem Schwärmen nicht mehr heraus und kann mich nur schwer lösen. Erst als ich es genug genossen habe steige ich nun im letzten Dämmerlicht zur Hütte nach unten. Über Geröll und Blockwerk geht es wieder nach unten und ich schalte letzten Endes meine Stirnlampe an um die Details der Trittspuren zu sehen und nicht im losen Schutt auszurutschen. 

Bald darauf geht es zur Hüttenruhe über und ich habe so viele Eindrücke und Gedanken im Kopf, dass ich mich fast erschlagen fühle. Stehen bleiben Erkenntnisse, auch darüber wie sinnlos viele Alltäglichkeiten sind und genauso sinnlos das Echauffieren über so viele Dinge ist. 

Wenn man mich fragt, wieso quälst du dich freiwillig in Kälte, läufst Kilometer über Kilometer, aberhunderte Höhenmeter nach oben. Warum nimmst du die Entbehrungen freiwillig in Kauf - keine Dusche, kein Trinkwasser, ständige Kälte, einfachste Zimmer, aufgerissene Lippen, blaue Flecken .. ich habe oft versucht adäquate Antworten zu finden. Dies werde ich mir jetzt sparen - ich antworte nun jedem, dass ich einfach so viel zurückbekomme von den Bergen. Erfahrungen, die jemand der nicht dort oben unterwegs ist nie in seinem Leben spüren wird. Und zeige dann Bilder von diesem einen Tag, über den ich hier schreibe.

Unvergesslich.



Tourengänger: Kris


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