Von Rotschuo auf den Gersauerstock

Eine Woche Ferien im paradiesischen Rotschuo bei Gersau. Und dazu seit gut zwei Monaten keine Gelegenheit zum Wandern gehabt. Was liegt da näher, als gleich am ersten Tag auf den Gersauerstock zu steigen! Gersauerstock oder Vitznauerstock - das ist buchstäblich Ansichtssache, je nachdem von welcher Seite her man kommt. Beide Ortschaften liegen ihm zu Füssen, zudem verläuft die Kantonsgrenze genau auf dem Grat, der sich von Südwesten über den Gipfel nach Norden zieht. Von Rotschuo aus alles diesem Grat entlang weglos aufzusteigen, wäre reizvoll gewesen. Doch dafür war es mir an jenem Tag zu nass. So liess ich mich für einmal gänzlich vom markierten Wanderweg leiten.

Als "Grüezi-Weg" kann die Tour auf den Gersauerstock kaum bezeichnet werden, erst recht nicht an jenem Sonntag. Immer wieder fiel beim Aufstieg Nieselregen aus den tiefliegenden Wolken, zeitweise auch länger anhaltend. Die Chance, dass sich im Lauf des Tages die Sonne doch noch zeigen könnte, hielt ich gleichwohl für intakt. Bis zum Gipfel würde es ohnehin gute drei Stunden dauern - und bis dann könnte sich das Wetter noch lange ändern. Trotz der bescheidenen 1452 m, die der Gersauerstock hat, sind fast tausend Höhenmeter zu bewältigen, wenn man am Seeufer beginnt. 

Auf der ganzen Tour begegnete ich einzig einem jungen Paar, dass sich bereits wieder auf dem Abstieg befand und von der Nordseite her aufgestiegen war. Die beiden waren vermutlich genau so erstaunt wie ich, bei diesem Wetter überhaupt jemanden anzutreffen. Inzwischen habe ich sie aufgrund ihres Berichtes identifizieren können: Hätte ich tricky und charlie sogleich erkannt, wäre ich nicht so wortkarg gewesen. Ist es doch immer ein erhebendes Gefühl, wenn aus virtuellen Gestalten plötzlich Menschen aus Fleisch und Blut werden, die vor einem stehen. Abgesehen von dieser kurzen Begegnung bewegte ich mich den ganzen Tag in einsamster Natur, und das an einem Sonntag mitten in der Schulferienzeit!

Den Ausgangspunkt Rotschuo (466 m) erreicht man bequem mit dem Autobus von Brunnen oder Küssnacht her (falls man nicht bereits vor Ort übernachtet). Der Wanderweg beginnt wenige hundert Meter nach der Bushaltestelle und führt zuerst steil, dann sanft über Alpwege, teils auf Strässchen, über Äbnet und Ober Bode nach Nider Urmi (T1). Auf 900 m Höhe kreuzt der Wanderweg die befestigte Strasse und steigt nun deutlich an. Abgesehen von einem kurzen, steilen Stück im Wald (T2) bewegt man sich aber immer noch  in überwiegendem Wandergelände. Das ändert sich erst ab Ober Urmi (1155 m), wo der Weg anschliessend auf dem Grat verläuft. Die letzten dreihundert Höhenmeter bis zum Gipfel sind zugleich die interessantesten, mit schönen Tiefblicken nach Vitznau. Bei einzelnen T3-Stellen hat es alte Bergseile als Sicherung, die allerdings keinen allzu vertrauenswürdigen Eindruck machen. Wesentlich solider ist die Aluleiter auf der Nordseite, ebenso wie die Drahtseile, die dort an den ausgesetzten Stellen angebracht sind. 

Der Abstieg nach Norden ist kurz aber steil. Auf etwa 1300 m Höhe verlässt man den Wald und gelangt wesentlicher sanfter über Alpweiden zur Fälmisegg (1176 m). Von hier aus könnte man alles auf Alpsträsschen bis nach Gersau wandern. Ich benützte den rauheren Weg durch die Ostflanke, der sich dann allerdings als ziemlicher Umweg entpuppte. So oder so sind es wiederum gut tausend Höhenmeter, die zurückgelegt werden müssen. Denn die Tour endet wie sie begonnen hat: am Seeufer.