Mit dem Fahrrad vom Ofenpass nach Venedig


Publiziert von Mistermai , 18. Juni 2012 um 21:16.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Val Müstair
Tour Datum:14 April 2012
Mountainbike Schwierigkeit: L - Leicht fahrbar
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   I 
Zeitbedarf: 5 Tage
Strecke:480km (Siehe Minimap)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:ÖV
Zufahrt zum Ankunftspunkt:ÖV, wenn auch etwas abenteuerlich (Siehe Tourenbericht)
Unterkunftmöglichkeiten:Campings oder Private Gärten Unterwegs und dann Camping Cavallino bei Venedig

Diesen Frühling machten sich mein Kollege und ich auf, um mit dem Fahrrad von Zernez nach Venedig zu fahren. Zuvor hatte keiner von uns je mehr als 70 Fahrrad-km an einem Tag zurückgelegt, geschweige denn Tourenerfahrung gehabt. Abenteuer war also vorprogrammiert...
Im Gepäck hatten wir Zelt und Schlafsack, mit dem Ziel, möglichst alle Nächte auf Campings o.ä. zu verbringen.




1. Tag: Anreise bis Ofenpass, anschl. 100km bis nach Meran

Eigentlich wollten wir ja in Zernez starten. Doch da der Wetterbericht intensiven Schneefall prophezeite entschieden wir uns den Startpunkt nach Mals zu verlegen und reservierten das entsprechende Postauto. Als sich das Wetter am Anreisetag dann doch ziemlich stabil zeigte, entschieden wir uns, bereits auf der Passhöhe loszulegen.

Zum Einstieg liess ich dann den Sack mit den Zeltstangen im Postauto liegen. Nach diversen Telefonaten mit der Postautozentrale und einigen Missverständnissen (nein, wir haben keine Salzstangen im Bus liegen gelassen, es waren ZELTstangen!!!) deponierte der Buschauffeur die Stangen an einer Bushaltestelle, wo wir sie dann tatsächlich auch fanden...

Der erste Tag verlief grösstenteils ereignislos und wir fuhren bis nach Meran (ca. 100km). In diesem Abschnitt kamen wir uns mit den schweren Tourenrädern etwas komisch vor, inmitten unzähliger Rennvelofahrer. Das Feeling dürfte ähnlich sein, wie mit einem LKW an einem Formel1-Rennen ;-)
Damals wussten wir noch nicht, dass wir abseits der Radwege noch viel mehr auffallen würden...


2. Tag: Meran - Montan (80km)

Am zweiten Tag bestand unser Ziel darin, uns eine möglichst gute Ausgangslage für das Erreichen des Rollepasses (dritter Tag) zu erarbeiten. Nach Auer (200müm) begann die Strasse stark anzusteigen. Es folgte eine klassische Passstrasse, die eng gebaut an den Hang geklebt war. Für Radfahrer war im regen Verkehr eigentlich nicht wirklich Platz vorhanden und so wurden wir fortlaufend unangenehm eng überholt. Zu allem Übel hin begann es bitterkalt zu regnen.
Wir mussten feststellen, dass man mit dem Fahrrad (das mit Gepäck lockere 50kg wog), nicht ganz so einfach Höhenmeter frisst, wie wir es uns im Vornherein vorgestellt hatten.
Als dann mein Kollege auf ca. 1300m am Ende seiner Kräfte war, entschieden wir uns, in einem Hotel zu übernachten. Da es in der Region keine Campings gab und das Zelten im eiskalten Regen sowieso nicht so toll gewesen wäre.

Wahrscheinlich waren wir in dieser Nacht die einzigen Gäste im Hotel, bei diesen Wetterverhältnissen kein Wunder... Von der Besitzerin ernteten wir nur Kopfschütteln, als sie von unserem Vorhaben erfuhr. "Sowas bei diesen Verhältnissen, das macht doch kein Mensch freiwillig". Nachdem die Radhosen geflickt und die total durchnässten Kleider aufgehängt waren gingen wir früh ins Bett.
Am nächsten Morgen war sie uns dann etwas besser gesinnt und richtete uns sogar noch einen tollen Lunch mit selbstgeräucherten Fleischspezialitäten, mmmhhh...


3. Tag: Montan - Passo Rolle - Pezze (90km)

Der Anstieg zum Passo Rolle wollte einfach nicht enden. Immerhin war aber Predazzo kaum mehr ein Auto unterwegs und wir hatten die schön gelegene Passstrasse für uns alleine. Hier waren wir aber die totalen Exoten. Die Leute, die uns begegneten quatschten uns fast alle an (jedoch niemand sprach auch nur ein Wort Englisch, geschweige denn Deutsch). Ein älterer Herr lud uns sogar zum Kaffe-Trinken ein. Leider mussten wir dieses Angebot ausschlagen. Abgesehen davon, dass wir beide Kaffee nicht mögen, mussten wir zusehen, den Pass noch zu erreichen.

Gegen 16:00 Nachmittags war es dann soweit: Wir erreichten die eingeschneite Passhöhe.
Die Abfahrt war dann äusserst rasant und wir waren innert kürze in Pezze. Dort übernachteten wir seelenallein auf einem 150-Platz Camping. So viele Duschen und Spültröge hatte ich noch selten für mich alleine ;-)

4. Tag: Pezze - Montebelluna (70km)

Es folgte ein lockerer Tag, zumindest was die Kilometeranzahl betraf. Die Strassen, die wir an diesem Tag befuhren, waren alles andere als radtauglich und die Auto- und Motorradfahrer (die glücklicherweise spärlich unterwegs waren) nahmen kaum Rücksicht: So überholte einmal ein entgegenkommender Motorradfahrer mit extrem überhöhter Geschwindigkeit auf unserer Höhe einen LKW. Das trotz doppelt ausgezogener Mittellinie im Tunnel...

Nachdem mein Kollege über zu wenig Luft im Reifen geklagt hatte, wollten wir dieses an einer Tankstelle aufpumpen. Doch die Pumpe zischte nur und zeigte kaum Druck an (max. 2Bar). In der Meinung, es gehe kaum etwas rein drückten wir mal kräftig drauf und was folgte war ein lauter Knall: Minus ein Schlauch. Dies sollte unser einziger Platten bleiben für die ganze Tour.
Allgemein hatten wir kaum Defekte: Nebst dem Schlauch ging eine Schraube an meinem Gepäcksträger zu Bruch und bei meiner Kurbel löste sich eine Schraube, die wir ohne weiteres in einem Fachgeschäft ersetzen konnten.

Am Abend des dritten Tages waren wir über 50km vom nächsten Camping entfernt und suchten daher einen anderen Übernachtungsplatz. Bereits die erste Person (die wir mit Händen und Füssen fragten) erlaubte uns, im Hinterhof des Hauses unser Zelt aufzuschlagen.

5. Tag: Montebelluna - Cavallino bei Venedig  (120km)

An diesem letzten Tag lautete die Devise: Ankommen um jeden Preis. Es war eine Kaltfront vorausgesagt, die in den nächsten Tagen viel Regen bringen sollte, also wollten wir unbedingt ans Ziel.

Doch wir kamen kaum voran: Jetzt, da wir auf der Ebene unterwegs waren, gab es plötzlich eine Vielzahl von möglichen Wegen. Grundsätzlich konnte man aber nicht den Wegweisern nachfahren, da diese meist auf Autostrassen oder auf die Autobahn führten. Also suchten wir unseren Weg anhand der Himmelsrichtung. Doch auch dies schien nicht richtig klappen zu wollen. Nach dem wir in drei Sackgassen gelandet waren, änderten wir unsere Taktik abermals.
Nun versuchten wir uns von Ortschaft zu Ortschaft in Richtung Venedig zu kämpfen. Dies schien gut zu funktionieren, bis wir in einem Dorf nach dem Abzweiger Richtung Scola (Ortsbezeichnung) fragten. Drei Damen redeten parallel auf uns ein, um uns den Weg zu erklären (Sie ohne Englisch, wir ohne Italienischkenntnisse). Irgendwann verwarf eine die Hände und deutete uns, dass sie uns mit dem Auto voraus fahre. Dies tat sie dann gut und gerne 10min lang, bis sie schliesslich anhielt und nach links deutete. Dort erblickten wir zu unserer Überraschung die örtliche Schule (Scuola). :-) Wir bedankten uns herzlich und suchten selbstständig weiter nach dem Weg...

Es wurde schliesslich ziemlich spät, bis wir total erschöpft in Cavallino eintrafen. Auf dem riesigen Camping waren wir die einzigen mit einem Zelt. Wir waren umgeben von Senioren...
Dies störte uns wenig und wir genossen in der Folge 4 tolle Tage am Meer und in Venedig.

Heimreise

Die Heimreise war fast das grössere Abenteuer als die Radtour. Da war mal das grundsätzliche Problem, dass wir mit den Fahrrädern keine Schiffe benutzen durften, die uns von Cavallino zum Bahnhof in Venedig hätten bringen können. Dies lösten wir so, dass wir mit der Autofähre nach Lido und von dort weiter an den Bahnhof fuhren. Dies ist sehr unüblich und es passte nur zufällig in unseren Reiseplan (die Fähre von Cavallino nach Lido fährt nur 2x wöchentlich)...

Von Venedig nach Mailand konnten wir wiederum wegen den Fahrrädern keinen Eurostar-Zug benutzen. Folglich mussten wir mit einem "Interregio" nach Mailand fahren (oder eher kriechen...).
Dort hatten wir dann geschlagene 3 Stunden Aufenthalt, bis unser Cisalpino mit reservierten Radplätzen ins Wallis fuhr. Dumm nur, dass das Radabteil bereits bis unters Dach mit Taschen zugestapelt war. Folglich mussten wir unsere Räder im Durchgang unterbringen, sehr zum Unmut des Kondukteurs...




Erlebnisse am Rande

Tourenradler im italienischen Hinterland: Alienfeeling

Als Tourenradler fiel man vor allem abseits der gängigen Radrouten extrem auf. Egal ob auf dem Dorfplatz oder im Einkaufszentrum, überall wurde man beglotzt, als sei man gerade aus einem Ufo gestiegen. Einerseits ein Spass für uns, andererseits teilweise auch unangenehm.
Einmal in einem kleineren Supermarkt hielten sogar die beiden Kassiererinnen inne, als wir den Laden betraten. Etwa 10 Hausfrauen glotzen uns wortlos an, ein unbezahlbarer Anblick...

Die Italiener und ihre Wegbeschreibungen

Grundsätzlich kann man sagen, von den Leuten, die man unter Tags auf der Strasse trifft sprechen 0% Englisch. Wir haben auf jedenfall niemanden gefunden ;-)
Wenn man jemanden nach dem Weg fragt, antwortet er aber garantiert. Egal ob die Person eine Ahnung hat oder nicht, sie wird dir einen Weg erläutern. Möglicherweise ist es auch die Strasse, woher man gekommen ist, so haben wir es zumindest mehrfach erlebt...



Fazit

Es mag etwas verrückt anmuten, ohne jegliche Tourenerfahrung eine solche Tour in Angriff zu nehmen, doch wenn man etwas kreativ und spontan ist, klappt das ganz gut...
Für uns war es ein supertolles Erlebnis mit vielen tollen Begegnungen. Man kann sagen, als Tourenradler lernt man eine Region wirklich kennen und hat sie nicht nur durch die Windschutzscheibe gesehen.




Tourengänger: Mistermai


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Geodaten
 11348.kml

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Kommentare (1)


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tschiin76 hat gesagt: Witziger Bericht!
Gesendet am 18. Juni 2012 um 23:52
Da habt ihr ja wirklich eine Menge erlebt! Schön! Und interessant zu lesen!

LG


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