Walliser Haute Route, April 2009


Publiziert von tschiin76 , 4. Mai 2010 um 20:13. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Mittelwallis
Tour Datum:10 April 2009
Ski Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS   I   F 
Zeitbedarf: 6 Tage
Aufstieg: 4515 m
Abstieg: 5120 m
Strecke:Zermatt-Chamonix
Zufahrt zum Ausgangspunkt:mit ÖV
Kartennummer:1347 Matterhorn, 1346 Chanrion, 1366 Mont Vélan

Tag 1: Zermatt -Schönbielhütte
Beschnuppern am Bahnhof Zermatt und erst mal ein Panache und erste Infos.
Danach buckeln wir die Ski und erreichen Zermatt durchlaufend die Schwarzseebahn. Bis ganz nach oben lassen wir uns bringen und schon bald haben wir die Skis an den Füssen.
Nachdem wir ein Rudel Gämsen eine Weile beobachtet haben gehts los, erst auf der Piste, dann den Hang querend Richtung Gletscher.
Die ganze Zeit wacht das Matterhorn in seiner ganzen Pracht über uns.
Auf ca. 2200m fellen wir an, und die Temperaturen lassen schon erahnen, dass es ein warmer Aufstieg werden wird.
Nun heisst es möglichst gleichmässig hochlaufen, schon nach den ersten paar Metern hoppelt ein Schneehase davon, danach Stille, Sonne und das konstante Schlurfen der Skis über den Schnee.
Es geht mehr oder weniger flach den Gletscher hoch, erst kurz vor der Hütte wirds etwas steiler und in den Schlusshang pickelt unser Bergführer eine schöne Spur.
Wir lassen den Tag auf der Sonnenterrasse ausklingen, chamuotsch trifft mal wieder Bekannte und das Kennenlernen der anderen Mitgänger geht in die zweite Runde.
Das Znacht ist nicht gerade der Hit und ein fast kalter dazu, wir gehen bald ins Bett.

Tag 2: Schönbielhütte - Tête Blanche - Cabane de Bertol
Ich stehe mit Kopfschmerzen auf und irgendwie bringe ich das Zmorge runter.
Obwohl wir erst auf knapp 2800m sind macht sich die Höhe bemerkbar, das bin ich mir sonst auf dieser Stufe nicht gewohnt.
Bei Sonnenaufgang sind wir unterwegs auf dem Gletscher und haben schon ein paar Höhenmeter geschafft.
Ein wunderbares Farbenspiel auf dem Eis fasziniert uns.
Auch andere spüren die Höhe, chamuotsch hat einen ganz schlechten Tag, die Beine wie Blei, das Ziel in endloser Ferne.
Sie kämpft, und wie, und schliesslich steht sie wie alle anderen auch auf dem Gipfel der Tête Blanche.
Leider hats inzwischen Nebel gegeben und so sehen wir nichts ausser einander und stellen fest, dass wir nicht einmal ganz auf dem Gipfel waren. Egal, den Gipfelkuss gibts trotzdem!
Wir seilen an und im Stemmbogen gehts bergab Richtung Cabane de Bertol. Ich habe die Orientierung verloren, wenn es nach mir gegangen wäre, wären wir zu weit westlich gekommen. Aber ich war ja zum Glück nicht die Navigatorin sondern unsere beiden Chefs.
Plötzlich Pause, wir stehen im White out.
Die Bergführer diskutieren, sind sich der Richtung nicht einig. Minuten verstreichen. Immer noch zögern beide, irgendetwas stimmt nicht. Wir warten. Eine seltsame Ruhe herrscht. Ich versuche mich zu orientieren, keine Chance.
Da, der Fehler ist gefunden: eins der beiden GPS ist auf Meilen eingestellt! Zum Glück haben sie es gemerkt, das GPS wird richtig eingestellt, nun stimmts wieder , die beiden sind sich einig und weiter gehts im Stemmbogen und am Seil.
Wir fahren weiter ab und schliesslich kommen wir unter die Nebelgrenze, der Blick tut sich auf, das Gelände wird fassbarer. Wir sind auf Kurs.
Der Wind spielt mit den Wolken, mal tuts auf, dann wieder zu.
Weiter unten fellen wir auf und seilen uns ab, die Bertolhütte ist in Sicht, der Weg klar. Wie ein Adlerhorst thront sie über den Eisflächen auf einem Fels. Sieht ziemlich cool aus. chamuotsch kämpft sich die letzten flachen Meter über den Gletscher.
Unterhalb der Hütte ist ein grosses Skidepot entstanden, wir stellen die Skis ab und kraxeln die Leiter und die steile Treppe zur Hütte hoch. Viel Platz gibts nicht, um die Hütte führt lediglich ein schmaler Gitterrost, das WC ist an den Fels angebaut. Der Schuhraum ist pumpenvoll. Die Treppen sind so steil, dass die Tritte gegeneinander versetzt sind.
Ich finde die Hütte cool, irgendwie ist die Architektur spannend, so verschachtelt und doch zweckmässig. Und auf dem Tisch in der Mitte des Essraumes stehen doch tatsächlich Geranien in Kisten, und das auf 3300m!
Wir belegen sogleich unseren Schlag, wir sind 12 in einem 13er Zimmer, 2 Plätze sind bereits unplanmässig belegt: ich gehe leer aus, da ich als letzte hereinkomme. Trotz intensiver Suche nach den illegalen Besetzern gelingt es uns nicht, herauszufinden, wer sich da in unser Territorium geschlichen hat. Wir beschliessen, das bei Nachtruhe zu klären, ich bekomme dafür ein paar exklusive Angebote in anderen Zimmern...;-)
chamuotsch lässt sich noch in den Kleidern aufs Bett fallen und will nichts mehr wissen, nur noch Ruhe haben: ich beschliesse, ihr von meinem Höhenwundermittel zu geben, das mir beim Versuch, auf den Pollux zu gehen, super gegen meine schier nicht auszuhaltenden Kopfschmerzen geholfen hat. Sie schluckt das Pulver mit etwas Cola, währenddessen gehen wir hoch in den Aufenthaltsraum was essen. Es vergehen keine 30min und chamuotsch steht in alter Frische neben mir und will wissen, was heute Abend noch so abgeht! Ich staune nicht schlecht, mein Mittel scheint tatsächlich Wunder gewirkt zu haben!
Wir bekommen feines Znacht und dann wäre eigentlich Schlafen angesagt...wäre.....Ich bin gespannt, wer auf meinem Bett liegt. Ich treffe zwei Freunde aus Kanada an: sie entschuldigen sich und rücken zur Seite. Ok, es geht, es ist zwar etwas eng.
Nach nicht allzulanger Zeit merke ich, dass an Schlaf sowieso nicht zu denken ist: mein Ruhepuls ist über 100, ich bin hellwach und wie auf Drogen. Ich finde alles lustig und unterhalte mich prächtig auf englisch und einbisschen französisch mit den beiden "Betträubern".
Aus Rücksicht auf die andern geben wir dann aber auch einmal Ruhe, aber schlafen kann ich nicht.
Bis zum Morgen dürften es dann etwa 2 Stunden gewesen sein, in denen ich so halbwegs weg war. So einen Zustand habe ich noch nie erlebt. Wie froh bin ich , als es endlich Morgen ist und wir aufstehen können.

Tag 3: Cabane de Bertol - Col de l'Evêque - Cabane des Vignettes
Das Zmorge verläuft normal, ich habe weder Kopfschmerzen noch ist mir übel, ich bin einfach total übernächtigt. Aber erstaunlicherweise merke ich das kaum, es geht mir gut.
chamuotsch ist fit und so gehen wir die nächste Etappe an. Die Hütte ist schon sichtbar, wir jedoch müssen ein Tal hoch, über einen Pass und noch um den einen Berg rum, den Mont Collon.
Erst aber geniessen wir auf steinhartem Schnee die Abfahrt bis ins Tal des Haut Glacier d'Arolla. Dort fellen wir an und es geht gemütlich das Tal hoch. In der Sonne machen wir Pause, es geht mir gut.
Dann der Anstieg zum Col d'Êveque: eine erste Krise macht mir das Leben schwer. Der Hang hört und hört nicht auf. Ich kämpfe mich hoch, chamuotsch an meiner Seite. Wir fallen zurück, die anderen warten auf dem Pass.
Oben angekommen bin ich erleichtert, die Abfahrt jedoch fällt mir schwer, obwohl der Schnee ganz passabel ist.
Ca. 380 Höhenmeter Abfahrt auf dem Glacier du Mont Collon, danach ist Stossen und Schieben angesagt. Nach einer kurzen Rast in der Sonne fellen wir erneut an.
Hier ist fertig lustig bei mir: ich merke, dass ich kaum mehr Kraft habe, ich merke, dass ich kaum geschlafen habe, die Beine sind schwer wie Blei, der Kopf leer und ich den Tränen nahe.
Wut auf mich steigt in mir hoch, ich werde es doch jetzt wohl noch zur Cabane des Vignettes schaffen!
Weiter vorne pickelt der Bergführer uns den Weg frei über eine unangenehme Stufe, was wir dankbar notieren.
Neben mir meine personal Motivationstrainerin chamuotsch, es nimmt kein Ende.
Als wir dann endlich bei der Hütte ankommen, muss ich alleine sein, mich beruhigen. Die Höhe macht das mit mir, sage ich zu mir.  chamuotsch ist aber sehr stolz auf mich, haben wir zwei die letzten zwei Tage doch mit gegenseitiger Hilfe gemeistert!!!
Eigentlich hatte ich gedacht, dass mein Training genügend gewesen war, aber ich musste mir eingestehen, dass ich das nur bedingt beeinflussen kann; anscheinend gehöre ich zu denen, die entweder die Höhe einfach nicht gut vertragen oder ich bräuchte einfach noch länger, um mich zu akklimatisieren.
Die Cabane des Vignettes ist gut durchdacht: vor der Hütte würde eine Art Laubengang verglast, so dass ein grosser Stauraum entstanden ist: Drahtseile wurden gespannt, so dass es genügend Platz hat, dass die meisten ihre Felle aufhängen können, es hat genügend Körbchen für die persönlichen Sachen.
Die Küche ist super, wir haben sehr fein gegessen.
Heute ist zudem der obligate Jassabend, es wird viel gelacht und erzählt. 
Auch hier, wie in den anderen zwei Hütten hat es kein Wasser, ich versuche mich mit Schnee etwas zu erfrischen, es windet und ist einfach nur kalt.
Diese Nacht schlafe ich deutlich besser als die letzte, vielleicht, weil wir tiefer sind, vielleicht, weil ich mich nun etwas angepasst habe.

Tag 4: Cabane des Vignettes - Pigne d'Arolla - Cabane de Chanrion
Nach dem gestrigen Einbruch stehe ich mit der bangen Frage auf, ob ich das heutige Ziel, die Pigne d'Arolla erreiche oder nicht.
Das Morge ist fein und bei Sonnenaufgang sind wir bereits wieder bei den Ski.
Der Morgen ist etwas bewölkt, die Sonne drückt durch und beschert und ein weiteres Lichtspektakel. Die Welt ist rosarot und ich versuche, mir diesen Eindruck zu bewahren, bis wir auf dem Gipfel stehen.
Im Zickzack gehts hoch und es geht mir erstaunlich ring. Ich mag mithalten und erreiche in einem annehmbaren Zustand den Gipfel. Wir schauen derweil einem Heli zu, wie er 2 Snowboarder auslädt und ich bin stolz, es aus eigener Kraft hierher geschafft zu haben.
Die Abfahrt über den Glacier du Brenay ist eine Herausforderung: schönster Bruchharst lässt und wie Clowns hinunterfahren, die Aussicht ist grandios.
Auf einer Höhe von 3300 m fellen wir wieder an und steuern Richtung Col Nord des Portons.
Oben präsentiert sich eine grosse, ausgeblasene Mulde, in die wir hinab und auf der anderen Seite wieder hinaufsteigen müssen, dass wir zum Pass kommen.
Dann stehen wir an einem Abgrund: ich habe mir das Gelände anders vorgestellt gemäss der Karte.
Unser Chef zaubert ein Seil hervor, macht Knoten rein und lässt uns hinuntersteigen mit den Skis auf dem Rücken. Das ist super! Habe ich noch nie gemacht, geht aber sehr gut!
Derweil ich mich ans Seil klammere steigt der Chef auf und ab wie eine Gämse und schaut, dass alle wohlbehalten unten ankommen.
Dort ist Pause und sogar die Sonne kommt nun wieder hervor und erwärmt unsere Gesichter.
Es folgt ein weiterer kurzer Anstieg und dann die lange Abfahrt zur Cabane de Chanrion. Bruchharst wechselt sich mit schönem Firn ab, wobei wir letzteren in deutlich geringerer Dichte antreffen....
Die Cabane selber ist ein eleganter Bau, was aber keineswegs elegant ist: die ToiToi-WCs....so was ekliges habe ich selten erlebt: die Hütte ist wie die anderen propenvoll und eines der 3 WCs schon nach kurzer Zeit verstopft, so dass einem die Sch....geradewegs entgegenläuft. Da es aber keine Alternative gibt müssen wir wohl oder übel dort rein. Ich weiss nicht, ob die anderen Klos defekt sind oder warum sonst diese WC-häuschen dort stehen.
Ich habe den ganzen Abend kalt, zum Glück ist das Essen gut und ich kann mich über fehlende Körperwärme nicht beklagen... Wir liegen sehr eng, aber auch diese Nacht geht vorüber.

Tag 5: Cabane de Chanrion - Mont Avril - Fênetre de Durand - Glacier - Courmayeur
Der Morgen ist kalt und klar, wir fahren bis La Barme ab und fellen dort an.
In gleichmässigem Tempo gehts Richtung Fenêtre Durand. Auf etwa einer Höhe von ca. 2750 m steigen wir den Südhang Richtung Mont Avril hoch und danach lasse ich die anderen den Gipfel erstürmen: mir reichts erst mal bis hierher und ich lege mich in die Sonne.
Der Aufstieg ist sehr angenehm, unser Bergführer zieht eine tolle Linie mit nur einer Spitzkehre in den steilen Hang. Auf dem Grat steigt man angenehm dem Gipfel entgegen. Rechts der grosse Klotz des Grand Combin und vorraus die Berge Italiens. Der Gipfel wird dann auch genügend genossen mit Fotos, Kartenstudium und z'Mittagrast. Dann die Abfahrt in Sulz der nur so Pfiff...
Ich mache dann Fotos von den jauchzenden Mitgängern, die mir nach ca. 1h entgegen kommen.
Da die andere Gruppe die Rucksäcke weiter unten gelassen hat, fahren alle bis dorthin zurück und steigen schliesslich zum Fenêtre auf. 
Nun sind wir in Italien: die folgende Abfahrt ist erst ein Genuss, weiter unten auf der Ebene dann Schwimmschneelöcher, die einem alles fahrerische Können abverlangen: ein Wunder, dass nicht mehr einen Sturz hingelegt haben.
Es ist mittlerweilen so warm, dass uns der Schnee fast unter den Latten wegschmilzt: und dazu ist es noch eben. Wir stöckeln, was es zu stöckeln gibt und erreichen wieder etwas steileres Gelände.
Unsere Bergführer entscheiden sich für die Abfahrt auf dem Wanderweg, was sich im Nachhinein als richtig erwiesen hat: denn auf der Sonnenseite, wo die Fahrstrasse entlang läuft hats bereits keinen Schnee mehr.
Wir hüpfen, rutschen und purzeln durch den Wald, den Schneeflecken entlang dem Tal entgegen. Ein paar Meter tappen wir auch über aperen Waldboden. Wir haben einen riesen Spass und alle meistern es bravourös.
Unten in Glacier wartet schon das Bustaxi, welches uns nach Courmayeur bringt. Endlich die Skischuhe ausziehen und die Flip Flops montieren, wer hat... :-)!
Das Hotel direkt neben der Seilbahn ist eine Wohltat: nach knapp 1 Woche wieder eine Dusche, fliessend Wasser, genügend Platz im Bett, die Möglichkeit, alles auszubreiten und trocknen zu lassen. Wie wenig braucht man zum glücklich sein!

Tag 6: Courmayeur - Punta Helbronner - Chamonix
Der Tag beginnt wolkenverhangen und wir befürchten das Schlimmste: dass wir nicht durch das Glace de Mer abfahren können.
Wir schweben trotzdem mit der Seilbahn der Punta Hellbronner entgegen, in der Hoffnung, der Wettergott möge sich gnädig zeigen und die Wolken zur Seite schieben.
In dickstem Nebel kommen wir oben an, man sieht nichts. Ich verabschiede mich innerlich schon von der letzten Etappe.
Wir warten noch eine ganze Weile im Restaurant auf bessere Zeiten, jassen und trinken Tee.
Als man nach ca. 1.5h immer noch nichts sieht, resignieren auch die grössten Optimisten: wir fahren runter ins Tal und mit dem Bus durchs Tunnel  nach Chamonix. Und wie könnte es anders sein: dort erwartet uns Sonne....Aber auf den Gipfeln ist es immer noch grau und so können wir damit leben, dass es halt nicht hat sollen sein....

Tourengänger: tschiin76, chamuotsch


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Kommentare (2)


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alpstein hat gesagt:
Gesendet am 5. Mai 2010 um 06:44
schöner, unterhaltsamer Bericht !

Danke
Hp

tschiin76 hat gesagt: RE:
Gesendet am 5. Mai 2010 um 08:06
Danke, gerne geschehen!


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