Forcella del Nevaio 2624m - Plan B

Schon seit Tagen steht meine nächste Tour, ich freue mich auf perfekte Firnhänge! Nur zur Bestätigung schaue ich noch in das Lawinenbulletin und kann es nicht glauben, statt grün alles braunrot, Lawinenwarnstufe 3 schon am Morgen in ganz Südtirol!? Das muss ein Fehler sein, ich klicke nochmal auf die Seite, aber es wird nicht grüner ;-)
Plan A ist über den Haufen geworfen, was tun? Mein Blick fällt auf das benachbarte Belluno und dort ist alles grün und gelb!? Aineva Veneto gibt auch im Tagesgang nicht mehr als Stufe 2, direkt angrenzend an Südtirol, sehr kurios.
Ich vertraue allen Experten, ob Südtiroler oder Veneter und disponiere spontan um auf Plan B, dahin, wo mir weniger Gefahr droht, in die Cadini!? Ich stöbere ein wenig und mir fällt eine Tour aus dem Rother Skitourenführer Dolomiten ein, die mir früher im Kopf herumgespukt war und die ich beinahe vergessen hatte. "Eine der schwersten Touren in diesem Führer, evt. leichte Kletterei und ein mehr oder weniger heikler Quergang." schreibt Stefan Herbke, mal schaun, wie weit ich komme!?
Mit gewissem Respekt starte ich in Misurina und stakse auf der alten Piste der Forcella della Neve entgegen, was wird mich erwarten? Dass ich mutterseeelenalleine bin, hätte ich zumindest nicht erwartet, die Tour gehört zu den beliebtesten im Gebiet und wird normalerweise überrannt. Heute nähern sich nur noch zwei Franzosen: Allez les Bleus! Und wie sie laufen, locker ziehen sie an mir vorbei. Meine Idee kommt ihnen zupass und auch sie planen um, von der Forcella del Diavolo auf die Überschreitung der Forcella della Neve.
Sie sind gut trainiert und informiert, weit vor mir stehen sie an der Forcella, zögern keine Sekunde und schon sind sie auf der Gegenseite verschwunden.
Ich sehe gerade noch, wie sie weit unten ausschwingen und auffellen, der Forcella Verzi entgegen. Auch ich stürze mich in die Abfahrt und quere so hoch wie möglich nach links, um die zwei flotten Franzosen noch einzuholen!? Sie sind schon wieder enteilt, ein Stück sind sie in der Rinne noch mit den Skiern aufgestiegen. Ich habe keine Lust umzurüsten, schnalle die Ski auf den Rücken und stapfe zu Fuß hoch.
Ein mühsames Unterfangen, der Schnee ist zunächst noch zu weich und hält meine Tritte nicht optimal. Dafür komme ich locker ohne Steigeisen voran und später helfen sowieso die Tritte meiner Vorgänger. Der Schweiß beginnt zu rinnen, der Atem wird schwer, in der Forcella Verzi schnaufe ich tief durch, das Anstrengendste wäre geschafft!
Die Forcella del Nevaio ist schon zu sehen und auch der Quergang. Jetzt lege ich die Steigeisen an und schnalle den Pickel vom Rucksack, die Beschreibung im Führer hat mich beeindruckt. Die Bedingungen sind allerdings nahezu optimal, es liegt genug Schnee und er ist gut trittfest. Trotzdem geht es abschüssig zu und der Pickel leistet gute Dienste. Die Kollegen haben eine Zeit lang herübergeschaut, aber als ich an der Nevaio ankomme, sind sie schon wieder verschwunden, Allez les Bleus!
So wird es heute ein Alleingang, wer hätte das gedacht, auf den zwei Klassikern in den Cadini, Forcella della Neve und del Nevaio. Der Schnee wird heute nicht mehr besser, ich fahre zügig ab Richtung Rifugio Fonda Savio. Die ersten, extrem steilen Meter rutsche ich seitlich ab, bevor ich Schwünge setzen kann. Der Saharastaub sorgt für unangenehm diffuses Licht, der Schnee ist auch kein Genuss, aber fahrbar.
Unterhalb der Hütte geht er in aufgeweichten Matsch über, aber es könnte unangenehmer sein und als ich auf der Piste ankomme, treffe ich sogar zum krönenden Abschluss auf besten Firn, was will man mehr von einem Plan B?