Hochtour ab Mönchsjochhütte zur Jungfrau mit dramatischem Ende, aber glücklichem Ausgang


Publiziert von Heidelberger Gipfelsammler Ötzi II , 16. September 2023 um 15:11.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Jungfraugebiet
Tour Datum:18 August 2023
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE   CH-VS 
Unterkunftmöglichkeiten:Mönchsjochhütte

Anmerkung:
mit großem Dank an die 7 edlen Spender von hikr.org widme ich diesen meine folgenden 10 (vorerst) letzten Normalberichte! Die Spenden ermöglichten es mir auch, mit jemand eine Hochtour zur Jungfrau zu machen, nachdem mein Tourenpartner, mit dem ich dieses Jahr bis zu 7 Schweizer Viertausender besteigen wollte, am Ende der Skihochtourensaison tödlich verunglückt ist! (Ich habe immer noch daran zu knabbern!) Diese Hochtour zum Nachbarberg des Mönch verlief allerdings dann völlig anders, als ich es mir vorgestellt hatte!

Bericht:
Nach Auffahrt mit der Jungfraubahn, für die ich mithilfe des Schnupper-Halbtaxabos nur den halben Fahrpreis bezahlen musste (der Begleiter, den ich erst wenige Wochen zuvor bei einem Treffen kennengelernt hatte, konnte es am Bahnschalter nicht erhalten, weil man angeblich dafür einen Coupon braucht), machten wir an diesem trübem Tag noch mit dem Aufzug einen Abstecher zur Terrasse der Sphinx (dass am folgenden Schönwettertag dazu keine Gelegenheit mehr bestehen sollte, ahnten wir aber nicht!). Danach stiegen wir über die angelegte Trasse zur Mönchsjochhütte auf.

Am nächsten Morgen um 05.00 Uhr verließen wir die Hütte und stiegen zunächst bis unterhalb des Jungfraujochs ab. Dort folgten wir der guten Spur über den Jungfraufirn. Man verliert deutlich an Höhe. Bevor der eigentliche Anstieg zum Rottalsattel beginnt, befindet man sich etwas unterhalb von 3300m Höhe. Wir mussten auf dem Gletscher mehrere Spalten mit Bedacht überschreiten.

Ich bin schon langsam, aber dem Tourenpartner war ich mindestens weiter oben zu schnell. Er war im Gegensatz zu mir eben offenbar nicht trainiert. Vielleicht hätte man vorher eine Probetour machen sollen? Nur, was hätte ich danach entschieden? Die Besteigung der Jungfrau war mir jedenfalls überaus wichtig! Anfang Juni hatte ich sie ja mit dem verunglückten Tourenpartner von der Konkordiahütte bei einer Skitour besteigen wollen.

Kurz vor dem folgenden Felsriegel wurden wir von der vorletzten Seilschaft überholt. Die beiden begannen, eine Felspassage hinaufzuklettern. Der Tourenpartner bekam Zweifel, schlug vor, umzukehren! Er bemerkte, dass ich sowieso lieber die Jungfrau auf Skitour besteigen würde! Dann kam das, was ich erwartete hatte: die beiden Alpinisten begannen, in den Felsen nach links zu queren. Also befand sich dort - von unten nicht zu sehen - ein Band, über das es weitergeht. Mir war von der Karte her nur die Skiroute bekannt. So drehten wir nicht um, was ich partout nicht machen wollte, sondern gingen weiter zu den Felsen. Die Kletterpassage war nur II, ich sicherte ihn dann oben am angebrachten Haken.

Es folgte eine unschwierige Querung in der Felsflanke, dann ging es über Felsgelände aufwärts zu einem flachen Rücken. Man sieht ein paar Steinmänner, kann aber auch etwas abseits von ihnen hinaufkraxeln (I, Stellen II). Über einen Eisrücken, auf dem aufgrund von 2 Schneefällen im August Neuschnee lag, ging es auf guter Spur aufwärts. Es folgte eine Querung unter der NO-Wand des Rottalhorns, das ich nach Abstieg von der Jungfrau zum Rottalsattel noch besteigen wollte, dann der Anstieg zu diesem Sattel. Zuletzt geht es über eine Steilstufe hinauf. 

Der Anstieg vom Rottalsattel zum Gipfel der Jungfrau ist sicherlich ausreichend beschrieben worden. An den Felsen in Aufstiegsrichtung links befinden sich Sicherungsstangen. Beim Anstieg lichtete sich langsam der Nebel, der diesen Berg eingehüllt hatte und mit zunehmender Höhe wurde immer mehr Blau des Himmels sichtbar. So hatten wir auf dem Gipfel doch noch ein einigermaßen gutes Panorama!

Kurz vor Beginn des Abstiegs schlug ich vor, unangeseilt zum Rottalsattel abzusteigen. Der Tourenpartner wollte jedoch am Seil gehen. Wir machten jedenfalls den Fehler, nicht am kurzen Seil abzusteigen, sondern die 20m Seillänge, die am Gletscher vorteilhaft ist, beizubehalten. Unter dem weichen Schnee befand sich teils Eis, aber wir hatten ja Steigeisen angelegt. Plötzlich hörte ich von oben einen Ruf, schaute sogleich hinauf u. musste mit Schrecken feststellen, dass der Begleiter auf mich zustürzt! Ich trat zur Seite, denn auffangen konnte ich ihn nicht! Kurz darauf geschah das Unvermeidliche: ich wurde mitgerissen! Mit einem subjektiv als hoch empfundenen Tempo rutschten wir den steilen Hang hinunter, den Tourenpartner sah ich dabei nicht. Was ich aber gleich erblickte, war eine Felsstufe vor mir, so hatte ich kurz ein mulmiges Gefühl, flog über sie hinweg, landete im weichen Schnee, spürte keinen Schmerz. Es ging alles sehr schnell, aber mir war gewahr, dass wir auf einen Abgrund hin rutschten, in dem schon einige Alpinisten und vor etlichen Jahren 6 Soldaten den Tod gefunden hatten! Ich dachte in etwa "das kann nicht sein, dass ich jetzt sterben muss!" und bremste mit aller Kraft im Schnee. Mir gelang es tatsächlich dann auch, die Seilschaft kurz vor der Abbruchkante zu stoppen! Der Tourenpartner hing bereits in den Felsen, sodass ich ihn gar nicht sehen konnte. Dem Zug am Seil musste ich standhalten! Mein Pickel war zwischen mir, meinem Rucksack und dem Untergrund eingezwängt, weshalb ich ihn nicht freibekam. Noch bevor ich einen Notruf absetzen konnte, gab der Seilzug nach. Er hatte sich berappelt und konnte sich nach oben bewegen. Er überwand kurz darauf die Kante u. setzte sich erst einmal auf einen Felsblock. Nach eigenen Angaben war er mit dem Kopf nach unten gehangen, hatte sich ihn angestoßen, während das Seil um sein Bein gewickelt war. Auf jeden Fall hatte ich ihm wie auch mir das Leben retten können! Für mich war diese "Rutschpartie" schon wieder erledigt (irgendwie scheine ich diesbezüglich abgebrüht zu sein) u. so hätte ich weitergehen können, als sei nichts geschehen! Ich war unverletzt  und hatte nicht einmal einen Schock erlitten! Er aber sagte, leicht verletzt zu sein, weshalb ich die Bergwacht rief. 

Der Retter, der vom Hubschrauber abgelassen wurde, sagte: "Ich muss jedes Jahr Tote da unten bergen! So weit oben war ich noch nie! Ihr habt Riesenglück gehabt!" Später las ich im Netz, dass es sich beim Abschnitt zwischen Jungfraugipfel und Rottalsattel um einen der unfallträchtigsten der Alpen handelt!

Der anschließende Flug außen am Hubschrauber war spektakulär, auch weil der Pilot ihn zunächst auf die Seite des Lauterbrunnentals steuerte u. ich dabei viele hundert Meter Luft unter mir hatte!



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Kommentare (3)


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Uli_CH hat gesagt:
Gesendet am 16. September 2023 um 20:59
Na, zum Glück ist alles gut gegangen! Das war ja ein Schreck! An den Bericht von den verunglückten Soldaten erinnere ich mich noch gut.

Danke für die Widmung und auf dass dein Glück anhält (Ich erinnere mich auch noch gut an deinen Bericht von der Wächte am Rastkogel).

Pass auf dich auf!
Liebe Grüsse, Uli

Cubemaster hat gesagt: Nochmal Glück gehabt!
Gesendet am 17. September 2023 um 13:36
Hallo Kai, es freut mich sehr, dass du noch lebst. Zuerst einmal möchte ich dir gerne sagen, dass ich es mutig finde, das Erlebte hier so im Detail zu beschreiben, viele würden es vielleicht verschweigen oder kleinreden. Aber ein paar Anmerkungen habe ich dazu noch:
1. Eine so anspruchsvolle Tour sollte man nur als gut eingespielte Seilschaft unternehmen. Du schreibst im Text ja selbst, dass dich dein Wunsch, diesen Gipfel zu besteigen, dazu gebracht hat, dies nicht zu berücksichtigen. Aus dieser guten Erkenntnis solltest du (und auch dein Tourenpartner, der ja aus eigener Entscheidung weiter mitgegangen ist) unbedingt lernen!
2. Ebenfalls selbst festgestellt hast du, dass ihr in dem steilen Gelände die falsche Seillänge verwendet habt. Da darf man nicht zu bequem sein, ggf. ein paarmal umzubauen!
3. Aus meiner Sicht war es falsch, dass du beim Abstieg vorausgegangen bist. Dein Partner war ja wohl schon ziemlich erschöpft, da passieren dann schnell Fehler. Außerdem vermute ich, dass du der Erfahrenere von euch beiden warst. Vielleicht hättest du das von oben sofort halten können.
4. Ich nehme an, dass du den Pickel in der Hand hattest und er dir beim Sturz abhanden gekommen ist? Ohne Pickel in der Hand zu gehen wäre ja grob fahrlässig...
Insgesamt sind also ein paar Sachen nicht optimal gewesen. Meistens sind schwere Unfälle durch mehrere Fehler bedingt. Versuche unbedingt, so viele Fehlerquellen wie möglich zu identifizieren, ein einzelner Fehler kommt immer mal vor und ist dann hoffentlich nicht so schlimm.
Viele Grüße!

Heidelberger Gipfelsammler Ötzi II hat gesagt: RE:Nochmal Glück gehabt!
Gesendet am 9. Dezember 2023 um 21:02
Hallo Cubemaster,

danke für Deine netten Worte!

Stimmt, der andere hätte vorausgehen müssen!

Der Pickel war nach Beendigung der Rutschpartie zwischen Schnee und meinem Körper eingeklemmt.

Mit 60 habe ich fast keine Chance mehr, einen erfahrenen Seilpartner zu finden!

Viele Grüße,

Kai


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