Kurzbericht 

Schwarzhorn in Schwarzweiss...


Publiziert von lorenzo , 29. Juni 2023 um 22:35.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Berner Voralpen
Tour Datum:28 Juni 2023
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 7:45
Aufstieg: 1780 m
Abstieg: 1350 m
Strecke:20 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Axalp, Sportbahnen
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Grosse Scheidegg
Kartennummer:LK 1209 Brienz, 1229 Grindelwald; M. Brandt, Clubführer Berner Voralpen, SAC 1981; A. Kaminski, Nächstes Jahr in Jerusalem, Suhrkamp 1988

Obwohl schon oft in der Gegend unterwegs, waren mir die beiden unscheinbaren "Grätchen" Ritzen- und Widderfeldgrätli bisher kaum aufgefallen, und auch auf der Karte hinterlassen sie einen eher harmlosen Eindruck. Und für den Schwarzhorn SW-Grat hatte ich mich wegen dem unseligen Klettersteig bislang sowieso nie begeistern können. Dies änderte sich aber schlagartig, als ich, auf Tourensuche im Gebiet, kürzlich die Routen über die genannten Grate im Führer studierte, demzufolge diese etliche Knackpunkte aufweisen sollten, und deren Schwierigkeit dort mit WS angegeben wird. Als willkommene Zugabe winkte zudem der Gemschberg, der laut Führer "im N in einen wilden, sehr abschüssigen und grosszügigen Grat" ausläuft, der zusammen mit einer Besteigung des Schwarzhorns über den SW-Grat die "relativ lohnendste Kletterei im Gebiet" darstelle. Bei einem Brandt'schen "ZS" machte ich mir allerdings keine allzu grossen Illusionen, hatte "ZS" ohne Kletterausrüstung doch schon wiederholt einen "Zusammenschiss"  bedeutet, bzw. zu einem Rückzug mit eingezogenem Schwanz geführt.

Die üblichen Meteoportale hatten leichte Bewölkung angekündigt, Richtung Oberland schien sich der Zug aber, passend zu meiner Lektüre von "Nächstes Jahr in Jerusalem", wo einer der Protagonisten erfolglos versucht, gegenüber der Schwarzweissfotografie die farbige Prismatografie zu entwickeln, unter eine immer unduchdringlichere Wolkendecke zu bewegen, so dass ich und zwei ehemalige ArbeitskollegInnen, denen ich zufällig im Zug begegnete, und die aufs Augstmatthorn wandern wollten, uns bloss damit zu trösten wussten, dass es so wenigstens nicht allzu heiss werden würde. Ein geringer Trost allerdings, angesichts des eintönigen Graus während des Zustiegs und praktisch der ganzen Überschreitung und dem hartnäckigen Sich-in-Wolken-hüllen der Prachtsgipfel vis-à-vis. Einzig die in allen Farben leuchtenden Bergblumen schienen den Geheimnissen der Prismatografie trotz mehrheitlich verhinderter Sonnenstrahlen auf die Schliche zu kommen. Später, schon wieder zuhause, war in den Abendnachrichten dann zu vernehmen, dass eine Rauchwolke von den Waldbränden in Kanada ihren wohl nicht unwesentlichen Teil zur sonnenfinsternishaften Düsterkeit beigetragen hatte.

Egal, Hauptsache, es gab keinen Regen und keine Gewitter. So startete ich trotz aller Unbill zuversichtlich und voller Vorfreude auf die Herausforderungen, die mich erwarten würden, auf der Axalp, und schritt auf dem Weg, der mir von einer Wanderung mit meiner Mutter letzten Sommer bis zum Schwarzseewli bekannt war, über Tschingelfeld, wo die Kühe noch auf Blatti weideten, zum Hagelseewli und weiter zum Tierwang. Schon der Aufschwung zum Ritzengrätli erforderte konzentriertes Klettern, während sich der 1. Gendarm problemlos über- und der 2. ebenfalls relativ leicht erklettern liess. Doch vor dem folgenden Abstieg über "nicht sehr feste, heikle Platten"  hätte ich beinahe das Handtuch geworfen, riss mich dann aber zusammen und tastete mich vorsichtig bis zu einer unüberwindlich scheinenden Stufe hinunter, die sich glücklicherweise jedoch, wie im Führer beschrieben, einfach links umgehen liess. Erst nach einer abzukletternden kniffligen Platte wurde schliesslich der Weiterweg zum bescheidenen Gipfel des Ritzengrätli und zum markanteren der Grossenegg frei. Nach dem Abstieg über den zuerst breiten, dann zunehmend schmalen und ausgesetzten E-Grat gelangte ich zu einer tiefen Scharte, 
im Führer als "Sattel, der felsig, und beidseits sehr ausgesetzt ist"  beschrieben, deren Querung mich einige Überwindung kostete. Nun war das Gröbste vorerst überstanden, und auf dem Widderfeldgrätli gelangte ich bequem über dessen Gipfel und, hoch über den Felsplatten von Im Grauen Wang zur Rechten und dem noch winterlichen Häxeseewli zur Linken, weiter zur Chlyni Chrinne.

Obwohl ich auf Geröllbändern links vom Grat leicht zur Grossi Chrinne hätte queren können, wollte ich weiter dem Grat zu P. 2684 folgen, wo dieser zu jener abbricht, in der Hoffnung, dort villeicht doch irgendwie abklettern zu können, obzwar im Führer von mindestens 30m Abseilen und umgekehrt von einer Erkletterung "über unzuverlässigen, erdigen Fels" die Rede ist. Der Tiefblick 50m senkrecht hinunter genügte jedoch, um mich eines Besseren zu belehren, aber immerhin erhielt ich so einen guten Überblick vom SW-Grat, der rechts der 
beiden initialen Steilstufen mit Metallleitern eingerichtet wurde. Ich folgte dem Grat zurück zu einer vorgemerkten Stelle, von der ich über Bänder und Stufen in vertretbarer Weise zu den Geröllbändern absteigen konnte, die zur Grossi Chrinne führen. Ich umging die beiden Steilstufen des SW-Grats links auf der Originalroute über ausgesetzte, aber griffige Felsen, und gelangte zuletzt durch einen Kamin auf den Grat, wo mir zwei freundliche Romands, denen ich vorhin von oben bei ihren Vorbereitungen zugeschaut hatte, entgegen kamen. Auf dem nun leichten Grat freute ich mich einerseits über die Pfadspuren, ärgerte mich andererseits aber wegen den Kabeln, die mir immer wieder in den Weg kamen - so what, bis zum Gipfel war es eh nicht mehr weit.

Da wegen den erwähnten Wolken an ein Gipfelpanorama, das seinen Namen verdient, nicht zu denken war, machte ich mich sogleich an den  einfachen Abstieg über den S-Grat, immer den für heute geplanten letzten Streich vor Augen, den Gemschberg NW-Grat, in der Hoffnung, dass Brandt's "ZS" heute milde ausfallen würde. Je näher ich dem Prüfstein kam, desto strukturierter wirkte zunächst der Fels, so dass ich zuversichtlich blieb und noch bis zum vorgelagerten Gendarm an einen möglichen Durchstieg glaubte. Als ich beim Abstieg vom Gendarm den NW-Grat aber direkt vor mir aufragen sah, gewahrte ich dessen enorme Steilheit, zudem schien der Fels teilweise brüchig zu sein. Gleichwohl beherzt kletterte ich ca. 10Hm bis zum ersten Absatz empor, von dem es bis zu den "weniger steilen und leichteren Felsen" , die zum Gipfel führen, nur noch ein Katzensprung zu sein schien - indes einer, für den mir angesichts der nahezu senkrechten Anlage, der stellenweisen Brüchigkeit und der Ausgesetztheit schlicht die Kühnheit und der Biss fehlten. Ich probierte es noch in der N- und der W-Flanke, bevor ich resigniert aufgab und entlang dem Spycherbach und der SE-Kante zum Wanderweg abstieg, mantramässig "Zugabe ist Zugabe, ZS ist ZS und Ausnahmen von der Regel sind selten..."  vor mich hinmurmelnd. Derart beschwichtigt und aufgemuntert, erreichte ich die Grosse Scheidegg, wo ich beim Warten auf den letzten Bus hinunter nach Grindelwald fasziniert die wahnwitzigen Kalkfluchten des Scheideggwetterhorns bewunderte.

Axalp-Tierwang

Zustieg: von Axalp (1532m) gelben Markierungen folgend (gelb) auf der Alpstrasse und dem Wanderweg nach Chiemad (1802m), und auf dem weiss-rot markierten Bergweg (wr) über Lütschentälti (ca. 1835m), Tschingelfeldalp Oberberg (1911m) und NW vorbei am Hagelseewli (2338m, Wegweiser 2361) zum Sattel Tierwang (2417m), 2h 15min, T3.

Grossenegg
Aufstieg Ritzengrätli: vom Sattel Tierwang (2417m) nach SSE zum Einstieg und im GUZ (geschichteter Fels, II) auf den Grat. Über einen 1. zu einem 2. Gendarm (2517m, gutgriffiger Fels, II), von dem über einen ausgesetzten Gratabschnitt (z.T. brüchige Platten und Stufen, II) abgestiegen wird. Aber der folgenden senkrechten Stufe kann der Grat links auf einem Grasband (Pfadspur) umgangen werden. Weiter auf dem Grat (Gras, leichte Felsen) zu einer 1. und 2. Kuppe, von der über eine Platte abgeklettert werden muss (5m, II), über den Gipfel des Ritzengrätli (2521m) in die Gratsenke ca. 2475m, und nach ENE auf die Grossenegg (2622m), 1h, WS.

Abstieg Widderfeldgrätli: von der Grossenegg (2622m) auf dem zuerst breiten, dann zunehmend schmalen und ausgesetzten Grat (Gras, leichte Felsen) nach E vor die Scharte 2554, in die direkt ausgesetzt ab-, und aus der, einen Gendarmen links umgehend, linksseitig wieder hinaufgeklettert wird (II). Weiter auf dem Grat einfach über P. 2578 und leicht ansteigend zum Gipfel des Widderfeldgrätli (2632m). Abstieg nach ENE, rechterhand die Platten von Im Grauen Wang, über P. 2580 und zuletzt steil hinunter zur Chlyni Chrinne (2549m), 45min, L.

Schwarzhorn
Aufstieg SW-Grat: von der Chlyni Chrinne (2549m) nach E steil hinauf (Gras, leichte Felsen), und über den Grat (Gras, Schotter, ev. Firnreste) nach NE zur Kuppe 2684 ca. 50m senkrecht über der Grossi Chrinne . Auf dem Grat kurz zurück, bis bei einem Einschnitt durch eine Rinne links ausholend nach NW zu einem Absatz abgestiegen werden kann (Pfadspuren). Dann auf Felsbändern horizontale Querung nach NE und Abklettern über gute Stufen (I-II) auf die NW Geröllbänder zwischen Chhyni und Grossi Chrinne, und auf diesen zu letzterer (2635m), 30min, WS. Nun zuerst entlang dem Klettersteig (weiss-blaue und gelb-rote Markierungen, wb, gr), dann auf Bändern (Schrofen) NW unter die 2. Stufe im SW-Grat. Weiter über Bänder und Stufen (grasdurchsetzter griffiger Fels, II) schräg links haltend zu einem Kamin, und durch diesen (II) auf den Grat oberhalb der 2. Stufe. Schliesslich wb einfach über den Grat (leichte Felsen, Geröll, Pfadspuren, Vorsicht wegen Kabel) auf den Gipfel (2927m), 45min, WS. Insgesamt 1h 15min.

Abstieg S-Grat: vom Gipfel (2927m)  über den Grat (Schotter, leichte Felsen, Pfadspuren) wb bis ca. 2700m, dann weiter über die Schulter 2657, und zuletzt steil nach SE hinunter (brüchige schiefrige Platten, II) in den Sattel ca. 2570m, und über einen Gendarmen (I) zum nächsten Sattel ca. 2560m NW vom Gemschberg (2658m). Nach E und SE (Schotter, Firnreste, Gras) steil hinunter, dem Spycherbach folgend nach Gummi, entlang und auf der Gemschberg SE-Kante (Gras, Schotter) nach Gratschärem (2007m) und gelb auf der Alpstrasse zur Grossen Scheidegg (1962m), 1h 30min, T4.

Verhältnisse: bewölkt mit Aufhellungen und mild. Wege, Gras und Felsen trocken, Firnreste oberhalb ca. 2200m.

Material: Leichtpickel, 30m 6mm Reepschnur, 2 Schlingen und 1 Express (alles nicht gebraucht) für alle Fälle zusätzlich zu üblicher Alpinwanderausrüstung.

Fahrplan: 9.15 Start, 11.30 Tierwang, 12.30 Grossenegg, 13.45 Grossi Chrinne, 14.30 Schwarzhorn, 15-16 Uhr Versuche am Gemschberg, 17 Uhr Grosse Scheidegg.

Nachtrag 22.7.2023
Am 19.7.2023 wanderten schnafler, der in der Gegend gerade in den Ferien weilt, und ich von der Schwarzwaldalp Richtung Schwarzhorn. Auf Bidem durften wir freundlicherweise ein heftiges Gewitter in der Alphütte aussitzen, wohinein auch die gerade herausgelassenen Kühe wieder zurückgetrieben wurden. Bei wieder freundlicherem Wetter gelangten wir entlang braun angeschwollener Bäche durch Wischbäch und bei nun starkem W-Wind über die Wart und die NW-Flanke, die wir als mässig lässig, aber ziemlich anspruchsvoll empfanden, schliesslich doch noch auf das Schwarzhorn. Nach einem wieder "amächeligeren" Abstieg über den S-Grat kletterten wir - wie ich beim ersten Versuch - eine SL über den Gemschberg NW-Grat bis zum ersten Absatz (brüchig und heikel, laut Führer II). Mangels festen Verankerungsmöglichkeiten für einen sicheren Stand, voraussichtlich fortgesetzt brüchigem Fels ohne zuverlässige Sicherungsmöglichkeiten, und vermutlich deutlich höheren Schwierigkeiten, als im Führer  angegeben (III), äusserte sogar schnafler, durch Begehungen u.a. der Matterhorn N-Wand, der Schlossberg W-Wand (4. Begehung), der Schuhmacherrippe am Grossen Fiescherhorn und des Frêneypfeilers mit gröberen Sachen vertraut, seine ernsthaften Zweifel daran, weiterzufahren, und wir brachen die Übung ernüchtert und enttäuscht ab, nicht ohne uns zu fragen, ob hier überhaupt schon jemand hinauf geklettert ist? Über Spycherboden und Scheidegg Oberläger kehrten wir zur Schwarzwaldalp zurück, gerade noch rechtzeitig vor einem nächsten kräftigen Platzregen...

Tourengänger: lorenzo


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