Plattenspiele am Passo del Lupo...


Publiziert von lorenzo , 19. Juni 2023 um 23:34.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Locarnese
Tour Datum:18 Juni 2023
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: S
Klettern Schwierigkeit: V- (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Poncione Piancascia 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 1900 m
Abstieg: 1065 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Corippo, Bivio
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Cimetta, cff logo Cardada, cff logo Orselina, Madonna del Sasso, cff logo Locarno
Unterkunftmöglichkeiten:Corippo Albergo diffuso
Kartennummer:LK 1313 Bellinzona, 1312 Locarno

Anfang letztes Jahr schickte mir Christoph ein auf dem Pizzo di Vogorno aufgenommenes Foto, auf dem eine rund 450m hohe leicht gewinkelte Plattenflucht unter dem Passo di Lupo zuhinterst im abgelegenen Valle di Corippo zu sehen ist. Wir waren uns bald einig, verschoben aber einen ersten Versuch u.a. wegen Trockenheit und Waldbrandgefahr auf dieses Jahr. Als diesen Frühsommer nach z.T. intensiven Regenfällen im Süden endlich ein Wochenende mit Gewittern voraussichtlich erst ab Sonntagabend angekündigt worden war, machten wir uns auf den Weg. Von der Strasse entlang dem Lago di Vogorno erhaschten wir einen ersten Ausschnitt des obersten Drittels der Platten, aber wohl wissend, dass uns davon noch ein langer Anstieg zum geplanten Biwak, ein mit vielen Fragezeichen versehener Zustieg und etliche Klettermeter unbekannter Schwierigkeit trennten.

In Corippo gönnten wir und zuerst einmal eine stärkende Torta di Pane, bevor wir uns ins Unvermeidliche schickten, den zwar landschaftlich sehr reizvollen, aber umso beschwehrlicheren Aufstieg in der Mittagshitze hinan durch das steile Valle di Corippo. Bis zu den ersten Cascine war der Treppenweg noch einigermassen gut unterhalten, dort belehrte uns aber ein freundlicher Einheimischer, der gerade lautstark am Trimmen war, dass die "strada dopo il ponte" "indistinto" und "ricoperto di piante" sei. Es war dann alles zum Glück nur halb so wild, und zudem spendete der dichte Buchenwald angenehm kühlenden Schatten. Erst dort, wo der Pfad aufhört, wurden wir aus der Reserve gelockt, fanden nach einigem Herumirren unseren avisierten Biwakplatz unten am oberen Torrente di Corippo aber 
schliesslich doch noch. Wir bereiteten uns mit Gras und Farn bequem weiche Schlaflager, sammelten trockenes Schwemmholz, und einmal mehr hatte Christoph im Nu aus Bachsteinen einen Ofen hervorgezaubert und Feuer darin entfacht. Schon bald löffelten wir eine nahrhafte Gerstensuppe, und liessen den noch lange hellen Juniabend bei anregenden Gesprächen zum angenehmen Hintergrundrauschen des Bachs ausklingen, bis der klare Sternenhimmel uns zur Nachtruhe gemahnte.

Am nächsten Morgen standen wir mit der Dämmerung und dem erwachenden Gesang der Vögel um 4.30 auf. Während ich noch meine Matte zusammenrollte und den leichten Schlafsack in den Nylonsack stopfte, hatte Christoph schon wieder Feuer gemacht und dampfenden Kaffee zubereitet, zu dem wir uns mit Brot und Käse stärkten. Der am Vorabend mit einiger Skepsis beäugte Felsriegel unter der Zustiegsflanke liess sich dann zum Glück über eine Grasrampe, die wir uns vorgemerkt hatten, zwanglos in komfortablem T6-Gelände überwinden, was Christoph ein erleichtertes "Thanks God Ledge" entlockte . Auf abnehmend steilem Gras und zwischen Bäumen und Stauden hindurch kämpften wir uns dann langsam, aber stetig, dafür mit einem prächtigen Sonnenaufgang, üppiger Bergblumenvielfalt, sowie einer vorbeiziehenden Gemse und einer Hirschkuh belohnt, zu der Rinne des obersten Torrente di Corippo hoch, die wir über dem ersten Aufschwung erreichten, den ich ab- und aufsteigend noch kurz erkundete, wonach wir über leichte Platten zum Einstieg gelangten, wo wir uns anseilten.

Souverän meisterte Christoph mit Kletterfinken in der 1. und 3. SL zwei schwierige Risse, in denen uns rieselndes Wasser Konkurrenz machte, und ich in den schweren Schuhen etwas ins Rotieren kam. Wenigstens hatten wir damit die beiden Schlüsselstellen 
- rückblickend gesehen - bereits hinter uns, indem uns in der Folge etwas Vergleichbares wie ein Wasserfallkamin erspart werden sollte. Der in der 2. SL. dazwischen liegende, nach links abdrängende "Bottle Neck" oblag von der Reihenfolge her mir, und er gelang mir nur dank vorsichtig tastendem Auschecken und genügend nervenschonenden Placements. Die nächsten 5 SL erfreuten uns mit genussvoller leichter Plattenkletterei, die durch stellenweise herunterrinnendes Wasser kaum getrübt wurde. Das letzte Drittel forderte dann noch einmal die linksseitige Umschiffung zweier Felsvorsprünge, bot aber auch schöne Genusskletterei in kompaktem und z.T. löchrigem Tessiner Gneis. Zum Dessert gab's schliesslich nochmals rund 100Hm erfrischend steile Grasplackerei, bevor wir uns, endlich auf dem Grat angekommen, gegenseitig beglückwünschen konnten.

Zum Abstieg hatten wir uns für die Gratwanderung Richtung Süden über den Passo del Lupo, den Madone und die Cima della Trosa zur Cimetta entschieden, der gegenüber allen Talabstiegen ins Verzasca- und Maggiatal wohl schonendsten Variante, abgesehen von der Umgehung über die Bassa di Bietri, die aber distanzmässig etwas mehr zu Buche schlägt. Tagsüber hatte sich der Himmel zunehmend mit Quellwolken überzogen, die zwischendurch so dunkel wurden, dass wir die erst für den Abend vorhergesagten Gewitter schon nachmittags befürchteten, glücklicherweise umsonst. Das allseitig einzigartige Panorama dieses Klassikers am Beginn der Via Alta Vallemaggia wurde dadurch natürlich etwas getrübt, dafür blieb es, unterstützt von leichten Windböen, angenehm kühl. Bei der Ankunft auf der Cimetta stellten wir dann ziemlich ernüchtert fest, dass der Sessellift seit einer guten halben Stunde nicht mehr in Betrieb war, so dass wir wohl oder übel weiter bis Cardada absteigen mussten, wo noch bis um 20 Uhr halbstündlich eine Gondel nach Orselina hinunter fuhr. Schliesslich schafften wir es in Bellinzona dann doch noch auf einen der letzten Schnellzüge Richtung Norden, und schon kurz nach der Einfahrt ins Südportal bei Biasca fielen uns die Augen zu...

Corippo-Bivacco Cristoforo e Lorenzo
Von Corippo Bivio (497m) gelben Markierungen folgend auf der Strasse und dem Wanderweg nach Corippo (566m). Auf dem eingezeichneten Weg am S-Rand des Dorfes und weiter nach W zur Brücke über einen Nebenbach, hinauf zu einer Kapelle, und über eine nächste Brücke zu einem Weiler in einer Waldlichtung (ca. 750m, Bergstation einer Materialseilbahn). Abstieg auf dem eingezeichneten Pfad zur Brücke ca. 690m über den mittleren Riale di Corippo und auf der anderen Seite steil hinauf zu den Ruinen von Orzino (915m). Weiter auf dem eingezeichneten, z.T. undeutlichen und mit Kabel abgesicherten Weg (Steinmänner) über Bosco (ca. 1030m) bis zu dessen Ende auf ca. 1155m und nach SW auf Pfadspuren durch den W Bosco di Porchés bis zu einer undeutlichen Kante, von der über die E Böschung steil zu einer grasigen Mulde mit Biwakplätzen (ca. 1240m) am oberen Riale die Corippo abgestiegen werden kann, 3-4h, T4.

Zustieg
Vom Biwakplatz am oberen Riale di Corippo (ca. 1240m) nach W über steile Grasschrofen und eine felsdurchsetzte Grasrampe (I-II) von rechts nach links steil durch einen Felsriegel hinauf, dann durch lichten Wald auf Gras und durch Stauden nach SW weniger steil zum Beginn der Platten N vom obersten Riale di Corippo bei ca. 1480m. Über einen gut gestuften Aufschwung (I-II) hinauf und auf leichten Platten (I-II) zum Einstieg am Bachlauf des obersten Riale di Corippo, 1-2h, T4-6.

Wasserplatten
1. 1/2 SL durch einen nassen Riss hinauf (4c).
2. 1 SL über Platten und Stufen zum abdrängenden N-Ufer ("Bottle Neck"), dessen Felsen S umgangen werden (4b).
3. 1 SL über Stufen und einen nassen Riss (4c) zu flacherem Gelände (wo die Richtung des Riale di Corippo nach WSW wechselt).
4.-8. 5 SL über leichte Platten (2a-3a) zu den wieder schwierigeren Ausstiegs-SL.
9. 1 SL über Platten und Stufen hinauf und S um einen Felsvorsprung herum (4a).
10. 1 SL durch eine plattige Rinne hoch (3b).
11. 1 SL über Platten und Stufen S um eine Felsnase (4a) zum Ausstieg (ca. 1900m)

Zuletzt auf steilen Grasschrofen ca. 100Hm nach NW auf eine Rippe und über diese zur N-Kuppe (ca. 1995) auf dem Grat, T4. 

Insgesamt 3-5h, S und C2.

Bemerkung: im (Früh-)Sommer kann das Wasser auch neben der Hauptrinne über die Platten herunterrinnen, was aber die Reibung nur bei Bewuchs mit Algen, Flechten oder Moos beeinträchtigt. Die zahlreichen aufliegenden kleineren und grösseren Steine dürften von Gewittern und Lawinen her stammen.

Abstieg Passo del Lupo-Cardada
Von der N-Kuppe (ca. 1995m) auf dem weiss-rot markierten Bergweg (wr) oder auf dem Grat über den Passo del Lupo (2016m) und den Madone (2051m und 2039m) zum Wegweiser 2002m und wr hinunter zum Sattel 1656. Auf dem weiss-blau markierten Bergweg über den NNE-Grat auf die Cima della Trosa (1869m) und wr, oder wr über die E- und NE-Flanke zum Wegweiser ca. 1845m. Wr hinunter zur Bassa di Cardada (1611m) und kurz hinauf zur Bergstation Cimetta (1646m). Auf einem Pfad unter dem Sessellift (nicht eingezeichnet) hinunter zur Talstation (1329m) und wr zur Bergstation Cardada der Seilbahn (1332m), 2-3h, T3.

Verhältnisse: am 1. Tag sonnig, mild und praktisch wolkenlos, am 2. Tag sonnig und mild mit zunehmenden Quellwolken. An beiden Tagen Wege, Gras, Stauden und Felsen trocken. Im Riale bzw. Torrente di Corippo (noch) viel Wasser und genügend trockenes Schwemmholz zum Feuern vorhanden.

Material: übliche Biwakausrüstung für Voralpengelände, übliches Klettermaterial für selbst abzusichernde mittelschwere bis schwierige Plattenkletterei (50m Einfachseil, 8 Express, 5 Schlingen, kleine bis mittlere Camalots, Satz Rocks).

Fahrplan: 1 Tag. Start 10.45, 17 Uhr Biwak, 2. Tag Start 6 Uhr, 7.45 Einstieg, 13.30 Ausstieg Grat, 18.45 Cardada.

Tourengänger: lorenzo, chmblum


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Kommentare (4)


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3614adrian hat gesagt:
Gesendet am 20. Juni 2023 um 07:34
Klingt nach einem gelungenen, versteckten Abenteuer!
Und der tolle Bericht, lässt den Leser kurz ins Abenteuer mit eintauchen!
Lg
Adrian

lorenzo hat gesagt: RE:
Gesendet am 20. Juni 2023 um 14:12
Hallo Adrian

Genau so eines war es, auch wenn es uns ziemlich gefordert hat...und es freut mich natürlich, wenn ich Dich als Leser "mitnehmen" konnte!

Wer wie Christoph das Auge dafür hat und die Mühe nicht scheut, fände wohl in den Voralpen und Alpen noch so manche Gelegenheit für solch "unverspurte" Abenteuer, wie sie, so viel ich weiss, auch nach Deinem Geschmack sind...

Gute Touren und herzliche Grüsse

lorenzo


larice hat gesagt:
Gesendet am 20. Juni 2023 um 08:25
Bravi. E complimenti, anche per il grande amore che da tempo avete per le selvagge montagne ticinesi.

lorenzo hat gesagt: RE:
Gesendet am 20. Juni 2023 um 14:22
Ciao larice

Ti ringrazio! Con un paesaggio montano così bello e selvaggio, non è difficile innamorarsi...

Ti auguro una bella estate con giri ricchi di eventi!

Cari saluti

lorenzo


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