Rund um's Fläschenloch (6): Höhle mit langem Vordach


Publiziert von konschtanz , 14. Juni 2023 um 20:39.

Region: Welt » Schweiz » Appenzell
Tour Datum:11 Juni 2023
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-AR 

Start ist wieder Station Urnäsch. Mit dem Velo hoch bis zum Bushalt Steinfluh. Von dort hinunter zur Feuerstelle Lillyweg an der Urnäsch. Dort mündet der Bach aus dem Fläschenloch. Ab dort im Kiesbett (mit Umgehung der Brücke) bachaufwärts.

Als ich vor mir die Felssturzblöcke unter der roten Wand sehe, fallen einzelne Tropfen. Diesmal umgehe ich die Felsblöcke rechts über die Waldböschung, wie beim ersten Mal. Ein orange leuchtendes Etwas fliegt vor mir auf und lässt sich auf dem Blatt eines Storchenschnabels nieder.

So wie es aussieht, muss es ein Weichkäfer sein, wohl der mit dem für mich unverständlichen Namen Ancistronycha abdominalis oder soldier beetle (Soldatenkäfer), wie er wohl auf Englisch heißt.

http://insektenbox.de/kaefer/canabd.htm

Als sich zu dem Tröpfeln auch noch ein Donnern gesellt, lege ich erstmal einen Halt ein, um zu schauen, wie es weiter geht. Das Donnern verzieht sich, der Regen lässt es bei dieser kleinen Aufmerksamkeit bewenden und ich mache mich wieder auf den Weg.
 

Da fesselt ein Detail eines abgestürzten Felsblocks meine Aufmerksamkeit. Ein Kristallüberzug entlang einer Gleitfläche. Und diese Gleitfläche war dann auch Abbruchstelle, sonst wäre sie hier nicht an der Oberfläche. Nun wachsen Kristalle nicht von heut auf morgen. Das würde bedeuten, dass es einen Bruch und eine Verschiebung im Fels gegeben hat, noch einige Zeit bevor der Fels dann abgebrochen ist. Da war nicht nur die Schwerkraft am Werk!

Nachtrag: am 16.07.2023 habe ich einen Tropfen 9%-iger Salzsäure auf diesen Kristallüberzug fallen lassen - es schäumte heftig auf. Das heißt, bei den Kristallen handelt es sich um Kalciumcarbonat (Kalk).

Ich erreiche Punkt 1050 m, wo von rechts ein Zufluss im Bachbett mündet.

Und genau dieser Zufluss ist heute mein Ziel. Als ich ins Gewitter geraten war, hatte ich dort im hinteren Teil interessante Felsen mit Klüften gesehen. Der unterhöhlte Fels am Eingang des Seitentals zeigt deutlich, dass die rote Nagelfluh auf einer gelblichen Mergelbank liegt, die ausgespült wird. Die Schichten verlaufen schräg, weshalb auch die Überdachung mit dem Bachlauf ansteigt. Ich bin überrascht, wie lang die Höhle ist. Das sind mindestens zwei Baumlängen, von ausgewachsenen Bäumen, wohlgemerkt.

Auffällig ist, dass dass die Höhlendecke nach unten wie von einer weißen Tünche bedeckt ist. Dadurch ist die Decke viel glatter als die Nagelfluh. Die weiße Schicht muss Kalk sein. Beim Anfassen kann man ihn feinkörnig zerreiben. Kalk fällt aus Wasser aus, wenn das im Fels fließende Wasser auf einen Hohlraum trifft, weil dann gelöstes Kohlendioxid entgast und lösliches Kalciumhydrogencarbonat als wenig lösliches Kalciumcarbonat ausfällt. Und woher kam der Hohlraum? Mergel dichtet gegen Wasser ab. Das Sickerwasser in der Nagelfluh muss so lange entlang der schrägen Trennfläche geflossen sein, bis es ein bißchen Mergel im Kontaktbereich ausgeschwemmt hat. Denn entsteht ein Hohlraum, es kann mehr Wasser fließen und schneller, und Gas kann austreten. Dann setzt sich dort, wo das Wasser herkommt, nämlich von der Decke, der Kalk ab. Die Mergelschicht wird immer weiter ausgewaschen, und weil die schlecht zementierte rote Nagelfluh dann keinen Halt mehr hat, brechen immer wieder Pakete von der Decke ab. Der ganze Boden der Höhle ist damit bedeckt. Im Gegensatz zum Ofenloch, das am Ursprung des Neckers im Tal nebenan zu sehen ist, ist diese Höhle noch aktiv. Das Wasser schwemmt weiter Mergel aus und gräbt sich aufgrund der Neigung der Schichten immer tiefer unter den Nagelfluhfels, und von oben bricht immer wieder was von der Decke runter und füllt den Boden wieder auf, so dass sich der Hohlraum so lange nach oben verlagert, bis die Decke weg ist.

Vom oberen Ende des Fläschenlochs wollte ich noch bis zur Felsscharte aufsteigen, die man weiter oben sehen kann, das war aber keine gute Idee. Erstens führt der Weg direkt auf einen Nagelfluhblock zu, der nur durch ein bißchen Erdreich am Weiterpoltern gehindert wird und einen Besucher sehr wohl einquetschen kann. Oberhalb davon ist Erdreich mit Wasserrinnen, die sich (durch Verkalken der Erde beim Austrocknen?) etwas verfestigt haben. Sobald aber der Tritt ausrutscht, spürt man darunter die harte Nagelfluh, und dann rutscht man ab. Ich bremste das Abrutschen, indem ich mich flach auf den Bauch legte. Nicht zur Nachahmung empfohlen.

Jedenfalls dämmerte es mir allmählich vor Ort, dass ich bislang immer am Fläschenloch vorbeigelaufen war, weil ich unterstellte, dass die Höhle am Ende des Hauptbachs liegt, wie eben das Ofenloch am Necker. Und diesem Irrtum verdanke ich es, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Luchs gesehen habe!

Und hier ein Hinweis von Schweizer Höhlenforschern:

Stalactite 48, 2, 1998, S.109

Ungewöhnliche speläologische Phänomene der Schweiz. Höhlen in Nicht-Kalkgesteinen und Nicht-Karsthöhlen. Zusammengestellt von Thomas Bitterli

„Die Entstehung einiger Konglomerathöhlen ist unter anderem auch an Karstprozesse gebunden. Hierbei muss das Fläschenloch (Urnäsch, AR) erwähnt werden. Es befindet sich in den Konglomeraten der subalpinen Molasse und bildet einen einzigen Gang von 66 m Länge“ (Wessicken, M. & Dickert A., (1995): Fläschenloch. Höhlenkurier, 13/2: 6-7.


Tourengänger: konschtanz


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