Kurzbericht 

Ganz unten....


Publiziert von lorenzo , 19. Dezember 2022 um 22:36.

Region: Welt » Frankreich » Massif des Écrins
Tour Datum: 5 September 2015
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: F 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 2270 m
Strecke:24km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Von Genf über Annecy, Grenoble, La Grave, Briançon und Ailefroide nach Pré de Madame Carle zum Refuge Cézanne,
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Von Pré de Madame Carle über Ailefroide, Briançon, Col du Lautaret, Col du Galibier, Chambéry und Annecy zurück nach Genf
Unterkunftmöglichkeiten: Pré de Madame Carle, Refuge Cézanne
Kartennummer:IGN 3436, Meije Pelvoux Parc National des Écrins; www.camptocamp.org

"You can get it if you really want", "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", oder "Wer an sich glaubt (was bisweilen gar nicht so einfach ist...), kann jedes Ziel erreichen": derartiger Weisheiten sind viele, und lange geisterten sie auch in meinem Kopf herum, bis ich endlich realisierte, dass sie nur innerhalb der eigenen, mehr oder weniger eng gesteckten Grenzen gelten, die sich aber auch mit noch so grossen Anstrengungen niemals würden überschreiten lassen. So hatte die Sommersaison 2010 mit zwei Skitouren auf den Piz Roseg und den Eiger eigentlich vielversprechend begonnen, aber schon einen Monat später zeigte mir Bartli mit einer Reihe von Abstiegen zum Misserfolg, wo die Grenzen meines Wachstums liegen, und ich besser den Most holen sollte...

Begonnen hatte es Anfang Juli mit der Lauperrippe am Mönch, zu der ich vom Arvengarten über die Guggihütte und das Mönchplateau aufgestiegen war. Beim Kalkriegel wartete dann die grosse Enttäuschung: das zur Schlüsselstelle im Felsriegel führende Band war von Wassereis bedeckt, und die strenge Atmosphäre tat ein Übriges, um mich zur Vernunft zu bringen, so dass ich zerknirscht umkehrte, freilich nicht ohne mich innerlich meines Leichtsinns zu tadeln, zur Gewichtsersparnis nur zwei leichte Eisgeräte ohne Biss mitgeführt zu haben, mit denen ich dann gleich auch noch am avisierten Ausweichziel Nollen erbärmlich scheiterte...Aber trotz doppeltem Misserfolg liess ich den Kopf nicht hängen, sondern erfreute mich beim Abstieg der einzigartigen Hochgebirgslandschaft, der faszinierenden Aussicht und der weit hinauf in allen Farben blühenden Bergblumen. 

Der nächste Streich erfolgte zum Glück nicht sogleich, sondern erst knapp zwei Monate später gegen Ende August. Nach minutiöser Vorbereitung war ich in die Dauphiné gefahren, um eine Überschreitung der Meije von La Bérarde nach La Grave zu versuchen. Im Refuge du Promontoire angekommen, wolle ich für den nächsten Tag noch den untersten Teil des S-Grats erkunden, um am nächsten Tag nicht im Dunklen tappen zu müssen. Bereits das Einstiegs-3b am Pas de Crapaud erwies sich als ziemlich harte Nuss, bis zum Couloir Duhamel, wo ich Kehrt machte, war es dann zwar wieder leichter, die richtig schwierigen Stellen -
mehrere mit 3c und die Dalle des Autrichiens sogar mit 4a - würden aber erst weiter oben folgen. Zur Ernüchterung über die offensichtlich recht harten Bewertungen im Écrins-Massiv kam beim Abendessen noch die entgegengebrachte Skepsis über meinen geplanten Alleingang, so dass ich, derart entmutigt, über Nacht beschloss, morgens wieder abzusteigen. Sogar meinem Fotoapparat schien die Sache nicht geheuer gewesen zu sein, hatte er doch schon bei der Hütte den Geist aufgegeben...Die lange Rückfahrt verlief dann dafür wieder umso entspannter.

Nun hoffte ich, in den verbleibenden Ferientagen wenigsten mit einem dritten, ebenfalls schon lange gehegten Projekt mehr Glück zu haben, nämlich mit der Überschreitung der Sciora-Gruppe, wie sie Riccardo Cassin in seiner Autobiografie beschreibt. Die betreffenden Routen an den vier Gipfeln hatte ich in verschiedenen Führern längst zusammengesucht und fehlende Informationen beim Sciora-Hüttenwart Bruno Hofstetter eingeholt. Wenige Tage später stieg ich von Bagni del Masino über die Capanna Gianetti zum Bivacco Tita Ronconi hoch und startete am folgenden Tag mit der Sciora di Dentro. Beim Abstieg Richtung Bocchetta del Ago verlor ich jedoch auf einer instabilen Platte das Gleichgewicht und zog mir beim Sturz Prellungen und Schürfungen im Gesicht und am linken Schienbein zu. Deutlicher konnte der Wink zu einer neuerlichen Umkehr nicht mehr sein, zumal ich beim Rückstieg vom Colle dell'Albigna zurück zum Biwak durch Unachtsamkeit das Handy, mit dem ich immerhin ein paar schöne Fotos hatte machen wollen, 
auch noch verlor...Zum Glück fand im Val Masino gerade die Trofeo Kima statt, und der in Capanna Gianetti stationierte Arzt schien nicht einmal unglücklich darüber zu sein, endlich einen Patienten - wenn auch einen ziemlich verrückten von der Trofeo Sciora...- versorgen zu können...Bekannten erzählte ich dann, meine Katze habe mir das Gesicht zerkratzt, obwohl ich gar keine habe...

Fünf Jahre später - Ueli Steck hatte einen Monat vorher mit der Besteigung der Barre des Écrins gerade seinen Viertausenderhattrick erfolgreich beendet - fuhr ich Anfangs September 2015 nochmals in die Dauphiné, um wenn schon nicht La Meije wenigstens auch die Barre des Écrins zu versuchen. Wegen einem Bergsturz auf der Strasse nach La Grave musste ich einen weiten Umweg über Gap in der Provence nehmen, um nach Ailefroide und Pré de Madame Carle zu gelangen, wo ich im Auto übernachtete. Anderntags ging ich früh los und konnte dann einen Verhauer zum Glacier Noir, wie er Ueli wertvolle Zeit gekostet hatte - der trotzdem viel schneller war als ich -, zwar erfolgreich vermeiden, verlor dann aber im Spaltenlabyrinth auf dem unteren aperen Glacier Blanc rund eine Stunde. Dafür führte mich eine gute Spur über den verschneiten oberen Glacier Blanc und die NNE-Flanke zur Brèche Lory. Wegen Vereisung und Kälte benutzte ich am ersten Aufschwung die Fixseile, danach ging es trotz teilweise verschneiten Felsen in schöner Genusskletterei weiter auf dem WNW-Grat über den Pic Lory bis zum Gipfel der Barre des 'Érins, wo ich die "freie Sicht aufs Mittelmeer"  im Süden und den Blick zur majestätischen La Meije im Norden genoss. Nach einem Abstecher zum Dôme de Neige des Écrins wartete ein langer, dafür aber bequemer Abstieg, bei dem ich zudem die nachts verpassten Perspektiven nachholen konnte, und nach Kaffee und Kuchen bei Madame Carle machte ich mich an eine noch längere Rückfahrt, diesmal über den Col du Galibier, um der Kronprinzessin La Meije auch noch von Norden ihre Referenz zu erweisen... 


So waren mir die Engel zu guter Letzt doch noch hold und wohlgesinnt gewesen:

"Wer strebend sich bemüht, den werden wir erlösen." (Faust II)
 

Brèche de Lory
Zustieg
: vom Refuge Cézanne (1874m) auf dem markierten Bergweg über das Refuge du Glacier Blanc (2542m) zum Glacier Blanc bei ca. 2800m und an dessen N Ufer bis E unter den Col des Écrins (3367m). Über die NNE-Flanke, die Spaltenzonen umgehend in einer geeigneten Linie (in der Regel gespurt) und zuoberst einen Bergschrund überschreitend (ev. Fixseil) zur Brèche Lory (3974m), 6h 45min, WS-.

Barre des Écrins
Aufstieg WNW-Grat: von der Brèche Lory (3974m) nach links ausgesetzt über einen Wulst in eine Rinne und entlang der linken Kante bis zur halben Höhe des 1. Aufschwungs (II, Abseilstelle, bis hierher kann an Fixseilen auch direkt aufgestiegen werden). Querung auf Bändern links unterhalb des Grats zur nächsten Scharte und über den 2. Aufschwung (II) zum Pic Lory (4088m). Zuletzt über den ausgesetzten Gipfelgrat (II) auf die Barre des Écrins (4102m), 1h, WS.

Abstieg WNW-Grat: auf der gleichen Route zurück zur Brèche Lory (3974m), wobei zu dieser von der Abseilstelle an den Fixseilen abgeklettert oder abgeseilt werden kann, 45min, WS.

Dôme de Neige des Écrins
Auf- und Abstieg SE-Grat: von der Brèche Lory (3974m) einfach über den SE-Grat auf den Dôme de Neige des Écrins (4015m) und wieder zurück, 15min, L.

Rückweg: auf der Zustiegsroute zurück zum Refuge Cézanne (1874m), 3h 30min, WS-.

Insgesamt 13h 15min.

Verhältnisse: sonnig und unten mild, im Gipfelbereich kalt. Glacier Blanc unten aper und grosse zu umgehende Spalten, oben gut einschneit und gespurt. NNE-Flanke ebenfalls gut eingeschneit und zwischen den Seraczonen hindurch gespurt. WNW-Grat z.T. schneebedeckt.

Material: übliche Hochtourenausrüstung mit 30m 9mm Seil.

Fahrplan: 1.30 Start, 8.15 Brèche Lory, 9.15 Barre des Écrins, 10.15 Dome de Neige des Écrins, 14.45 retour.

Tourengänger: lorenzo


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