Zugspitze (2962 m) via "Eisenzeit"


Publiziert von Sarmiento , 10. September 2021 um 19:16.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Wetterstein-Gebirge
Tour Datum: 6 September 2021
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 7:45
Aufstieg: 2000 m

Die Zugspitze, der schönste Gipfel der Alpen? Ähhh, sicher nicht. Aber die Wege da hoch? Die sind durchaus sehr schön, aber meistens auch ziemlich überlaufen. Alle Wege? Nein. Die Eisenzeit ist noch zu neu, unbekannt und vielleicht auch zu anspruchsvoll, und lockt somit jedenfalls nicht die großen Massen an.
Und so war es auch an diesem schönen und warmen Spätsommertag: Trotz bester Wetterlage und Vorhersage waren wir zu großen Teil alleine in der Wand, was wir durchaus zu genießen wussten.


Zugspitze Eisenzeit

Zunächst ein paar Eckdaten:

Zeitbedarf: 7:45 h inkl. Pausen inkl. Zustieg vom Eibsee über die Station Riffelriss bis zu ersten Sprengseilbahn auf 1880m.
Davon 1
:45 h Zustieg vom Eibsee bis zum Wandeinstieg, 1:30 h auf dem alten Tunelbauersteig, 2:30 h Klettern ab Tunnelfenster IV bis zum Wandausstieg am Finger und 0:45 h für den oberen Höllentalklettersteig bis zum Zugspitzgipfel.

Schwierigkeiten: Max. IV-

- Im unteren, ersten Teil der Tour (dem alten Tunnelbauersteig) eine kurze Stelle von 3 m Höhe, die mit IV- angegeben ist. Ich hätte sie persönlich auch als III durchgehen lassen.
- Im oberen, zweiten Teil der Tour etliche Stellen III und eine kurze (2, 3 m) Stelle IV. Dazwischen viel Kraxelgelände im I. und II. Grad, und kurz vor Ausstieg auch ein sehr rutschiges Schotterfeld zum Gehen.

Ausrüstung: 4 Langechsen / 3 kleine bis mittelgroße Friends / 4 x 120 cm-Bandschlingen + 2 x 240 cm-Bandschlingen / div. Schraubkarabiner/ 1 x 60 m Seil / Helm

Hilfsmittel: ToPo von bergsteigen.com 

Zustieg Eibsee - Station Riffelriss - Wandeinstieg Sprengseilbahn

Wir (das sind Johann und ich) starten um 06:45 am Parkplatz der Eibseeseilbahn. Unser Weg führt uns dementsprechend erstmal in den Wald hinein auf die Skipiste bzw. den dazugehörigen (flachen und langweiligen) Waldweg. Nach ca. 15 min, und einer verputzten Nussecke und Laugenstange als Frühstück, biegen wir links ab und der Weg steilt nun doch merklich auf. Macht auch irgendwie Sinn - wir haben immerhin gut 900 HM bis zum Einstieg zu bewältigen.

Nachdem wir kurz einige HM auf der Skipiste nach oben gegangen sind, schlängelt sich der Weg für eine weitere Stunde gemütlich und sanft ansteigend den Wald hinauf - an insgesamt 2 Stellen dadurch unterbrochen, dass die Skipiste auf die jeweils andere Seite gequert werden muss. Beim dritten Mal wird nicht mehr gequert, sondern der nun sehr flachen Piste entlang nach rechts gefolgt - scheinbar weg von der Station Riffelriss und somit vom Wandeinstieg. Nach ca. 10 min auf der Piste biegt unser Weg nach links ab und quert nun fast flach durch Latschen und ein Geröllfeld querend in Richtung Station Riffelriss. Diese erreichen wir um fast genau 08:00 Uhr, nachdem wir nochmals ca. 50 m auf den Gleisen bzw. dem parallel verlaufenden Trampelpfad nach oben gelaufen sind.

Nun geht's auf dem Pfad in Richtung Riffelscharte weiter. Der schlängelt sich in etlichen Zick-Zack-Kehren durch die Latschen nach oben. An der letzten Kehre, die nach links führt, haben wir das erste Mal einen vollen Blick auf die gesamte Größe der Wand, die vor uns liegt. Nun aufpassen: Nach ca. 200 m biegt rechts ein unmarkierter, aber sehr markanter Trampelpfad schräg vom eigentlichen Weg ab. Das ist der Beginn des alten Tunnelbauersteigs! (Wer die Abbiegung verpasst, hat einige Meter später nochmal eine Chance, muss dann aber an einem weiß getünchten Holzpflock durch steilere Schrofen aufsteigen.)

Der Tunnelbauersteig ist - trotz seines Alters von fast 100 Jahren - kaum zu verfehlen und führt einen sicher durch die letzten Latschen und genau auf die erste, kleine Wand zu. Dort wartet dann auch schon das erste Relikt - eine alte, rostige Wasserleitung, die scheinbar wie ein Handlauf für einige Meter neben dem Steig nach oben führt. Nun noch die letzte, kleine Wiese queren, und wir stehen vor dem markanten, kleinen Häuschen der Sprengseilbahn an Tunnelfenster I. Das ist zugleich auch der Beginn des eigentlichen Steigs - den ab jetzt geht's auch wirklich ab in die Wand.


Wandeinstieg Sprengseilbahn - Tunnelbauersteig - Tunnelfenster IV

Direkt rechts neben der Sprengseilbahn quert ein breites, grünes Band in die Wand hinein, auf dem auch Pfadspuren erkennbar sind. Nach 2 Ecken erreicht man ein breites Schotterfeld, auf dem auf mehreren Ebenen Trittspuren erkennbar sind. Ungefähr auf mittlerer Höhe dieses Schotterfeldes verläuft recht deutlich sichtbar der alte Steig, den wir dementsprechend auch ansteuern. In 2 Schotterrinnen verliert er sich dann kurzzeitig, aber danach steuert er klar erkennbar einige Meter unterhalb eines orangefarbenen, tannenbaumartigen Pfostens auf eine Rinne unterhalb einer großen, senkrechten Wand zu. Ein weiterer Orientierungspunkt ist hier ein großer Block, aus dem Spaghetti-artig etliche Drahtseile heraushängen, die dann auch gekreuzt bzw. überklettert werden müssen.

Danach ist die Wegfindung zunächst einmal wieder deutlich einfacher - denn die Wand bzw. das nun schmale Band gibt den Weg klar vor. Man quert hierbei kontinuierlich nach rechts, immer etwas auf und ab, aber insgesamt leicht ansteigend. Nach einiger Zeit sind hier auch die ersten alten Drahtseile an der Wand sichtbar, die den Steig früher absicherten. Diese sind nicht mehr unbedingt zu gebrauchen, also Vorsicht beim Hinlangen! Auf 1990 m erreicht man das Gamseck, einen Sporn des Bandes, der ein paar m in die Wand heraussteht und damit eine erste, herrliche Aussichtsloge auf das bisher erreichte bietet. Kurz später verengt sich das Band und wird - nun körperbreit - eher rinnenartig. Kurz später erreicht man die "Schlüsselstelle", an der bis vor kurzer Zeit ein großer, rostiger Schraubenschlüssel zusammen mit vielem weiterem Metall lag. Der Schlüssel selbst ist weg - schade! Aber das restliche Metall, hauptsächlich Anker, Bohrer etc. liegt noch dort. Mal schauen, wie lange...

Wiederum kurz später gelangen wir dann wieder in flacheres Gelände. Hier, am linken Rand des bayrischen Schneekars, liegt dann auch eine ganze Menge alten Metallschrotts herum. Der Steig selbst ist hier kurzzeitig nicht mehr ganz klar erkennbar, aber die logische Fortsetzung ist trotzdem gut sichtbar: Nach links oben, führt eine breite, aber steile Rampe, an deren obersten Ende (ca. 200 HM über uns) man bereits den großen Strommast bzw. Strahler erkennen kann. Wenn man sich auf dieser Rampe am linken Rand hält, findet man den Steig nach wenigen Metern wieder. Am Anfang geht es noch mäßig steil, fast wandernd, nach oben weiter, nach einigen Metern wird der Steig dann wieder steiler und ist nun auch wieder sehr deutlich in den Fels gehauen sichtbar. Zu dieser Stelle habe ich schon häufig gelesen, dass er sich "geschickt im steilen Gelände den einfachsten Weg nach oben sucht" - eine wirklich treffende Beschreibung, denn genau das macht der Steig hier. In unzähligen Zick-Zack-Schleifen zieht er sich durchs plattig-strukturierte, aber steile Gelände nach oben. Eigentlich nie von einem Drahtseil begleitet, aber das ist hier auch nicht nötig - weder für die Sicherung, noch zur Orientierung.

Und irgendwann kommen wir dann kurz unterhalb des großen Strahlers zur vielfach beschriebenen Harakiri-Leiter. Das alte, rostige, verbeulte, aber v.a. nicht mehr so ganz sicher verankerte Ding sieht in der Tat nicht unbedingt so aus, als könnte und sollte man sich hier hochwuchten. Dass sie allerdings an dieser Stelle den einzig gangbaren Weg darstellt (wie ich es teils gelesen hatte), ist Unfug. Ca im IV. Grad ist sie sowohl links als auch rechts herum umkletterbar - und den IV Grad muss man schließlich im weiteren Verlauf auch noch klettern (können). Ich hatte mich für die linke Seite, ca. 2 m rechts der Leiter, entschieden - da ging es problemlos hoch. Johann entschied sich direkt für die Leiter, und sie hat auch uns noch ausgehalten. Mal schauen, wie lange sie da noch hängt. ;-)

Direkt hinter der Leiter ist rechterhand eine kleine Schotterrinne, in der alles mögliche an Metallschrott vor sich hin rostet. Es sieht beinahe so aus, als wäre es dort von weiter oben gelegenen Stellen hineingefallen. Nochmals ein paar Meter später steht man dann oben am bzw. unterm alten Strahler. Die Aussicht hier ist herrlich, aber auch der Weiterweg ist schon sichtbar. Es ist fast exakt 10 Uhr, und wir haben bis hierher genau 1 Stunde seit der Sprengseilbahn gebraucht, wir sind also sehr gut in der Zeit. Trotzdem halten wir uns hier nicht lange auf - das eigentliche Zwischenziel für uns sind die Kavernen des Tunnelfensters IV. Also weiter geht's!

Ab hier hat der Steig auch wieder alte Drahtseile als Versicherung, die man allerdings - wie bereits weiter unten - am besten meidet. Nach einigen, wenigen Kehren steht man dann vor der ersten "nominellen" Schlüsselstelle der Tour - einer kurzen IV-er Wand an einer auffälligen Einhöhlung. Wir überlegen hier nicht lange, sondern klettern sie direkt ohne Seil, da die Griff- und Trittsituation gut sichtbar ist, aber v.a. da das Absturzgelände alles andere als exponiert ist - man würde höchstens 2, 3 m weit in eine flache, schottrige Rinne fallen. Zudem empfand ich die Kletterschwierigkeiten hier eher im III. als im IV. Grad, aber das ist natürlich recht subjektiv. Die Stelle kann zudem vom Vorsteiger abgesichert werden, da kurz obendran ein frischer Bohrhaken linkerhand im Steig steckt.

Kurz nach der IV-er Wand muss man noch mal kurz die Hände aus den Hosentaschen nehmen - eine 3 m breite, glatte und abschüssige Platte will gequert werden. Links im Fels befinden sich hier einige, gute Griffe, sodass das kein wesentliches Problem darstellt. Und dann kommt auch schon die nächste Leiter, die allerdings im Gegensatz zur Harakiri-Leiter nicht verbeult ist und auch sonst einen erstaunlich soliden Eindruck macht. So klettern wir die paar Sprossen hoch - und Tada, wir stehen vor den Kavernen! Auf dem "oberen Level" gibt es davon 2, die nicht miteinander verbunden sind, und auf dem unteren Level haben wir ganze 8 Tunnelfenster gezählt. Dorthin gelangt man übrigens wieder über eine absteigende Leiter - die einigermaßen lange ist, bei der allerdings auch 2 Sprossen lose sind - also Vorsicht beim Drauftreten!

In den Kavernen fährt so einiges an Metallschrott herum, aber die in anderen Berichten beschriebenen Bierflaschen der Arbeiter fehlen bereits. Auch sonst scheint hier schon das ein oder andere Stück "mitgegangen" zu sein. Schade! Wir pausieren hier kurz, essen eine Kleinigkeit und schauen uns schonmal die Rampe an, die am letzten Kavernenfenster nach oben rechts herauszieht und den Anfang der eigentlichen Kletterstrecke darstellt.

Tunnelfenster IV -  Ausstieg am "Finger"

Wir überlegen kurz, ob wir nun hier das Seil bereits rausholen - entscheiden uns jedoch dagegen und klettern die Rampe erstmal seilfrei. Zunächst quasi direkt über das letzte Tunnelfenster, dann direkt am Fels entlang und ein paar Meter später im Schotter arbeitet man sich nach rechts oben. Dann scheint es 2 Optionen für den Weiterweg zu geben. Die "obere, steile Rampe" führt einen in eher unwegsames Gelände - hier geht's also nicht entlang! Die untere Rampe führt nach rechts herum um einen Sporn, muss aber erstmal über eine 3 m lange, plattige Querung erreicht werden - und erscheint somit nicht direkt als logistischer Weiterweg.

Um den Sporn gequert, öffnet sich das Gelände - und wir stehen das erste Mal vor der Frage "Wo geht's weiter?". Laut ToPo über plattiges, aber gut gestuftes Gelände, und nicht dem verlockenden Band geradeaus weiter folgend. Da oben soll irgendwo ein Bohrhaken sitzen. Ich kraxle also los und mache mich auf die Suche - wie gesagt, alles noch seilfrei. Das muss an dieser Stelle jeder selbst entscheiden - ich würde jedoch im Nachhinein empfehlen, hier das Seil anzulegen. Nicht unbedingt der Kletterschwierigkeiten wegen (die halten sich durchgehend in Grenzen), sondern eher wegen potentiellem Steinschlag. Sollte der einen hier treffen, wäre man zumindest vorm Absturz gesichert. Nach kurzer Suche finde ich übrigens den Haken.

Nun geht's nochmal ein paar Meter nach rechts auf einem Band recht ähnlich dem zuvor einige Meter weiter unten, und dann eine unscheinbare, kleine Rinne nach links oben, oberhalb der, auf einer Mini-Plattform, der nächste gebohrte Stand auf uns wartet. Hier ist ein permanenter Blick aufs ToPo ebenso wie ein permanenter Blick ins Gelände absolut notwendig, um sich nicht zu verhauen. Es folgt eine plattige Querung - bis zum ersten Bohrhaken unschwierig, dann jedoch etwas kleingriffiger und auch kurz mal ausgesetzter. Johann wird's hier ein wenig mulmig, und so beschließen wir, am nächsten Stand das Seil rauszuholen. Der Stand ist praktischerweise groß genug, um das dann auch direkt in die Tat umzusetzen.

Ab jetzt geht's also erstmal am kurzen Seil weiter, denn die nächste, rampenartige I-er Passage ist Gehgelände. Die führt uns zu einem weiteren Stand kurz vor der auffälligen Schlucht, die die Riffelwand hier von oben bis unten komplett durchzieht - und quasi nur an dieser Stelle gequert werden kann. Bereits 10 m weiter oben oder unten wäre das nur noch in ganz anderen Schwierigkeitsgraden möglich. Daher ist der Weiterweg hier logisch: Nach rechts queren, jetzt am langen Seil mit Standplatzsicherung. Meist über plattiges, aber gutmütiges Gelände, vorbei an insgesamt 3 Bohrhaken, geht es hier leicht ansteigend auf eine große Wandstufe zu, an deren Fuß mit einem weiteren Borhaken bzw. einer Schlinge an einer großen Sanduhr ein weiterer Standplatz liegt. Die Kletterei hier ist unschwierig, aber absolut genussreich.

Ab dem Sanduhr-Stand folgt eine kurze, vielleicht 5 m lange Abkletter-Passage zum nächsten Stand, der leicht versetzt rechts unter einem in gestuftem Gelände liegt. Hier folgt die kurze, zweite Schlüsselstelle der Tour - eine etwas abdrängende Querung um eine wulstige Kante nach rechts, um in eine nach rechts oben ziehende Rinne zu gelangen. Durch den Stand und den genau am Wulst befindlichen Bohrhaken ist die Passage bestens abgesichert, und macht auch viel Spaß beim Klettern. Brüchig, wie im ToPo beschrieben, empfand ich sie nicht. Es folgt besagte Rinne für etliche Meter nach oben, auf der Hälfte und kurz vor Schluss auch nochmals mit Bohrhaken abgesichert. Hier hätte man mit mittleren bis großen Friends auch viel absichern können, aber dank Haken war das nicht nötig. Am zweiten Bohrhaken, kurz vor Ende der Rinne, geht's nach rechts heraus zum Stand, der hier direkt um die Ecke in gutem Stehgelände ist.

Kleines Zwischenspiel:

Und nun folgt ein kleines Kuriosum: Im insgesamt 3-geteilten ToPo liegt dieser Abschnitt genau am Übergang vom zweiten zum dritten Teil. In vollstem Bewusstsein dieser Tatsache bin ich dennoch zu blöd, daraus auch die richtigen Schlüsse zu ziehen - und so suche ich nun vor mir erneut nach einer Rinne, die nach rechts oben zieht, an deren Ende ein Bohrhaken sitzt - und die man dort nach rechts zum Stand verlassen muss - genau wie in der letzten Seillänge. Denn genauso wie Teil 2 des ToPos endet, beginnt eben auch Teil 3. Ich finde das sogar schon in der Wand kurios, dass sich die Seillänge zu wiederholen scheint - komme aber nicht darauf, dass ich das ToPo falsch gelesen habe. Und noch kurioser: Direkt vor mir IST dann auch noch eine Rinne, die nach rechts oben zieht! Also klettere ich voller Elan dort hinein und hinauf, wundere mich über die wenigen Begehungsspuren, das viele lose Gestein und die fehlenden Bohrhaken (und sichere mit Friends), komme aber immer noch nicht auf die Idee, dass ich falsch abgebogen sein könnte. Erst oben, nach ca. 30 m ohne Bohrhaken, und einem Stand aus einer Köpflschlinge schwant mir zum ersten Mal, dass da was nicht stimmt. Trotzdem hole ich Johann nach und suche sowohl über mir, als auch rechts von mir, und zuletzt etwas rechts unter uns weiter. Und als ich dann rechts unten auf einem Band Trittspuren sehe, kommt der Gedanke auf "Mist, falsch abgebogen?!?" Nochmal ein Blick aufs ToPo - und ich erkenne endlich meinen Fehler! Im Nachhinein lache ich drüber, aber in dem Moment war's einfach nur ärgerlich. Zum Glück hängt da diese fast neue Köpflschlinge, an der Johann und ich dann durch die Rinne wieder nach unten abseilen können - wir waren also offensichtlich nicht die einzigen hier, die keine Karten lesen können...

Genau beim Abseilen kommt um die Ecke des vorherigen Standes jemand herum - wir sind also doch nicht ganz alleine heute hier. Er sieht uns, und fragt uns etwas entgeistert, wo wir denn herkommen (ich war wie gesagt gerade beim Abseilen). Ich antworte bloß "Verhauen, zu blöd zum ToPo lesen!". Er wiederum "Habt's ihr meine Bohrhaken nicht gesehen?" Kurze Verwunderung. Seine Bohrhaken? Das ist doch nicht der Michael Gebhardt, der Erstbgeheher der Tour! Aber fast zumindest - er stellt sich als Christian vor - Christian Hessing, einer der "Wiederentdecker" des Steigs bzw. Erschließer der Neutour. Alles in allem eine Situation irgendwo zwischen schön peinlich und höchst amüsant. Er zieht mit seinen beiden Kunden an uns vorbei, vermutlich irgendwo zwischen verärgert und amüsiert über uns, klickt seine Bohrhaken - und ich denke mir in dem Moment zu mir selbst: "Oh du Depp, rechts NEBEN der Rinne geht's weiter, nicht IN die Rinne"

Weiter geht's

Nachdem wir uns wieder neu sortiert und angeseilt haben, geht's also dem Christian und seinen beiden Kunden hinterher - zumindest dorthin, wohin wir sie haben verschwinden sehen. Wir queren also rechts unter der vermalledeiten Rinne auf ein Band, und überqueren zunächst den 1. und dann den 2. Sporn - genau wie im ToPo beschrieben. Die Querung ist technisch einfach, aber etwas schmal, sodass jeder Schritt gut sitzen muss. Wir gehen sie daher am kurzen Seil.

Hinterm zweiten Sporn folgt abermals eine Rinne, die nach rechts oben zieht - und abermals sollte man diese nicht nehmen, sondern auf die rechts daneben liegenden, rampenartigen Platten ausweichen. Nach einigen Metern öffnet sich dann das Gelände nach links oben genau in Fallrichtung, und wird dort auch breiter und gutmütiger. Wir erkraxeln einen Art abgerundeten Pfeilerkopf, da wir dort zuvor Christian + Kundschaft erblickt hatten - er wird ja wissen, wo's langgeht. Von dort aus ist dann der weitere Weg wieder gut sichtbar: Es folgt das breite und lange Schotterfeld, aus dem nach wenigen Metern rechts zum sog. Schwarzen Wulst herausgequert bzw. geklettert wird. Die Querung ist kaum zu verfehlen, da sowohl der schwarze Wulst von unten bereits gut sichtbar ist, als auch oberhalb gar kein Ausstieg für eine Querung mehr möglich wäre. Ungefähr hier liegt übrigens plötzlich Schnee, der sich dank der steilen, darüberliegenden Nordwände hier gut halten konnte. Die Querung hin zum Schotterfeldausstieg auf der dünnen, aufgeweichten Schneeauflage wird daher unerwartet anstrengend, da jeder Schritt plötzlich in einer kleinen Rutschpartie enden könnte. Nachdem die 3 vor uns die Querung langsam aber sicher gemeistert hatten, machen auch wir uns daran - genau so: Langsam, aber sicher eben.

In der vielleicht 30 m langen Querung nach rechts oben zum schwarzen Wulst liegt unerwartet viel Schnee, und so brauchen wir plötzlich mit unseren dünnen Zustiegsschuhen eine ganz neue Taktik: Entweder Stufen treten, wo der Schnee tief genug ist - oder über die verbleibenden "Felsinseln" über den Schnee hinweg hopsen. Die beiden "Berg-Geführten" tun sich da etwas schwerer als wir, sodass wir hier im breiten Gelände überholen und um den schwarzen Wulst herum queren. Dort wartet bereits Christian am nächsten Stand und fragt und, was da los sei.  Eine kurze Erklärung von uns, dass die Schneeauflage seine Kundschaft etwas verunsichert hätte, während ich gleichzeitig das Seil für die Ausstiegsseillängen verlängere. Hier brauchen wir es definitiv, denn ein steiler, langer IIIer mit weicher Schneeauflage wäre seilfrei dann doch recht unangenehm. Ich steige also vor, und kurz hinter mir folgt dann wiederum Christian, sodass wir quasi parallel klettern. Er eher rechts haltend, ich eher links haltend, arbeiten wir uns beide zum ersten Stand vor. Davon gibt's hier sogar zwei in der Wand - einer links, der andere rechts - praktisch! Nicht, weil wir uns nicht ausstehen können, sondern weil man so die Steinschlaggefahr für die Nachsteiger minimieren kann. "Mein" Stand auf der linken Seite ist etwas höher, sodass meine Seillänge ca. 45 m hat. Ich hole Johann nach, der unten am Stand mit den beiden anderen gewartet hatte.

Nun folgt die letzte Seillänge bis zum Finger, und damit zum Ausstieg der Tour. Gerade, als ich mich vom Stand aus aufmache, kommt rechts von mir Christian daher - und so klettern wir diese letzte Seillänge tatsächlich "stereo". Das Gelände hier ist auf ca. 10 m breite ähnlich schwierig und strukturiert, sodass das tatsächlich möglich ist. Auf dem Weg nach oben beschließen wir, unsere beiden Seile zusammen zu nehmen, um so von der Abseilstelle vom Finger auf den Höllentalsteig in einem Rutsch abseilen zu können. Die Kletterei sowohl hier als auch in der Seillänge zuvor ist immer ähnlich, nicht zu schwer und absolut fantastisch - wenn der viele Schnee nicht wäre.

Oben angekommen sichere ich mit Köpflschlinge um einen Block, während Christian die Standplatzsicherung nutzt - so kommen wir uns beim Nachsichern nicht ins Gehege. Es kommt dann noch, wie's kommen musste: Beim Fuß umstellen löse ich einen kleineren Stein aus, der genau zwischen Christians Kundschaft und Johann durchsaust. Unnötig, ärgerlich, aber eben auch einfach passiert. Johann hatte es nicht einmal bemerkt, während die beiden anderen dadurch schwer verunsichert werden. Als sie oben sind, entschuldige ich mich für das Missgeschick und alles ist wieder gut. Wir genießen kurz das Erreichte, futtern und trinken etwas - und blinzeln auch etwas. Zum ersten Mal Sonne heute, da müssen sich die Augen noch dran gewöhnen!

Ausstieg am "Finger" - oberer Höllentalsteig - Zugspitzgipfel

Christian lässt seine beiden Kunden mit dem Seil auf den Höllentalsteig ab, danach knoten wir unsere beiden Seile zusammen und seilen schließlich auch ab. Nachdem die Seile verstaut sind, geht's also nun auf dem viel begangenen, ausgeputzten und teils ganz schön rund gelutschten Steig die letzten Höhenmeter hinauf bis zum Gipfel. Johann und die beiden Kunden sind bereits schonmal voraus gestiegen, auch Christian ist flink weg, sodass ich als letzter dieser "Zufallsgruppe" hinterhersteige.

Auf den ersten Metern bin ich noch eher ordentlich und sichere mich mit einem Pseudo-Klettersteigset aus Bandschlingen und Karabinern, aber nach kurzer Zeit stelle ich fest: Nach der Kletterei zuvor ist das hier irgendwie alles zwischen Geh- und Kraxelgelände. Was ich dann mache, entspricht also nicht so wirklich dem Sicherheitsanspruch auf Klettersteigen: Ich hake mich aus und gehe frei. Dadurch komme ich bedeutend schneller vorwärts, kann die ein oder andere Gruppe überholen (was zuvor die beiden Kunden, Christian und Johann wohl auch schon getan hatten), und kann so auch die ein oder andere "Variante" bekraxeln. Wie gesagt, dem geneigten Klettersteiggeher werden bei solchen Beschreibungen die Haare zu Berge stehen - aber ich kann das an dieser Stelle für mich verantworten.

Im weiteren Verlauf der doch immerhin noch gut 300 HM, die uns noch fehlen, liegt immer mehr Schnee - nun auch auf den West- und Südseiten. Das macht das Vorwärtskommen zunächst noch schwerer, weiter oben dank der guten Stufen im Schnee dann aber auch wieder leichter. Schließlich, nach knapp 8 Stunden seit unserem Aufbruch am Eibsee, erreichen wir den Zugspitzgipfel. Kurzes Abklatschen, ein Selfie am Kreuz machen, und weiter geht's rüber zur höchsten Betonwüste Deutschlands. Hier setzen wir uns noch kurz in die Sonne, verstauen alle Klettersachen und fahren schließlich wieder runter mit der Seilbahn zum Eibsee, in den wir dann zur Erfrischung auch noch kurz reinhopsen.

Fazit:

Eine schöne und abwechslungsreiche Tour! Den langen Zustieg vom Eibsee kann man sich sparen, wenn man an der Station Riffelriss aus der Zahnradbahn aussteigt, andererseits ist der Zustieg von unten auch sehr schön, und macht die Tour meiner Meinung nach erst komplett. Der untere Teil des Steigs bis zum Tunnelfenster IV ist ein wahres Freilichtmuseum, bis auf zwei Stellen technisch unschwierig und generell gut zu finden. Ob man die Harakiri-Leiter nun direkt nimmt oder umklettert, sei jedem selbst überlassen - die Umgehung ist jedenfalls möglich. Der obere Teil, also die eigentliche Kletterroute, ist von den Schwierigkeiten her schön moderat gewählt. Es ist im Prinzip eine einzige, lange Querung nach rechts oben - erst die 2 Ausstiegsseillängen führen einen geradewegs nach oben. Da die Route häufig auch durch brüchiges Gelände führt, ist das gar nicht schlecht - so trifft Steinschlag im häufigsten Fall niemanden, da die nächsten Seilschaften meist hinter einem und nicht unter einem klettern. Die Orientierung ist - wie so häufig in großen Wänden - nicht immer ganz einfach, aber das ToPo von bergsteigen.com (bzw. vom Erstbegeher Michael Gebhardt) ist wirklich sehr gut und leitet einen erstaunlich gut durch die Wand  - wenn, ja wenn man den ToPos lesen kann (siehe oben). 2 Nachteile vielleicht noch: Ab den Tunnelfenstern IV ist man "nur" gut 2 - 3 Stunden unterwegs, sodass die Kletterei für so eine große Wand vergleichsweise kurz ist. Und die Seilbahn über einem verleiht einem permanent so ein leichtes Summen im Ohr, dass in Kombination mit der zuvor erwähnten Kürze der Tour kein so wirkliches Gefühl einer großen Wand aufkommt, die die N-Wand der Zugspitze ja ansich durchaus wäre. Das ist aber im Anbetracht der Schönheit und Geschichtsträchtigkeit der Tour eher nebensächlich, und am Ende auch Jammern auf Hohem Niveau.

Insgesamt also beide Daumen hoch für diese Tour!

Tourengänger: Sarmiento


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Kommentare (3)


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geroldh hat gesagt: DANKE...
Gesendet am 11. September 2021 um 07:55
...für diesen kurzweiligen und informativen Bericht. Für den unteren Teil kommen "Entdecker"-Erinnerungen auf (Aug. 2016) und beim oberen Teil erweitert sich mein Bild bzgl. der Herausforderungen dieses Abschnittes - einer Tour auf meiner ToDo-Liste...
VG Gerold (@roBerge)

Sarmiento hat gesagt: RE:DANKE...
Gesendet am 13. September 2021 um 09:27
Umgekehrt besten Dank für Blumen. :-) Der obere Teil ist für geübte Kletterer mit Blick fürs Gelände nicht wirklich schwer. Gerade wenn man an der IV-er-Wandstelle kurz vor den Tunnelfenstern keine Probleme hatte, wird das oben heraus nie schwerer - es wird eher genussreicher vom Klettern her. Und mit dem ToPo von bergsteigen.com kann auch nix schief gehen!
Der untere Teil der Tour scheint mir so ein bisschen eine Tour "mit Ablaufdatum" zu sein - bei so viel altem Metallschrott, der mittlerweile abhanden gekommen ist. Da hattest du mit 2016 wahrscheinlich noch großes Glück, den Teil der Tour da bereits gemacht zu haben! :-)

Grüße, Bernhard

geroldh hat gesagt: "Done"... :D
Gesendet am 25. September 2021 um 12:58
Habe gestern FR, 24. Sept. diese Route im Vorstieg mit schwächerer Partnerin "begangen"...
Bedingungen: Bis "Schuttfeld" zwar etwas "schattig", aber sonst OK. Hinter dem "schwarzen Wulst" gab es dann "gefrorenen" Schnee, der das Unternehmen eindeutig "alpiner" machte. Anfangs noch in der richtigen Rinne ("3-"), waren wir im Bereich der "Köpflschlinge" (SP) zu weit rechts (einzelner Bohrhaken vorh.) und mussten dort zum Grat "hinauf basteln".
Wir hatten u.a. vorher die einschlägigen Webcam-Bilder der Zugspitze studiert, aber gerade dieser Bereich (=schattige, windgeschützte N-Flanke) ist vom ersten Schneefall des Jahres als erstes "betroffen".
Auch später im Höllental-KS (O-Ausrichtung) gefrorener, zusammengetretener (=rutschiger) Schnee. Selbiges beim Abstieg im oberen Teil (NW-Ausrichtung) des "Stopselzieher-KS".
Ggfs. folgt ein (Erlebnis-)Bericht (auf roBerge).
PS: (Leider "unnötiger") Hubschrauber-Einsatz (="Flug-Taxi") im oberen Bereichs des "Tunnelbauersteigs" des wg. drei "Deppen" aus Saarbrücken/Saarland. :(
PPS: Hallo Leute - dies ist KEIN Gelände für (alpine) Experimente !!


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