Maggia-Trekking alternativ


Publiziert von Günter Joos (gringo) , 4. Juli 2021 um 20:28.

Region: Welt » Terra Incognita
Tour Datum:30 Mai 2021
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Poncione Piancascia   Gruppo Pizzo delle Pecore   Gruppo Monte Zucchero 
Zeitbedarf: 4 Tage
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Der Gipfel der Cimetta lässt sich von Locarno-Orselina aus per Seilbahn erreichen. Orselina ist vom Bahnhof in Locarno aus per Bus erreichbar.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Per Postbus ab Locarno via Bignasco (umsteigen) nach Broglio oder Prato. Dto. zurück nach Locarno.
Unterkunftmöglichkeiten:Alpe Nimi, Alpe Spluga (Selbstversorger), Rifugio Lago Toméo.

                                                           
30.05.2021
Nahezu 4 schweißtreibende Wanderstunden liegen hinter uns, bis wir endlich auf dem Gipfel der Cimetta eintrudeln und damit erst den eigentlichen Ausgangspunkt der Via Alta Valle Maggia erreicht haben. Ein gemächlicher Aufbruch vom Campingplatz am Lago heute morgen, eine lapidare Einschätzung der  Aufstiegszeit, und schon ist es 3 Uhr nachmittags geworden. Natürlich, das Wetter nach hinten hinaus bombensicher, die Tage so lang, wie sonst nie im Jahr, aber schließlich sind wir auf einer bewarteten Hütte zum Abendessen angemeldet. Also, ein kurzer Anrunf zwischendurch bei Pietro von der Alpe Nimi. Es hatte ja was,  zu Fuß ab Orselina, einem höher gelegenen Vorort von Locarno aufzusteigen., Dort wachsen sogar noch Palmen in den Gärten, und zu Beginn scheint uns der Bergwald  fast schon subtropisch. Lange geht´s, bis dann mal dieLärchen und die Tannen erreicht sind, und erst kurz vor dem Gipfel der Cimetta  kommt die offene, subalpine Gras- und Weidelandschaft.

Spektakuläre Wegführung, aussichtsreich, in unterhaltsamer Spannung - die erste Etappe der Via Alta begeistert von Beginn an. Von der Cimetta (1646 m) hinab und hinüber zur  Cima della Trosa (1869). Auch der Madone (2051 m) wird über seinen Gipfel überschritten. Dazu bedarf es aber eines längeren Abstieges, um anschließend kräftig wieder anzusteigen. Weiter in moderatem  Auf und Ab via Passo del Lupo (2015 m) zur Bocchetta d´Orgnana. Die Cima di Corbella (2066 m)wird in ihrer Flanke umgangen, ebenso der Pizzo d Orgnana (2218 m). Am Mott Pegör (2169 m) zieht der Pfad nur knapp unterhalb des Gipfels hindurch. Alles Gipfell am Wege, über die bei genügend Zeit mit Vergnügen hinübergegangen wären.
 
Die Route ist intakt,  besonders exponierte  Passagen sind mit nagelneuen Ketten versichert. Schnee hat es noch gelegentlich, etwa am Passo del Lupo,  doch glücklicherweise sind besonders heikle Stellen bereits ausgeapert, sodass wir recht unbeschwerlich vorankommen. Auf den Passo di Nimi (2048 m) zu zieht zum guten Schluss  noch Nebel auf. Wir sind trotzdem von der Alpe aus bereits gesichtet worden: "Essen!" erschallt Pietros Rufen schon von Weitem wie ein leitendes Nebelhorn. 

21 Uhr ist es inzwischen geworden, als wir endlich auf der Nimi eintreffen. Während die anderen anwesenden Gäste schon satt und mitten im gemütlichen Hüttenplausch sind, kommen wir jetzt zu unserem ersehnten Abendmal, u. a. Tage zuvor in Ziegenmilch eingelegtes Kalbfleisch, deliziös! Eine Nacht auf der Alpe Nimi ist nicht mit dem Aufenthalt auf einer herkömmlichen SAC- oder DAV-Hütte zu vergleichen. Wir sind hier Gäste auf einer intakten Ziegenalpe, auf der irgendwann mal als Nebenerwerb mit der Aufnahme von Übernachtungsgästen begonnen wurde. Die Anzahl der Betten ist auch vergleichsweise gering. In Zeiten, als in den Alpen noch keine oder kaum Clubhütten zur Verfügung standen, war die Nächtigung beim Älpler eine oft übliche Option. Nur schade, dass wir so spät eintrafen, aber zu unserem Glück ist Pietro so strikt mit der Hüttenruhe;-)!

31.05.2021
Vor dem Einschlafen hatte ich mir noch den Kopf darüber zerbrochen, wie es denn weiter gehen soll. Die folgende Etappe wurde nach Aussage von Pietro bislang von niemandem begangen. Die Schneesituation hinkt dieses Jahr im Vergleich zu anderen Jahren gut 3 Wochen hinterher. Nur einer von uns hat einen Pickel. Der andere soll mit Stöcken über exponierte und extrem steile Altschneepassagen gehen? Ausprobieren und notfalls umdrehen würden einen zu großen Zeitverlust bedeuten, denn die inzwischen ersonnene Alternative soll nicht nur unserer Vermutung nach eine lange werden ...

So entschließen wir uns also gleich von Vorneherein zur langen Abstiegsvariante gen Maggia. Es ist ein typischer, häufig mit Steinplatten ausgelegter Südalpenpfad, der uns die gestern durchstiegenen Vegetationszonen wieder hinabführt. Erst kurz vor der Ortschaft Maggia, die sich in der Talsohle des Maggiatales befindet, stoßen wir auf die der Karte entnommenen Abzweigung zu einer in Talnähe durchziehenden Traversale. Hübsch, aussichtsreich, malerische Rustici, rauschenden Bäche, ein romantischer Wasserfall, so geleitet uns dieser fast-schon-Talweg kurzweilig bis nach Coglio, bzw. Giumela, wo unser Wiederaufstieg ansetzen soll.

Nachdem ich die am Ortseingang von Coglio stehengelassenen Stöcke wutschnaubend von Giumela aus durch brütende Talhitze wieder zurückgeholt habe, soll es nun endlich wieder nach oben gehen. Unser Pfad schraubt sich zu Beginn recht monoton durch den Bergwald empor, dabei stets direkt über dem Maggiaal verbleibend, bis er sich er sich endlich  erbarmt, ins Hochtal Valle di Giumaglio einzuschwenken.
Dort aber finden wir sie wieder, die wilde Schönheit der eng und tief eingeschittenen Tessiner Bergtäler. Diese Faszination erzeugt  auch wieder das nötige Adrenalin, um die verbleibenden Höhenmeter bis hinauf zur Alpe Spluga zu bewältigen. Lange noch wandern wir im Schatten üppiger Vegetation, die nur mal verstohlene Blicke zum omnipräsenten Tosen des schäumenden Wildbaches neben oder unter uns zulässt. Höher und höher, bis schließlich wieder offenes Gelände erreicht ist. Felsige Berggestalten überragen uns jetzt, weitgehend noch mit Schnee bedeckt. Und so treffen wir auf der  Alpe Spluga ( 1839 m) ein. Keine Menschenseele dort oben, außer uns , wie auch schon zuvor, auf unserem Weg hierher.  Ein herrlicher Ort: eine zuvor wohl längst schon aufgegebene Ziegenalpe,  die halbverfallenen Hüttchen durch liebevolles Herrichten in eine urgemütlichen Selbstversogerunterkunft verwandelt. Um 8 heute morgen von der Nimi aufgebrochen, um 18.50 h hier angekommen - puh, was für ein Tag! Nun schon der zweite dieses Ausmaßes in Folge ...

01.06.2021
... und der dritte folgt sogleich! Am Anfang steht nur mal die Ahnung davon ... 8.10 gehen wir los, gleich folgt der Anstieg in die Bocchetta di Spluga (2152 m) über einen blau markierten Weg, der sich rasch unter geschlossener Schneedecke verliert. Nun also auf oberflächlich angetautem Firn und gerade mal so ohne Steigeisen zur Bocchetta hinauf, und gleichfalls durch kompakten Frühsommerschnee die andere Seite wieder hinab. Am halb schneebedeckten und gefrorenen Lago di Chignolasc lasse ich mich zu einem energiespendenden "Schockbad" verleiten. 

Nach unten hin wird die Wegfindung komplizierter, wegen des Schnees und wegen der schlechten Markierungen. In einem Tobel sprinten wir das steile Schneefeld etwas zu schnell und enthusiastisch hinab, bevor uns die Idee kommt, dass unser Pfad das Tobel dort oben offensichtlich nur gequert hat. Korrektur also, alles wieder hinauf. Weg wieder gefunden, weiter geht´s., immer noch mit viel Schnee und schlechten Markierungen bis zur Alpe Airón (1603 m)   ). Hier hört der Schnee auf, und rot-weiße Markierung löst  blau-weiß ab. Jetzt merklich einfacher,  aber etwas monoton gut 400 hm steil durch einen Buchenwald abwärts. Erst ab ca. 850 m wird der Weg wieder interessant - kleine Tobel, Bergbäche, das Kirchlein Chiesa Madonna di Monte (873 m).

Wir wollen ab Bignasco mit dem Bus durchs Tal abkürzen, sonst würde es problematisch werden, heute noch bei Tageslicht die Capanna Lago Toméo zu erreichen. In der Wartezeit genehmigen wir uns einen Imbiss in der Locanda Turistica gegenüber der Bushaltestelle. Leckere Kalbsbratwurst in Zwiebelsoße, dazu goldgelbe Pommes, und noch ein anspornender Kaffee zum Schluß.

Nach einer landschaftlich eindrucksvollen Fahrt das Lavizarratal hinauf entsteigen wir gegen 16.45 in Broglio (703 m) dem Postbus und machen uns auf den Weg zum Rifugio Lago Toméo. Die spätnachmittägliche, bzw. frühabenlliche Stimmung ist eine Wonne auf dem hübschen Hüttenweg. Kurz vor halb Acht sind wir am Ziel. In der Hütte werden wir zunächst einmal recht barsch empfangen. Man ist erbost darüber, dass wir uns nicht gemeldet hätten. Wobei, angemeldet waren wir wohl. Es war aber erwartet worden, unser recht spätes Eintreffen mit einem Anruf zwischendurch anzukündigen. Ein kurzer Disput, die Lage beruhigt sich dann auch schnell wieder, und binnen Kurzem verwandelt sich der Ärger in Herzlichkeit und wir verbringen einen gemütlichen und unterhaltsamen Hüttenabend bei Thomas und Markus. Auch das Essen fällt reichlich und schmackhaft aus. Wir sind die einzigen Gäste, weshalb sich anregende Gespräche entwickeln, etwa über den Werdegang der Via  Alta, oder Geschichte , Kultur und Bewohner der Maggiatäler.

02.06.2021
Dass das Rifugio am Lago Toméo für uns zu einer Einbahnstraße werden würde, wurde uns bereits auf der Nimi prophezeiht. Der gesamte Bergkessel hier oben ist noch dicke mit Schnee gefüllt. Dort hinaufzusteigen, und zu versuchen, sich durch heikle Teilstücke der Via Alta hindurchzumogeln, wollen wir für diesmal bleiben lassen. Nach Aussage von Thomas und Markus, die uns gleichfalls dringend davon abraten, hat das in dieser Saison auch bislang noch niemand gewagt. 

In der Nacht prasselt Regen aufs Hüttendach, die wundervolle Hochdruckwetterlage der vergangenen Tage hat sich somit vorerst verabschiedet. Nebelschwaden, Feuchtigkeit und leichter Nieselregen kreieren eine gespenstische Stimmung am See, dem wir nach dem Frühstück noch einen kurzen Besuch abstatten. In aller Gemütsruhe nehmen wir dann den Abstieg über die gestern gekommene Route unter die Sohlen. Anstatt nach Broglio, nehmen wir kurz vor der Ortschaft den Abzweiger nach Prato, dem nächst höher gelegenen Ort im Lavizarratal - einfach aus der Neugier heraus :-)! 

Die Busverbindung über Bignasco und Locarno nach Orselina, und somit zurück zum Auto, klappt wie am Schnürchen.

Fazit: die Begehung der Via Alta Valle Maggia wird uns nicht weglaufen, das hat uns bereits auf der Alpe Nimi eingeleuchtet. Unsere Alternativroute wurde sozusagen mit der heißen Nadel gestrickt, als wir auf der Alpe Nimi endgültig einsehen mussten, dass wir für eine vorgesehene Begehung über die ersten vier Etappen der Alta Via hinweg mit Ziel Lago Toméo zumindest in diesem Jahr gut drei Wochen zu früh dran waren. Herausgekommen ist eine interessante und landschaftlich sehr ansprechende Mehrtageswanderung, die uns  mit den engen und steilen Nebentälern des Maggiatales vertraut gemacht hat. Lange Auf- und Abstiege im Wechsel  führen dabei immer wieder aufs Neue durch die typischen Vegetationszonen der Südwestalpen. Besonders jetzt zur Schneeschmelze faszinierte dabei ein unglaublicher Wasserreichtum. Die Abstiegsroute über die Bocchetta di Spluga hatte unter den gegebenen Umständen einen alpinen Hauch. Die einzelnen Tagesetappen gerieten sehr lang und waren reich an Auf- und Abstiegsmetern. Insofern sei diese Tour nur wirklich durchtrainierten Bergwanderern zu empfehlen. Und wenn wir dann eines Tages über die Kämme und Grate der Via Alta schweifen sollten, dann werden sicher die schönen Erinnerungen zurückkehren, als wir die sattgrünen und tief eingeschnittenen Canyons unter uns einst erwandert hatten ;-).

Tourengänger: Günter Joos (gringo)


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