Niemand ist gefeit!


Publiziert von Nyn , 2. September 2020 um 15:43.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:31 August 1986
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS   I 
Zeitbedarf: 2 Tage

Ich sichte eben mein Archiv und habe einige Beiträge zu Hochtouren und Extremkletterein früherer Jahre als Kurzbericht auf meine Homepage eingestellt.

Diesen Erlebnisbericht möchte ich Euch allen ausführlich und zur Lektüre anbieten

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Mit Andreas und Rainer auf Tour

Ursprünglich wollten wir die Breithorn-Überschreitung zur Biwakschachtel und dann die ev ganze -auch "Spaghetti"-Tour genannte Runde bis zur Monte Rosa/Dufourspitze gehen, aber es sollte ganz anders kommen

Zunächst hatte wir die Auswirkungen so kurzzeitigen Aufstiegs per Seilbahn bis zum kl. Matterhorn doch ein wenig unterschätzt. Für uns "Flachländer" mal so eben 3000m rauf - auch wenn wir eine Nacht davor meist auf dem Furkajoch (2400m) verbringen - brachte Kopfschmerzen und leichte Übelkeit, die bei mir und Andreas bald verging, bei Rainer nicht so ganz. Nun, wir dachten, ok, wir lassen das mit der Überschreitung des Breithorns, sondern laufen den "normalen" Weg zur Biwakschachtel halt unterhalb querend bis unter den Breithorn-Ostgipfel. Das wird schon gehen, das ist ja überwiegend flach.

Soweit so gut. Das klappte auch ganz gut. Durch frische Luft und moderate Bewegung, inzwischen leicht erholt waren wir 3 zwar nicht sehr schnell, aber es galt ja auch nur zur Schachtel zu kommen, dann würden wir weitersehn.

Nun steht diese kleine Schachtel nicht direkt am Weg, sondern es bedarf eines zwar kurzen, aber doch steilen Anstiegs zu ihr hinauf, der uns erstaunlich schwer fiel. So waren wir froh, erst mal hier zu sein, (alleine), ruhten uns aus, kochten und waren recht guter Dinge. Rainer ging es inzwischen auch etwas besser. Er fühlte sich zwar nicht wirklich fit, ihm war auch etwas kalt. So verzog er sich alsbald nach dem Essen in seinen 5Sterne -Kantsch-Schlafsack.

Die Nacht war für uns alle eher leidlich, aber das ist normal. Man ist aufgeregt, die Höhe von fast 3800m trägt nicht gerade zu toller Erholung bei. Rainer ging es morgens nicht wirklich viel besser. Er hustet etwas, ihm war weiterhin kalt und er meinte sinngemäß: "Ich will euch die Tour nicht ganz versauen" Er würde hierbleiben und sich ausruhen, und wir sollten doch den Castor machen, dann würden wir sehn, ob wir fortsetzen können."

Wir dachten uns weiter nicht viel dabei, Rainer war als 8er-Kletterer vollkommen autark und eigenständig genug, um zu wissen, was für ihn gut war. So stapften Andreas und ich nach gemütlichem Frühstück zu 2t auch eher gemütlich los, bestiegen auch erfolgreich den Castor und kehrten in den mittleren Nachmittagsstunden ( gegen 4 oder halb5 schätze ich), zum Biwak zurück.

Zu unserer Bestürzung ging es Rainer erheblich schlechter als noch am Morgen. Er lag im Schlafsack, seine Atemgeräusche waren gar nicht gut, teils hyperventilierend. Er wirkte teilweise apathisch. Irgendwelche anderen frz. oder italienischen Bergsteiger wären tags vorbeigekommen, sagte er.( da ging es ihm wohl schon schlechter) und hätten ihm irgendwelche Tropfen (Kreislauf?) gegeben, seien dann aber weitergezogen - ansonsten war er nur mal zum Pinklen raus gewesen, sonst dauernd im Schlafsack.

Das war sehr sehr ernst! Wir erkannten nun, dass es sich wahrscheinlich um ein Höhenlungenödem handeln musste, in welchem Stadium konnten wir als medizinische Laien nicht sagen, aber was wir wussten: Er musste so schnell als möglich runter vom Berg und dringend behandelt werden.
Aus eigener Kraft auch nur wenige Meter zu gehen, war ihm inzwischen unmöglich, so blieb nur ein Hubschrauber.

Heutzutage ist das keine so große Sache mehr, aber zu der Zeit waren Handys noch selten, der Empfang auch nicht überall möglich. Wir hatten keins und die unverzüglich zu tätigende Alarmierung würde demnach erfordern, dass Andreas oder ich, der wir doch gehörig platt vom Castor kamen, zur nächstvermuteten Rettungsstelle oder Telefon allerschnellstens sich zu begeben hatte. Die Wahl fiel auf mich.

Ich rannte, anders kann man es nicht sagen..ich hatte eine Heidenangst um Rainer..nur mit den Stöcken unter Aufbietens jeglicher Kräfte in sehr kurzer Zeit den Weg zurück, den wir am Vortag in ca 3h zurückgelegt hatten, zur Bergstation der Seilbahn am Kl. Matterhorn, wo ich nach ersten Sprachschwierigkeiten (malada a la tete - bis mir das Wort für Hubschrauber einfiel....Heli..need Helicopter.!!!...schließlich die deutschsprachige Rettung und Air Zermatt kontaktieren und alarmieren konnte.
Der Einsatzleiter liess sich von mir nochmals Symptome und den genauen Standort bestätigen, dann gab er den Befehl zum Abheben. Die Stunde war zwar schon fortgeschritten, aber Wetter und Sicht waren gut genug, so daß der Heli fliegen konnte. Gott sei Dank! Ein Arzt flog auch mit hoch, mit dem ich auch noch kurz sprechen durfte.

Dann hiess es für mich Warten. Angstvoll sah ich zu, wie sich der Heli an der Bergflanke des Breithorns hochschraubte, dann geriet er außer Sicht. Die Zeit dehnte sich wie Kaugummi - ich konnte nun nichts mehr tun.
Bang wartete ich auf weitere Nachrichten. Endlich bekam ich die Info, dass die Retter meine Spezln beide samt Material eingesammelt, meinen Bruder in Zermatt abgesetzt hätten und sie Rainer gleich ins Krankenhaus nach Visp oder Brig flögen zur Behandlung, wo wir ihn dann morgen aufsuchen könnten. Ich fuhr also mit der Bahn hinab, traf mich mit Andreas und wir fuhren -weiterhin besorgt- zu unserem "Übernachtungsplatz".

Andreas erzählte mir, dass er an der Schachtel alles zusammengepackt und vorbereitet hatte, aber ebenso bang auf das wartete, was nun geschehen würde, er ja auch nicht mehr andersweitig eingreifen konnte. Weder war er in der Lage, Rainer zu tragen, noch war er sicher, dass ich es auch heil bis zur Bergstation geschafft hatte, immerhin geht es da auch über den Gletscher mit Spalten und ich war nicht angeseilt losgerannt - es war aber sonst niemand weit und breit gewesen - also ging es nicht anders!

Nach einer sehr unruhigen Nacht fuhren wir ins Tal und fanden Rainer zwar sehr schwach, aber sonst -Gott sei es gedankt! -soweit wohlauf.
Durch die sofortige Gabe von Sauerstoff und den eben noch rechtzeitigen Transport ins Tal konnte das Ödem in der Lunge gestoppt werden. Nur wenige h länger hätten ev zum Tod geführt.
Wir alle hatten angesichts der Unkenntis derartiger Folgen unbeschreibliches Glück! Es ist glimpflich ausgegangen.

FAZIT
Ich kann nur jedem ans Herz legen, bei Hochtouren jegliche Symptome, die so etwas wie dieses Lungenödem andeuten könnten, äußerst ernst zu nehmen, lieber früher als später umzudrehen oder am Besten nicht mit der Bahn in kurzer Zeit so hoch zu fahren. Lieber auf der "Mitte" 1 Nacht bleiben oder selber hochsteigen, damit der Körper sich zumindest  ein wenig "daran" gewöhnen kann.

Egal, wie gut der Trainingszustand ist, egal, wie erfahren man ist, das kann trotzdem JEDEM passieren, selbst den Bergführern! Heute mit besserem Handyempfang ist die Alarmierung im Falle eines Falles einfacher, aber auch das ist nicht überall gegeben!

Also Augen und Ohren auf, achtet auf eure Kumpels!
Bleibt gesund

Nyn



Tourengänger: Nyn


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Kommentare (2)


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Sarmiento hat gesagt: Ein sehr eindrückliches Erlebnis...
Gesendet am 3. September 2020 um 18:21
... beschreibst du da. Schön zu lesen, dass damals alles gut ausging!
Habt ihr beiden denn heute noch Kontakt zu besagtem Rainer?

Dein Bericht bestärkt mich nur umso mehr in meiner bzw. unserer Art der Akklimatisierung - als Flachländer eben langsam, über ein paar Tage, und sich dabei nur Stück für Stück hochzuarbeiten. Man weiß nie, ob der eigene Körper nicht doch mal irgendwann streikt, auch als Sportler.

Ich denke ganz generell, dass das ein Thema ist, das auch heute noch aktuell ist - vielleicht sogar aktueller denn je. Denn durch ominpräsenten Handyempfang, stundengenaue Wettervorhersage (die auch am Berg noch aktualisiert werden kann) und immer bessere Ausrüstung sind die Alpen schon ein wenig zum Spielplatz für Vollkasko-Abenteurer geschrumpft. "Wenn was sein sollte, kannst du ja den Heli rufen" hab ich schon häufig gelesen und sogar schon direkt gehört. Und auch schon entsprechende Heli-Rettungsaktionen mitbekommen, in denen dann halt mal schnell zum Telefon gegriffen wurde.

Das alles lässt die Hemmschwelle doch enorm sinken, sich auch mal völlig unnötig in gefährliche Situationen zu begeben. Ich kann mich bzw. uns da nichtmal ausnehmen. Man muss es sich nur bewusst machen und dementsprechend bei der nächsten 50:50-Entscheidung auch mal umdrehen.

Grüße, Bernhard

Nyn hat gesagt: RE:Ein sehr eindrückliches Erlebnis...
Gesendet am 3. September 2020 um 19:07
Hallo Bernhard, danke für deinen Kommentar

Für Rainer war dieses Erlebnis der Auslöser oder Grund, mit Hochtouren nicht mehr weiter zu machen. Körperliche Schäden trug er zum Glück nicht davon. Ich bin nun seit vielen Jahren nicht mehr in der Region, wo Rainer und ich früher lebten, so ist der Kontakt inzwischen abgebrochen...

Man könnte nun anmerken, dass Du als "Fastnursportkletterer" von deiner Konstitution her für Hochtouren weniger gut geeigent bist, da kaum Fett =>weniger (Kälte)Schutz oder vermeintlich weniger Ausdauer...damit macht man es sich aber viel zu leicht.
Fakt ist, dass derartige Höhenkrankheiten selbst heute noch sehr gefährlich sind und nicht erst im 8000er-Bereich auftreten, sondern schon ab etwas 2500m auftreten können, bei Jedem! Laien wie Profi!. Das macht es so unberechenbar.
Bahnbenutzung und kurzfristig spontanes Losgehen fördern dieses Risiko durchaus ....

Die zweifelhafte und sehr egoistische Konsum-Mentalität, die Du beschreibst, man könne ja, wenn das Wetter oder die Konstitution dann am Berg nicht so passt , immer noch die Rettung rufen, karikiert deren grundlegenden Sinn schon sehr. Sie ist doch dazu gedacht, Menschen, die eher "unverschuldet" in Gefahr oder Not gekommen sind zu hlefen und zu zu bergen, nicht mancher Unvernunft oder mangelnder Vorbereitung Vorschub zu leisten - aber wer bin ich darüber zu urteilen....

Seien wir froh, wenn es glimpflich ausgeht und lernen hoffentlich etwas daraus

VG, Markus



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