Niederer Weißzint 3270m - Neue Freunde oder Das Krokodil


Publiziert von georgb , 3. August 2020 um 09:04.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum: 1 August 2020
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1500 m
Abstieg: 1500 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Lappach-Stausee
Kartennummer:tabacco Sand in Taufers

"Wie ein Saurierrücken" schreibt Beikircher in einem uralten Führer über den Niederen Weißzint, ich nenne ihn "Das Krokodil". Er besteht eigentlich nur aus einem zackigen Kamm, ein markanter Einzelgipfel ist kaum auszumachen. Vielleicht wird er deshalb so gut wie nie bestiegen, aber vermutlich liegt es vor allem daran, dass ihm nebenan der Hohe Weißzint die Schau stiehlt.
Bei guten Verhältnissen, wie zur Zeit, ist die Tour dorthin über die Obere Weißzintscharte und den Gletscher nicht viel mehr als eine Höhenwanderung und entsprechend gut ist er besucht, ganze Karawanen ziehen von der Edelrauthütte hinauf zum winters wie sommers beliebten Hohen Weißzint. Nach dem Abzweig zur Unteren Weißzintscharte dagegen bewege ich mich fast komplett alleine, nur ein paar Hüttengäste leisten mir Gesellschaft. Vom Niederen Weißzint haben sie noch nie gehört, sie intressiert nur der Blick zum Hochfeiler und auf den Gletscher.
Mich zieht der beeindruckende Westgrat in seinen Bann, über 300 Höhenmeter streckt er sich vor mir aus und ich schreite ihm mit Respekt entgegen. Ich übersteige einen ersten Buckel und bekomme schon einen Vorgeschmack. Zwar taucht hin und wieder ein schüchterner Steinmann auf, doch Begehungsspuren finden sich kaum, immer wieder braucht es die Hände und einen suchenden Blick zum Vorwärtskommen. Ich steige in eine Senke ab und dort erwartet mich ein fantastischer, geschätzt 6 Meter hoher Quarzturm, den man schon beim Anstieg zur Weißzintscharte deutlich erkennen kann. Als weißer Solitär steht er inmitten der grauen Granitsteinwüste, sehr beeindruckend!
Ab hier beginnt der eigentliche Aufstieg, also Stöcke wegpacken, Hände aus den Hosentaschen und ran an den Fels. Von einigen Wackelkandidaten abgesehen, lässt sich der Kamm gut begehen, beinahe Genusskletterei bis II. Ich halte mich nahe am Grat und weiche gelegentlich in die Südflanke aus (nie, wie in einem anderen Führer beschrieben, in die Nordflanke!?). Auch hier gibt ab und zu eine Steindaube moralische Unterstützung. Doch die Orientierung ist eindeutig, zunächst wird ein Vorgipfel überstiegen und dahinter verbirgt sich im Nordgrat der wenige Meter höhere Hauptgipfel, vielleicht 200 Meter Luftlinie entfernt.
Man könnte sich auch mit dem Vorgipfel auf 3263m zufrieden geben, in manchen Karten wird hier sogar der Niedere Weißzint hinverlagert!? Doch der Weg zum höchsten Punkt lohnt sich enorm, eine spektakuläre Gratwanderung, maximal im 2.Grad, mit atemberaubenden Ausblicken und sensationellen Turnübungen an ausgesetzten Zacken, ich bin begeistert.
Für einen langen Aufenthalt fehlt mir der Nerv, zuerst will ich wieder in "entspannenderem" Gelände sein und kraxle umgehend zurück zum Südgipfel. Dazwischen liegt ein wohl ähnlich hoher Zwischengipfel, der direkt überstiegen wird, einmal spreize ich durch einen furchterregenden Spalt und es stehen scheinbar unüberwindbare Felstürme im Weg. Bei näherem Hinschauen bleibt aber alles im 2er Schwierigkeitsbereich, herrlich anregender Kraxelspaß auf über 3200m mit viel Luft unter den Füßen.
Ein paar Meter unter dem Südgipfel finde ich Platz und Muße für eine Rast und lasse das Ambiente wirken. Was für ein Berg, dieser Niedere Weißzint, ich bin schwer beeindruckt. Während sich die Bergsteiger auf Hochfeiler und Hohem Weißzint nebenan gegenseitig auf den Füßen stehen, verlieren sich hier herauf wohl wenige Menschen im Jahr.
Noch muss ich die Konzentration hochhalten, vor allem, weil nicht jeder Stein stabil ist, oft bewegen sich ganze Platten und schaukeln unheimlich unter meinen Füßen. Mit dem nötigen Gefühl und vorausschauenden Tritten komme ich aber gut voran, passiere meinen neuen Freund aus Quarz, stehe mit weichen Oberschenkeln an der Unteren Weißzintscharte und schaue beglückt zurück auf meinen zweiten neuen Freund, den Niederen Weißzint ;-)
Wenige fühlen sich hierher berufen, nur gelegentlich quert jemand von der Hochfeilerhütte herüber. In mich versunken hüpfe ich zum Eisbruggjoch und lasse mich zur Einkehr in der Edelrauthütte nieder für einen bekannt guten Kaiserschmarrn und den legendär freundlichen Service. Ich werde nicht enttäuscht, mit vollem Bauch trabe ich mit den anderen Ausflüglern hinab zum Stausee. Im Rückblick schaue ich auf den Rücken meines großen neuen Krokodilfreundes Niederer Weißzint und auf die kleinen Murmeltierfreunde am Wegesrand. Nur meine Steinbockfreunde werde ich womöglich in den Pfunderer Bergen nicht wiedersehen, von den einst 180 Tieren sind angeblich nur noch 20 Stück übrig und möglicherweise werden auch sie den Räudebefall nicht überleben!?

Tourengänger: georgb


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