Lemosho-Route 7: Uhuru Peak 5895 m - Kilimanjaro / Kibo


Publiziert von basodino , 27. Januar 2020 um 12:03.

Region: Welt » Tansania
Tour Datum:17 Januar 2020
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: EAT 
Zeitbedarf: 11:45
Aufstieg: 1250 m
Abstieg: 2110 m
Unterkunftmöglichkeiten:Barafu Camp (4650 m), Millenium oder High Camp (3790 m), organisiert von Mboni Adventures
Kartennummer:https://opentopomap.org/

7. Tag: Barafu Camp (4650 m) - Uhuru Peak (5895 m) - Millenium Camp (3790 m), 1.250 Hm rauf, 2.110 Hm runter, 11 h 40 min

23 Uhr Wecken! Dieses Mal gab es keinen Tee im Zelteingang oder warmes Wasser zum Waschen, aber wer braucht das schon, wenn es auf den Berg geht! Letzte Dinge eingepackt und warm angezogen. Unten drei Lagen (Merino-Unterwäsche lang, Tourenhose und Regenhose), oben fünf Lagen (Merino-T-Shirt, Merino-Shirt lang, Merino-Jäckchen, Fleecejacke und Regenjacke). Ich strecke die Nase aus dem Zelt: windstill und bewölkt. Das deutet auf eine vergleichsweise warme Nacht. Im Aufenthaltszelt stehen Tee und Kekse parat. Ein letztes Mal werden unsere Sauerstoffwerte gemessen. Nach Werten zwischen drin in den niedrigeren 80er sind wir jetzt wieder in den 90er angekommen. Alles gut. 

Das erste Mal in der gesamten Woche kommen wir pünktlich los: genau um Mitternacht. Über uns sehen wir schon die eine oder andere Perlenkette den Anstieg zum Felsen (ca. 4800 m) hinaufkriechen. Viele gehen um diese Uhrzeit los. Wir beginnen ganz langsam und finden schnell unseren Rhythmus. Da der erste Anstieg aber etwas steiler ist, komme ich bereits ins Schwitzen. Also stopp und eine Lage ausziehen. Das Merino-Jäckchen in der Mitte muss dran glauben. 

In unsere Rucksäcken hatten wir jeweils 2 Liter warmes Wasser bekommen, aus denen wir via Schlauch immer wieder Nuckeln. Hier wichtig, dass man nach dem Trinken das Wasser wieder zurück in den Wassersack pustet, damit es nicht im Schlauch anfriert. Die Thermoskannen mit dem Tee hat unser Guide eingepackt. Die sind für später bestimmt. 

Im Gegensatz zu den Etappen vorher, wo wir mit unserem Pole-Pole immer die langsamsten waren oder schienen, zahlt sich in dieser Nacht unser gleichmäßiger Rhythmus aus. Die Gruppen, die uns am Start noch überholt hatten, sind schnell wieder eingeholt und je höher wir kommen desto weniger Lichter sind vor uns und umso mehr hinter uns. 
Die trockene, bewölkte Nacht führt dazu, dass wir abwechselnd durch ruhige und eher warme Zonen laufen, dann wieder durch Nebel mit etwas Wind mit minimalem Niesel, die eher kühl daher kommen. Aber letztlich kommt es von Anfang an nur darauf an, den Rhythmus zu halten und auf die Fersen des Vordermannes zu schauen. All zu weit nach oben schauen, bringt nichts, denn man erkennt nur, dass Lichter vor einem sind und die Entfernung zum Ziel ist entweder nicht zu erkennen oder schlichterdings nicht zu ermessen. Der Weg selbst ist zunächst bis ca. 4800 m etwas steiler, flacht dann am sogenannten Kosovocamp (4860 m) ab, um anschließend wieder aufzusteilen und in ruhigem Zickzack hinaufzuleiten. 

Man weiß im Vorhinein, dass die Zeit zwischen 3 und 5 Uhr die schwierigste ist. Die Nacht ist dunkel, das Schreiten monoton, der Fortschritt nicht spürbar (der Höhenmesser versteckt sich unter mehreren Lagen und den Handschuhen und wird immer seltener konsultiert) und die Gedanken werden irgendwann stumpf, denn müde ist man ja auch. Wir hatten schon vorher gesagt, dass wir nur anhalten würden, um kurz was zu trinken oder zu essen, aber nicht länger als 5 Minuten. Das funktionierte auch sehr gut bis um 4.15 Uhr auf ca. 5500 m. Kurz vorher hatte ich eine Lage wieder angezogen, denn es wurde mir kalt. Ich hätte aber nicht nur etwas anziehen sollen, sondern auch regelmäßig eine Kleinigkeit essen (so meine Interpretation im Nachhinein), denn auf einmal war der Akku leer. Mir wurde ein wenig schwindelig (für 1-2 Minuten) und ich musste anhalten. 
Mein Guide versuchte mich warm zu rubbeln, nahm mir den Rucksack ab und ich fand ein "lebensrettendes" Powergel, welches mir Tourinette schon zuhause mitgegeben hatte ("für die Gipfelnacht"). Das belebte meine Geister immerhin insoweit, dass ich weitergehen konnte. Aber ab hier war es ein "Fight". Der schöne "Zwei-Schritte-ein-Atemzug"-Rhythmus war dahin. Jetzt ging nur noch ein Schritt je Atemzug. Und das machte mich gefühlt so richtig langsam. Nur erstaunlich war, selbst in diesem Schleichtempo wurde ich praktisch von niemandem überholt.
Allmählich kamen die Schneefelder des Kraterrandes näher. Aber alles sah noch so weit aus. An diesem Berg war an den vorherigen Tagen alles immer größer und weiter gewesen, als es den Anschein hatte; warum sollte das nun anders sein. Im allerersten zarten Licht erkannte ich oben am Grat zwei Menschen mit Stirnlampen. Sie gingen am Grat und meine Gedanken waren: wenn das Gillmans Point ist (ca. 5615 m) und die noch so weit über mir sind, dann ist es noch ewig bis Stella Point; dann habe ich in den letzten 1,5 Stunden gerade mal 50 oder 100 Höhenmeter geschafft. Ich war innerlich am verzweifeln. Aber der innere Wille war noch am Leben und ließ es nicht zu, den nächsten Schritt nicht auch noch zu machen. Und nach der nächsten Kurve konnte ich vor mir eine kleine Traube Menschen ca. 10 Meter über mir sehen, das Schild "Stella Point" und LionsHead, der bereits oben war und mich anfeuerte. Hören konnte ich nichts, denn seit ca. 1 Uhr hatte ich Musik auf dem Ohr, was für mich sehr gut funktioniert hat. Mit aufkeimender neuer Energie machte ich die letzten Schritte und erkannte dabei, dass die beiden am Grat mitnichten an Gillmans Point gewesen waren, sondern bereits unmittelbar vor Stella Point. So kann man sich verschätzen. 
Um 6.10 Uhr stand ich am Stella Point, ohne die beiden Pausen gerechnet nach genau 6 Stunden Gehzeit. T2, 6 h 00 min

Am Kraterrand standen mir die Tränen in den Augen. Fast 2 Stunden nach der kleinen Krise weiter unten, dem anschließenden inneren Kampf um jeden weiteren Schritt, kann ich für jetzt und alle Zukunft nicht verstehen, wenn man den Kilimanjaro als besseren Spaziergang abtut. Klar, ist er technisch einfach, aber die Höhe will erst mal erreicht sein. 

Es entspann sich ein wunderschönes Farbenspiel mit der nahenden Sonne und den absolut fantastischen Wolken über und unter uns. Ein traumhafter Morgen und obwohl viele Menschen neben mir standen, war in mir nur innere Ruhe und Zufriedenheit zu spüren. Nach einem Tee und einem Keks ging es dann aber schnell weiter, denn der Gipfel ist ja noch nicht erreicht. Ab Stella Point ist es derzeit eine Schneewanderung, zunächst in tiefen Furchen, dann ganz flach über harten Schnee. Nach knapp 10 Minuten ging die Sonne auf, was nochmals zu Fotostops und dankbarem Aufsaugen der Atmosphäre führte. Begeistert war ich auch von der eingeschneiten Landschaft und der gar nicht so winzigen Gletscherreste, die für ein tolles Ambiente sorgten. 

Mit der Sonne kam auch Wärme und Kraft. Wobei man nicht verhehlen darf, dass für jeden der ach so flachen Aufstiegsmeter doch noch Energie benötigt wurde, die nur mehr in geringem Maße zur Verfügung stand. So zieht sich das Stückchen bis zum Gipfel und letztlich brauchte ich fast eine Stunde bis zum Höhepunkt Afrikas, wenngleich mit vielen kleinen, auch gewollten Zwischenstops - einfach nur zum Genießen. Erfreulich war dabei aber, dass außer der geringen Energie, keine weiteren Symptome irgendeiner Höhenkrankheit zu spüren waren: kein Kopfweh, keine Übelkeit oder gar Spucken, keine Halluzinationen oder ähnliches. Das hörten wir später von anderen Gipfelaspiranten ganz anders. Einer konnte sich sogar gar nicht mehr an den Gipfel erinnern. Und wieder andere waren mit Diamox unterwegs (vornehmlich Amerikaner wie mir scheint), was die Herausforderung wohl auch verändert. Wir waren froh mit fairen Mitteln ganz oben zu stehen, und das Erlebte auch schon im Moment aktiv erleben zu können. Denn die Freude am Gipfel war riesengroß und die vorherige Erschöpfung wie weggeblasen. T2, 0 h 55 min

Für das obligatorische Gipfelfoto mussten wir nur kurz anstehen. Alle waren gut gestimmt und positiv, so dass man aufeinander Rücksicht nahm und jedem seinen Moment am Gipfel gönnte. So blieben wir ca. 20 Minuten am windstillen Gipfel und sogen die Momente in uns auf, die uns lange, lange in Erinnerung bleiben werden. 

Der Rückweg war dann erstaunlich leicht. In knapp 40 Minuten waren wir wieder am Stella Point, wo es nochmals Tee, Kekse und Fotos gab. Es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich der Körper hier oben auf gelaufene Abstiegsmeter im Vergleich zu Aufstiegsmetern reagiert. Wie ein Spaziergang mutete der Rückweg an, mit Unterhaltungen und Lachen, nichts mehr vom Kampf und der Mühe zu spüren. T2, 40 min

Von Stella Point geht es nur die ersten paar Meter auf dem Aufstiegsweg hinab. Bald findet man sich weiter links in den sogenannten Sandrutschen. Und wie an fast allen Tagen auch in den Wolken bzw. dem Nebel. Diese Sandrutsche lassen sich bequem gehen und mit etwas Technik und Trittsicherheit auch gut abrutschen. Man muss nur darauf aufpassen, dass sich manchmal unter einer eher dünnen Sandschicht ein harter und glatter Untergrund befindet, auf dem man ausrutschen kann. Lions Head musste einmal von unserem Assistant Guide spektakulär gefangen werden (tolle Aktion). Im steilsten Abschnitt muss man dann auch wirklich aufpassen, denn es geht zünftig bergab. 
Aber so kommt man schnell knapp 900 Höhenmeter hinab, bevor man nach rechts quert und auf Höhe des Kosovo-Camps wieder zur Aufstiegsroute zurückkehrt. Nun ist es nicht mehr weit bis zum Barafu-Camp welches wir in gemächlichem Tempo ansteuerten und um 10.10 Uhr erreichten. T3+, 1 h 50 min

Knapp 7 Stunden hinauf, 2,5 Stunden runter, an Erfahrungen und Eindrücken reich beschenkt, man hätte doch jetzt vor Freude tanzen können. Nun das dann doch nicht, denn jetzt forderte die Erschöpfung doch ihren Tribut. Zum ersten und einzigen Mal hatte ich gar keinen Appetit mehr und auch an Schlafen war nicht wirklich zu denken. Ich döste ein wenig im eigenen Zelt, drückte ein paar Happen herunter und machte mich 3 Stunden später zum weiteren Abstieg bereit. 

Lions Head und ich verfügen beide über sagen wir mal "beanspruchte" Knie und deshalb wollten wir heute nur noch bis zum Millenium oder High Camp absteigen, was eine gute Entscheidung war. Für die 860 Höhenmeter verfielen wir wieder ins übliche Pole-Pole und brauchten 2 h 15 min. Das gab auch unserem Team die Möglichkeit, die Zelte oben abzubauen, uns zu überholen und unten wieder aufzubauen. 

Mit jedem Schritt wird es nun wieder grüner. Auch wenn wieder schwere Wolken über uns hingen, blieb es dieses Mal erfreulicherweise trocken. Bemerkenswert war noch, dass wir einen Krankentransport mit ansehen konnten. Der arme Tropf auf der Pritsche wurde von einem Dutzend Helfern auf einem Einrad hinabgefahren, wobei der Untergrund so steinig und unregelmäßig ist, dass er trotz Federung mächtig durchgeschüttelt wurde. Bei einem Abstieg bis zur Gate von normalerweise 5-6 Stunden ist das alles andere als ein Vergnügen. Es gibt theoretisch die Möglichkeit auch vom Heli geholt zu werden, aber dafür muss man erst einmal die nötigen (finanziellen) Mittel haben und das Wetter muss auch mitspielen. 

Im Millenium Camp waren alle unsere Lebensgeister zurückgekehrt. Appetit bei 100%, Knieschmerzen gleichzeitig bei 0% und Glücksgefühl außerhalb der Skala. Der Koch überraschte uns mit einem Gipfelkuchen, den wir gerne mit dem ganzen Team teilten. Mit einer tollen Abendstimmung klang der Abend aus und ich wusste, die nächste Nacht würde ich gut schlafen können. 


Tourengänger: basodino, LionsHead


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Kommentare (6)


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georgb hat gesagt:
Gesendet am 27. Januar 2020 um 12:27
Gratuliere basodino,
schön hast du uns mitgenommen auf den Kili. Für Dezember hätte ich ein Angebot, aber ich werde absagen, deine Berichte genügen mir ;-)

basodino hat gesagt: RE:
Gesendet am 28. Januar 2020 um 22:00
Vielen Dank Georg,

meine Berichte sind natürlich nur ein schwacher Abklatsch der wahren Erfahrung und sollten Dich keineswegs von einer eigenen Tour abhalten; ich nehm es aber als Kompliment und freue mich, wenn Du sie gerne gelesen hast.

Viele Grüße
Marcel

WoPo1961 hat gesagt:
Gesendet am 28. Januar 2020 um 11:31
Hoi Basodino,
toller Bericht mit vielen Emotionen geschrieben. Gratuliere zur Besteigung. Die nicht geschenkten Gipfel, die, die man sich richtig erkämpfen musste, die behält man am Besten in Erinnerung. Denke mal, dies wird für dich so einer sein.
Eindrückliche Bilder hast du gemacht, da gibt`s nen fetten Daumen nach oben.
Grüße aus Flachlandhausen
WoPo

basodino hat gesagt: RE:
Gesendet am 28. Januar 2020 um 22:03
Hallo WoPo,

vielen Dank für Deine Zeilen. Bedeutet mir viel vom "Meister des Wortes". Ich denke, Du hast mich richtig verstanden.

Viele Grüße
Marcel

roger_h hat gesagt:
Gesendet am 15. Oktober 2020 um 08:55
Hoi Marcel
Leider ist dieses Jahr vieles auf hikr komplett an mir vorbeigegangen, so auch dein(e) Bericht(e) deiner Kili-Besteigung.
Dein Bericht beinhaltet schöne Beschreibungen deiner Emotionen, etwas das ich gerne lese in Berichten. Man kann deine Freude spüren und fiebert richtiggehend mit.
Nachträglich die besten Glückwünsche zur Besteigung, das muss ein Riesenerlebnis sein.
Viele Grüsse an dich und auch an Annette
Roger

basodino hat gesagt: RE:
Gesendet am 22. Oktober 2020 um 16:27
Hallo Roger,

vielen Dank für Deine Nachricht. Ich bin gerade im Nachhinein so froh, dass wir das noch unbelastet von Corona machen durften. Es war ein Traum für viele Jahre und wenn man den dann erleben darf, gibt das einen Nachklang, von dem man lange zehren kann. Das scheint mir gerade hilfreich im Hinblick auf die Dauerkrise, in der wir gerade leben.

Ich hoffe, Dir und den Deinen geht es gut.

Viele Grüße auch von Annette
Marcel


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