Lemosho - Teil 7 - Gipfelsturm auf den höchsten Freistehenden - Kibo (5895m)


Publiziert von Kris , 25. September 2022 um 22:28.

Region: Welt » Tansania
Tour Datum: 3 Oktober 2018
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: EAT 
Zeitbedarf: 12:00
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 2800 m

Gegen 23 Uhr klingelt der Wecker. Ich bin froh, dass ich einigermaßen gut nächtigen und 4-5 Stunden im Zelt geschlafen habe. Einer meiner Freunde hingegen hat quasi kein Auge zugetan. So oder so erhalten wir ein Frühstück in unserem Gemeinschaftszelt, welches wir recht schweigsam zu uns nehmen. Danach heißt es - finale Ausrüstungskontrolle. Ich ziehe zwei Thermo-Unterwäschen und zwei Paar Bergsocken übereinander an - safety first, denn es ist bitterkalt. Diese Kälte wird uns nun die nächsten paar Stunden bis zum Sonnenaufgang begleiten..

Rückblickend betrachtet ist das Gewusel im Aufstieg vom Barafu zum Stella Point relativ groß. Es gibt die Aspiraten aus dem Barafu Camp selbst, dazu noch weitere Personen aus einem etwas höher gelegenen High Camp (welches natürlich den Vorteil des verkürzten Aufstiegs genießt..). So ist es wenig verwunderlich, das sich zeitnah im finsteren Nacht zahlreiche Stirnlampen wie auf einer Schnur aufreihen. 

Kurz nach dem Camp gibt es einen etwas steileren Aufschwung, der die Pumpe direkt auf Touren bringt. Trotz auch zwei übereinanderliegender Handschuhpaare merke ich schnell - die Kälte wird sportlich. Sportlich an den Händen, sportlich im Gesicht. Und ebenso schnell merkt mein schlafloser Kumpel, dass ihm eher unwohl zumute ist. Kopfschmerzen plagen ihn, dementsprechend ist eigentlich offensichtlich, dass ihm die Höhe nicht gut tut. Nichtsdestotrotz will er weitermachen - erstmal. 

Der folgende Aufstieg ist verschwommen, fast surreal. Verschiedene Faktoren spielen hier eine Rolle. Der Körper fährt aufgrund der Kälte auf Sparflamme und die Höhe tut ihr Übriges. Der Weg ist an Eintönigkeit kaum zu überbieten, in der Stirnlampe leuchten wir nur die nächsten, wenigen Meter aus. Die Nacht ist dabei so stockfinster, dass kaum etwas zu erkennen ist. Wenig motivierend dabei sind die Stirnlampen die - schwer einschätzbar - bereits hunderte Höhenmeter über uns wandeln könnten. Surreal ist auch, dass es sich hier natürlich nicht um einen normalen, alpinen Gipfel handelt. Hier kommen Menschen unterschiedlichster Couleur und Erfahrung zusammen. Deswegen wundert es mich zum Ersten nicht, dass die Erfolgsquoten weit unter 40% liegen, da der Gipfeltag im Vergleich zum Rest viel extremere Anforderungen stellt. Zum Anderen gibt es - je nach Ansichtssache - "Highlights" wie folgendes: offensichtlich zugedröhnte(?) englischsprachige Gänger haben eine Bluetoothbox während des Aufstiegs dabei und hören und singen 80er Jahre Hits während des Aufstiegs. - only at Kilimanjaro! Das zugedröhnte Verhalten kann natürlich wiederum sehr unterschiedliche Ursachen haben, bspw. auch präventive Malarone Einnahme.. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit machen wir die erste Pause. Ich traue mich kaum die Handschuhe auszuziehen um etwas zu trinken, da meine Finger bereits schmerzen vor Kälte, trotz der doppelten Handschuhe. Wir haben zwar kein Thermometer dabei, aber es müssen wohl um die -15 Grad Celsius gewesen sein. Glücklicherweise weht kein derber Wind, der für zusätzlichen Windchill sorgen könnte. 
Während mein zweiter Freund top-fit scheint, baut mein schlafloser Kumpel scheinbar immer weiter ab. Undeutliche, verzögerte Antworten, nach Aussage heftige Kopfschmerzen bringen mich zur klaren Annahme das er nun abdrehen wird. In einem ist er allerdings weiterhin sehr klar - bitte nicht nachmachen - er will weiter. Ihm ist dabei bewusst, das er jederzeit mit dem Assistant Guide umdrehen könnte, ohne unseren Aufstieg zu "gefährden". Also geht es auch für ihn weiter..

Nach der Pause geht es pole pole weiter. Pole pole - langsames Gehen - ist hier elementar wichtig aber auch nervenaufreibend. Quälend langsam steigen wir auf. Mangels jeder anderen Bezugspunkte verbringe ich die folgende Zeit damit, den Lauf des Mondes zu betrachten, der sich ebenso quälend bewegt, wie wir. Er bleibt aber mein Rettungsanker - geht er unter, kommt die wärmende Sonne.. wenn es doch nur schneller ginge. Meine Finger sind so taub, dass ich nun die kalten Trekking-Stöcke immer wieder in eine der beiden Hände nehme, um die andere Hand in die Jackentasche zu stecken.. das ist neben dem Mond also meine zweite Beschäftigung. Die dritte Beschäftigung ist der Höhenvergleich zum kaum sichtbaren Umriss des Mawenzi. Ich rede mir gut zu, dass wir den Mawenzi bereits überschritten haben (also nur noch 500hm zum Stella Point gehen müssen). Die Aussagen des Iphones meines Kumpels in den Pausen sind dann oft ernüchternde Wahrheit. Ich werde mir währenddessen sicherlich nicht nur einmal - wir alle kennen es - die Sinnfrage gestellt haben. Der Mensch ist aber genauso patent in Sinnfragen wie im Vergessen, daher verkläre ich diesen psychologischen Härtetest natürlich, den ich interessanterweise deutlich härter in Erinnerung hatte als bspw. beim Chimborazo, wo man zumindest sauberes Steigeisengehen als Aufgabe hat. Der Weg am Kibo ist steil aber quasi anspruchslos.. umso schlimmer in diesem Falle!


Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich innerlich fluchte, wie viele Pausen wir gemacht haben oder wie oft wir jemanden überholt haben oder überholt wurden. Es bleibt ein Einheitsbrei in meinem Kopf, nun aber auch immerhin 4 Jahre in der Retroperspektive. Meinem Freund geht es weder besser noch schlechter, aber irgendwie quälen wir uns zur letzten Pause vor dem Stella Point. Es erscheint ein verheißungsvoller, roter Rand am Horizont Der Mawenzi hebt sich mittlerweile klar vom Horizont ab und wir sind bedeutend höher. Es sind vielleicht noch 50, vielleicht 100hm zum Stella Point - das schaffen wir auch noch und dann sehen wir weiter. Die Sonne wird uns neue Kräfte geben. Und so kommt es wie so oft - das Gelände steilt kurz vor Schluss nochmal bedeutend auf und wir kämpfen uns das sandige Terrain nach oben. Aber es kommt wie erhofft - quasi pünktlich zum Sonnenaufgang erreichen wir frierend und erschöpft den Stella Point (5745m).

Wie oft erwähnt sind es nun immerhin noch 150hm bis zum Uhuru Peak, die zwar nicht mehr so steil sind, aber sich quälend in die Länge ziehen. Daher machen wir gar keine lange Jubelpause oder gar Fotos am Stella Point, sondern bleiben im Rhythmus und steigen nun um den riesigen Kraterrand herum gen Uhuru. Bald sehe ich zum ersten Mal in meinem Leben Büßerschnee. Der Weg führt kurz hindurch und gibt mir nochmal einen extra Push. Nun gilt kein Aufgeben mehr, wir sind fast da. Auch mein schlafloser Kumpel hat es geschafft, ich kann mir nicht erklären wie - aber er ist mit hier oben. Seine körperliche Fitness scheint ihm am Ende doch zu helfen (Marathon).  Mein zweiter Kumpel hingegen spürte gar nichts. Ich befand mich genau in der Mitte von beiden, hatte (sehr leichte) Kopfschmerzen und fühlte mich etwas benebelt.

Nach etwas weniger als einer Stunde ab Stella Point erreichen wir dann den höchsten Punkt des Kibo, den Uhuru Peak (5895m). Wir fallen uns mit den Guides in die Arme, klatschen uns ab und staunen. Die Perspektive auf einem so hohen, freistehenden Berg, dem höchsten weltweit, ist nochmal eine andere als in einem Gebirge. Nichts ist sonst über den Wolken, nur der Mount Meru schaut keck hervor. Sonst: Wolken, Weite, Unendlichkeit. Nach den obligatorischen Gipfelfotos in der Gruppe am Schild (inklusive Anstehen auf fast 6000m!), dem Genießen des Rundum-, Eis- und Kraterblicks geht es nach etwa 20 Minuten wieder an den Abstieg, der naturgemäß nun deutlich einfacher fällt. Wir werden später unseren Kopfschmerz-Freund befragen, ob er sich an seinen Gipfelaufenthalt erinnern kann und wie er es oben fand. Etwas fassungslos nehmen wir als Antwort auf, dass er sich nicht erinnern kann..

Innerhalb von etwa weiteren 20 Minuten stehen wir wieder am Stella Point und machen nun doch noch ein paar Fotos. Die Gesichter der noch Aufsteigenden haben alle gemein eine Art Leere, die Leere der Anstrengung? Wir sind froh, das es nun leicht für uns ist. Wir sehen viele, die abdrehen und aufgeben. Ab dem Stella Point schreiten wir die steileren Höhenmeter direkt unterhalb hinab und wechseln dann abseits vom Strom der Aufsteiger in den tiefen Vulkansand und stiefeln hier wunderbar schnell (wenn auch trotzdem anstrengend) hinab. Nachdem der Aufstieg ab dem Barafu Camp ca 6 Stunden dauerte für die knapp 1300 Höhenmeter, so schaffen wir den Abstieg in weniger als 2 Stunden. Wenig überraschend geht es auch meinem Kumpel wieder gut auf den niedrigeren Höhen - Entwarnung.

Wir erreichen halb Neun Uhr das Camp und werden mit einem zweiten Frühstück erwartet. Nun mit etwas mehr (aber nicht viel) Appetit nehmen wir gern den Morgensnack entgegen, bevor wir nochmal in die Kajüten verschwinden dürfen. Diesmal schlafen wir alle wie die Murmeltiere. Wir dürfen etwas mehr als 3 Stunden ruhen, bevor wir nochmal ein Mittagessen kredenzt bekommen. Danach heißt es "Sachen packen". Der Tag ist für uns noch nicht vorbei, da wir heute noch weitere 1500hm zum Mweka Camp absteigen wollen. Insgesamt also fast 3000hm an einem Tag, das ist schon eine Hausnummer. Mit dem (langen) Power Nap war das aber erstaunlich gut machbar. 

Der Abstieg ab Barafu Camp über das Millenium Camp ist aber auch gut gangbar und gutmütig. Flach geht es über die Hochebene hinab. Wir lassen die Querung vom Karanga Camp rechts liegen. Links neben uns einer meiner Ankerpunkte, der Mawenzi, zieht an uns vorbei. Den Blick nach vorne gerichtet auf ein Wolkenmeer immer noch wie aus dem Flugzeug. Rechts taucht der Meru wieder auf, in weiter Ferne. Es sind so viele eindrückliche Eindrücke an diesem Tag, dass es fast an Reizüberflutung grenzt. Da kann es uns auch nichts anhaben, das kurz ein leichter Nieselregen einsetzt. Nach etwa einer Stunde Abstieg wird das Millenium Camp sichtbar, welches auf ca. 3900m Seehöhe liegt. Wir lassen es uns vorher nicht nehmen, auf einem Wegweiser an einer Kreuzung zu posieren und einen Steinmann zu bauen.

Im Millenium Camp spricht unser Guide kurz mit den Rangern. Dann dürfen wir einem besonderen Schauspiel beiwohnen. Ein reicher Russe, über und über bestückt mit "7 Summits" Aufklebern, bestellt sich bei den Rangern seinen privaten Abstieg per Heli. Der Abstieg war ihm wohl zu langweilig. Ich würde behaupten dass ein Aspirant für die 7 Summits sich sicherlich nicht zu schade für ein paar Höhenmeter sein sollte. Jeder wie er mag.. in einem Land wie Tansania empfinde ich das aber auch ein Stück weit als Hohn.

Bald darauf verlassen wir das sehr weitläufige Millenium Camp und tauchen in eine eher mediterrane Welt ein. Sträucher, heller, schrofiger Fels lassen Reminiszenzen von Kreta oder Griechenland wach werden.. Die wolkenverhangenen, tiefen Einschnitte in den unter uns liegenden Regenwald sorgen dabei immer wieder für unwirkliche Stimmungen. Hier merke ich dann aber auch das erste Mal, dass etwas mit meinem Magen nicht stimmt. Hatte ich vorher aufgrund der Höhe kein Appetit mehr auf Fleisch gehegt, bekomme ich nun Magen-Darm-Problem. Schnell werfe ich mir eine Kohlentablette ein, die mehr schlecht als recht bis zur Ankunft im Mweka Camp reicht. Ich weiß nicht, woher ich mir das am Ende genau eingefangen habe. Gegebenenfalls war es schlechtes Obst. Im Nachhinein kann ich aber sagen, dass es mich sicherlich 10 Tage teils sehr beschäftigt hat. Das war ein großer Spaß bspw. im Safari Jeep ;-). Wenig Spaß brachte das auch noch direkt am Kibo , bei den eher unschönen Toilettensituationen. Also Tipp an alle Nachahmer - lieber Augen auf bei der Nahrungswahl!

Glücklich und erschöpft erreichen wir das Mweka Camp, wo wir noch ein letztes Mal zelten und im Gemeinschaftszelt verköstigt werden.. ein unvergesslicher Tag neigt sich dem Ende entgegen. Die hohe Anzahl an Aspiranten, die Vermarktung mag abschreckend wirken. Doch jeder Berggänger sollte diesen Berg bei Möglichkeit einmal im Leben erleben..


KONDITION 5/5
ORIENTIERUNG 1.5/5
TECHNIK 1.5/5
EXPONIERTHEIT 2/5

Tourengänger: Kris


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Kommentare (2)


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basodino hat gesagt:
Gesendet am 26. September 2022 um 15:57
Hallo Kris,

danke, dass Du mich (uns) auf Deine Reise zum Kilimanjaro mitgenommen hast. Ich habe in 2020 eine ganz ähnliche Erfahrung wie Du gemacht und auch hier niedergeschrieben. Es gibt sehr viele Parallelen und auch ein paar Abweichungen. Ich habe es in jeden Fall sehr genossen in Deinen Worten meine Erfahrungen an diesem Berg nochmals nachzuerleben.

Dir weiterhin schöne Touren.

Viele Grüße
Marcel

Kris hat gesagt: RE:
Gesendet am 27. September 2022 um 18:48
Hey Marcel,

vielen Dank für deinen netten Kommentar! Ich glaube man kann die eintönigen Strapazen der Gipfelnacht nur wirklich nachfühlen wenn man dort gewesen ist.. :-) Entsprechend habe ich auch deinen Bericht mit Nostalgie gelesen!

VG
Kris


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