Die schwierigste Aussichtsbank des Allgäus


Publiziert von quacamozza , 21. Juni 2019 um 15:36.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Allgäuer Alpen
Tour Datum:16 Juni 2019
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 0:45
Aufstieg: 70 m
Strecke:Mittelberg-Panoramaweg-Steinmeile-Wanderbank Allgäu-Mittelberg (2 km)
Kartennummer:"die amtliche" Umgebungskarte 1:50 000 UK 50-46 Kempten (Allgäu)

Aussichtsbank? Schwierig? Irgendwie passt diese Wortkombination nicht recht, sind doch die überall in den Alpen vorkommenden Wanderbänke mit einer Sitzhöhe von meist um die 50 cm leicht zu okkupieren, sofern sie nicht bereits anderen Wanderern als Ruhegelegenheit dienen.

Im Zuge des nach und nach ausufernden Massentourismus und des damit verbundenen Konkurrenzdrucks durch die Vielfalt attraktiver Regionen fühlen sich Manager immer mal wieder dazu berufen, der breiten Masse Attraktionen (oder das, was die Manager dafür halten) anzubieten. Dafür wird dann als Kollateralschaden auch gelegentlich die intakte Natur beeinträchtigt oder das Erscheinungsbild eines Ortes wesentlich verändert. Die eine oder andere Idee hat sich zwar dabei im Laufe der Jahre etabliert und wird von Touristen gut angenommen, wie etwa Klettersteige oder Mountainbike-Trails. Doch das ständige Streben zur bestmöglichen Positionierung auf dem umkämpften Markt scheint immer weiter zuzunehmen und nimmt ungesunde Auswüchse an, die einen ins Grübeln bringen, wie man etwa beim "Alpspitz-Kick" nebenan sehen kann.


So wundert sich der gemütlich über den Panoramaweg von Mittelberg zum Burgkranzegger Horn dahin flanierende Wanderer über eine überdimensionierte Wanderbank, die in aussichtsreicher Lage mit weitem Blick auf das Ostallgäu und die Ammergauer Berge sozusagen mitten auf der grünen Wiese an exponierter Stelle steht.

Diese "Wanderbank Allgäu" hat zwar alle Eigenschaften einer normalen Aussichtsbank, besitzt aber andere Dimensionen. Sie ist 12 Meter breit, 6 Meter hoch, und die "Sitzfläche" befindet sich auf 2,80m Höhe. Sie besteht aus massiven, Schneelast tragfähigen Fichtenholzbalken mit einem Gesamtgewicht von knapp 14 Tonnen. Die Vereinigung "Allgäu Top- und Landhotels" steht hauptsächlich hinter diesem Bau, der im Sommer 2015 eingeweiht wurde. Größenwahn, der nicht zum Allgäu passe, sagen manche dazu.

Die Bank soll die Message aussenden, dass das Allgäu, was das Wandern angeht, ein Riesending sei. Passend zum ebenfalls erst seit einigen Jahren existierenden Großprojekt "Wandertrilogie Allgäu" mit seinem knapp 900 Kilometer umfassenden Weitwegenetz steht die Bank direkt am Weg der Wandertrilogie. Und weil natürlich alle Wanderer diese Bank großartig finden (sollen), ist sogar schon ein optimaler Platz fürs Selfie mit Blick Richtung Schloss Neuschwanstein markiert. Doch das ist noch längst nicht das Ende der Fahnenstange: Im Allgäu sollen weitere solcher Banken aufgestellt werden. Schluck.

Was soll man nun als Tourist von alledem halten? Gerade auf vielbegangenen Wegen wie dem Panoramaweg wird man immer mehr mit der Kommerzialisierung des Tourismus konfrontiert. Man denke nur an den gesponserten "Weitblick-Hock", aber auch an die anderen Erlebnisstationen des Weges. Oder an die Leute, die jede Metallstange plakatieren. Wobei es manchmal richtig interessant ist, was da steht. Es fehlt nur noch ein Schild am Beginn, dass der Weg mit freundlicher Unterstützung von...präsentiert wird. Naturerlebnis ohne Berieselung? Unvorstellbar an den Touri-Hotspots.
Viele, gerade Kinder, sind freilich neugierig beim Anblick der Bank. Da würde man doch nur allzu gerne hochklettern. Davon wird allerdings wegen der Absturzgefahr und fehlenden Sicherung abgeraten. Die Bank ist weder als Aussichtsplattform noch als Spielgerät konzipiert, sondern nur als Sitzgelegenheit für Menschen mit mehr als 7 Metern Körpergröße. Weiterer Nachteil: Man kann nirgendwo Liebesschlösser hinhängen.

"Eltern haften für ihre Kinder". Mit diesem juristisch unhaltbaren Spruch versucht man sich hier, aus der Verantwortung zu stehlen und diese auf (häufig überforderte) Erziehungsberechtigte abzuwälzen. Dagegen ist die erwähnte Absturzgefahr offensichtlich.

Trotz aller Warnhinweise: Natürlich versuchen auch heute wieder allerlei Leute, die Bank zu erklettern. Das allerdings ist gar nicht mal so einfach. Man braucht schon einiges an Kraft, Klettertechnik, Gewandtheit und Gleichgewichtssinn, um auf den 12 Meter langen Höhenlaufsteg zu gelangen.
In gut griffigem Fichtenholz machen die wenigen Züge allerdings viel Spaß. In jedem Fall ein exklusiver Pausenplatz, den man sich nur selten mit anderen teilen muss. Es liegt auch kein Müll oben. Wir hatten darauf gewettet, einige leere Bierdosen oder -flaschen anzutreffen, aber nein...

Auf den anderen, den normalen, Bänken ist da schon mehr los. Eine nicht einsehbare Bank ist noch frei. Toll...hinsetzen, ausruhen, und dann...gaaanz intensiv diesen verführerischen Geruch nach Hund, Fäkalien und verfaulten Essensresten einatmen. Oder schauen, wer seit dem letzten Besuch die Bank eingeritzt hat. 

Alles in allem ist der Panoramaweg aber in einem gepflegten Zustand und immer einen Ausflug wert. Als Hundebesitzer würde ich ihn jeden Tag begehen. Weil ganz viele andere Hundehalter ihn auch aufsuchen. Das verbindet.
Insbesondere empfehlen wir  jedoch den Weg im Winter mit Schneeschuhen, weil es nämlich die ideale Einstiegstour ins Schneeschuhwandern ist. Viel Output für wenig Einsatz. Da fällt uns gerade ein, dass im November 2019 ein richtig geiler Allgäu-Schneeschuhführer vom Bergverlag Rother in die Buchhandlungen kommt. 
Nach dieser "Panoramaweg-Extrem-Tour" legen wir im "Dorfgespräch" in Wertach die Beine hoch. Wir wünschen Euch viel Spaß auf dem Panoramaweg, und: bitte nicht abstürzen.




Tourengänger: quacamozza


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Kommentare (10)


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Gelöschter Kommentar

Nic hat gesagt: RE:
Gesendet am 21. Juni 2019 um 15:53
Klasse Bericht! Sehr humorvoll und gesellschaftskritisch. Erinnert mich sehr an den Bericht über Stuttgart 21, den du leider nie veröffentlicht hast. Glücklicherweise durfte ich ihn in gedruckter Form lesen. :) Gott sei dank gibt es immer noch Gegenden, in denen der Massentourismus noch nicht angekommen ist.

In Hoffnung auf eine baldige gemeinsame Steilfelstour, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen.

Nico

quacamozza hat gesagt: RE:
Gesendet am 21. Juni 2019 um 23:11
Der S 21-Bericht ist ja nach wie vor aktuell. Ich glaube, der ist auch in 10 Jahren immer noch taufrisch. Aber er hat eine andere Zielrichtung: da geht's nicht um den Tourismus, sondern um die vielen Belanglosigkeiten, die hier gepostet werden und nichts mit Bergen zu tun haben.

Ja, glücklicherweise können wir als erfahrene Bergsteiger noch auf weniger begangene Ziele ausweichen. Das ist bei weitem nicht jedem vergönnt.

Dann hoffe ich auf eine gute Saison und ein baldiges Wiedersehen.

Gruß
Ulf

frmat hat gesagt: Geil!
Gesendet am 21. Juni 2019 um 17:12
Ich werde die Idee gleich mal in den Schwarzwald multiplizieren, dann bauen wir hier eine noch größere Bank aus echter Schwarzwälder Weißtanne!
Wenn im Winter dann dieses schöne Buch erschienen ist
https://www.rother.de/rother%20schneeschuhf%FChrer-allg%E4u-5814.htm
werde ich die Bank mal im weißen Winterkleid in Angriff nehmen :)
Beste Grüße

quacamozza hat gesagt: Ich und mein Holz
Gesendet am 21. Juni 2019 um 23:19
Große Banken liegen nicht nur ökonomisch im Trend, jawoll!

Aber lass bitte mindestens einmal in der Stunde den Kuckuck aus dem Holzkasten. Wenn man sich schon im Schwarzwald aufhält, muss das auch authentisch rüberkommen. Das erwarten die Gäste.

Grüße zurück
Ulf

Vielhygler hat gesagt: Danke
Gesendet am 21. Juni 2019 um 20:19
Witziger Bericht! Hikr at its best.
Hättest die Bank eigentlich auch als Gipfel-Wegpunkt eintragen können, denn sowas in die Natur zu stellen, ist ja auch... der Gipfel!

quacamozza hat gesagt: RE:Danke
Gesendet am 21. Juni 2019 um 23:27
Danke, gern geschehen. Diese Bank musste hier mal vorgestellt werden.

Ja, da hast Du absolut recht, ein in mehrfacher Hinsicht problematischer (vermutlich aber nur vorläufiger) Gipfel. "Klettergebiet" fand ich in Anbetracht der Situation vor Ort ganz passend.



georgb hat gesagt:
Gesendet am 22. Juni 2019 um 09:21
Musst du denn alles besteigen, was nicht rechtzeitig wegläuft? ;-)))
Wenn der erste von der Bank abstürzt wird sie wohl wieder entfernt. Oder sie wird als offizieller Klettersteig ausgerüstet. Könnte ein Trend werden ;-)

Kommunist hat gesagt: Qualitätstourismus
Gesendet am 27. Juni 2019 um 10:47
Ihr wollt in einem kapitalextremistischen System leben, also müsst ihr auch Opfer für den von Politik und Wirtschaft forcierten "Qualitätstourismus im Allgäu" bringen.

Kommunist hat gesagt: Qualitätstourismus
Gesendet am 27. Juni 2019 um 11:06
Wir bauen Autos, so fett, dass wir in Städten und Parkhäusern nicht mehr vernünftig manövrieren können, wir fressen uns so fett, dass wir uns nicht mehr vernünftig bewegen können, wir kucken so viel Fernseh, bsi wir nicht mehr vernünftig denken können und jetzt bauen wir Banken, die zu groß sind, um darauf sitzen zu können. Ich denke, besser als diese Kunst, die der totale Konsum aus sich selbst heraus hervorbringt, kann man den "Qualitätstourismus im Allgäu" kaum beschreiben.


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