Als Pauschalschneeschuhtourist in den Ötztaler Alpen


Publiziert von ZvB , 17. März 2019 um 11:12.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Ötztaler Alpen
Tour Datum:10 März 2019
Schneeshuhtouren Schwierigkeit: WT4 - Schneeschuhtour
Wegpunkte:
Geo-Tags: A   I   A-T 
Zeitbedarf: 6 Tage
Aufstieg: 3975 m
Abstieg: 3975 m
Strecke:52,2km
Kartennummer:AV 30/2

Die Durchquerung der Ötztaler Alpen auf Schneeschuhen ist nichts für Einzelgänger. Immerhin sind bei solch einer Unternehmung z.T. vergletscherte Passagen angeseilt zu überwinden. Die potenziellen, üblichen Verdächtigen für solch eine Tour frönen nun aber eher dem Tourenskigehen (Memo an mich selbst: Bekannte prüfen u. ggf. aussortieren). Letztlich bleibt übrig, eine geführte Tour und damit temporäre Bergfreunde bei einem kommerziellen Anbieter (DAVSC) zu kaufen.
Mit dieser Entscheidung steht dann schon der Zeitraum fest, aber die Gesellschaft und das Wetter bleiben Unbekannte im magischen Dreieck des Bergsteigens.



1. Tag: Der Zustieg (↑638m ↓18m ↔8,3km, WT2, LWS 2, bedeckt u. leichter Schneefall, 4h)

Treffpunkt ist am 10.03.2019 um 09:00 Uhr im Ghf. Neue Post in Zwieselstein. Ich bin der Erste und lasse mich von der unfreundlichen Rezeptionistin gleich mal abkanzeln: "Da ist keiner da. Mir sagen die ja nie was!" Ich warte gerne draußen, auch wenn ich eigentlich ganz dringend mal woanders hin müsste. Hochziehen und runterschlucken!
Da geht so ein langer Typ in die Neue Post und kommt kurz darauf bedröppelt wieder heraus. Aha, der zweite Teilnehmer (ist vermutlich auch so "freundlich" behandelt worden)!
Jetzt geht es Schlag auf Schlag und die sechs Teilnehmer sowie unser Bergführer Peter stehen ungeordnet auf dem Parkplatz herum. Fahrgemeinschaften werden gebildet. Bloß hinauf nach Vent zum Ghf. Alt Vent. Dort treffen wir uns wieder, tauschen Höflichkeiten aus und stellen uns kurz vor. Die Leihausrüstung wird übernommen und um 11:00 Uhr geht es richtig los, zur Martin-Busch-Hütte.

Der Weg ist recht fad und wird ab der Schäferhütte sogar eher unangenehm schräg als spannend. Wind und Schnee haben die breite Straße zu gespachtelt. Die Füße müssen immer schräg aufgesetzt werden. Das nervt und schmerzt. Nach knapp vier Stunden sind wir endlich in der Hütte angekommen. Stube beziehen, nochmal eine Vorstellungsrunde - dieses Mal bitte mit vollständiger Lebensgeschichte bei Kaffee und Kuchen - und dann gibt es endlich den Schweinsbraten zum Abendessen. Gute Nacht.


2. Tag: Der Versuch (↑731m ↓731m ↔7,0km, WT3, LWS 3, später Nebel u. leichter Schneefall, 5h)

Das Wetter ist besser als zunächst angekündigt. Heute soll es eine Eingehtour mit leichtem Gepäck auf die Kreuzspitze geben. Ich werde als Schließender eingeteilt - klar der Arsch ist immer hinten - und bleibe bis zum Ende der Woche auf dieser Position. Peters stoischer Bergführertrab führt uns gleichmäßig nach oben, ohne dass Atemnot aufkommen würde. Die Landschaft bietet nur wenige Orientierungshilfen. Es geht halt nach oben. Den Samoarsee auf 2920m passieren wir ohne jegliche Verluste. Wir kommen gut voran.
Plötzlich, in einem Zeitraum von nur 20 Minuten, ändert sich alles. Der Wind frischt erheblich auf. Es fällt Schnee. Die Sicht verschlechtert sich. Der Gipfel der Kreuzspitze verschwindet in den Wolken und auch der darunter liegende Sattel ist kaum noch zu erkennen. Das Gelände wird steiler, die Neigung beträgt >35°. Eine Entscheidung wird fällig! Nach Peters einleuchtender Argumentation müssen wir umkehren. Auf 3.230m, nur 220Hm unter dem Gipfel, ist Schicht im Schacht. Der nun folgende Abstieg wird nochmal nervenaufreibend. Unsere Aufstiegsspur ist schon längst von Wind und Schnee begraben worden.
Doch am Ende wird alles gut und wir finden uns auf der Martin-Busch-Hütte wieder. Bei Spaghetti Bolognese planen wir den nächsten Tag. Der Nachtisch wäre noch erwähnenswert: Apfelstückchen versenkt im Obstsaft. Auf der Oberfläche treibt, einem Eisberg gleich, ein einsamer, winziger Schlagobersklecks. Es kann und muss nur besser werden ...


3. Tag: Der Höhepunkt (↑1172m ↓659m ↔11,0km, WT4, LWS 3, sonnig m.z.T. böigem Wind, 7h)

Das Wetter lässt die geplante Besteigung des Similaun und den anschließenden Übergang zur Similaunhütte zu, das Ganze jedoch bei vollem Marschgepäck. Eine winzige Programmänderung ist dennoch vonnöten. Üblicherweise steigt man von der Martin-Busch-Hütte aus über den nördlichen Ast des Niederjochferners zum Similaun auf. Der Abstieg zur Similaunhütte erfolgt dann über den südl. Ast des Niederjochferners.
Nun, der nördliche Gletscherarm fällt heute aus. Das Gelände ist zu steil und die Lawinenwarnstufe 3 zu hoch für dieses Gelände. Der Wind verfrachtet sichtbar Schnee. Wir steigen stattdessen in das Gletscherbecken unterhalb des Niederjochs auf und errichten dort ein Einrucksackdepot mit Zahnbürsten und Handtüchern. Solche Gegenstände werden nämlich in aller Regel nicht  für die Besteigung des Similaun benötigt.
Wir seilen uns an und es geht über den recht zahmen Gletscher eher unspektakulär zum Schneeschuhdepot am letzten bzw. ersten Felssporn des Westgrates. Hinten, am Schluss, bekomme ich nicht viel mit. Ich bin mit der erkalteten Kuppe meines rechten Zeigefingers vollauf beschäftigt. Wir kämpfen uns am sturmumbrausten Grat auf den Gipfel vor und finden auf dessen schöner Rückseite Windstille vor!
Hier kann man den Ausblick genießen. Besser wirds nimmer.
Beim anschließenden Abstieg darf ich die Führung übernehmen - ja, endlich ist der Arsch mal vorne - und bringe uns zurück zum Einrucksackdepot.

Der Kaffee schmeckt gut in der Similaunhütte. Das war aber auch nicht anders zu erwarten, sitzen wir doch in der italienischen Hälfte der sehr schön eingerichteten Hütte. Im sonnendurchfluteten Panoramafenster beobachten wir nochmals unser Tagwerk und die langsam aufziehenden Wolken ...

 
4. Tag: Der Übergang (↑604m ↓1145m ↔10,5km, WT4, LWS 2/3, zunächst Sonne dann Nebel, 6h)

Der Tag startet mit Sonne am Himmel und Salami auf dem Frühstücksbuffet. Wolken und Nebel sind ein Problem der Menschen im Tal. Heute steht kein Gipfel auf dem Programm, sondern Ötzis Fundort und der lange Übergang zum Hochjochhospitz.
Ein Einzelgänger geht uns auf Schneeschuhen voraus. Der muss oft durchschnaufen und seine gelegentlichen Stolperer erheitern das allgemeine Gemüt. Die Nebel steigen aus dem Tal auf, und das auch noch schneller als wir selbst zum Tisenjoch.
Als wir das viersprachige Denkmal erreichen, stecken wir bereits mitten im Grau. Das Wetter wird grimmig. Der wunderbare Blick vom Hauslabjoch auf die wunderschöne Fineilspitze bleibt uns leider erspart.
Der Abstieg über den östl. Hochjochferner gestaltet sich schwierig. Man kann unseren treuen Bergführer nur bewundern, sind doch Nebel und Schneeoberfläche nur mehr nach Gefühl auseinander zu dividieren.
Immer wieder schaue ich mich um. Der Blick auf die Fineilspitze wird oft nur für Momente freigegeben. Ein kurzer Fotostopp wird mir unter allgemeinem Raunen und verschwiegenem Protest dennoch gewährt.

Wir können das Hochjochhospiz nun sehen. Das ist noch ca. 1 km, genauer 991m Luftlinie entfernt. Das wäre schön, wenn Luft nun doch Balken hätte. So müssen wir uns leider über einen sehr heiklen Hang zunächst hinunterwurschteln, um dann festzustellen, dass die vorhandene Brücke sich nicht benutzen lässt. Also auf dem Hosenboden hinab ins zugeschneite Bachbett rutschen und dieses möglichst leichtfüßig überqueren. Es folgt zuletzt ein sehr heikler Gegenanstieg über einen zweifelhaften und steilen Hang, dann ist das Hochjochhospitz erreicht. Hier erklärt mir die Hüttenwirtin - war ihr Name Silvia oder Uschi? Egal, irgendwas mit s - wie man sich für 1,-€ in zwei Minuten duschen kann. Vorführen wollte sie das bedauerlicherweise nicht ...


5. Tag: Der Sturm (↑789m ↓455m ↔6,4km, WT3, LWS 3, bedeckt, Nebel, stürmische Böen, 4,5h)

Wir verlassen das sehr gut geführte Hochjochhospiz - ich sag nur Salami! - so ziemlich als letzte Gruppe, um die vorhandene Skispur ohne Kritik und Gemecker für den Aufstieg zur Mittleren Guslarspitze nutzen zu können und dürfen. Peter hatte sich mit den anderen Bergführern zuvor entsprechend geeinigt. Auf Nachzügler können wir dennoch keine Rücksicht nehmen.
Als Schließender kann ich oft unbemerkte Fotohalte einlegen. Allerdings darf ich mich nicht zu lang aufhalten, denn die Spur ist nach kürzester Zeit bereits vom Wind wieder verschwunden worden. Nicht, dass ich mich noch versehentlich einer Tourengehergruppe anschließe ... Das wäre fatal.
Nach knapp drei Stunden stehen wir im Windschatten der Mittleren Guslarspitze. Hier ist leeseitiges Pinkeln gerade eben noch möglich. Auch ein kräftiger Mittelstrahl wird rasch zerstreut ...
Der Ausblick von diesem niederen Dreitausender, der Mittleren Guslarspitze,  ist witterungsbedingt ca. minimal. Länger als einen kurzen Moment halten wir es dann auch nicht dort oben aus und setzen den Weg zunächst in westlicher Richtung fort, um dann aus dem flachen Sattel zwischen Mittlerer und Hinterer Guslarspitze zur Vernagthütte abzusteigen. Ein Uhr nachmittags ist schließlich eine gute Zeit für das erste Bier ...
Zum Abendessen bestelle ich Spinatknödel und unserer imaginäres Gruppenmitglied Hermann das weltbeste Gulasch mit Serviettenknödeln. Leider geht es Hermann nicht so gut und ich opfere mich für seine Portion auf ...


6. Tag: Der Ausweg (↑78m ↓924m ↔9,0km, WT2, LWS 3/4, starker Schneefall, 3h)

Eigentlich, ja eigentlich könnte heute bei exzellenten Bedingungen die Wildspitze bestiegen werden. Leider leiden einige von uns unter Ethanol induzierter Höhenkrankheit. In der Nacht hatte es dann auch noch ca. einen halben Meter Neuschnee geschneit (Blödsinn, Altschnee wirds kaum gewesen sein!). Unsere Truppe und auch die anderen, viel besseren Tourengeher sind sich einig zu evakuieren, die Hütte natürlich. So lassen wir die leicht melancholische Hüttenbesatzung mit ihrem Schicksal zurück (Euer Gulasch geht in die Geschichte ein!) und steigen wieder als letzte ab. Auch und gerade heute müssen wir für die Abfahrtsspuren der Tourengeher besonders dankbar sein. Null Sicht, nassweißes Zeugs von oben und unregelmäßiger Donnerhall sind unsere Begleiter auf dem Weg ins Tal nach Vent.
Erst bei den Rofenhöfen, Österreichs höchster ganzjährig bewohnter Siedlung, tritt etwas Entspannung ein. Ein letztes Gruppenfoto auf der Hängebrücke misslingt. Das Ergebnis erinnert eher an das Fernsehgefühl der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Ganz zum Schluss steht das 'alte' Kreuz der Wildspitze am Wegesrand aufgebahrt. So kommen wir dann doch noch zum unserem persönlichen Wildspitzengipfelfoto ...


Resümee:

Trotz der witterungsbedingten vorzeitigen Beendigung bin ich für die vielen, spannenden Bergerlebnisse dieser Woche sehr dankbar. Die zusammengewürfelte Gruppe war überraschend homogen und friedlich. Unser Bergführer Peter hat sich sein Trinkgeld redlich verdient und kauft sich von dem Zaster möglicherweise heimlich sogar ein Paar richtige Schneeschuhe ...

Die meisten ahnen was jetzt kommt, ja genau, es gibt auch Bilder, wie immer mit dem bereits vorinstallierten Desktoppassepartout. Nicht zu toll davon ärgern lassen ... :-p

Tourengänger: ZvB


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Geodaten
 43912.gpx Zustieg Martin-Busch-H.
 43913.gpx Versuch Kreuzspitze
 43914.gpx Similaun
 43915.gpx Hauslabjoch
 43916.gpx Mittl. Guslar Sp.
 43917.gpx Rückweg nach Vent

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