Diedamskopf Nordostgrat


Publiziert von quacamozza , 10. November 2018 um 16:37.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Allgäuer Alpen
Tour Datum: 6 November 2018
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1160 m
Kartennummer:AV-Karte Bayerische Alpen BY 2 1:25 000 Kleinwalsertal Hoher Ifen, Widderstein

Nachdem ich in den letzten Wochen den mutmaßlich schönsten Nordostgrat des Allgäus, nämlich den an der Höfats, begangen habe, sind in diesen Tagen weitere Nordostgrate an der Reihe, gestern der kurze Steilgrasanstieg auf den Nägelekopf, heute der recht lange Grat am Diedamskopf.

Der Nordostgrat des Diedamskopfs ist eine anspruchsvolle, kombinierte Fels- und Grastour, die sehr selten begangen wird. Der Grat liegt ganz abgelegen noch hinter den Grünen Köpfen. Bevor es richtig losgeht, muss man erstmal 2,5 bis 3 Stunden anmarschieren.

Im alten AVF Bregenzerwaldgebirge, 1.Auflage 1977, steht: "Über Anstiege von N aus dem Almisgunten über den NO-Grat links oder den N-Rücken rechts ist nichts bekannt". Das ist natürlich brutal informativ, so dass ich mich weiterer Quellen bedienen musste. 
Glücklicherweise gibt es ja einen hikr-Kollegen, der nicht nur überdurchschnittlichen Pioniergeist besitzt, sondern auch noch jeden Meter haarklein beschreibt und fotografiert, so dass meinem Bedürfnis nach Information damit schon hinreichend nachgekommen war. Ein kurzes Gespräch mit einem Insider bestätigte mir, dass der Grat mit Genussklettern eher wenig zu tun hat. Aber man kann ja nicht dauernd Champagner trinken, sprich: Höfats-Touren machen.
Trotzdem blieben einige Fragen offen, etwa, ob man die beiden Passagen, die von meinen Vorgängern umgangen worden sind, auch direkt überwinden könnte.
Von weitem und auf Fotos sieht nur der untere Teil des Grates, in dem der Steilgrasanteil, einladend aus. Der obere Teil mit dunklen und steilen Felsen wirkt dagegen abschreckend. Nur: Wie brüchig ist es da oben wirklich?

Ein gutes Zeitmanagement ist unabdingbar, um im Spätherbst die Tour in der Helligkeit zu schaffen. Immerhin gibt es auf hikr noch keinen sogenannten "thru-hike" der Tour. Zwar ist der Diedamskopf keine Weitwanderung, aber die Teilrundtour durch das Tal der Subersach zum Gipfel und zurück ist immerhin gut 22 Kilometer lang. Da ist vor allem während der kurzen Tage im November ein früher Aufbruch schon eine (sorry, dieses Wortspiel ist leider unvermeidlich) Suber Sach. Eine Anfahrt mit dem MTB bis zur Miesbodenalpe wäre natürlich noch suberer, aber das ist bekanntlich leider verboten.

Weniger toll ist es zudem, dass ich heute meinen Helm im Quartier vergessen habe. Gut, allein auf einem Grat, das geht vielleicht mal im Ausnahmefall.
Außerdem weht bereits im Talboden ein mäßiger Föhnwind. Aber sollte es am Grat zu sehr blasen, kann ich ja immer noch umdrehen. Ein Ausweichziel habe ich von Anfang an auf dem Radar. Der Föhnwind ist allerdings auch am Grat nicht allzu stark, so dass das Vorankommen bis zum Gipfel nicht nennenswert beeinträchtigt wird. 



Zur Schwierigkeit:

Eine Stelle III, eine Stelle II-III (II+ vermutlich obligatorisch), weitere Passagen II und I, teilweise äußerst brüchig, leider gerade auch an den schwersten Stellen, Steilgras bis 50 Grad und Gehgelände bis T 6
bis zur Oberfellealpe: T 2 und T 1
bis zum Gratbeginn: unten T 2, oben bis T 5
Abstieg auf markierten Wegen bis T 3


Zum Zeitbedarf:

Parkplatz Schönenbach-Miesbodenalpe: 55 min
Miesbodenalpe-Oberfellealpe: 45 min
Oberfellealpe-Gratbeginn ca.1830m: 45 min
Nordostgrat bis zum Diedamskopf: 1 Std
Diedamskopf-Kreuzle: 25 min
Kreuzle-Abzweig Schönenbach: 25-30 min
Abzweig Schönenbach-Miesbodenalpe: 45-50 min
Miesbodenalpe-Parkplatz Schönenbach: 50 min



Heute geht es für mich zum ersten Mal in diesem Jahr nach Schönenbach. Das Mauthäuschen ist ab Ende Oktober nicht mehr besetzt. Man kann also kostenlos hinauf fahren. Ansonsten wären 3 € fällig. Das ganze Vorsäss ist ausgestorben. Nicht mal jemand, der sein Haus winterfest macht.

Ich halte ja normalerweise nichts von Belehrungen, aber oft liest oder hört man: der Vorsäss. Autsch!
Richtig ist "das" Vorsäss , wobei das ä (anders als z.B. Gesäß) kurz ausgesprochen wird. 
Ein Vorsäss, in der Schweiz oft auch Mai(en)säss oder Unterstafel genannt, ist die mittlere Höhenebene der dreistufigen Alpwirtschaft, die ursprünglich nur in einem kurzen Zeitraum vor und nach dem Alpsommer (ab Ende Mai, daher der Name Maisäss, und von Mitte September bis Mitte Oktober) bewirtschaftet wurde. Heute sieht's unter dem Einfluss des Tourismus natürlich oft anders aus.

Das Schönenbachvorsäß wäre sicher einer der schönsten Vorsässsiedlungen überhaupt, wenn es denn nicht eine Zentrale der Vorarlberger Jäger wäre. So hat man sich allerorten mit Ge- und Verbotsschildern (vom Radfahren über das Pilzsammeln, Müll entsorgen, Verhalten im Vorsäss..) inklusive unsinnigen Regelungen und Hinweisen und teils auch unfreundlichen Menschen im Vorsäss auseinanderzusetzen. Letzteres heute glücklicherweise nicht. Deshalb bin ich hier auch am liebsten in der Nebensaison. 

Später begegne ich einem Jäger an der Miesbodenalpe, der sich allerdings nicht für mich interessiert, sowie unterhalb des Diedamskopfes einem Mountainbiker. Das war's dann aber schon mit menschlichen Begegnungen. Herrlich, diese schöne Bergwelt für sich allein zu haben.


Aber jetzt zur Tour:

Vom Parkplatz Schönenbach 500 Meter auf der Fahrstraße ins Vorsäss und dann ins Tal der Subersach. An der kleinen Halden-Hochalpe (Wildfütterung) vorbei und weiter zur Miesbodenalpe, große Wildfütterungsstelle. Dort, wo der Fahrweg auf ca. 1330m aufhört, endet auch das jagdliche Sperrgebiet. Das wird natürlich nicht angekündigt. Man soll ja noch stundenlang mit schlechtem Gewissen weiterlaufen bzw. den Hauptweg nicht verlassen. Es ist alles durchschaubar. Klar, der bezeichnete Weg wird trotzdem verlassen. 30 Meter höher zweigt nämlich nahe eines Wasserfalls ein komfortabler Steig zur Oberfellealpe ab. Dieser führt zunächst etwas abwärts, überquert die Subersach und ist bis zur Oberfellealpe nicht zu verfehlen. Hier gibt's für mich das zweite "Znüüni".

Ab hier dann weglos mit wenig Höhengewinn die Ausläufer des Nordostgrates queren und zu einer markanten und steilen Grasrippe hinauf, auf der man bis zum eigentlichen Beginn des Nordostgrates 200 Höhenmeter bewältigt. Dabei tangiert man zwischenzeitlich den T 5-Bereich. Meistens bleibt es allerdings gemäßigt.

Schon von weitem steuert man zielstrebig auf einen auffälligen Gratkopf (aka Felsenburg, ca. 1860m) zu, der einzige Gratkopf im ganzen Nordostgrat. Nach einem kurzen waagrechten, ausgesetzten Stück muss man sich zwischen zwei Felszacken durchzwängen. Danach kommt ein steiler Schrofenhang, der auch den Einsatz der Hände notwendig macht (T 5 und I). Oben landet man auf einem breiten Grasabsatz knapp unterhalb des höchsten Punktes. Die nachfolgende Querung der Ostseite in die hinter dem Gratkopf befindliche Lücke scheint von oben leichter, als sie tatsächlich ist. Hier wird zum ersten Mal eine T 6 gefordert. Es ist schrofig, der Fels unzuverlässig. Mit ein bisschen Vorsicht ist man aber trotzdem schnell durch.

Nach einer kurzen Kante im Gras stehen nun zwei brüchige Aufschwünge an. Der erste ist kurz (II), der zweite kerniger (II-III) und deutlich länger, ca. 10 Meter. Es ist eine der beiden Stellen, die von den anderen umgangen wurde. Man muss wirklich jeden Stein genauestens vor Belastung prüfen. Dazu ist es ordentlich ausgesetzt. Anscheinend bricht hier wirklich öfter mal was weg, so wie das Gestein farblich aussieht. An dieser Stelle weiß ich noch nicht, dass es zu diesem Bruch weiter oben eine Steigerung geben wird (was auch besser ist. Ich glaube, mit diesem Wissen wäre ich hier umgedreht). 

Hat man diesen ersten Nervenkitzel überstanden, steht man quasi direkt vor der "Torte", eine eigenwillige Felsmauer, die direkt auf dem Grat aufsitzt und die man etwas heikel links umgehen (T 6-) muss. An diesem besonderen Ort mache ich erstmal Pause. Dieses Tortenstück wäre doch wirklich mal einen Wegpunkt wert.

Anschließend steige ich etwas links des Grates in unangenehm erdig-plattigem Gelände hoch (T 6, kurz II). Man sollte versuchen, schnell wieder auf die Gratkante zu kommen. Ein kleines Felshorn wird von rechts her überstiegen (II), dann kommt man an die Schlüsselstelle, eine breite Felsmauer mit senkrechten Abbrüchen. Dazu ist der Fels abwärtsgeschichtet und erdig-feucht. In der Tat kein Genussklettern.
Wie kommt man am besten auf die Mauerkrone? Anscheinend geht es 10 bis 20 Meter weiter links etwas einfacher hoch, aber auch das sieht erstmal nach mehr als nach einer II aus.
Mein Motto ist ja bekanntlich, möglichst am Grat zu bleiben, da der Fels dort in aller Regel am besten ist. Und so halte ich es auch hier. Nicht weit von der Gratkante entfernt schraube ich mich hoch. Anstrengend ist es. Ich muss kräftig zupacken. Diese Stelle will ich schnell hinter mich bringen. Definitiv keine II er Kletterei mehr, sondern III / III+. Und wegen des Bruchfelses sollte man einige Extrakörner übrig haben. 

Umgehend kommt der nächste unangenehme Aufschwung. Technisch nur eine II, aber lauter lose und teils gefährlich aufeinanderliegende Felsen. Viele der angebotenen Haltepunkte wackeln bereits beim vorsichtigen Anklopfen, dazu wieder starke Ausgesetztheit. Dabei sieht das alles von unten recht einfach aus. Aber nur jeder dritte bis vierte Stein ist okay. Also, die Zeit zur ausgiebigen Belastungsprüfung muss ich mir nehmen. 

Ist dieser Aufschwung geschafft, sind die kritischsten Stellen bewältigt. Oben scheint es auf einen spitzen Zacken zu gehen, doch am Fuße desselben steht man plötzlich im Gras und stellt erstaunt fest, dass es rechts der Kante in gut gestuftem Steilgras auf diesen Zacken hinaufgeht. Ein kurzer Verbindungsgrat führt zu einer schrofigen Kante. Etwas links der Kante (T 6- und I-II) aufwärts, dann endet der Nordostgrat auf der Südostabdachung bzw. auf dem Südostgrat des Diedamskopfes. 

Auf dem Südostgrat kann man sogleich einen grasigen Kopf (T 4-5) überklettern, dann geht es auf dem Wanderweg noch 5-10 Minuten westwärts zum Gipfel des Diedamskopfes, den ich heute für mich allein habe. Das wäre natürlich während der Saisonzeiten der Bergbahn undenkbar.

So begegne ich im Abstieg mehr Tieren als Menschen. Einige Schneehühner flattern aufgeregt von der Kammhöhe am Kreuzle, als ich mich nähere. Am Hehlekopf sind Gämsen unterwegs, und unten nahe der Miesbodenalpe setzt sich ein kleines Rotwildrudel vor meinen Augen in Bewegung. 

Funfact: Wenn man von oben kommt, wird man mit keinem einzigen Verbotsschild konfrontiert. 


Insgesamt eine in der Nebensaison ansprechende Tour, auch wenn man nur auf dem Wanderweg den Gipfel ansteuert.
Der Nordostgrat ist zwar landschaftlich schön, aber leider wegen des Bröselfelses nicht ungefährlich und nur für wirklich Unerschrockene mit gewisser Risikobereitschaft machbar. Daher kann ich diesen Anstieg letztendlich nicht guten Gewissens weiterempfehlen. 

Tourengänger: quacamozza


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