Cadinc 1158m – Alpe Solögna: Ein Bavona-Traum wird erfüllt!
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Lange habe ich mich vorbereitet. Die Karte studiert, den betreffenden Text aus dem Buch „Storie e sentieri di Val Bavona von Nora und Aldo Cattaneao“ grob in Deutsch übersetzt und ausgedruckt. Nichts wollte ich dem Zufall überlassen. Aber eben: Ein marginales Detail brachte mich mächtig ins trudeln…….
Heute soll es ein Gewitter geben, aber erst am Abend. Bis dahin bin ich schon lange zurück. Kleine Höhendifferenz, kurze Strecke und der Rest mit Köpfchen. Easy! Trotzdem nehme ich es genau: Regenschutz, Höhenmesser justieren. Kompass dabei. Und los geht’s vor der Kapelle mit dem Vordach hoch gegen den Wald. Erste Überraschung: Da sind Gehege ohne Ausgang. Also noch einmal zurück. Etwas weiter oben beim Bildstöckchen (könnte ja eine falsche Übersetzung sein) hinauf. Dieses Mal klappt es wie im Bilderbuch. In den Wald hinein und schon auf der Suche eines Reservoirs, respektive dessen Zubringer-Weg.
Regel 1: Im Tessin sind die Wege entweder unterhalb einer Felswand oder auf einem Grat zu suchen. Grat! Klar! Der Ri di Croazöö macht einen rechten Umweg zum Hauptfluss, der Bavona, und zwar rund einen Kilometer parallel zu diesem = Seitendamm sprich Grat. Und da taucht der Weg tatsächlich auf. Weg ist so ein Definitionsding. Dieser hier braucht sehr viel Tessin-Erfahrung. Aber ich erreiche schwarze Schläuche und das könnte im Zusammenhang mit dem Reservoir stehen. Bravo. Wie weiter?
Regel 2: Sobald zwei Steine einen Zusammenhang haben, das heisst in Linie, parallel oder geschichtet sind = Klares Wegzeichen. Es sind drei – juhui. Fast senkrecht weiter. Bäume lassen sich gerne umarmen. Nützt mir. Der Grat geht weiter entlang dem in der Tiefe tosenden Ri di Croazöö. Der Weg ist mit viel Fallholz versperrt. Ich tue mein Bestes und versenke da und dort mit Schwung abgeknicktes Holz in der Tiefe. Ständig kontrolliere ich die angegebene Höhe und bleibe bei 940m stehen, drehe mich nach rechts und schaue, schaue……bis ich in 5 Metern Höhe eine Tacche (ausgemeisselter Tritt) erspähe. Aber wie dorthin. Ich lasse mir Zeit um das Ganze auf mich einwirken zu lassen. Bin ich dem hier gewachsen oder ist der Wille grösser wie das Können?
Zuerst mache ich einen Probelauf. Ich komme mir vor wie die Katze vor dem Mäuseloch. Aber tatsächlich geht’s bis zu den ersten Tritten reibungslos.Ich fühle mich sicher auf den Tritten, weil die Auflagefläche gross und horizontal ist. Die erste Reihe ist heikel. Den eingelassenen Stiften fehlt das Sicherungsseil. So zur Übung und überhaupt zur Sicherheit erklettere ich eine weitere Partie und anschliessend das Ganze bis zum Ausgangspunkt zurück. Frage zu mir: Wie fühlst Du Dich? Gut? Gut! Also los!
Die ersten 20 Meter sind happig (T5) und ohne Sicherungsmöglichkeiten. Weiter folgt eine Traverse von 20 Tacche mit 50 Meter Tiefblick, dann eine Direttissima entlang einem Grasband, eine Kletterstelle II exponiert, doch nur 2,5 Meter hoch (Ich habe diese der Kehre auf dem nackten, exponierten Felsen mit Tacche vorgezogen). Dann ist man auf einer ehemaligen Madée = Wildheuerwiese, wo man das Heu ganz praktisch in Bündeln über die abgeschliffenen Felsen runterpurzeln liess. Hat sicher garantiert funktioniert!
Der Weg ist andeutungsweise vorhanden und steigt auf etwa 1150m in ein Couloir und oberhalb einer glattpolierten Felsenpartie auf 1200m ausweichend in einen Wald hinein.
Weit und breit keine Hütte. Ich zweifle an der zurückgelegten Distanz und konsultiere den Kompass: Einmessen auf die Brücke von Faed. Übertragen. Es fehlen 60m, welche ich auf gleicher Höhe nachhole und inmitten eines Laubwaldes auf einer kleinen Ebene die Hütten von Cadinc erblicke.
Laut der Beschreibung von Cattaneao’s soll es ohne Probleme zum Weg unterhalb Corte Nuovo der Alpe Solögna weitergehen. Dazu kann ich nur meine Erfahrungen sagen: Es ist eine nicht zu unterschätzende Kartenarbeit, dies zu bewerkstelligen. Schau selber auf die Karte und Du wirst mich begreifen. Oben Felsabbrüche, dazwischen glatte Felspartien, halb unten dichter Wald und in der Schlucht die Ri di Croazöö in einem etwa 60 Meter tiefen Graben. Und das soll problemlos sein. Ich löse es wie folgt: Traverse auf 1200m bis auf einen Vorsprung mit Ruine eines Stalles. Langsam auf 1380m ansteigen bis zu den oberen Felsen. Unter diesen hindurch, dann auf 1450m aufsteigen und zum Bach traversieren. Punktlandung: Ich erreiche den Weg der Solögna an dem Punkt, wo er den Ri di Croazöö quert.
Quert – habe ich gesagt. Queren würde - ist richtig. Der Bach ist auch nach einem eingehenden Studium rundweg unpassierbar: Hochwasser wegen Schneeschmelze und keine Brücke. Nur Betonmauer mit aufgesetzten Klötzen, allesamt überdeckt von den Wassermassen. Von der letzten Tour her kenne ich eine Brücke oben bei Corte Nuovo. So steige ich auf 1517m auf und von den Hütten horizontal zum Bach.
Regel 3: Verlass Dich nie auf eine Brücke. Sie könnte verfallen sein. Diese hier ist sehr schwer zu passieren. Die Querbretter sind defekt oder fehlen. Ich bewerkstellige es auf allen Vieren, ein abgerissenes Brett vor mich herschiebend. (Nachtrag: im gleichen Jahr wurde sie komplett renoviert)
Regel 4: Restschnee verdeckt alle Wege und deren Referenzpunkte. Ich verfehle wegen Schnee einen Übergang. Ich verliere den Weg und muss mit Kompass und Azimut eine untere Auffanglinie (Weg Solögna zum Bach) anvisieren. Durch Geröll, Steinplatten, Steinkolosse, abschüssige Grasbänder. Aber es gelingt mir. Ich brauche das Dreifache an Zeit.
Regel 5: Mache nie einen Zeitplan mit Risiko, z.B.: Gewitter. Ein Gewitter mit haselnussgrossen Graupeln und Blitzschlag in der Nähe! Es gibt Momente, wo ich gerne jemanden anrufe.
Die Geschichte hat sich dank guter Ortskenntnisse und Konzentration noch zum Guten gewendet.
Währenddem ich diesen Bericht schreibe, trocknen meine Utensilien im Hintergrund.
G.G.G.
Tourengänger:
Seeger

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