Croda de R'Ancona (2366 m) - einsamer Steilanstieg von Süden und Umrundung


Publiziert von gero , 8. Juni 2018 um 23:04.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum: 1 Juni 2018
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 8:30
Aufstieg: 1365 m
Abstieg: 1365 m
Strecke:P Ponte Felizon - Podestagno - Ospitale - Forcella Lerosa - Croda de R'Ancona - Ra Stua - Sant Uberto - P Ponte Felizon (19,0 km)
Kartennummer:Tabacco Nr 4 (Naturpark Fanes-Sennes-Prags, 1:25.000); Freytag & Berndt (Cortina d'Ampezzo, 1:50.000)

Wenn die Tofanen noch unter der spätwinterlichen Schneedecke versteckt sind und sich dabei den Anschein von unbesteigbaren Sechstausendern geben - dann ist dies die Zeit für vorgelagerte, niedrigere Berglein, auf denen bereits der Frühling eingezogen ist. Abgesehen von nordseitigen Altschneeresten, ist die Croda de R'Ancona ein Geheimtip: hier ist praktisch niemand unterwegs, die Anstiege sind weit, und besonders der südseitige, offenbar nahezu vergessene Steilanstieg fordert Beine und Orientierungsvermögen in einer Weise heraus, daß man nach bestandenem Abenteuer mit Respekt zu sich selbst aufschaut.

Prolog
- Ich habe im folgenden bewußt nur überschlägige Zeitangaben verwendet oder darauf ganz verzichtet. Findet man in gewissen Bereichen die Steige sofort, geht der Aufstieg relativ schnell. Sucht man dagegen im Gelände nach dem Weiterweg (so wie ich des öfteren), dann dauert es entsprechend länger. Als groben Anhaltspunkt kann man die Zeiten benutzen, die meinen Fotos zu entnehmen sind.
- Speziell der südseitige Direktanstieg ist nirgends schwierig, verlangt aber absolute Trittsicherheit in schrofigem Steilgelände - und außerdem Orientierungsfähigkeit in überdurchschnittlichem Maße. Ich möchte von geradezu pfadfinderischen Fähigkeiten sprechen .....
- Mit totaler Einsamkeit darf man auch kein Problem haben. Speziell auf dem südseitigen Direktanstieg wird man bis zu Forcella Lerosa keine Menschenseele treffen.
- In der F&B-Karte ist der südseitge Direktanstieg als Steig Nr. 8B eingetragen; dies gaukelt völlig unrealistische Verhältnisse vor! Dieser Steig wird eindeutig nicht mehr gewartet und sicher extrem selten begangen. Der Charakter entspricht eher der Darstellung auf der  Tabacco-Karte: bestenfalls punktiert, nicht einmal gestrichelt.
- Die beiden von mir verwendeten Landkarten weisen unterschiedliche Bezeichnungen im Gebiet der Croda de R'Ancona aus; ich halte mich im Zweifelsfall an die Nomenklatur der Tabacco-Karte.

Teil 1: Aufstieg zur Croda de R'Ancona

Ich habe mir zum Ziel gesetzt, die Croda de R'Ancona zu umrunden und dabei natürlich den Gipfel auch zu besteigen. Ein günstiger Startpunkt ist dabei der von mir schon mehrfach benutzte P Ponte Felizon (1327 m), da hat man nämlich am Schluß des Rückweges keinen Gegenanstieg. Es geht schon gleich steil los: in wenigen Kehren direkt hinauf zur stark befahrenen Verbindungsstraße zwischen Toblach und Cortina, diese wird überquert, und dann führt ein Waldweg in Richtung Ospitale, wobei von Anfang an bei etlichen Verzweigungen eine gewisse Orientierung erforderlich ist.

Erwähnenswert  ist die höchst eindrucksvolle Überquerung der Felizon-Schlucht (Forra del Felizon, ca. 1400 m) auf hoher Brücke: der Bach (Rio Felizon) hat sich hier im Lauf der Jahrtausende etwa 50 m tief ins Gelände eingeschnitten, man schaut von der Brücke hinunter auf die wilden Wassermassen, die im Wettstreit mit dem Fels liegen und diesen immer weiter erodieren. Eine Informationstafel klärt darüber auf, wie hier während der letzten Eiszeiten mächtige Gletscher das Land bedeckten.

Nach dem Überqueren des Baches geht es immer knapp unterhalb der Straße auf dem Forstweg beschildert und markiert als Nr. 200, vorbei am Wegpunkt Podestagno (1445 m) nordwärts bis zum Rif. Ospitale (1490 m); hier wird die Fahrstraße überquert, und direkt hinter dem Gebäude beginnt das Abenteuer Direktanstieg. Ospitale lag schon früher an der Hauptverbindungsstraße zwischen Augsburg und Venedig, hier wurden die Zugtiere der Handelswagen (Pferde und Ochsen) gewechselt und Güter gehandelt (die Infotafel hier beschreibt natürlich noch viel mehr historische Fakten).

Wo geht es jetzt weiter? Kein Wegweiser, keine Markierung und keine Pfadspur verrät, daß man hier direkt hinter dem Gasthaus in den Wald eintreten muß. Und plötzlich ist der da, der Waldsteig, der schon zu Beginn sehr steil loslegt, aber es kommt später noch viel besser. Gleich zu Beginn geht es an einem "Elektrizitätshäuschen" vorbei, das im Wald steht und als Kontrollpunkt dient: hier bin ich richtig! Und nun finden sich immer wieder rot-weiße Markierungen an Bäumen, die zwar zahlreich, aber sehr verwaschen sind.

So folge ich dem schönen Waldsteig und freue mich meines Daseins .... auch dann noch, als plötzlich die Markierungen ausbleiben. Der Steig ist nun plötzlich nahezu eben, beginnt schließlich zu verfallen, und ich stehe etwas ratlos im Wald: habe ich einen Abzweig übersehen? Laut Lk müßte es hier stangerlgrad den Steilhang hinaufgehen.

Hier Achtung auf den Weiterweg:

Dort, wo der bislang ganz brauchbare Steig nach links umbiegt und nicht mehr steil, sondern eben verläuft, muß man an einer unauffälligen Stelle weiter geradeaus AUFwärts laufen. Etwa 1-2 Minuten geht es völlig weglos zwischen Bäumen hindurch (als unzuverlässige Orientierung dienen hier rote Kreuze, die an die Bäume gezeichnet sind), dann findet man den Steig wieder. Zunächst nur Steigspuren, werden diese dann zu einem schönen, aber dünnen Steig, der in vielen kurzen Kehren durch den Wald bergauf führen, nun auch wieder einige Zeit mir verwaschenen rot-weißen Markierungen. Der Steig ist natürlich wieder sehr steil, aber gut begehbar: flott geht es bergan, bis der Wald dünner wird und man an eine schrofige Geländestufe gelangt. Auch sie bereitet keine Schwierigkeiten, muß aber etwas vorsichtig begangen werden, da jetzt das Gelände nochmals etwas steiler wird.

Im Zuge dieser Geländestufe erreicht man ein latschenbewachsenes Couloir auf geschätzt 1800 m Höhe (ca. 1 Std. ab Ospitale), dessen Eingang durch Wurzelwerk und einen zarten rot-weißen Punkt gekennzeichnet ist. Es ist für lange Zeit der letzte, den ich gesehen habe! Ziemlich mühsam und nochmals etwas steiler (aber weiterhin unschwierig und nicht heikel bei entsprechender Trittsicherheit) kämpfe ich mich durch die schrofige Rinne aufwärts - und stehe dann an ihrem oberen Ende. Hier findet sich noch einmal ein Stückchen des bisherigen Steiges, aber er verfällt jetzt. Ich muß mehrfach die Fortsetzung im Steilgelände suchen, aber abgesehen von fragwürdigen Steinmännchen (sind es welche, oder haben sich diese Geröllkiesel nur hinter Wurzeln verfangen?) finden sich keine Anzeichen eines "offiziellen" Steiges mehr. Die Steigspuren, denen ich deshalb intuitiv folge, könnten genausogut vom Wild stammen.

Letztlich kann man aber nichts falsch machen: hinauf, heißt die Devise, noch etwa 100 Hm bis zum Sattel, der dort oben irgendwo am Ostkamm der Croda das Ende des südseitigen Steilaufstieges beenden muß. Mit viel Hin und Her und Sucherei zwischen steilen Latschengassen bin ich dann dort droben angekommen (gut 2000 m, etwa 2 Std. ab Ospitale) und finde dort irgendwo in der Wiese endlich mal wieder einen der unscheinbar roten Markierungspunkte - aber praktisch keine Steigspuren. Jede Menge alte, zugewachsene Schützengräben, eine Felswand ist durchlöchert von alten Kriegsstellungen.

Um es kurz zu machen: ich steige dann weiterhin pfadlos NORDseitig durch weniger steilen Wald wieder ab und erreiche nach einiger Zeit einen Querweg, dem ich westwärts in Richtung auf die Forcella Lerosa folge. Dieser nahezu horizontale Steig - weiterhin nicht markiert, aber sehr gut erhalten - erreicht schließlich den Talweg, der als offizieller Anstieg Nr. 8 vom Lago Bianco herauf kommt und von georgb hier beschrieben worden ist (beachte den großartigen Blick in das riesige Kar Castel de Ra Valbones, südseitig der Hohen Gaisl gelegen: es hat den Charakter eines monumentalen Amphitheatrers, eingebettet im Dreiviertelrund in die Felswände der Hohen Gaisl). Etwa 4 Std. nach Abmarsch vom P habe ich dann die Forcella Lerosa (2020 m) erreicht.

Aber das Abenteuer des weglosen Anstiegs ist noch nicht beendet. Kein Wegweiser, keine Markierung, kein Steig deuten auf den weiteren Aufstieg zur Croda hin. Möglicherweise deshalb, weil fast ihre ganze Nordwestseite noch unter Altschnee- und Lawinenresten verborgen ist. Mit etlicher Mühe quere ich auch diese noch pfadlos, um dann endlich an der Südwestecke des Berges ein markiertes Steiglein hinauf zu entdecken. Ihm folge ich nun problemlos: durch liebliches, unschwieriges Felsbuckel- und Grasgelände geht es vollkommen unschwierig hinauf zum Kotenpunkt 2154 m (der Beschreibung von georgb entnehme ich: dieser trägt den Namen Croda dei Ciadis, auf meinen Landkarten findet sich diese Bezeichnung nicht). Noch eine weitere halbe Stunde schwelge ich dem Himmel entgegen, dann stehe ich endlich droben auf der Croda de R'Ancona (2366 m).

Teil 2: Abstieg nach Ra Stua und Rückweg zum P Felizon

Die Croda de R'Ancona ist ein wunderbarer Aussichtspunkt: er erreicht nicht annähernd die Höhe der umgebenden Bergen, steht aber total isoliert in der Landschaft und gewährt deshalb großartige Blicke in die Flanken der Ampezzaner Berge!

Ich kann mich kaum satt sehen an dieser Dolomitenpracht, muß dann aber doch an den noch weiten Abstieg denken. Auf dem geschilderten Steig über die Südwestecke des Berges (Croda dei Ciadis) und dann dessen harmlose, aber altschneebedeckte Nordwestflanke geht es zurück Richtung Forcella Lerosa, die ich aber nicht betrete, da ich plötzlich einen Querweg erreiche, dem ich westwärts folge. In einer Schleife bringt er mich durch liebliches Wald- und Almengelände hinab nach Ra Stua (1668 m; dort ist er auf den Wegweisern als Strada Militare ausgewiesen), und ich überlege hier, wie ich zur Ponte Felizon zurück wandere. Man hat wahlweise die Möglichkeit, der sehr schmalen, teilweise steilen Straße zu folgen (bis 20%; seltsamerweise ist sie heute für den Privatverkehr geöffnet, eine nicht unerhebliche Anzahl privater Autos fährt auf- und abwärts) oder dem dazu parallelen Wanderweg zu folgen. Obwohl ich anfangs zögere (die Straße ist sichere die schnellere Alternative), folge ich dann doch dem Wanderweg.

Es geht durch lauschige Wälder, an rauschenden Wasserfällen und fulminanten Aussichtspunkten vorbei, ab und an wird die Fahrstraße berührt. Kurz vordem P Podestagnokehre (Sant' Uberto, 1435 m) wird ein ganz besonders großartiger Punkt erreicht: Son Pouses mit gewaltigem Blick auf die tiefe Schlucht de Torrione Boite im Vordergrund, dann folgt das dichte Waldgebiet, was hinüber ins Travenanzestal leitet, und über allem steht der Tofanastock. Was für eine gewaltige Landschaft!

Und doch hat der Punkt eine traurige Vergangenheit, denn eine Infotafel verrät: Son Pouses markierte eigentlich einen Rastplatz für Mensch und Tier auf dem langen Track zwischen Deutschland, Österreich und Italien. Im Wahnsinn des ersten Weltkrieges war dies ein nahezu unüberwindlicher Militärstützpunkt der Österreicher, schwer bewaffnet mit Maschinengewehren, die hier das ganze Gebiet nördlich von Cortina befeuern und damit kontrollieren konnten.

Schließlich habe ich dann meinen Ausgangspunkt beim P Felizon wieder erreicht - welch großartige Bergtour liegt hinter mir!

Tourengänger: gero


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Geodaten
 40389.gpx Auf steilen Pfaden zur Croda de R'Ancona

Galerie


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Kommentare (2)


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georgb hat gesagt:
Gesendet am 11. Juni 2018 um 11:40
Danke Georg für den wunderschönen Bericht. Eine zauberhafte Runde hast du da gemacht, Bravo!

Felix hat gesagt:
Gesendet am 11. Juni 2018 um 11:55
was für ein Marsch ;-)
Gratulation lieber Georg!
lg Felix


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