Winterraumzeitkontinuum zwischen Schlern und Rosengarten


Publiziert von ZvB , 1. November 2017 um 19:59.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum:30 Oktober 2017
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 1 Tage 4:30
Aufstieg: 2350 m
Abstieg: 2350 m
Strecke:33,3km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:nach Tiers, dann weiter zum Wanderparkplatz bei Weißlahnbad
Kartennummer:Tabacco 029

Keinen Schnee und gutes Wetter, das ist, was ich von dieser Runde über den Schlern und durch den Rosengarten erwarte. Ich wurde nicht enttäuscht.

Bei bestem Sonnenschein breche ich um viertel nach zehn von Weißlahnbad auf zum Weg durch die Bärenfalle. Es geht gut voran und ich kann eine ganze Reihe norddeutscher Gelegenheitswanderer schnell hinter mir lassen. Ihre Stimmen höre ich allerdings noch lange, da sie im engen Felsenkessel hin und her hallen. Bären müssen sich beim erreichen der Bärenfalle allerdings keine Sorgen mehr machen. In wildem Zickzack führen Brücken und Stiege über diese Stelle hinweg und nach knapp zwei Stunden ist auch schon der Tschfatsch-Sattel erreicht.

Wärmte bisher noch die Sonne den Rucksack und den Rücken, so wird es zuerst einmal deutlich kälter. Im Schatten des Tschafatsch geht man auf das Licht zu. Ist dieses wieder erreicht macht sich auch schon die Höhe bemerkbar. Es bleibt kalt, mindestens 2,3 cm. Ein Bach ist teils zugefroren. Ein gute Gelegenheit für einen Schluck aus der Pulle und das Nachfüllen selbiger. Dann schon der Schlussspurt zum Schlernhaus.

Viel los hier um diese Zeit. Den Aufstieg zum Petz verschiebe ich auf eine Zeit, wenn sich die Massen verflüchtigt haben. Wohlgemerkt fühlt sich ein Misanthrop und spezialisierter Alleingänger natürlich auch bei unter zehn Personen schon in arger Bedrängnis. Drei Uhr, endlich Gelegenheit, den Petz anzugehen, um dann endlich oben zu bemerken, dass der Burgstall und das Santerkänzele viel interessanter und menschenfrei sind. Welch klare Luft, welch weiter Blick ...

Kurz nach vier bin ich auch schon wieder zurück am Schlernhaus und allein. Die Inspektion des Winterraums ergibt: zwei Lager mit Decken, reichlich Platz für Notlager auf dem Boden, ein Ofen und sonst nicht viel. Das muss genügen.  Derweil muss ich immer wieder vor die Tür schauen. Der Sonnenuntergang ist ein Spektakel ...

Um kurz vor sechs ist es dann mit der Ruhe vorbei. Ein jugendliches Trio Infernale leistet mir Gesellschaft im Locale Invernale. So ein Mist, jetzt muss ich die letzten drei Bier im Kasten doch noch teilen...
Um viertel nach acht ist dann schon Hüttenruhe. Das Einschlafen fällt schwer. Ich muss eine kalte Wasserflasche umklammern, um Brandblasen vom Teekochen zu kühlen. Nur wenn ich mal hinaus auf die Freilufttoilette muss - mittlerweile herrschen unter 1,7 cm - schmerzen die Finger nicht. Irgendwann schlafe ich dann wenigstens teilweise ein. Als Seitenschläfer im Schlafsack schläft halt immer der Arm und das Bein einer Seite zuerst ein.

Zu Beginn des nächsten Tages, setze ich eine Botschaft an die Wirtsleute auf meine ToDo-Liste. Die zwei Schieber der Eingangstür zum Winterraum sind voneienander unabhängig. Ein ordentlicher Trottel kann dann nämlich beim Aufbruch zur Sonnenaufgangsbeobachtung den Winteraum von aus verschlossen und einen wütendend Misanthrop drinnen zurücklassen. Technisch sehr suboptimal. Ob die im Frühjahr dort schon mal ein Skelett gefunden haben.

Um viertel nach sieben bin ich wieder frei und auf dem Weg zur Roterdspitze. Es geht im wahrsten Sinne der Sonnen entgegen. Die Gemsen, über die ich fast stolpere, kann ich geblendet von der Sonnen zuerst gar nicht sehen, sondern nur hören und riechen. Es liegt auch ein seltsames Brummen in der Luft. Nachdem ich Tinitus ausgeschlossen habe, stelle ich fest, dass auf der Seiser Alm schon die Schneekanonen laufen. Gier kennt auch hier keine Grenzen ...

Der Abstecher zur Roterdspitze lohnt sich. Ungetrübter Blick in die Ferne und alle Richtungen. Einzig der Wind lässt keine rechte Gipfelgemütlichkeit aufkommen. Es ist kalt. Wie schön ist es da, dass der Weiterweg zum Tierser Alpl im Windschatten verläuft. Die Hütte ist geschlossen. Schnell inspiziere ich den Winterraum, ach was sage ich, die Winterräume. Es gibt zwei davon, einer mit zwei Lagern, einer mit vier, keine Öfen, aber jeden Haufen Schränke. Bier gibts auch nicht und keine Kochutensilien.
Hier befindet man sich schon wieder unter den Touristen, die von der Seiser Alm kommen. Woher ich das weiß? Na, die können halt keinen Gruß erwiedern, oder schau ich aus wie ein Penner?

Durch ein Fenster kann ich einen Blick in die renovierte Hütte werfen. Das sieht eher Schickimicki als gemütlich aus. Lieber weiter ins richte Gebirge, in den Rosengarten. Ein kurzes Stück am Drahtseil lässt den weiteren Weg zum Molignonpass zunächst sehr ernst erscheinen. Später denkt man, dass man sich auf einer Chaussee in Berlin befindet, so breit ist der Weg.

Der Molignonpass selbst besteht aus zwei Passhöhen. Vom südlicheren Sattel zweigt auch schon ein ganz kleiner Pfad auf die Nordöstliche Grasleitenspitze ab. Der Gipfel ist auch der Höhepunkt, im Sinne von Maximalhöhe, dieser Tour. Kühl schauen mir die Gipfel des Rosengartens ins Auge. Vielleicht wiederhole ich mich ja, aber auch hier ist es sehr kalt. Der Wind sagt mir mit scharfer Zunge:"Verschwinde hier aus meinem Reich der Kälte!"

Es geht steil abwärts zur Grasleitenhütte. Unten im Kessel muss man sich unter den hohen Gipfeln wegducken. Ob irgendwann die Gipfel über mir zusammenschlagen?
Auch die Grasleitenhütte verfügt über einen Winterraum, der kurz inspiziert wird: Zwei Doppellager (gegenseitige Wärme ersetzt jede Feuerstelle) und ein kleiner Ofen, auf dem man sogar kochen könnte. Sogar ein paar Löffel und Schalen gibts, und auch eine Spendenbox, weil gar so liebvoll eingerichtet ist. Es gibt allerdings auch hier keine stille Bierreserve.

Ob die Grasleitenhütte in den kurzen Monaten jemals Sonne sieht. Schwer vorstellbar, zumal der umliegende Dolomit nur selten seine Opazität verliert.

Es ist Zeit für den Abstieg. In meinen Selbstgesprächen beginne ich ein Gedicht von Loriot umzudichten und auf die Situation der Winterräume kurz vor Hällowien anzupassen:

Winterraumzeit

Es graut der Nacht, Stirnlampen blinken,
Lawinen donnernd herniedersinken.
Auf Latschenkiefers grünem Wipfel
streicht ein Eichhörnchen seinen Zipfel.
Und dort, vom Ferner her durchbricht
die Dunkelheit das Blutmondlicht.

Im Schutzhaus kniet im Stirnlampenschimmer
der Bergsteiger im kalten Winterzimmer.
In dieser ungemütlichen Nacht
hat er den Kameraden umgebracht.
Er kam ihm auf des Gipfels Wege
schon allzu oft störend ins Gehege.
So kam er mit sich überein:
Am Halloween-Abend muss es sein.

Und als das Gemslein ging zur Ruh,
der Steinbock tat die Augen zu,
erlegte er direkt von vorn,
den Kameraden mit des Eispickels Sporn.
Es rümpft nur das Snowboard-Häschen
zwei-, drei-, viermal ihr Koksernäschen,
und ruhet weiter süß im Dunkeln,
derweil die Sterne traurig funkeln.

Und in der Hüttenstube drinnen
rinnt des Alpinisten Blut von hinnen.
Nun muss der Kletterer sich eilen
den Kameraden sauber zu zerteilen.
Schnell hat er ihn bis auf die Knochen
nach Weidmanns Sitte aufgebrochen.

Voll Sorgfalt legt er Arm auf Bein,
der Kamerad war schwer wie Stein.
Macht seine Bergschuh zum Eigentum,
dreht sich im neuen Schlafsack nochmal um.
Und packt sodann, es geht auf sechs,
die Reste schnell in Goretex.

Ohne Helm gibt’s bei Steinschlag Beulen,
vom Gipfel hört man Wölfe heulen.
Wer ist‘s, der in so tiefer Nacht,
so spät dann doch kein Biwak macht?
Der Yeti kommt auf dem Motorschlitten
und mit zwei Brockenhexen herangeritten.
Sagt, guter Mann, hast Du noch Sachen,
die als Bergsteigeressen Freude machen?

Die sechs Pakete, grobes Ungeheuer,
es ist alles und gar nicht teuer.
Der Yeti macht sich auf die Reise,
die Gaskocher surren leise,
die Seilschaft ist endgültig entzweit,
das Handy summt, es ist Winterraumzeit.

Nachdem soviel Versmaß zerbrochen wurde, bin ich auch schon wieder zurück in Weißlahnbad und freue mich auf die Sterzinger Warteschlange. Am meisten freue ich mich jedoch auf das nächste Mal in den Dolomiten.

Wie immer gibts auch Bilder, die weniger Unfug erzählen und doch mehr sagen ...
 

Tourengänger: ZvB


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Geodaten
 37873.gpx Bärenfalle - Schlern
 37874.gpx Roterdspitze - NO Grasleitenspitze

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