Punta di Pietra Rossa 3283m


Publiziert von Cubemaster , 7. September 2017 um 18:30.

Region: Welt » Italien » Lombardei
Tour Datum:29 August 2017
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1000 m
Abstieg: 1000 m

Wer mich kennt, der weiß, dass mich sehr unbekannte Berge besonders anziehen. Obwohl die Punta di Pietra Rossa der zweithöchste Berg der Sobretta-Gavia-Gruppe ist (Der Monte Sobretta ist nur 13m höher!) erfüllt sie dieses Kriterium vortrefflich: Sehr wenige Berichte (schon gar keine deutsschprachigen), kaum aussagekräftige Fotos, selbst den Wegpunkt bei hikr musste ich erstmal anlegen. Dabei liegt er doch so nah an der Gaviapassstraße, ist also gut zu erreichen. Ist der Berg so schwierig zu besteigen? Auf zur Erkundung dieses Mysteriums!

Früh morgens fuhren Marie und ich von Ponte di Legno aus hinauf Richtung Gaviapass. Das erste Problem ergab sich schon bei der Parkplatzsuche. Wir parkten schließlich auf einem größeren Parkplatz etwas südlich des Tunnels und starteten dort etwa um 7 Uhr 30. Etwa 25 Minuten gingen wir anschließend die Gaviapassstraße hinauf, der Tunnel kann über die alte Straße umgangen werden. Kurz vor den letzten Kehren zur Passhöhe geht es links hinunter zum Lago Nero.

Dort angelangt folgten wir dem Höhenweg Richtung Bivacco Linge. Der erste Teil des Weges ist von Kühen vollständig zertrampelt und... na ja was Kühe eben sonst so hinterlassen. Später wird es besser und das ist auch gut so, denn es folgen einige ausgesetzte, schmale Stellen (eine sogar mit Drahtseil versichert). Insgesamt steigt man dabei über 100 Höhenmeter ab! Kurz vor dem Bivacco Linge entschieden wir uns, nicht mehr bis ganz hinunterzusteigen, sondern Richtung Westen über die Wiesen aufzusteigen. Dabei spart man sich durchaus einige Höhenmeter und findet den markierten Weg recht einfach wieder.

Da Marie sowieso nicht bis zum Gipfel mitkommen wollte, suchte sie sich einen schönen Platz auf der Wiese und ich ging allein weiter Richtung Passo di Pietra Rossa. Über eine kleine Geländestufe folgte ich noch dem markierten Weg, dann bog ich nach halblinks ab in Richtung einer markanten Geröllrinne, die vom Nordwestgrat herunterzieht. Die Rinne ist im oberen Teil relativ steil und es war sehr kraftraubend, sich durch den lockeren Schutt nach oben zu wühlen. Versuche, am Rand der Rinne mit Hilfe der Felsen aufzusteigen, scheiterten am sehr brüchigen Gestein. Langsam dämmerte mir, warum der Berg nicht oft begangen wird...

In der Scharte angelangt türmte sich links von mir der steile Grataufschwung der Nordschulter auf. Auch wenn es sehr steil aussah, kraxelte ich ein paar Meter hinauf. Mir wurde schnell klar, dass der Grat viel zu bröselig zum Klettern ist. Ein recht gutes Band führt hier in die Westflanke und ich folgte diesem absteigend in ein großes Geröllfeld hinein. (Man kann bestimmt auch direkt auf der anderen Seite der Scharte etwas absteigen und dann queren, aber ich würde doch das Band empfehlen, es ließ sich wirklich gut gehen.) In einiger Entfernung machte ich eine Stelle in der Westflanke aus, an der man weiter hinaufsteigen kann. Trotz aller Brüchigkeit kraxelte ich ohne Probleme die kleine Rinnenstruktur hinauf (I).

Von hier aus ging ich nun erstmal geradeaus die Flanke hinauf, ein kleiner Felsriegel war unproblematisch zu überklettern (I). Dann bog ich nach links ab und folgte einem weiteren großen Geröllfeld bis auf die Nordschulter. (Je weiter man hier wieder nach Norden quert, desto einfacher wird es, auf den Grat zu gelangen.) Dann begann ich, den Grat hinaufzusteigen, und dabei wurden jegliche Zweifel beseitigt, dass dieser Berg eine totale Bröckelruine ist. Auch wenn der Grat hier nicht besonders schwierig ist (I), muss man gut aufpassen, dass einem der Berg nicht unter dem Hintern wegbröselt.

Ich hielt mich möglichst an der Gratschneide, häufig aber auch leicht rechts davon. Ich war doch überrascht, hier einige ganz gute Steigspuren vorzufinden. Ein größerer Aufschwung wird nochmal rechts umgangen, dann stand ich auf einem großen Plateau mit gutem Blick auf den restlichen Grat und die beiden Gipfel, von denen der südliche etwas höher ist. Ich überquerte das Plateau bis an den Fuß des weiteren Gratverlaufs. Hier ändert sich dann abrupt die Art des Gesteins: Der rötliche Schiefer (welcher dem Berg seinen Namen gibt) endet und geht über in eine weiße und deutlich festere Gesteinsart. Dieser Abschnitt war dementsprechend sehr schön zu klettern, aber auch etwas schwieriger (II).
VORSICHT: An einer Stelle schon sehr weit oben am Grat, ist eine sehr fragile Struktur aus Blöcken, die sich wohl nur gegenseitig stützen (darunter ist ein großer Hohlraum), hier bin ich vorsichtshalber links außen herumgeklettert.

Leider endet dieser Abschnitt kurz vor dem Nordgipfel und der Grat geht wieder in den brüchigen rötlichen Schiefer über. Ein paar Meter weiter versperrt nun ein riesiger, völlig glatter und senkrechter Block den Grat. Er ließ sich erstaunlich einfach rechts durch die brüchige Westflanke umgehen. Dahinter kraxelte ich wieder zum Grat hinauf und stand um ca. 12 Uhr auf dem Nordgipfel der Punta di Pietra Rossa. (Bis hierhin WS mit ein paar gut machbaren aber durchaus ausgesetzten IIer-Stellen in dem Abschnitt mit dem festen, weißen Gestein.)

Der nur wenige Meter höhere Südgipfel sah von hier aus eigentlich ganz gut erreichbar aus. Ich kraxelte ein bisschen in der Ostflanke hinunter, aber es wurde immer plattiger und steiler. Um die Scharte zwischen den Gipfeln zu erreichen hätte ich jetzt einige ziemlich glatte und abschüssige Platten queren müssen. Da ich in Bezug auf plattige Stellen ein kleiner Angsthase bin, kraxelte ich erstmal wieder zurück nach oben und probierte es direkt über den Grat. (Vorsicht wegen der Brüchigkeit!) Auch dieser wird zur Scharte hin immer plattiger und die unterste Platte ist dann leider so hoch, dass man nicht mehr mit den Füßen auf den Boden kommt, wenn man daran hängt. (Schlüsselstelle!) Da unter mir jetzt aber kein Abgrund mehr war, ließ ich die obere Kante los und rutschte vorsichtig den fehlenden halben Meter nach unten.

Ich war also in der Scharte zum Hauptgipfel angelangt. Nach ein paar einfachen Metern geradeaus über den Grat ging ich den letzten Aufschwung frontal an. Trotz der Brüchigkeit ließ sich das wieder einigermaßen gut machen (II) und erreichte etwa um 12 Uhr 45 den höchsten Punkt der Punta di Pietra Rossa. Das Mysterium war gelöst und natürlich freute ich mich über den Erfolg. Dennoch war ich etwas enttäuscht, ich hatte mehr Kletterei und deutlich weniger Bruch erwartet...

Im Abstieg nahm ich die gleiche Route, wobei die Schlüsselstelle auf dem Rückweg deutlich einfacher war. Ich krabbelte ohne Probleme über die Platte zurück nach oben. (Trotzdem habe ich für den südseitigen Abstieg vom Vorgipfel ein WS+ vergeben, da man die Stelle ja in beide Richtungen bewältigen muss.)
In der Nachmittagshitze kämpften Marie und ich uns schließlich zurück über den Höhenweg zum Lago Nero, inklusive Gegenanstieg. Leider wurden gerade die Kühe über den Wanderweg zurück zur Alm getrieben, wir mussten also große Teile des Wegs durch die Wiesen laufen, was nochmal etwas anstrengender war. Um ca. 17 Uhr erreichten wir endlich das rettende Auto mit seiner Klimaanlage...

Bemerkungen:
Ausrüstung: Helm!!! Alles andere macht auf großen Teilen der Tour wenig Sinn, da man mit einem Seil Unmengen Schutt lösen würde. Nur am weißen Gratabschnitt und an der Schlüsselstelle könnte man ein Seil überhaupt sinnvoll verwenden.

Route: Bis zum Plateau erscheint mir die Route recht eindeutig, auf dem letzten Stück habe ich sie so gewählt, weil ich dort gut zurechtgekommen bin. Das ist aber keinesfalls ein objektives Kriterium. Wer besser mit Platten zurechtkommt als ich, der kann sich durchaus an einer Umgehung der Schlüsselstelle durch die Ostflanke versuchen. Weiterhin gehe ich davon aus, dass es möglich ist, den kompletten Grat ab dem Plateau durch die bröckelige Westflanke zu umgehen und direkt die Scharte zwischen den beiden Gipfeln anzusteuern. Das wäre natürlich übelste Schuttwühlerei in nicht ungefährlichem Gelände, aber eventuell viel einfacher als der Grat. Erfahrenen Kletterern würde ich natürlich immer den Grat empfehlen!

Die Punta di Pietra Rossa war Gipfel Nr. 135 / 163 meines großen Projekts "Alle 3000er der Ostalpen mit mindestens 400m Schartenhöhe". Mehr Infos auf meiner Homepage.

Tourengänger: Cubemaster


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Kommentare (2)


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ADI hat gesagt:
Gesendet am 16. September 2017 um 11:26
Spezialtour.....klasse!
Kennt kein Mensch.......
Ist ne wunderschöne Ecke dort unten......
Werde mich auch mal umschauen müssen dort.....

Beste Grüße!

ADI

Cubemaster hat gesagt: RE:
Gesendet am 18. September 2017 um 14:04
Ja, so unbekannte Touren sind einfach super, aber du hast da ja selbst einige Erfahrung... Man muss es halt mögen, dass die Zustiege weglos und beschwerlich sind und dass man nicht nur perfektes Klettergestein vorfindet. Dafür hat man aber ein echtes Bergerlebnis ohne Massentourismus!

Die Gegend um Ponte di Legno war wirklich toll. Zwischen Ortler und Adamello gibt es sicherlich noch einige sehr unbekannte Landschaftsjuwelen zu entdecken. Eine absolut einsame Top-Tour habe ich übrigens von dort aus noch in der südlichen Bernina gemacht. Sobald mein Upload-Limit wieder zurückgesetzt wird, lade ich den Bericht hoch...


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