Im Vallone Trecc


Publiziert von mong , 16. März 2017 um 00:54.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Locarnese
Tour Datum:26 Juli 2010
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Madöm Gross 
Aufstieg: 460 m
Abstieg: 460 m
Strecke:Von Secada (Val Vegorness) in Richtung der Alpe di Trecc
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit dem Postauto von Locarno bis Sonogno
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Mit dem Postauto von Sonogno bis Locarno
Kartennummer:1272 Pizzo Campo Tencia

"Was will ich eigentlich in diesem Tal?", fragte ich mich selber, als ich, von Secada im Val Vegorness her kommend, in das wilde und vergessene Vallone Trecc hineinstieg.

"Nichts!", antwortete ich mir selber.

Ich war mit meiner Antwort zufrieden.

Das Thema war erledigt.

Und darum stieg ich weiter hinauf und hinein in dieses Tal der Hungeralpen.

Auf der Landeskarte hat dieses Tal nicht einmal einen Namen. Auch der Talbach und seine vielen Nebenbäche haben keine Namen. Und der einzige Ort in diesem Tal, der auf der Landeskarte mit einem Namen eingezeichnet ist, heisst Alpe di Trecc

Ich vermute darum, dass Giuseppe Brenna, der Poet unter den Clubführer-Autoren, aus diesem Grunde in seinem Clubführer Tessiner Alpen 2, Seite 381, dieses vergessene Tal ohne Namen kurzerhand Valle dell'Alpe di Trecc nennt, auf Deutsch: Tal der Alpe di Trecc.

Aber weil ich später einmal, als ich in der Gegend war, per Zufall mitkriegte, dass die Einheimischen vom Vallone Trecc sprechen, wenn sie von diesem Tal reden, nenne ich dieses Tal ebenfalls Vallone Trecc, wie die Einheimischen. Vallone Trecc tönt ausserdem um Einiges eleganter als Tal der Alpe di Trecc, oder etwa nicht?

Den Talabschluss des Vallone Trecc bildet der Grat, auf dem die Bocchetta di Cramosino den Übergang zwischen dem Val Vegorness und dem Val Cramosino ermöglicht. Der Grat verbindet den Gipfel des Pizzo di Mezzodì mit dem Gipfel der Madame Gröss....sorry....ich wollte natürlich sagen: ...des Madom Gröss

Vom Madom Gröss und der Bocchetta di Cramosino und dem Pizzo di Mezzodì stürzt sich das Vallone Trecc zirka 1700m hinab bis in den Talgrund bei Secada im Val Vegorness. (Ob ein Tal überhaupt fähig ist, sich selber bis in den Talgrund hinabzustürzen, weiss ich zwar nicht. Aber es tönt gut, und die Felsbrocken und überhaupt die Steine und im Winter die Lawinen stürzen sich in diesem Tal oft ins Tal hinunter. Also kommt mir nicht damit, dass ich es mit den Worten nicht so genau nehme!) (Ein bisschen stimmt es zwar schon, was ihr mir da vorwerft, aber sind denn Worte überhaupt genau?) (Eben nicht.) (Und eigentlich kann jeder die Worte so benutzen, wie er will.) (Finde ich.)

Wie bin ich bis Secada im Val Vegorness gekommen, wo der Einstieg ins Vallone Trecc beginnt?

Mit dem Postauto war ich von Locarno ins Valle Verzasca hinein bis zur Endstation in Sonogno gefahren.

In Sonogno teilt sich (oder vergabelt sich) das Valle Verzasca in die zwei Täler Val Redòrta und Val Vegorness. Welches der beiden Täler das Val Redòrta ist und welches das Val Vegorness, das wusste ich von früher (ich war ja nicht zum ersten Mal in der Gegend).

Weil ich nicht ins Val Redòrta wollte, sondern ins Val Vegorness, wanderte ich dann zu Fuss ...sorry....wanderte ich ins Val Vegorness hinein, zirka ungefähr ganz genau etwas mehr als eine halbe Stunde lang, auf einer nicht allzu breiten Strasse (ich glaube sie war asphaltiert), auf der es praktisch keinen Verkehr gab, weil der Verkehr durch ein Fahrverbot verboten war (vielleicht ist der Verkehr auf dieser Strasse auch heute noch verboten) (ich denke schon) (bin aber nicht sicher).

So, und jetzt bin ich in Secada. Das heisst, eigentlich bin ich ja vor meinem Computer, aber ihr wisst schon was ich meine. 

Ja, und von Secada aus steige ich fast senkrecht in eine Rinne und dann in eine fast senkrechte Geröllhalde hinein, die mindestesns T7 oder T8 oder T9 ist, bis es nicht mehr weitergeht und dann nach rechts unter einem kosmischen Felsen entlang und dann in einen kosmischen Wald hinein und dann geht es auf einmal nicht mehr weiter, weil da ein wilder und tiefer und kosmischer Schlund versucht, mich zuerst zu  schockieren und dann zu stoppen, was ihm auch - alpintechnich gesehen - ohne Problem gelingt.

Aber weil ich in meinem Leben schon dem Teufel in Person begegnet bin, kümmert mich dieser Schlund nicht im Geringsten, und darum wandere ich an der Kante dieses arroganten, aufgeplusterten  Schlunds entlang einfach weiter hinauf und weiter ins Tal hinein und...ach... ich mag eigentlich gar nicht weiter erzählen.

Wegbeschreibungen sind sowieso nicht unbedingt meine Stärke.

Aber okay, ihr habt natürlich recht. Irgendwie muss man ja irgendwie beschreiben,
wie man wo und wohin gewandert ist. Hikr ist ja ein Wanderportal und nicht ein anderes Portal.

Also beschreibe ich weiter:

Irgendwann nach zwei Stunden oder so komme ich zu einer prekären Steintreppe, deren Stufen wackeln, und auf der obersten Stufe kippe ich fast um und wenn ich echt gekippt wäre, dann wäre ich kerzengerade in den Schlund des Vallone Trecc hineingefallen und hundertprozentig tot gewesen, sobald ich unten am Schlund angekommen wäre.

Und dann passierte etwas.

Plötzlich hatte ich das Gefühl, ich sei ganz allein. Okay, das stimmt nicht ganz. Ich wollte sagen, ich sei ganz allein mit dem Vallone Trecc (zusammen).

Alles ausser dem Vallone Trecc und mir ist verschwunden. Radikal vernichtet. Sonogno gibt es nicht mehr, den Tessin auch nicht mehr und die ganze Welt auch nicht mehr. Es gibt nur noch das Vallone Trecc und mich.

Was passiert, wenn ich mich jetzt verirre? Kann ich der REGA telefonieren?

Nein.

Warum nicht? Weil es im Vallone Trecc keine REGA gibt. Die REGA ist in ZÜRICH. 

Aber Zürich gibt es nicht mehr.

Wenn es nur noch mich und das Vallone Trecc gibt, dann kann ich, falls ich in Schwierigkeiten bin, nur noch in unser Paralleluniversum telefonieren und fragen, ob die Parallel-REGA mich holen könne.

Aber jetzt kommt das Problem. Wie kann ich den REGA-Leuten im Paralleluniversum erklären, wo ich mich befinde, wenn es nur noch das Vallone Trecc und mich gibt? 

Die Leute der REGA im Paralleluniversum werden mich fragen, wo ich bin. Aber wie soll ich ihnen das erklären? Ausser mir und dem Vallone Trecc gibt es ja nichts mehr im Kosmos. Das Vallone Trecc und ich schweben ganz allein im unendlichen, leeren Raum herum.

Das Vallone Trecc und ich haben zu niemandem mehr Kontakt (ausser zur REGA  im Paralleluniversum). 

Wenn es keine Koordinaten gibt, dann gibt es auch keinen Ort. Logisch, oder nicht?

Wenn es nur noch das Vallone Trecc und mich gibt, und sonst nichts mehr,
dann bin ich nirgendwo, und das Vallone Trecc ist ebenfalls nirgendwo.

Darum werden mir die REGA-Leute im Paralleluniversum erklären, dass es für sie keinen Sinn macht, mich und das Vallone Trecc zu suchen, weil das etwa so ähnlich wäre, also ob sie eine Nadel in einem Heuhaufen suchen müssten.

Inzwischen bin ich - zwischen meinen Grübeleien -  am Ende einer Tessiner Steintreppe angelangt, wo ich nicht mehr weiterkomme, weil dort alles so elend steil ist, und da hat es einen Felsblock, der mir den Weg versperrt, und weil ich weder Stock noch Pickel noch Steigeisen noch Mikrospikes mitgenommen habe, fange ich an, nachzudenken.

Und nachdem ich nachgedacht habe, kehre ich um, das Herz in der Hose, und weiss bis heute nicht, ob ich mich damals richtig entschieden habe oder nicht.

Seit ich denken kann, bin ich eine Leseratte. Aber ich lese nicht das, was man Literatur nennt. Aber wenn ich an diese Wanderung denke, dann kommt mir immer B.Traven und sein "Der Schatz der Sierra Madre" in den Sinn. Goldschürfer schuften lange nach Gold, und dann ist auf einmal alles vergebens, weil ein paar doofe Nichtsnutze ihnen in einem unbedarften Augenblick alles wegnehmen. 

Genau so ist es mir ergangen. Ich wollte auf die Alpe di Trecc, aber ein doofer Nichtsnutz von einem Stein (oder Felsblock) hat mich daran gehindert.

Cheerio
Jerry

Tourengänger: mong


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Kommentare (6)


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danicomo hat gesagt:
Gesendet am 16. März 2017 um 12:20
As others trips of yours....
...fool and beautiful !!!
Daniele

mong hat gesagt: RE:
Gesendet am 16. März 2017 um 22:51
Thanks a lot, danicomo

It's always an honour to get a feedback from you.

UweBerg hat gesagt: lesenswert
Gesendet am 16. März 2017 um 18:13
Lustig und informativ zugleich. - Für meinen Geschmack, wie Stanislav Lemms Figur Ion Tichy in grüblerisch komischen Situationen. Schön!

mong hat gesagt: RE:lesenswert
Gesendet am 16. März 2017 um 22:57
Danke, UweBerg

Stanisław Lem habe ich zwar nicht gelesen. Aber ich habe einen Kumpel gehabt, der hat sehr viel von ihm gelesen. Und nachdem er wieder ein Buch von Lem gelesen hatte, hat mein Kumpel immer so komische Sachen gesagt, die ich nur so halb verstanden habe. Ich dachte dann immer, ich müsse diesen Lem unbedingt auch lesen. Leider bin ich bis heute noch nicht dazu gekommen. :-)

DiAmanditi hat gesagt:
Gesendet am 19. März 2017 um 12:23
Toller und interessanter Bericht, wie immer!

Diese Tessiner Täler sind aber auch wirklich interessant, was man da alles erleben kann...

Gruß,
Arne

mong hat gesagt: RE:
Gesendet am 19. März 2017 um 19:45
Ich sage es mal so: Ohne den Tessin wäre die Schweiz nur halb so wild :-)

LG Jerry


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