I Rodond - Moderne Gräber und alte Wildnis


Publiziert von dyanarka , 16. Dezember 2015 um 07:45.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Misox
Tour Datum:15 Dezember 2015
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS-
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Gruppo Zapporthorn 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 1200 m
Abstieg: 1200 m
Strecke:San Bernardino - Alp de Confin- I Rodond
Unterkunftmöglichkeiten:San Bernardino

Die unfassbar lange Trockenphase der letzten Wochen eröffnet dieses Jahr auch Mitte Dezember leichte Zustiege auf höhere Berge der Südalpenregion, wie es wohl nur selten geschieht. So war ich drei Mal ab Anfang November auf dem Piz Claro ohne Schnee auch nur zu berühren.

Gestern endlich mal der I Rodond, der schon lang auf meiner Tourenliste steht. Mit Minimalstausrüstung (Baumarkt-Spikes statt Steigeisen) und wenig Kleidung (kein Wind, 8 Grad um 12 Uhr) schnörkelte ich bei völliger Stille entlang der mächtigen Südwand des Piz de Confin und suchte mir den Aufstieg zum Gipfelgrat intuitiv, da es ganz ohne Schnee sowieso nicht machbar war.

Der I Rodond ist einer der typischen "Tur-Tur-Berge": Von der Ferne aus betrachtet erscheint der Zustieg gefährlich steil und abgründig, steht man kurz davor, ist alles machbar und erzeugt nur wenig Herzklopfen - Der Riese schrumpft bei Nähe (man erinnere sich an Tur-Tur aus dem berühmten Kinderbuch von Michael Ende).

Resümee: Eine eindrückliche Tour entlang der "Tourismus-Industrie-Ruinen" des seit Jahren unbenutzten San-Bernardino-Skigebietes. Wie neu glänzende Stahlgerüste inmitten einer stillen Wildnis, die all die kleinen menschlichen Auswüchse überdauern und zerlächeln wird ...

Für alle Kenner des Gebietes, hier eine Frage: Ich sah bei der Alp de Confin eine blau-weisse Route ohne Schilder Richtung Piz de Mucia abzweigen. Geht das wirklich dorthin? Wer ist das schon mal gelaufen?

Tourengänger: dyanarka


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen

WS+
4 Dez 19
I Rodond pow morning 2 · marc73
T3+
3 Jul 22
I Rodond 2830mt · giorgio59m (Girovagando)
T6 ZS- IV
17 Jul 23
Adula+ · tricky
T4-
16 Jul 19
I Rodond · Califfo
T2
12 Jun 11
Pass di Passit e Alp da Confin · peter86
T4
28 Jul 10
Pass de Omenit · calendula

Kommentare (6)


Kommentar hinzufügen

Zaza hat gesagt:
Gesendet am 16. Dezember 2015 um 21:40
Die blau-weisse Markierung geht zum Cantun de l'Ungheres, vgl. z.B. hier. Die Markierung wurde, wie so viele blau-weisse im oberen Misox, vermutlich von den Leuten vom GPS delle Cime angebracht.

LG, zaza

dyanarka hat gesagt: RE:
Gesendet am 17. Dezember 2015 um 05:12
Hallo Zaza! Ja, danke für Deine Antwort! Googelte natürlich sofort nach Einträgen zum "Cantun de l'Ungheres" und fand Spannendes:

Einmal diesen Kurzbericht des "Südalpen-Giganten" Frank Seeger (:www.gipfelbuch.ch/gipfelbuch/detail/id/9954/archiv/3.
Offenbar gibt es eine Südroute auf den Piz Mucia. Es hat auf der Seite ein Bild des Steilanstieges (WS/III).

Und dann dies: Der Richtplan aus dem Jahr 1994 für das Skigebiet San Bernadino. Ein Zitat: "...Im Bereich "Cantun de l'Ungheres" ist die Erstellung einer neuen
Touristischen Transportanlage als Beschäftigungsanlage (Koordinationsstand Festsetzung) vorgesehen."
Zudem palnate man eine Anschlusserweiterung im Bereich Alp de Mucia.

Und heute? Traurig ...soviele Idee, soviel Geld, soviele Träume. Und alles steht still. Das Skifahrer-Herz weint, das Naturburschen-Herz jubelt.

Jetzt fehlt nur noch eine Aufklärung des grössten Rätsels: Warum heisst die Grat-Zone übersetzt "Ungarischer Kanton/ Kanton der Ungarn" ?
Da steckt entweder ein lokaler Scherz oder eine historisch interessante Begebenheit dahinter. Bei meinem nächsten Besuch befrage ich mal einen alten Einheimischen.
Also: Fortsetzung folgt!


dyanarka hat gesagt: Nachtrag zum Cantun de l'Ungeheres
Gesendet am 17. Dezember 2015 um 06:26
Weltmaschine Google spuckte einiges aus zu den Zusammenhängen zwischen Ungarn und dem Misox. Offenbar kam das Geklüngel all der Grafschaften, Fürstentümer etc. im Spätmittelalter unter-, mit-, und gegeneinander schon dem recht nahe, was man heute "Globalisierung" nennt. Hier einige Zitate aus Texten im World Wide Web, die zeigen, das Ungarn vom Skigebiet San Bernardino gar nicht so weit weg liegt, man muss nur "offensiv genug" denken

" ...Während Jahrhunderten belieferte die Lombardei das heutige schweiz. Gebiet, besonders das Tessin, Graubünden und das Wallis, mit wichtigen Nahrungsmitteln wie Getreide, Wein und Salz. Auf der anderen Seite nahmen die lombard. Städte und das Land einen grossen Teil der Ausfuhr der eidg. Orte auf: Vieh und Käse aus der Innerschweiz und Graubünden, Holz aus den Tälern der ital. Schweiz. Mit anderen Gebieten der ital. Halbinsel war die L. zudem bis weit ins 19. Jh. Ziel einer meist saisonalen Auswanderung von Cafetiers, Trägern, Hafnern, Kaminfegern, Maurern, Kunsthandwerkern und Baumeistern aus dem schweiz. Alpenraum

1402 eroberten Johann (Anm.:von Sax-Misox) und sein Bruder Albert (1390–1406) die mailändische Festung Bellinzona und besetzten auch das Bleniotal. In Gorduno, Bogiano und Roveredo errichteten sie Burgen zur Sicherung ihrer Eroberungen. Als 1407 die Urner mit ihren Verbündeten gegen Mailand vorrückten, mussten die Brüder in ein Burgrecht mit ihnen treten und den Durchmarsch erlauben. Im August 1413 unterstützen die Sax-Misox den deutschen König Sigismund bei seinem Zug gegen Mailand und erhielten dafür vermutlich den Grafentitel und das Münzregal zugestanden.

König Sigismund von Luxemburg:
Er war Kurfürst von Brandenburg von 1378 bis 1388 und von 1411 bis 1415, König von Ungarn und Kroatien seit 1387 (siehe dazu Kroatien in Personalunion mit Ungarn) ..."

Die Bezeichnung "Cantun de l'Ungheres" scheint also meines Erachtens im Zusammenhang mit dem Fürstenhaus von Sax-Misox zu stehen.
Fortsetzung folgt ....


Zaza hat gesagt:
Gesendet am 17. Dezember 2015 um 08:02
Cantun bedeutet so etwas wie Ort, Platz. Im alten Bündnerführer ist der Übergang als „Passo del Ungerese“ bezeichnet.

Ich sehe drei mögliche Deutungen:

-) In der Gegend hat sich wirklich mal ein Ungar herumgetrieben. Das kann auch aus der Zeit der mittelalterlichen Kriege her kommen, als allerhand Truppen durch Mitteleuropa zogen (so haben ja scheinbar seinerzeit die Erstbesteiger des Rheinquellhorns auf dem Gipfel das Gerippe eines spanischen Soldaten gefunden).
-) Der Name bedeutet eigentlich was anderes, aber auf den Karten wurde irgendwann versehentlich „Ungarese“ daraus.
-) Eine hübsche Interpretation für kuriose Flurnamen hat auch PStraub in seinem Glarner Führer vorgelegt: Vielleicht waren früher die Älpler genervt über die zahlreichen Fragen der ersten Topografen und haben ihnen dann und wann irgendwelche Fantasienamen angegeben ;-)

LG, zaza


dyanarka hat gesagt: RE:
Gesendet am 17. Dezember 2015 um 12:49
Wow! Danke für die Hinweise! Die Idee von Herrn Straub ist lustig, kurios, aber irgendwie einleuchtend.
Manchmal entstehen Flur-Namen aus für Aussenstehende erstaunlichen Gründen. Wer wird in hundert Jahren z.B. noch wissen, dass der "Piz Vinokurov" bei Samnaun seinen Namen von einem Radrennfahrer der Moderne hat - und nicht von einem alten russischen Feldherren.

Zaza hat gesagt: RE:
Gesendet am 18. Dezember 2015 um 18:18
PS: Wenn du ein besonderes Interesse fürs obere Misox hast, ist dieses schöne Buch sehr zu empfehlen.

LG, zaza


Kommentar hinzufügen»