Die Ruinen von Nocengo


Publiziert von mong , 25. Mai 2015 um 21:21.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Bellinzonese
Tour Datum: 2 November 2013
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Madöm Gross 
Zeitbedarf: 2:30
Aufstieg: 167 m
Abstieg: 167 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Postauto: Faido Stazione ➙ Lavorgo (umsteigen) ➙ Chironico ➙ Grumo
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Postauto: Grumo ➙ Chironico ➙ Lavorgo (umsteigen) ➙ Faido Stazione
Kartennummer:1273 Biasca

Die Ruinen von Nocengo befinden sich an der orographisch rechten Talflanke des Valle d'Usèdi, mitten im Wald.

Das Valle d'Usèdi ist ein Seitental der Leventina.

Die Leventina ist jenes Tal, das sich vom Südende des Passo del San Gottardo bis nach Biasca erstreckt.
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Diese drei Sätze habe ich, ein wenig abgeändert, dem Internet entnommen. Die beiden ersten einleitenden Sätze stammen fast wortwörtlich aus einem guten Bericht über das Valle d'Usèdi. Hier der Link: alpi-ticinesi.ch/ticino/valli/usedi.html
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Der Weg durch den Wald zu den Ruinen von Nocengo ist verschwunden, aber die Reste von Wegspuren sind stellenweise noch zu sehen, oder besser gesagt: zu spüren. Trotzdem sind die Ruinen von Nocengo nicht schwer zu finden. Sie sind auf der Landeskarte (LK 1273 Biasca) eingetragen. Der Name Nocengo ist auf der Landeskarte ebenfalls eingetragen. Und die weglose Strecke, die vom Weg nach Pern in den Wald hinein abzweigt, ist nur kurz - auch das kann man auf der Landeskarte sehen. 


Wegbeschreibung

Die Fahrerin des Postautos bringt mich von Lavorgo (Valle Leventina) bis zur Haltestelle Chironico, Grumo.

Grumo (813m) ist ein Weiler, der ungefähr einen halben Kilometer weiter südlich von Chironico liegt. Von Grumo als Ausgangspunkt laufe ich der asphaltierten Fahrstrasse entlang an Segn und Arla vorbei. Nach ungefähr einem Kilometer, bei einer Kurve, führt eine Brücke über den Ri del Cascinello, den Talbach des Valle d'Usèdi.

Gleich nach der Brücke führt ein schwach ansteigender Pfad in den Wald hinauf, und schon nach 100m komme ich zu einer Steinhütte (P. 799). Bei der Steinhütte hat es einen Wegweiser, den man nicht übersehen kann (weil er so gross ist), mit der Aufschrift Pern. Hier beginnt der Aufstieg über einen gut erkennbaren Weg. Wenn man aber diesem Weg gedankenlos folgt (so wie ich das früher auch schon einmal gemacht habe), dann wird man schon bald ins Valle d'Usèdi hinein laufen und zum Ri del Cascinello kommen.

Der Ri del Cascinello ist zwar ohne Zweifel ein schöner Talbach, aber wir wollen ja nicht zum Ri del Cascinello, sondern zu den Ruinen von Nocengo.

Darum gebe ich einen Tipp (gratis und franko): Bevor der geschätzte Wanderer und Vagabund oder die ebenfalls geschätzte Wanderin und Vagabundin gedankenlos zum Ri del Cascinello hinunter latschen (wie mir das selber  auch schon passiert ist), sollten sie die Abzweigung des Pfades nach links hinauf, in Richtung Pern, nicht verpassen.

Und damit der geschätzte Wanderer oder Vagabund und die geschätzte Wanderin oder Vagabundin diese wichtige Abzweigung auf keinen Fall verpassen, gebe ich - weil ich im Moment guter Laune bin - einen weiteren nützlichen Hinweis:

Die Abzweigung in Richtung Pern erkennt man daran, dass es auf der linken Seite des Pfades zwei markante Baumstrünke (zwei Baumstrunks) hat, deren Wurzeln sich in einer innigen Umarmung aneinander und in einem verliebten Durcheinander ineinander ganz fest festhalten.

Diesem Pfad in Richtung Pern folgen wir nun bis auf eine Höhe von ungefähr 980m. Dort drehen wir abrupt ab - nach rechts in den Wald hinein.

Ja. So ist das. Und wenn man dann im Wald ist, dann muss man einfach ein wenig suchen, bis man die Ruinen von Nocengo findet. Und wenn man dann aufgehört hat zu suchen, wird man die Ruinen von Nocengo finden - vorher nicht.

Denn wer sucht, findet nicht.

Nur wer findet, findet.

Das ist halt so. Kann ich auch nichts dafür.

Falls aber der geschätzte Vagabund oder Wanderer und die geschätzte Vagabundin oder Wanderin nach einer halben Stunde des Umherstreifens und Umherwanderns und Umherirrens im Wald bei Nocengo die Ruinen von Nocengo immer noch nicht gefunden haben, dann können sie getrost davon ausgehen, dass sie sich im Wald bei Nocengo verirrt haben - so ähnlich wie Hänsel und Gretel im Märchen der Gebrüder Grimm.

Wer sich also im Wald bei Nocengo verirrt hat und lieber nicht in die Lage kommen will, eine böse Hexe in einem Knusperhäuschen in einen heissen Ofen zu schieben, um nicht selber in einen heissen Ofen geschoben zu werden, der sollte vielleicht besser umkehren und die Suche nach den Ruinen von Nocengo auf einen anderen Tag verschieben. 
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Uff. Gottlob. Die Wegbeschreibung ist fertig. Für mich ist die Wegbeschreibung immer der schwierigste Teil eines Berichts. Warum? Weil ich in einer Wegbeschreibung keinen Unsinn erzählen darf.

Aber jetzt wird es leichter für mich. Denn jetzt komme ich zum Thema:

Ich weiss nicht mehr, wann das war. Aber als ich damals zum ersten Mal die Ruinen von Nocengo durch die Bäume schimmern sah, hatte ich das Gefühl, auf etwas ganz Besonderes und Ausserordentliches gestossen zu sein.

Alles war ruhig, und weil alles um mich herum ruhig war, wurde ich selber auch ganz ruhig. Und auch die Ruinen von Nocengo ruinierten ganz still und ruhig vor sich hin.  

Ich wollte nicht in die Vergangenheit von anderen Leuten hinein platzen und hinein trampeln wie ein ungehobelter Mensch oder wie ein Trampeltier. Die Ruinen von Nocengo waren früher Cascine (Cascina = Stall, Gaden, auch Bauernhof u.a.). Geschickte Hände und starke Arme hatten diese Mauern hochgezogen.

Darum schlich ich erst einmal vorsichtig um die Ruinen herum, um zu sehen, was es zu sehen gab, und um zu denken, was es mir möglich war zu denken. Und das Folgende ist das, was ich dachte und sah:

Obwohl die Ruinen von Nocengo kaum je Besuch von Wanderern bekommen, hatte ich den Eindruck, dass sich diese Ruinen um nichts und um niemanden kümmerten. Vor allem auch nicht um mich, den unerwarteten Besuch aus einer anderen Welt.

Die Ruinen von Nocengo leben in einer Parallelwelt. Sie brauchen nichts. Sie brauchen weder mein Mitleid, noch meine Gefühle, noch meine Gedanken. Auch meine Gedanken über Ruinen brauchen sie nicht. Und auch meine Begeisterung ist ihnen egal. 

Je nach Sonnenlicht oder Wetter oder Jahreszeit fabrizieren und produzieren, kreieren und gestalten, entwickeln, formen und modellieren die Ruinen von Nocengo die aberwitzigsten und die schönsten und die irrsten Farben und die unglaublichsten Schattenformen.

Dabei kümmern sich die Ruinen von Nocengo überhaupt nicht darum, ob irgendjemand mitbekommt, was für ästhetische Meisterleistungen und Meisterwerke sie jeden Tag und jede Nacht vollbringen. Wenn jemand zuschaut, wie ich zum Beispiel im Moment - okay, das ist super. Wenn niemand zuschaut - das ist ebenfalls okay, und ebenfalls super.

Den Ruinen von Nocengo ist es egal, dass sie Ruinen sind.

Jeden Tag und jede Nacht gibt es in Nocengo eine andere, eine neue, die allerneueste ROVINA'S BIG SHOW !!! (Rovina = Ruine).

Und für wen machen sie diese BIG SHOW, die Ruinen? Und wozu? Und warum?

Ich habe keine Ahnung.  Aber vielleicht machen sie das für uns alle zusammen und gleichzeitig für jeden Einzelnen von uns und ebenfalls gleichzeitig für Nichts und für Keine und für Keinen und vor allem für Niemanden.

Die Ruinen von Nocengo:
Das ist die pure, die reine, die absolute Energie.

Die Ruinen von Nocengo
Grosszügig und verschwenderisch.

Die Ruinen von Nocengo
Verschwenderisch bis zu ihrem verschwenderischen Ende in der Verschwindung.

Die Energie der Ruinen von Nocengo strahlt jede Nacht bis in die tiefsten Tiefen des Universums. Und jeden Morgen kehrt diese ruinöse, verschwenderische Energie der Ruinen wieder zurück nach Nocengo. Beladen mit den neuesten nächtlichen kosmischen Erfahrungen aus den universellen Tiefen des Kosmos.

Und die Ruinen von Nocengo tun jeden neuen Morgen von Neuem so, als wäre in der Nacht nichts gewesen und nichts vorgefallen und nichts passiert. 

Ruhig sind die Ruinen, still, und zufrieden. In sich selber ruhend. In sich selber versunken.


Der Eintritt zu den Ruinen von Nocengo ist gratis.

Jedefrau und Jedermann sind herzlich willkommen.

Öffnungszeiten: 365 Tage im Jahr 
Mo - Do: Tag und Nacht offen
Fr  -  So: Tag und Nacht offen






Tourengänger: mong
Communities: Ticino Selvaggio


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