Gemsfairenstock 2972 m auf die leichte Tour


Publiziert von Fico , 13. August 2013 um 23:22.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:11 August 2013
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GL   CH-UR   Claridengruppe 
Zeitbedarf: 5:30
Aufstieg: 950 m
Abstieg: 950 m
Strecke:Fisetenpass - Ober Orthalten - Rund Loch - Ober Sulzbalm - Gemsfairenjoch - Gemsfairenstock und gleiche Strecke zurück (10 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Linthal, Postauto bis Urnerboden Dorf: [www.fahrplanfelder.ch/fileadmin/fap_pdf_fields/2013/60.409.p...], Seilbahn auf den Fisetengrat: www.urnerboden.ch/sites/seilbahn_d.php
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Gleich wie zum Ausgangspunkt.
Unterkunftmöglichkeiten:Gasthaus Urnerboden www.gasthaus-urnerboden.ch/
Kartennummer:1193 (Tödi)

Früher war der Gemsfairenstock eine Hochtour mit allem Drum und Dran. „Leichte Gletschertour – also mit Bedacht und Pickel zu nehmen“, stand beispielsweise im legendären Sammelband „Zürcher Hausberge“ (5. Auflage, 1979). Seither ist viel Wasser die Gletscherbäche hinuntergeflossen. Und aus der Not (der Gletscher) hat der Wanderer gewissermassen eine Tugend gemacht: Inzwischen kann der Gemsfairenstock auch ohne Pickel und Seil gefahrlos bestiegen werden.
 
Heute ist der Gemsfairenstock eine verhältnismässig leichte Alpinwanderung, nicht viel schwieriger als beispielsweise der Säntis. Nur Markierungen und Drahtseilsicherungen sind keine vorhanden. Mit rund 950 Höhenmetern und einer Gehzeit von etwa 5 ½ Stunden – wenn man vom Urnerboden auf den Fisetenpass die Seilbahn nimmt – ist die Tour nicht allzu anstrengend und kann problemlos an einem Tag gemacht werden. Wesentlich genussvoller ist es allerdings, bereits am Vorabend mit dem letzten Postauto anzureisen und auf dem Urnerboden zu übernachten.
 
Früher hätte ich die Tour so geplant, dass ich frühmorgens mit dem Auto angereist wäre, um möglichst die erste Seilbahn zu nehmen. Heute nehme ich alles viel gelassener. Die Vorbereitung und die Anreise sollen genauso ein Genuss sein wie die Tour selbst (und zu guter Letzt, wieder zu Hause, schreibend und beim Betrachten der Fotos, geniesse ich das Erlebte nochmals). Möglicherweise hängt das mit meinem Alter zusammen, das vor ein paar Jahren den Zenit des Lebens überschritten hat. Nun, wenn das Älterwerden einzig darin besteht, die Zeit mit allen Sinnen zu geniessen, dann ist es schön, alt zu werden.
 
Am Samstagabend um halbsechs bin ich mit dem Postauto auf dem Urnerboden angekommen und habe im gleichnamigen Gasthof meine Unterkunft bezogen. Beim Abendessen geniesse ich den Blick auf die Jegerstöcke und den Schijen. Ab und zu schaut auch der Ortstock hinter den Wolken hervor. Als Verdauungsspaziergang und zur Akklimatisation wandere ich anschliessend auf dem Bergweg zur Alp Zingel. Dort bekomme ich zum Dessert vom Alphirten ein Glas frische Milch. Der Weg ist ziemlich steil und – vor allem im Abstieg – streckenweise etwas rau. Beim Einbruch der Dunkelheit lege ich mich schlafen, voller Vorfreude auf den nächsten Tag.
 
Ganz so wolkenlos wie erhofft ist der Himmel am Sonntagmorgen nicht. Die Natur als Verhüllungskünstlerin ist wieder emsig am Werk. Der Ortstock ist noch weniger gut zu sehen als am Vorabend. Vom Fistenpass (2036 m) aus verlässt man den Clariden-Höhenweg gleich nach dem ersten Gatter und geht zum Grat hinauf. Wer – wie ich – den Trampelpfad dem Zaun entlang übersieht und weglos über die Weide hochsteigt, kommt 100 m weiter oben ebenfalls wieder auf den richtigen Weg. Kaum bin ich oben auf dem Grat angekommen, glänzt der Clariden in seiner ganzen Pracht. Ein lang gehegter Wunsch, der vielleicht bald in Erfüllung gehen wird...
 
Der Weg steigt in den nordwestlich ausgerichteten Hängen von Ober Orthalten, die nach Südosten jäh abbrechen, sanft an. Bis zum Rund Loch (2287 m) ist es reines T2-Bergwandergelände. Weiterhin wenig steil führen die Wegspuren im zunehmend kargeren Gelände hinauf zur Hochebene von Ober Sulzbalm. Unzählige kleine Steinmannli weisen den Weg. Es hat so viele, dass man gar nicht alle anpeilen kann. Auch ohne sie könnte man kaum fehlgehen, wenn man die südwestliche Himmelsrichtung stets beibehält.
 
Auf die erste, ein wenig schwierigere Stelle (T4) trifft man beim Felsriegel auf etwa 2500 m Höhe, wo im steilen Gelände ein schmaler Pfad unter den Felsen hindurch führt. Bei einem weiss-rot-weissen Bergweg würde man hier vermutlich ein Drahtseil vorfinden. Nachher geht es weiter über Schutt und Geröll. Ein erstes, harmloses Schneefeld ist auf rund 2600 m Höhe zu überqueren. Auf der Landeskarte von 1979 war das Gebiet noch als Firn eingezeichnet. Die teilweise meterdicken Schneefelder werden dieses Jahr nicht mehr wegschmelzen. Dennoch ist es sehr fraglich, ob sie in absehbarer Zeit wieder zu Firn werden.
 
In der Nähe von P. 2750 kommt eine kleine, aber feine Kraxelstelle (I), die kaum Schwierigkeiten bereitet. Nachher geht es weiter über alten Moränenschutt zum Gemsfairenjoch (2848 m). Immer wieder hat es kleinere und grössere Schneefelder, denen man meistens auch ausweichen kann. Eines, das nur ganz kurz, dafür umso steiler ist (und nicht umgangen werden kann), überquere ich mit grossem Respekt.
 
Es ist nicht so, dass ich eine Schneephobie hätte. Doch bereits Schneefelder, auf denen jeder Wintersportler mit Vergnügen hinabsurfen würde, bereiten mir Kopfzerbrechen. Im Zweifelsfall mache ich lieber einen Umweg, als das Schneefeld zu überqueren. Der Fels hingegen ist mein Freund. An ihm kann ich mich festhalten. Oft ist es allerdings eine sehr brüchige Freundschaft, die vorher sorgfältig geprüft werden muss.
 
Am Grat auf dem Weg zum Gipfel kann man, wenn man will, nochmals ein wenig klettern oder die Felsen links umgehen und auf dem Schuttpfad hinaufsteigen. Ein Stück weiter oben stellt sich die Wahl zwischen Firnfeld und Felsgrat. Für mich keine schwierige Entscheidung. ;-) Insgesamt bewegt man sich ab dem Gemsfairenjoch mehrheitlich im T4-Gelände. Kurz vor dem Gipfel hat es einen markanten Grataufschwung, der links umgangen wird. Dann steht man ganz oben auf dem Gemsfairenstock (2972 m). Das Panorama ist überwältigend! Nicht nur wegen dem Tödi, mit dem man scheinbar auf Augenhöhe ist. Der Blick zum vergletscherten Claridenpass, all die schroffen Felsgipfel ringsum, all das ist von unglaublicher Schönheit.
 
Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich alleine einen fast 3000 Meter hohen Gipfel erreicht habe (auf dem Zermatter Breithorn (4164 m) war Jonas, der Bergführer dabei). An diesem schönen Augustsonntag ist ein solcher Gipfel natürlich gut besucht. Einige waren bereits auf dem Abstieg, als ich ihnen begegnet bin. Einer steht neben dem Gipfelkreuz, als ich ankomme. Für das Erinnerungsfoto knipsen wir uns gegenseitig. Dann treffen ganze Gruppen ein. Rund ein Dutzend Leute sind es, die um die Mittagszeit rasten und die Aussicht geniessen. Fast alle mit Blick nach Süden oder Westen. Von Osten her türmen sich mächtige Wolken auf und schieben sich vor die Berggipfel.
 
In der Annahme, das könnte bald auch hier der Fall sein, mache ich mich wieder auf den Weg. Der Abstieg auf dem Schuttpfad ist weniger rutschig als befürchtet, der Boden scheint dauerhaft gefroren zu sein. Wieder unten auf dem Gemsfairenjoch wäre ich gerne noch ein wenig Richtung Speichstock gegangen. Nur ein Stück weit, aus Neugierde, um zu schauen, wie der Grat aussieht. Doch bevor ich mein Vorhaben ausführen könnte, zieht vor meinen Augen die Natur buchstäblich den Vorhang zu. Ganz so als wollte sie ein Zeichen setzen: „Verschwinde, hier hast du nichts zu suchen!“ Dem Wink des Schicksals füge ich mich und nehme den weiteren Abstieg unter die Füsse.

Tourengänger: Fico
Communities: Alleingänge/Solo


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Kommentare (2)


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Felix hat gesagt:
Gesendet am 16. August 2013 um 09:12
schöner, "sympathisch" geschriebener und gestalteter Bericht - war uns für die gestrige Besteigung hilfreich!

lg, Felix

Krokus hat gesagt:
Gesendet am 19. August 2013 um 22:40
so ein schöner Tourenbericht! Vor allem der Satz" Wenn das Älterwerden darin besteht, die Zeit mit allen Sinnen zu geniessen, dann ist es schön, alt zu werden" ist so wunderschön.
Mach weiter so gemütlich
Krokus


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