Fählenschafberg (2104 m) via Borsthalden mit innovativem Abstieg


Publiziert von marmotta , 3. Juni 2012 um 01:55.

Region: Welt » Schweiz » Appenzell
Tour Datum: 2 Juni 2012
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-AI   Alpstein 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1320 m
Abstieg: 1270 m
Strecke:Wasserauen - Seealpsee - Meglisalp - Spitzigstein - Borsthalden - Schafbergsattel - P. 2094 - Fählenschafberg - Alp Fählen - Fählensee - Stiefel - Sämtis - Plattenbödeli - Brüeltobel - Brülisau
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Wasserauen
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Brülisau, Kastenbahn
Kartennummer:LK 1115 Säntis (1:25.000)

Steil, einsam, wild. Diese Attribute treffen auf den gesamten Abschnitt der mittleren Alpsteinkette zwischen Altmann und Hundstein zu. Hier lässt sich auch besonders schön beobachten, wie die tektonischen Kräfte einst den am Meeresboden abgelagerten (Schratten-)Kalk zu steilen Türmen und Platten aufgeworfen haben. Existierten früher von Älplern angelegte und begangene Pfade und sogar (markierte) Wanderwege (!) auf diesen aussichtsreichen Kamm hoch über der Fählenalp, ist er heutzutage für den "normalen" Wanderer nicht mehr zugänglich. Für den Alpinwanderer, der gerne weglos und steil unterwegs ist, bieten sich jedoch insgesamt 4 Zugänge zum Fälenschafberg an, dessen Gipfel für jeden geübten Wanderer leicht zu ersteigen ist. 3 dieser Zugänge waren mir bislang bekannt, namentlich das "Mörderwegli" mit Einstieg unmittelbar hinter der Fählenalp, die "Borsthaldenroute", durch die einst ein markierter Steig führte, und die Traverse der "Löchlibetter" unter den Nordwänden der Fälentürm, ausgehend vom Löchlibettersattel. Mein alter Säntisführer beschreibt zusätzlich eine Route, auf der man von der Alp Häderen die Kammhöhe des Fälenschafbergs über "steile Grashalden unter Benutzung eines Drahtseils" erreichen soll. Das wollte ich mal probieren, ausserdem hatte ich mit der Borsthalden"wand" noch eine Rechnung offen - zwar habe ich sie bereits 2 mal im Abstieg begangen, ein Aufstieg über diese vergessene Route stand aber noch aus. Das kommt nicht von ungefähr, nachdem ich einmal von der Route abgekommen und zusammen mit ossi und Berglurch in sehr heikles Gelände geraten war, hatte ich gehörigen Respekt - anders als bei reinen Kletterrouten halte ich hier nach wie vor den Aufstieg für deutlich anspruchsvoller als den Abstieg.
 
Etwas später als geplant startete ich vom Bahnhof Wasserauen (868 m) - und wunderte mich, weshalb trotz Wochenende ausser mir so gut wie niemand Richtung Seealpsee lief. Offenbar hat es sich noch nicht weit herumgesprochen, dass der Schnee nun endgültig den Rückzug angetreten hat und die schon fast legendäre Berggastronomie im Alpstein ihre Tore mit Beginn des Alpsommers wieder geöffnet hat.
 
Die Alpwiesen rund um den Seealpsee (1141 m) erstrahlen in einem Meer von blühenden Blumen, und so mutete es fast wie eine Begegnung der dritten Art an, als mir dort ein Skitourengänger auf dem Weg ins Tal entgegenkam. Ski und Schuhe an den Rucksack gebunden, wirkte er in diesem Moment wie ein Gestrandeter aus einer anderen Welt. Wenngleich es oberhalb des Berggasthauses Mesmer (1613 m) freilich noch ziemlich winterlich aussieht.
 
Nach gut 1 h hatte ich die kleine Kapelle vor der Meglisalp erreicht - der sich unter den feucht-kalten Wänden der Marwees-Nordabstürze immer lang haltende Schnee ist noch immer nicht ganz verschwunden, diese Passage ist (noch) mittels Fixseilen gesichert, was aber angesichts des guten Trittschnees kaum mehr nötig wäre.
 
Um mir den Umweg über die Meglisalp zu sparen, hielt ich bereits vor den ersten Häusern leicht aufsteigend Richtung Süden, hier waren die ersten harten Schneefelder zu queren. Bis auf eine Höhe von ca. 1700 m folgte ich noch grob der Wanderroute zum Widderalpsattel (die bereits gut begehbar ist), bevor ich mich zu einer Querung unter die ziemlich abweisend aussehenden Gras bzw- Schrofenflanke der Borsthalden entschloss. Die oben durch die Felswände des Fälenschafbergs abgeschlossene Flanke wird von mehreren tief eingeschnittenen Runsen durchzogen, die momentan noch alle mit Altschnee gefüllt sind. Die Hauptschwierigkeit -neben der Routenfindung im steilen, unübersichlichen Gelände- stellt momentan die Querung dieser Runsen dar. Bereits im Zustieg unter die sich wandartig aufsteilende Flanke mit den einzelnen Grasspornen musste ich mich konzentrieren, ein Ausrutscher würde bei dieser Steilheit wohl erst an den Hütten von Spitzigstein enden.
 
Die grasigen Sporne selbst sind eigentlich recht gut gestuft, allerdings ist die Steilheit teilweise so enorm, dass man sich regelrecht hinaufziehen muss - eine Hand an irgendwelchen Grasbüscheln oder Zwergsträuchern, mit der anderen den Pickel herzhaft ins schmierige Erdreich gerammt. Runterschauen sollte man besser nicht, braucht man aber auch nicht, schliesslich will man ja hinauf. :-)
 
Eine Schrecksekunde erlebte ich bereits kurz vor dem eigentlichen "Einstieg", als ich eine schmale, steile Schneezunge, die eine tiefe Runse (vermeintlich) zudeckte, queren wollte. Es kam, wie es kommen musste: Ich brach in der Mitte durch, glücklicherweise konnte ich mich noch mit den (unbehandschuhten) Händen an den Rändern festklammern - ansonsten wäre es sehr tief hinuntergegangen…
 
Anschliessend ging´s mit Handschuhen weiter (wieso wird man immer erst durch Schaden klug?), so bekommt man wenigstens keine dreckigen Hände. Es reicht schliesslich, dass ich durch den Sturz in die dreckige Runse mein Tenue vollständig eingesaut hatte!
 
Irgendwann wurde der Sporn, in den ich eingestiegen war, immer steiler, und ich kam nicht umhin, die erste Runse nach Osten zu queren. Bei dieser Steilheit und dem harten Altschnee war ich hier sehr froh um meinen Pickel, Steigeisen hätten die Nerven sicher noch mehr beruhigt. Das Spiel setzte sich noch zweimal fort, bis ich urplötzlich unter den senkrechten Wänden des Fälenschafbergs stand. Von unten hatte es so ausgesehen, als verlaufe unmittelbar unter dem Wandabschluss ein brauchbares Band. Leider entpuppte sich die Querung auf nassen und schmierigen Platten, garniert mit plattgedrücktem, haltlosem Dörrgras als ziemlich heikles Manöver. Also besser schon etwas weiter unten die letzte und grösste (Schnee-)Runse queren!
 
Hat man auf der anderen Seite der Runse über einen letzten, rutschigen Gamswechsel im brüchigen Schrofengestein den jenseitigen Gras-Sporn erreicht, ist man nicht nur an der Sonne, sondern hat auch alle Schwierigkeiten überwunden. Auf nun plötzlich deutlichen Wegspuren (hin und wieder erspäht man auch eine alte, verblichene Markierung) erreicht man, einen Felsturm rechts umgehend, ohne Schwierigkeiten die erlösende Grathöhe am Schafbergsattel (ca. 2070 m). Eine grandiose Aussicht auf die wilden Türme ringsum und hinunter auf den Fälensee belohnt für die Aufstiegsmühen.
 
Auf dem herrlichen, mit vielen bunten Blumen dekorierten Grasgrat wandelt man nun luftig, aber ohne irgendwelche Schwierigkeiten, hinüber zum Gipfel des Fälenschafbergs (2104 m). Entlang des Nordabbruchs erreicht man in steilem, aber sehr gut gestuftem Gras (fast wie auf einer Leiter) den kurzen Gipfelgrat und über diesen leicht ausgesetzt den höchsten Punkt mit Gipfelbuch. In dieses setzte ich den 3. Eintrag in diesem Jahr, wie sich später herausstellen sollte, stammt der 2. Eintrag von Hikr-Kollege Salerion, der den Gipfel über das Mörderwegli erreicht hatte.
 
Über das Mörderwegli, welches eigentlich den bequemsten und leichtesten Zugang zum Fälenschafberg vermittelt, wollte ich dieses Mal nicht absteigen. Zum einen lag ausgerechnet in der steilen Rinne unter den Freiheittürm noch Altschnee, zum anderen wollte ich sowieso die "neue" Route zwischen Schafbergturm und Fälenschafberg ausprobieren.
 
Nachdem ich vom Fälenschafberg-Gipfel nach Westen abgestiegen war (T4), rutschte ich vorsichtig auf dem in der Mulde unter der Kammhöhe noch vorhandenden Altschnee bis zur Kante, an dem das Gelände in Schrofen steil abfällt. Für diesen Abstieg wäre es von Vorteil, wenn man in einem früheren Leben ein Steinbock oder eine Gämse war. Was mich betrifft, bin ich mir da nicht so sicher, vorsichtig tastete ich mich auf der gängigsten Route hinunter. Das so kurz nach der Schneeschmelze stellenweise tückisch glatte und völlig haltlose Steilgras und das schmierige Erdreich machen die Sache nicht einfacher. Stellenweise muss auch abgeklettert werden (I-II), was aber dank herrlichem Schrattenkalk auch mit den dreckigen Sohlen meiner Bergschuhe gut funktionierte. Ein Drahtseil habe ich nirgends entdeckt, überhaupt weist die Flanke (zumindest einmal auf meiner Abstiegsroute) keinerlei menschliche Begehungsspuren auf!
 
Irgendwann war ich mir sicher, dass ich in dieser Flanke den Talboden der Alp Fählen erreiche, zuletzt riskierte ich sogar eine Steilfirnabfahrt entlang den Westwänden des Fälenschafbergs.
 
An der Fählenalp (1457 m) angekommen, folgte noch der lange (und allseits bekannte) Ausmarsch via Fählensee-Stiefel-Sämtis-Plattenbödeli-Brüeltobel nach Brülisau.
 
Schwierigkeitsbewertung und Fazit:
 
Nachdem ich nun alle wanderbaren Routen zum Fählenschafberg kenne, lässt sich abschliessend feststellen, dass (nach meinem Empfinden) das "Mörderwegli" mit Abstand die bequemste und leichteste Variante darstellt (T4), bewegt man sich hier doch grösstenteils auf brauchbaren Wegspuren, im unteren Teil sogar deutlich ausgeprägt, und die Ausgesetztheit ist nirgends spürbar. Die Variante "Borsthalden" und die von mir heute im Abstieg begangene Route durch die steile Schrofenflanke zwischen Fälenschafberg und Schafbergturm würde ich nur geübten Berggängern empfehlen, die mit solchem Gelände vertraut sind und über einen guten Routenspürsinn (bzw. Ortskenntnisse) verfügen. Die Schwierigkeiten bewegen sich nach meiner Einschätzung im oberen T5-Bereich, bei trockenen Verhältnissen, insbesondere schneefreien Runsen, sind die Schwierigkeiten in der Borsthalden geringer (T5, evtl. auch T5-). Derzeit ist vor allem in der Borsthalden-Route ein Pickel unabdingbar, wer sich unsicher fühlt, sollte auch Steigeisen in den Rucksack packen.
 
Die Traverse der sog. Löchlibetter vom Löchlibettersattel (P. 2164, in der LK ohne Namen) zum Fählenschafberg, kann ich derzeit (noch) nicht empfehlen. Zuviel harter Altschnee liegt noch auf der Nordseite der Fälentürm, eine Begehung ohne Alpinausrüstung wäre aus meiner Sicht nicht zu verantworten.  

Tourengänger: marmotta


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (5)


Kommentar hinzufügen

WoPo1961 hat gesagt:
Gesendet am 3. Juni 2012 um 13:53
Da hast du dir dir nochmal ne ordentliche Prise Alpstein genommen, bevor du in die düsteren Niederrungen von Flachlandhausen reisen mußt. Tolle Bilder, ausführlicher und hilfreicher Bericht und weckt in mir die Sehnsucht nach neuen Alpsteinabenteuern mit marmotta... aber bis dahin dauerts noch ne Weile...
bis "gleich"
WoPo
PS: deine neue Kamera scheint ziemlich klasse zu sein!

marmotta hat gesagt: Alpstein forever
Gesendet am 3. Juni 2012 um 17:36
Lieber WoPo,

nach Flachlandhausen reise ich doch (mehr oder weniger) völlig freiwillig! Und ich freu mich auch schon total darauf. Nur eine kleine Bitte: Könntest Du vielleicht hinterm Haus eine klitzekleine Sandskulptur in Form des Girenspitz, oder wenigstens der Altenalptürm bauen? Ich mein, nur für den Fall, dass ich plötzlich fürchterliches Heimweh nach dem Alpstein bekomme...

Ausserdem hab ich gerade gesehen, dass es in Flachlandhausen aktuell nur 8,5 ° hat und regnet. Im Appenzell hatte es heute nachmittag bei drückender Hitze 24 °C - und blauen Himmel. Ähm, könntest Du das mit dem Wetter bis Freitag noch in Ordnung bringen? ;-)

Danke für das Foto-Lob. Es ist in der Tat erstaunlich, was diese kleine "Spielzeug-Knipse" herausholt! Nur meinen starken Zoom vermisse ich...

LG
Michael

WoPo1961 hat gesagt: RE:Alpstein forever
Gesendet am 4. Juni 2012 um 13:46
bin nicht gut in Skulpturen bauen, aber ich hab noch ne Flache Saft vom Fass im Keller... DAS muss reichen gegen Heimweh. Wettertechnisch gehts aufwärts; es regnet zwar wie Sau, aber wir haben mittlerweile satte 13 Grad.. und DAS ist für uns Flachlandnasen schon fast Sommer. Temperaturen über 20 Grad kommen wir garnicht mit klar; da flüchten wir dann in die Berge und "wälzen" uns in Eis und Schnee!
Naja, für dich werd ich nochmal mit dem Wetterchef Kontakt aufnehmen... mal schaun, was sich da noch machen läßt bis Freitag.
LG
WoPo

marmotta hat gesagt: The spirit of Alpstein
Gesendet am 4. Juni 2012 um 22:03
Was mir noch eingefallen ist: In meinen Leergutbeständen befindet sich noch die PET-Flasche, die ich auf dem Fählenschafberg ausgetrunken habe. Ich weiss jetzt nicht, wie gut der Luftaustausch da oben funktioniert hat, aber ich nehme an, dass sich in der Flasche noch immer genügend von der kostbaren Alpsteinluft befindet, um Dich in einen rauschartigen Zustand zu versetzen. Um Dein Fernweh nach dem Alpstein etwas zu stillen, bring ich Dir am besten diese konservierte Alpstein-Luft mit, die Du dann intensiv inhalieren musst. ;-)

Das mit dem Wetter in Flachlandhausen kriegen wir schon noch hin - am besten Du fängst gleich schon mal damit an, die Wolken kräftig Richtung Süden zu pusten. Aber schau, dass die dort nicht vor Donnerstagabend ankommen!

Mit freundlichem Grinsen

marmotta

WoPo1961 hat gesagt:
Gesendet am 5. Juni 2012 um 11:05
Der Wetterbericht für Freitag lautet... ich fang mal mit dem Positiven an: teilweise Sonnenschein bis 20/21 Grad.. toll, was?! Naja, das dabei eventuell, vielleicht, möglicherweise 1,7 mm Niederschlag fallen könnten, erwähne ich jetzt mal erst garnicht...
Eine PET-Flasche, aus dem der weltberühmte marmotta getrunken hat, dazu noch mit marmotta- UND Alpsteinluft gefüllt... was für ein kostbares Präsent; da bin ich ja allein beim Gedanken schon glücksbeseelt und berauscht. Die Pulle käme natürlich unverzüglich in mein persönliches Schweizmuseum... und nur wenn Weihnachten, Ostern und mein Geburtstag auf einen Tag fallen, würde ich für die Bruchteile einer Sekunde die Flasche zwecks Schnupperung öffnen!!... und danach völig stonend grinsen
WoPo


Kommentar hinzufügen»